von Kevin
Am 24. Januar kam es in der Goethe-Gallerie zu folgendem Vorfall. Laut Polizei- und Presseberichten hätte ein 20jähriger Syrer sich nach einem angeblichen Ladendiebstahl gegen seine Festnahme durch die zwei Sicherheitsleute und die anschließend herbeigerufene Polizei gewehrt. Danach wollte die Polizei die Personalien einer Gruppe syrisch-kurdischer Jugendlicher kontrollieren. Als als sich einer von ihnen „aggressiv verwehrte“, wurde er von den Bullen auf den Boden geworfen und mit Handschellen fixiert. Daraufhin „zogen [seine Freunde] an der Uniform, bedrängten und stießen“ [die Polizei]. „Erst als die Beamten androhten, Pfefferspray einzusetzen, beruhigte sich die Situation.“ So zumindest die offizielle Darstellung.
Die einseitigen Presseberichte über die „Jugendbande“ und ein von einem Rechten hochgeladenes Video der Situation sorgten für stadtweite Diskussion im Internet, in der Presse und im Stadtrat, die vor allem von Rassismus und Rufen nach Kontroll- und Überwachungspolitik geprägt war. Es meldeten sich nicht nur die üblichen Internet-Trolle zu Wort, sondern die Polizei selbst: „Nicht mit uns! Klare Kante!“ Gemeint sind die “kriminellen Ausländer”.
Zwei Tage später, am 26. Januar, umzingelten Dutzende Bullen aus mindestens 5 Mannschaftswagen gegen 18 Uhr ca. 30 Jugendliche auf dem Campus, stellten sie an die Wand, bestrahlten sie mit Scheinwerfern, durchsuchten die Rucksäcke und Taschen, Mädchen mussten sich von Polizisten durchsuchen lassen, die Jugendlichen mussten sich vor Ort in Kälte und Nieselregen Schuhe und Jacken ausziehen. Angeblich hätten ein paar Jugendliche vorher in der Goethe-Gallerie Lärm gemacht. Anschließend gab es für alle Hausverbot. Etwas mehr als 20 Leute kamen währenddessen hinzu, zeigten Solidarität mit den Jugendlichen und stritten sich mit den Bullen, mit dem Ergebnis, dass sie teilweise selbst kontrolliert wurden.
In diesen zwei Ereignissen hat sich das zugespitzt, was wir in den letzten Monaten tagtäglich beobachten: der Ausbau des Polizeistaats in unserer Stadt.
In vorigen Ausgaben dieses Hefts wurde bereits mehrfach über die polizeistaatliche Entwicklung auf bundesweiter Ebene geschrieben. Diese zeigt sich u.a. in der Verschärfung des §113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte), der Einführung des §114 StGB (tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte: Mindeststrafe 3 Monate Knast), der Ausrüstung von Polizist_innen mit Bodycams, Elektroschockern und Drohnen, der Aufstellung der neuen Spezialeinheit BFE+ usw. usf. Hier wollen wir darüber sprechen, wie sich diese Entwicklung vor Ort darstellt. Wir wollen uns dabei auf (1) die Allgemeinverfügung und das polizeiliche Vorgehen bei Großdemos, (2) das Vorgehen gegen Demo-Anmelder und (3) Gefahrengebiete und Polizeikontrollen beschränken.
Allgemeinverfügung gegen Demonstrationen
Seit Mitte 2016 arbeitet die Stadt bei größerem Demonstrationsgeschehen mit einer Allgemeinverfügung, d.h. es gibt statt eines einzelnen Auflagenbescheids, der eine angezeigte Demo aufgrund einer konkreten Gefahrenanalyse einschränkt, einen allgemeinen Auflagenbescheid, der alle Gegenproteste standardmäßig reglementiert. Sie wurde nach den Antifa-Protesten gegen die Nazidemo vom 20. April 2016, dem “Führergeburtstag”, erarbeitet. Damals zog eine antifaschistische Spontandemo ungehindert durch die Stadt, versuchten Hunderte von Leuten nicht nur, die Nazi-Demo zu blockieren und bewarfen deren Teilnehmer_innen mit Dutzenden Glasflaschen, sondern gingen auch gegen Festnahmeaktionen der Bullen vor und umzingelten deren Greiftrupp. Die erste Gegendemo, für die die Allgemeinverfügung galt, waren die gegen die Thügida-Demo vom 17. Augst 2016, dem Todestag von Rudolf Hess.
Die Allgemeinverfügung kann hier nachgelesen werden: https://www.jena.de/fm/1727/sicherheitsrechtliche_allgemeinverf%c3%bcgung.pdf
Sie richtet sich nicht gegen die jeweiligen Nazidemos, sondern ganz klar gegen die antifaschistischen Gegenaktionen – egal ob bürgerlich oder radikal. Sie werden in der Verfügung als Gefahrenquelle identifiziert. Deswegen werden für die jeweiligen Demotage pauschal alle Demonstrationen und Proteste in ganzen Bereichen der Stadt untersagt. Außerdem ist eine strikte Trennung von Nazidemo und Gegenprotesten vorgesehen. In der Praxis bedeutet das eine umfassende Absperrung der Nazi-Route mit mehreren Reihen Hamburger Gittern inklusive polizeilich besetzter Sicherheitszonen und Schleusen, ein massives Polizeiaufgebot, das sich gegen die Gegendemos richtet, ständige Polizeikontrollen und Platzverweise für Antifaschist_innen.
Sowohl der Entstehungskontext als auch der Inhalt der Verfügung machen deutlich, dass sie auf die Kontrolle und Unterdrückung antifaschistischer Proteste zielt. Aus der für Jenaer Verhältnisse massenhaften und sehr militanten Gegenwehr nicht nur gegen die Nazis, sondern auch gegen die Polizei haben die Stadtpolitik und -verwaltung ihre Konsequenzen gezogen. Sie haben mit der Allgemeinverfügung Mitte 2016 ein Kontroll- und Repressionsinstrument geschaffen, das sie seitdem standardmäßig gegen antifaschistische Proteste einsetzen.
Nachträgliches Vorgehen gegen Demo-Anmelder_innen und -Teilnehmer_innen
Mehrere Demonstrations-Anmelder_innen, u.a. von der Hausbesetzung in der Carl-Zeiss-Straße, vom Cornern gegenüber der Polizeiwache, von der Demo von The VOICE, von der Kundgebung gegen Polizeigewalt von Jugend gegen Rechts, haben in den letzten zwei Jahren Druck von Seiten der Polizei, der Ordnungsbehörde oder aber auch vom Kommunalservice Jena (KSJ) bekommen. Das war vorher nicht der Fall und scheint eine Strategie zu sein, von der Anmeldung von Kundgebungen und Demos abzuschrecken oder die Anmelder_innen derart einzuschüchtern, dass sie sich zu Hilfsbullen machen lassen.
Es traf aber auch die Teilnehmer_innen von Demos und Protesten. So wurde nach den Antifa-Aktionen vom 20. April 2016 eine eigene Sonderkommission der Kriminalpolizei (Kripo) eingerichtet. Oder nach der Spontandemo gegen Polizeigewalt am 15. Dezember 2017 hat die Polizei die Öffentlichkeit dazu aufgerufen, Videos und Fotos einzureichen. Und seit 2015 rennen Bullen v.a. auf Antifa-Demos mit Fotomappen rum und versuchen Leute zu identifizieren, um ihnen irgendwelche Sachen von vorherigen Demos anzuhängen. Auch diese drei Arten, nachträglich gegen Demonstrationen vorzugehen, sind in Jena neu.
Verdrängung von Jugendlichen
Schon im Anarcho Infoblatt #7 vom Dezember 2016 war ein längerer Text über die schikanösen Polizeikontrollen in angeblichen „Gefahrengebieten“ erschienen. Derartige Kontrollen beispielsweise in der Lutherstraße oder auf dem Magdelstieg sind also schon länger ein Problem. Seit 2016 hat sich das Problem aber verschärft. Die Polizei hat angefangen, alle möglichen Jugendlichen zu schikanieren und sie von öffentlichen Orten zu vertreiben. Gerechtfertigt wurde das mit Drogen, der Lautstärke und angeblich gewalttätigen “Ausländergangs”. Das fing mit 2016 mit Kontrollen in der Karl-Marx-Straße in Lobeda an, ging an der Kegelbahn im Paradiespark und am Ernst-Abbe-Denkmal weiter, teilweise kamen die Bullen zum Theatervorplatz (TVP) und zuletzt, diesen Januar, auf den Campus.
Kein Polizeistaat – weder in Jena, noch anderswo!
Es zeigt sich also, dass der Ausbau des Polizeistaats sich neben größeren Gesetzesänderungen und der Aufrüstung des Polizeiapparats im Kleinen, also bei uns in Jena, ebenfalls auswirkt. Das können wir u.a. an der Allgemeinverfügung gegen Antifa-Proteste, am Druck auf Anmelder_innen in den letzten zwei Jahren sowie an der Säuberung öffentlicher Plätze von unangepassten Jugendlichen beobachten. Ideen für Widerstandsformen für den Alltag sind mehrfach geäußert worden. Lasst sie uns umsetzen und damit unseren kleinen Beitrag gegen den autoritären Staatsumbau leisten!