von der Wandergruppe der FAU Jena
Mit der Wandergruppe der FAU Jena haben wir im Herbst zweimal eine Wanderung zum Thema Militarismus durchgeführt und dabei unter anderem das Mahnmal auf dem Nordfriedhof, das an Magnus Poser erinnert, besucht. Mit der Geschichte von Magnus Poser und seiner persönlichen und politischen Weggefährtin Lydia Poser soll sich dieser Artikel beschäftigen – einmal, weil es sich um ein Stück Jenaer antifaschistischer Geschichte handelt, aber auch, weil die Geschichte der Posers in vielerlei Hinsicht ein Lehrstück in Sachen Umgang mit der Vergangenheit darstellt.
Magnus Poser wird 1907 in Jena geboren. Er engagiert sich im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD)¹ bei den Naturfreunden und im Freidenkerverband, aber erst eine mehrmonatige Reise in die Sowjetunion verändert sein politisches Bewusstsein nachhaltig, sodass er 1928 in die KPD eintritt. Im November 1930 wird er wegen Landfriedensbruchs zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, nachdem mehrere Antifaschisten einer Versammlung der Hitlerjugend im damaligen Hotel „Stern“ in der Neugasse einen Besuch abstatten und nach der anschließenden Schlägerei verhaftet werden. Nach der Machtübergabe an die Nazis schließt sich Poser einer Widerstandsgruppe an. Vom Dienst in der Wehrmacht wird er zunächst ausgeschlossen, später rettet ihn eine vorgetäuschte Knieverletzung vor der Einberufung.
Lydia Poser wird 1909 in Heidersbach im Thüringer Wald geboren und ist schon in frühster Jugend politisch aktiv. Mit 15 wird sie Mitglied im KJVD, mit 16 arbeitet sie als Stenotypistin für die KPD in Jena, mit 18 macht sie ihre erste Bekanntschaft mit der Polizei, als sie beim Plakate-Kleben erwischt wird. 1927 wird sie Vorsitzende der Ortsgruppe des Jugendverbandes, wandert im selben Jahr aber auch allein durch den Schwarzwald – beides damals als junge Frau eine Seltenheit. Mit 22 Jahren arbeitet sie im in Erfurt eingerichteten illegalen Büro der Bezirksleitung der KPD.
Im März 1933 fordert Lydia Poser Magnus Poser zur Mitarbeit in der illegalen Parteileitung auf. Er übernimmt die Verantwortung für die Bereiche Agitation, Propaganda und Sicherheitsfragen, später für illegal vorhandene Waffen. Letztere werden an verschiedenen Stellen in Jena gelagert, unter anderem auch in der mittlerweile gemeinsamen Wohnung der Posers, auch, als diese später ein Kind zusammen haben. Im November 1933 werden er und Lydia Poser erneut verhaftet und wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu über zwei Jahren Monaten Haft verurteilt, welche er in Ichtershausen und sie in Gräfentonna und Hohenleuben verbüßt – nach einer Zwischenstation im KZ Bad Sulza, das im Oktober 1933 eingerichtet wird und damit nach Nohra das zweite in Thüringen ist, bevor das KZ Buchenwald entsteht.
Nach der Entlassung aus den Gefängnissen heiraten beide im September 1936, zwei Jahre später kommt ihre Tochter Ruth zur Welt. Trotz polizeilicher Überwachung wird mit dem Aufbau einer neuen Widerstandsorganisation begonnen, die bis 1941 auf etwa 30 Personen anwächst. Es entstehen diverse unabhängige Zellen; Verbindungen gibt es unter anderem nach Bürgel, Eisenberg und Hermsdorf. Im Zentrum der Arbeit stehen zunächst weniger Aktionen, sondern der Aufbau einer handlungsfähigen Organisation.
Silvester 1941 treffen sich die Posers mit Theodor Neubauer und beide Widerstandsgruppen vereinigen sich.² Von da an gehört Magnus Poser zu den führenden Mitgliedern einer in Thüringen weit verzweigten Widerstandsorganisation, die Verbindungen zum KPD-Widerstand in Leipzig, nach Hamburg, Magdeburg und Berlin, aber auch zur Gruppe um Stauffenberg und zum Kreisauer Kreis hat. Die Rolle Lydia Posers wird in der spärlich vorhandenen Literatur nur ansatzweise beschrieben. Zellen der Widerstandsorganisation gibt es in allen Jenaer Stadtteilen sowie bei diversen Betrieben, darunter bei Zeiss, Schott und RAW (das Reichsbahnausbesserungswerk, ab Herbst 1944 Außenlager von Buchenwald, aber das ist eine andere Geschichte). Politische Ziele der Gruppe sind die „Ausrottung des Faschismus“, die Verurteilung der Kriegsverbrecher und die Herstellung demokratischer Rechte und Freiheiten in einem „neuen Deutschland“ mit einer „Regierung des werktätigen Volkes“. Konkret unterstützt die Gruppe unter anderem Zwangsarbeiter*innen mit Lebensmitteln, sammelt Nachrichten über die Frontlage und organisiert Sabotageakte in Rüstungsbetrieben. Mit Hilfe eines Vervielfältigungsapparates werden Flugblätter verbreitet, die auf Russisch und Französisch auch an Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter*innen weitergegeben werden. Sie werden jeweils in der Stückzahl von 500 bis 1500 Exemplaren verteilt, einige Exemplare gelangen bis ins KZ Buchenwald. Belegt ist eine Antwort von dort auf den „Brief an die gefangenen Rotarmisten, Ostarbeiter und Ostarbeiterinnen“, der von der Gruppe in russischer Sprache geschrieben und verteilt wurde.
Im Juli 1944 werden Magnus und Lydia Poser verhaftet. Lydia Poser kommt nach zwei Tagen wieder frei und kann alle Verbindungsleute zu den Gruppen in Thüringen warnen. Magnus Poser wird bei einem Fluchtversuch angeschossen und schwer verletzt aufgegriffen. Die Gestapo bringt ihn ins Krankenrevier des KZ Buchenwald und beginnt, ihn zu verhören. Er wird operiert, verstirbt aber an seinen Verletzungen. Um über den Tod Magnus Posers informiert zu werden, wird Lydia Poser zur Kriminalpolizei bestellt. Ihre Erinnerungen zeigen, wie die Posers versuchen, Elternschaft und Widerstand miteinander zu vereinbaren: „Dieses Mal habe ich meine Tasche gepackt mit allen Utensilien, die ich eventuell in Haft benötige. Ich bat meine Schwiegermutter und Vati so lange meine Tochter zu meinen Eltern zu bringen für den Fall, dass ich nicht wiederkommen sollte.“³
Nach ihrer Entlassung arbeitet Lydia Poser als Stenotypistin, von 1946 bis 1948 ist sie Bürgermeisterin von Jena. Wie ihre Tochter vermutet, spricht sie aufgrund der Traumatisierung durch die Ereignisse nie vom Geschehenen; es gibt lediglich einige Aufzeichnungen von ihr, die sehr lesenswert sind (siehe Literaturhinweise). Vorhandene Publikationen, auch jene der gemeinsamen Tochter Ruth Bahmann beziehen sich fast ausschließlich auf Magnus Poser. Dass Lydia Posers Geschichte für die damalige Zeit eine sehr besondere ist, wird weder in der DDR noch danach gewürdigt. Magnus Poser hingegen wird zu DDR-Zeiten eine Heldenrolle zugedacht. Das Poser-Mahnmal auf dem Nordfriedhof trägt die Inschrift „Ruhm und Ehre den Helden des antifaschistischen Widerstandskampfes“, vor ihr steht die Büste Magnus Posers; Lydia Poser findet keine Erwähnung. Zur bis in die späten 90er Jahre existierenden Magnus-Poser-Gedenkstätte im Wohnhaus seiner Eltern in der Karl-Liebknecht-Straße 55 schreibt die „The future is unwritten“ (eine unserer Vorgängerpublikationen) Nr. 14 vom Mai/Juni 2000: „Auch diese Gedenkstätte befand sich in Jena-Ost; der „Fehler“ von Poser ist der, daß er kein bürgerlicher Widerständler war – und außerdem will die Stadt das Haus verkaufen und hat deshalb die Gedenkstätte von der Denkmalsliste streichen lassen. Das Haus in der Karl-Liebknecht-Straße 55 steht für 160.000,- DM zum Verkauf. Da können sich die FaschistInnen über die Schützenhilfe von CDU/SPD usw. nur freuen!“ Die frühere Polytechnische Oberschule Magnus Poser in Jena-Nord ist und heißt nun Montessori-Schule. Die Magnus-Poser-Straße blieb erhalten, eine Lydia-Poser-Straße hat es in Jena nie gegeben.
Und eine letzte Bemerkung: Jenaer Anarchist*innen, die 1933 bis 1945 aktiv Widerstand geleistet haben, sind uns leider nichts bekannt, was uns einmal mehr verdeutlicht, dass wir unsere eigene Geschichtsschreibung brauchen. Über sachdienliche Hinweise freut sich die Wandergruppe der FAU Jena, erreichbar unter: fauj-wandern@fau.org.
Bis dahin erzählen wir uns wenigstens die Held*innengeschichten der Anderen.
Fußnoten
(1) Kleine Randnotiz zum KJVD aus dem Buch der Tochter der Posers über ihren Vater: „Die Jugendlichen wurden vorbereitet, selbst Mitglieder der KPD zu werden. Aber die Diskussionen im Verband gingen auch um Fragen: Wie stehe ich zu Alkohol und Nikotin? Welche Stellung nehme ich zum Tanzboden ein? Solche Fragen wurden z.T. zu eng betrachtet und dadurch wurde nicht immer eine volle Klärung erreicht.“ (Bahmann, Ruth: Magnus Poser. Lebensbild eines Kommunisten, Jena 1981, S.23).
(2) Vermittelt hatte das Treffen Annegret Wölk – Lebenspartnerin und Genossin des im November 1944 hingerichteten Kommunisten Emil Wölk, bekannt von der Emil-Wölk-Straße in Lobeda. An sie erinnert in Jena nichts.
(3) Poser, Lydia: Einiges aus meinem Leben, S.218-242 in: Amlacher, Cornelia u.a.: Anpassung, Verfolgung, Widerstand. Frauen in Jena 1933 – 1945, Jena 2007, S.240.
Weiterführende Literatur:
Poser, Lydia: Einiges aus meinem Leben in: Amlacher, Cornelia u.a.: Anpassung, Verfolgung, Widerstand. Frauen in Jena 1933 – 1945, Jena 2007, S.218-242.
Bahmann, Ruth: Magnus Poser. Lebensbild eines Kommunisten, Jena 1981.
Schilling, Willy: Im Widerstand: Magnus Poser in: Gelebte Ideen. Sozialisten in Thüringen. Biografische Skizzen. Jena 2006. S.331 – 341.
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 – 1945, Frankfurt 2003.