vom AIBJ-Redaktionskollektiv
Im folgenden Analyse-Text soll es um die sogenannte Reproduktionsarbeit gehen. Wir wollen im ersten und zweiten Abschnitt das Konzept der Reproduktionsarbeit und ihren historischen Zusammenhang mit den Geschlechterverhältnissen im Kapitalismus vorstellen. Im dritten und vierten Teil werden wir ein paar Überlegungen über Restrukturierungsprozesse in der Reproduktionssphäre und die sogenannte Reproduktionskrise anstellen und ein paar Gedanken zu Kämpfen in diesem Bereich teilen.
Was ist Reproduktionsarbeit?
Reproduktionsarbeit ist ein Begriff, der ursprünglich bei Marx auftaucht, dann von der Frauenbewegung der 70er Jahre stark gemacht wurde und bis heute eines der wichtigsten Konzepte des sogenannten materialistischen Feminismus ausmacht. Er bezeichnet all die Tätigkeiten, die vonnöten sind, um uns und unsere Arbeitskraft zu reproduzieren, will heißen: wiederherzustellen, dass wir also nicht am Ende eines Arbeitstags kaputtgehen, sondern über mehrere Jahre hinweg arbeitsfähig und ausbeutbar bleiben. Es geht also nicht um die Produktion/Herstellung von Dingen und Waren (bzw. nur um die der Ware Arbeitskraft), sondern um die Reproduktion/Wiederherstellung von Leben und Arbeitskraft. Dabei handelt es sich z.B. um die Kindererziehung, Krankenversorgung, Altenpflege und menschliche Fürsorge, konkreter: Putzen, Kochen, Waschen, Arsch-Abwischen, Trösten, Sex etc. Diese Tätigkeiten, diese Repro-Arbeit, müssen tagtäglich wiederholt werden und finden nie ein Ende. Sie werden immer noch in aller Regel von Frauen (Müttern, Ehefrauen, Lebenspartnerinnen, Töchtern) geleistet, sie werden meistens nicht bezahlt und sind daher auch nicht als “richtige Arbeit” anerkannt, anders als bei der (männlichen) Lohnarbeit.
Schwangerschaft und Kinderkriegen sind für die gesellschaftliche Reproduktion und die Reproduktion der Arbeiter_innenklasse von besonderer Bedeutung. Ohne natürlichen Nachwuchs geht es schließlich nicht (sicher können Staaten junge migrantische Arbeiter_innen importieren, aber hier bestehen Sprachbarrieren und Schwierigkeiten bei der Integration in die nationale Gemeinschaft). Nicht umsonst haben alle Staaten eigene Gesetzgebungen und Politiken der Bevölkerungsverwaltung eingerichtet, die sich auf die Kontrolle und Disziplinierung des gebärfähigen Körper von Frauen stützen und darauf aus sind, die Frau zur nationalen Gebärmaschine zu machen. Trotz aller Kämpfe der westdeutschen Frauenbewegung ab den 70ern ist Abtreibung in Deutschland immer noch illegal (wenn auch unter bestimmten Bedingungen straffrei) und gibt es zahlreiche Hürden, die Frauen vom Schwangerschaftsabbruch abhalten sollen. Hier würden wir auf die inhaltliche Arbeit verweisen, die dahingehend in den letzten Monaten in Jena vom Bündnis für feministische Kämpfe in Vorbereitung auf die Gegendemo gegen die Lebensschützer_innen in Annaberg-Buchholz geleistet wurde.
Der Frauenbewegung der 70er kommt das Verdienst zu, klar gemacht zu haben, dass die Repro-Arbeit für den Kapitalismus mindestens genauso grundlegend und wichtig ist wie die Lohnarbeit, denn ein Arbeiter bleibt nur leistungsfähig und seine Arbeitskraft damit profitabel ausbeutbar, wenn genügend Repro-Arbeit geleistet wird, diese wiederherzustellen. In anderen Worten: Wäscht ihm keine den Blaumann, schmiert ihm keine die Bemmen für die Mittagspause und kocht das Abendbrot für nach Schichtende, wird er weniger effizient arbeiten und wird sein Boss weniger Mehrwert aus dem Arbeitsprozess rausholen. Die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung in Lohn- und Reproduktionsarbeit und der Haushalt als Ort der Ausbeutung der weiblichen Sorge-Arbeit stellen damit ein wichtiges Kampffeld für revolutionäre Veränderung dar, eines, wo es zahlreiche Schnittpunkte zwischen Frauenbewegung und Arbeiter_innenbewegung und damit viel Potenzial für gemeinsame Kämpfe gibt. In der traditionellen Arbeiterbewegung jedoch wird bis heute nur Lohnarbeit als “richtige” Arbeit betrachtet. Dass Frauen ihren Männern kostenlos ihre Repro-Arbeit zur Verfügung stellen, gilt immer noch als Selbstverständlichkeit, Repro-Arbeit wird nicht politisiert.
Kapitalistische Reproduktionsregime
Aufgrund ihrer zentralen Rolle für den Produktionsprozess und die Mehrwertproduktion wird die Reproduktionsarbeit von Staat und Kapital mitorganisiert und in Teilen gewährleistet. Das kann je nach Zeit und Kontext unterschiedlich aussehen. In den letzten zwei Jahrhunderten kapitalistischer Entwicklung haben sich so verschiedene Reproduktionsregime, also Arten und Weisen, die Wiederherstellung der menschlichen Arbeitskraft gesellschaftlich zu gestalten, herausgebildet.
In der Agrar- und Gewerbewirtschaft des Feudalismus gab es keine strenge Trennung von Reproduktions- und Produktionsarbeit. Im Rahmen der sogenannten Familienwirtschaft hat die ganze Großfamilie unter einem Dach gelebt, hat sich gemeinsam um die häuslichen Pflichten gekümmert, ist gemeinsam zur Feldarbeit losgezogen bzw. ihrem Gewerbe nachgegangen und wurden Mann, Frau und Kind gleichermaßen von den Feudalherren eingespannt und ausgebeutet. Erst mit der Entstehung des Industriekapitalismus Ende des 18. Jh. findet eine Trennung zwischen häuslicher/privater Sphäre und der Lohnarbeit statt. Die modernen Arbeiterinnen und Arbeiter gehen nun für die Dauer einer Schicht in die Fabrik und kehren anschließend nach Hause zurück. Zu dem Zeitpunkt ist dem Kapital die Reproduktion/Wiederherstellung ihrer Arbeitskraft noch ziemlich egal – schließlich gibt es genug Bäuerinnen und Bauern, die aus dem Land in die Städte abwandern und Arbeit suchen. So strömen zu Beginn der industriellen Revolution neben Männern auch Frauen und Kinder in die Fabriken, um sich dort kaputtzuarbeiten.
So konnte es aber nicht lange weitergehen. Die Verelendung der Arbeiter_innen aufgrund der krassen Ausbeutungsbedingungen und der fehlenden Fürsorge führte sowohl zu schwächerer Arbeitsleistung als auch zu Unzufriedenheit, sozialen Revolten und der Entstehung einer revolutionären Arbeiter_innenbewegung. Die entstehenden Nationalstaaten und das auf aufstrebende Kapital reagierten darauf im Verlauf des 19. Jahrhunderts auf zweifache Art und Weise. Zum einen kümmerten sich paternalistische Bosse über den Bau von Arbeiterkolonien (Wohneinheiten, Freizeiteinrichtungen etc.) und verbesserte Arbeitsbedingungen um “ihre” Arbeiter_innen und griffen die Staaten zentrale Forderungen der Arbeiter_innenbewegung auf und richteten über das Verbot von Kinderarbeit, den Aufbau eines Schulsystems, die Einführung von Versicherungen und staatlichen Leistungen sowie über eine bessere Krankenversorgung den sogenannten Sozialstaat ein. Zum anderen wurden das Modell der bürgerlichen Familie in die Arbeiter_innenklase exportiert und durchgesetzt. Von nun an wurde die häusliche und Reproduktionsarbeit einseitig der Frau zugeteilt. Sie hatte sich sowohl um ihren Ehemann, als auch um die erst im 18. Jh. neu aufgekommene Kindererziehung, also um den Haushalt insgesamt zu kümmern. Während des 19. Jh.s bildeten sich Frauenbewegungen mit jeweils unterschiedlichen Forderungen heraus. Die bürgerliche Frauenbewegung, z.B. die Suffragetten, setzte sich für die rechtliche und politische Gleichsetzung der Frau im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft ein. Die proletarischen Frauenbewegung dagegen kämpfte für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterfrauen (und auch der Arbeiter) und für eine Abschaffung der kapitalistischen Gesellschaft. Hier wirkten neben Sozialistinnen auch zahlreiche Anarchistinnen, z.B. Emma Goldman, Lousie Michel, Kate Austin, Voltairine de Cleyre, Mary Hansen, Federica Montseny, Sarah Holmes und viele andere, die heute leider zum großen Teil vergessen sind.
Im 20. Jahrhundert setzte sich das geschlechterarbeitsteilige Modell aus männlicher Lohn- und weiblicher Reproduktionsarbeit endgültig durch – jedoch mit regionalen Unterschieden. In den privat-kapitalistischen Staaten des Westens findet es mit dem Hausfrauen-Ernährer-Modell seinen Höhepunkt. Lohnarbeiter wurden zu dem Zeitpunkt so gut bezahlt, dass sie ihre Frauen, die zu Hause die ganze Reproduktionsarbeit unbezahlt und ohne Anerkennung leisteten, miternähren konnten. In den sozialistischen bzw. staatskapitalistischen Staaten des Ostblocks dagegen wurde die Dreifachausbeutung der Frau als Lohnarbeiterin/Kollegin, als unbezahlte Reproduktionsarbeiterin im Haushalt und als Parteiaktivistin eingeführt. Gegen diese Zustände rebellierte ab Ende der 60er Jahre die sogenannte zweite Welle der Frauenbewegung oder der Feminismus. In der BRD bildete sich in den 70ern eine breite feministische Bewegung heraus, in der DDR entstanden in en 80ern im Rahen der Oppositionsszene Frauen- und Lesbengruppen.
In den letzten 30 Jahren haben wir es einer sehr widersprüchlichen Entwicklung zu tun (siehe auch die laufende Debatte zwischen den Freundinnen und Freunden klassenlosen Gesellschaft und denen der geschlechtslosen Gesellschaft). Auf der einen Seite gibt es Angleichungstendenzen in Bezug auf die Geschlechterarbeitsteilung, d.h. immer mehr Frauen werden in den Arbeitsmarkt integriert und das nicht nur in typischen Frauendomänen und feminisierten Berufen, dürfen langsam Führungspositionen in Staatsapparaten und Unternehmen annehmen, Männer werden vorsichtig ermuntert, sich auch an Hausarbeit und Kindererziehung zu beteiligen, traditionelle zweigeschlechtliche Rollenbilder werden zunehmend infrage gestellt. All das sind Forderungen der Frauen- und LGBT-Bewegungen gewesen, die zurzeit eben deshalb in die kapitalistische Ordnung eingebunden werden können, weil es dem Kapital letzten Endes egal ist, wer – also welches Geschlcht – die Reproduktionsarbeit übernimmt, Hauptsache sie wird geleistet (wenn es auch von Vorteil ist und bleibt, wenn diese Arbeit klar einer gesellschaftlich benachteiligten Gruppe zugewiesen wird). Auf der anderen Seite gibt es gesellschaftliche Beharrungskräfte, scheinbar doch unverrückbare Frauenbilder und -rollen, die wenig Hoffnung lassen, dass sich das Patriarchat in den nächsten Jahren abschaffen lässt und sogar neokonservative und antifeministische Gegenbewegungen. Das meint sowohl neue politische Strömungen wie die Lebensrechtler_innen oder die AfD, die sich für eine Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse stark machen, als auch die ökonomischen Auswirkungen der Krise, die dazu führen, dass die Familie als wirtschaftliche Solidaritäts(zwangs)gemeinschaft wiederbelebt wird.
Sinkendes Reproduktionsniveau, Kommodifizierung von Sorge-Arbeit und Repro-Krise
In den letzten 30 Jahren sind Kapital und Staat im Versuch, die anhaltende Akkumuluationskrise des Kapitals zu verwalten, neben anderen Strategien (Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, repressivere Verwaltung der migrantischen Arbeiter_innen, Militarisierung, Outsourcing etc.) dazu übergangen, das bis in die 70er immer weiter angehobene staatlich garantierte Reproduktionsniveau der Arbeiter_innenklasse systematisch abzusenken. Von breiteren Protestbewegungen wird das in der Regel als “Sozialstaatsabbau” bezeichnet. Der Zugang der Bevölkerung zu Sozialleistungen und Versorgungsmöglichkeiten wird erschwert, entstehende Lücken und Defizite müssen zunehmend von den Arbeiter_innen selbst gefüllt werden. Das passiert in der Regel über familiäre Netzwerke, wo die zusätzlich anfallende Arbeit in der Regel von den Frauen übernommen und so unsichtbar gemacht wird. Zentrale Maßnahmen dahingehend waren die Hartz-IV-Reformen von Ende 2003 und das Arbeitslosengeld II (Kürzung staatlicher Leistungen für Arbeitslose samt Einführung eines Strafsystems zwecks Zwangsmobilmachung für den Arbeitsmarkt), die Rente ab 67 von 2006, zunehmende Zuzahlungen und Leistungsausgrenzungen bei den Krankenkassen seit den 80ern (v.a. die Reformen von 2003), zunehmende Zwangsräumungen und Zwangsumzüge in schlechtere und kleinere Wohnungen. Dieser Prozess wird am gewalttätigsten bei marginalisierten oder ausgeschlossenen Teilen der Arbeiter_innenklasse durchgesetzt und führt in diesen Gruppen zu einer systematischen Unterversorgung, sichtbar u.a. an den laufenden Protesten der Gefangenen in der JVA Tonna für bessere Nahrungsversorgung und in der JVA Untermaßfeld für bessere medizinische Versorgung oder an den Protesten gegen die Zustände in den Lagern für Migrant_innen der letzten Jahre.
Im Zusammenhang mit der Einschränkung staatlicher Leistungen steht der Aufbau einer Reproduktionsindustrie. Immer mehr Reproduktionstätigkeiten werden kommodifiziert, d.h. können nun als Waren auf dem Fürsorge-Markt erkauft werden: Kinderbetreuung in privaten Kindergärten oder von Babysitter_innen, Altenversorgung in privaten Altersheimen, Krankenbetreuung durch private Pflegeunternehmen usw. usf. Dabei werden die Fürsorge-Tätigkeiten zunehmend rationalisiert, d.h. werden einer Effizienz- und Profitlogik unterworfen, die im grundlegenden Widerspruch zum emotionalen und Empathie-Anspruch solcher Tätigkeiten steht. Wird in der Pflege ein Minutensatz pro Patient_in festgelegt, wie soll die Pflegerin dann auf die individuellen menschlichen Bedürfnisse der betreuten Personen eingehen? Diese Dienstleistungen werden in der Regel von weiblichen und/oder migrantischen Arbeiterinnen verrichtet und sind nur für einkommensstarke Familien erschwinglich.
Die systematische Absenkung des staatlich garantierten Reproduktionsniveaus einerseits und die Kommodifizierung von Reproduktionstätigkeiten und der Ausschluss von armen Familien vom Zugang zu dieser Dienstleistungsindustrie andererseits führen zur sogenannten Reproduktions- oder (Für-)Sorgekrise. Diese wird sich in den nächsten Jahren immer deutlicher anhand von zahnlosen Alten, unversorgten Kranken, Todesfällen infolge von problemlos behandelbaren Leiden sowie mangelernährten Arbeitslosen und ihren Kindern in unseren Vierteln und Wohnblocks zeigen.
Perspektiven für Kämpfe in der Reproduktionssphäre
Wir glauben, dass kollektive Kämpfe innerhalb der Reproduktionssphäre auf drei Ebenen stattfinden können und sollten. (1) Über die Umverteilung der Reproduktionsarbeit unter den Geschlechtern, d.h. eine Entlastung der Frauen innerhalb unserer Gemeinschaften (anarchistische, feministische und andere Bewegungen, Familien, WGs und Hausprojekte, Freundeskreise, …). Dabei geht es darum, die Ausbeutung der Frauen im Repro-Bereich zu überwinden und die anfallenden Tätigkeiten gleichmäßig unter Allen umzuverteilen. (2) Über die Kollektivierung unserer Bedürfnisse und der Reproduktionsarbeiten. Die Vergemeinschaftung z.B. in Form von Hausprojekten, Suppenküchen, Kinderläden usw. kann sowohl zur Entlastung der Einzelnen als auch zur solidarischen gegenseitigen Unterstützung führen. (3) Über kollektive politische Kämpfe gegen die staatlichen Politiken, die unsere Leben abwerten, und die Angriffe des Kapitals auf unsere Interessen z.B. in Form Arbeitsloseninitiativen, Bündnisse gegen Zwangsräumungen, Kollektive widerständiger Ärzt_innen und Pfleger_innen, feministische Bündnisse gegen Lebensschützer_innen usw.
In Jena gibt es dahingehend genug praktische Versuche und Projekte. Diese wollten wir hier nun nicht vorstellen, weil der Artikel schon ohne sie fünf Seiten lang geworden ist und weil die meisten dieser Projekte nicht öffentlich sind. Falls Genoss_innen aus derartigen Initiativen über ihre Erfahrungen darin berichten möchten, freuen wir uns über Beiträge!