von Kevin
Am 15. April 2018 durften wir uns mal wieder aussuchen, wer uns in den nächsten sechs Jahren beherrschen darf. In Jena war Oberbürgermeisterwahl und die ist bekanntlich mit einer großen Überraschung ausgegangen: Chef Schröter wurde abgelöst von Thomas Nitzsche von der FDP! Seit 1. Juli ist er nun im Amt.
Ich bin zwar nicht wählen gegangen, da ich mich für den Aufbau einer selbstorganisierten Gemeinschaft von unten und gegen die Bestätigung derer entschieden habe, die mein Leben bestimmen wollen. Dennoch will ich einen kurzen Blick darauf werfen, was sich mit der Wahl verändert hat. Schließlich wird der Wechsel des Oberbürgermeisters die Bedingungen beeinflussen, unter denen wir uns in den nächsten sechs Jahren organisieren müssen.
Doch zuvor noch ein paar Worte zu Schröter, nicht dass der Text so verstanden wird, dass ich ihm hinterhertrauere. Schröter war aus vielen Gründen kontrovers: er vertrat einen unterschwelligen Antisemitismus (Boykott von Israel), er war für zivilgesellschaftlichen Antifaschismus und hat sich immer gegen Neonazis engagiert, ließ Polizei und Stadtverwaltung aber trotzdem gegen selbstorganisierte Bewegung vorgehen. Er hat die neoliberale Umstrukturierung von Jena fortgesetzt.
Man hätte nun nach der Wahl meinen können, dass es ja nur einen neuen OB gibt und die Zusammensetzung des Stadtrats mit seiner Koalition aus CDU, SPD und Grünen und der Verwaltung gleich bleibt. Aber die Wahl hat durchaus Bewegung in die Apparate gebracht. Denn schon am 13. Juni wurden die Dezernenten, so etwas wie die Minister der Stadt, gewählt. Zuvor gab es wieder eine Überraschung. Stadtrat Bastian Stein hat am 5. Juni von der Grünen-Fraktion in die CDU-Fraktion gewechselt, um etwaige rot-rot-grüne Mehrheiten bei den Dezernentenwahlen zu verhindern. Bei den Wahlen selbst konnte Nitzsche dann seine drei Kandidaten durchbringen: Christian Gerlitz (SPD) hat gegen Denis Peisker (Grüne) als Dezernent für Stadtentwicklung und Umwelt gewonnnen und wird zudem Bürgermeister, also der Stellvertreter von Nitzsche. CDU-ler Benjamin Koppe hat Frank Jauch von der SPD als Dezernent für Finanzen, Sicherheit und Bürgerservice abgelöst und Eberhard Hertzsch, langjähriger Chef des Jobcenters, ist Dezernent für Familie, Bildung und Soziales geworden. Genau der, der in der letzten Zeit gegen die „jugendlichen Ausländergangs“ gehetzt hat wird nun Sicherheitschef in Jena und ausgerechnet der Chef vom Jobcenter soll sich nun um Soziales kümmern. Die Kandidat*innen der Linkspartei sind wie zu erwarten leer ausgegangen. Insgesamt sind der Stadtrat und die Dezernate damit ein gutes Stück weiter nach rechts gerückt.
In den nächsten Jahren wird das Verhältnis von Nitzsche und der AfD, die 2019 voraussichtlich in den Stadtrat einziehen wird, von Interesse sein. Im zweiten Wahlgang der OB-Wahlen hatte die AfD zu seiner Wahl aufgerufen. Nitzsche meinte darauf lediglich, dass er nicht beeinflussen könne, wer zu seiner Wahl aufrufe, dass er sachorientierte Politik betreiben wolle und sich von Extremismus abgrenze. Fakt war auch, dass Nitzsche mit Sicherheit nicht den bürgerbewegten Antifaschismus von Schröter fortsetzen wird und mit der linken Zivilgesellschaft wie der JG oder dem Aktionsnetzwerk (ANW) nichts und mit der Antifa schon gar nichts anfangen kann. Beides hat er am Runden Tisch vom 20. August bestätigt: Er werde die AfD nicht blockieren, sondern sachlich mit ihr umgehen, er will mit ihr reden (mit Nazis reden – schon immer die beste Begründung für deren Legitimierung und Einbindung). Protest gegen rechts finde er wichtig, aber lieber kreative Formen wie Familienfeste und Kreidezeichnungen und nicht Blockaden (ein Versprechen auf Polizeirepression). Nur drei Tage später kam das nächste Ding. Der Stadtrat beschloss mit knapper Mehrheit, einen offenen Brief zu unterzeichnen, in dem die Bundeskanzlerin zur Aufnahme von Flüchtlingen aufgefordert wird. Entgegen des Beschlusses erklärte Nitzsche laut Katharina König-Preuß, dass er den Brief nicht unterstützen werde.
Auch in anderen Punkten ist Nitzsche einfach deutlich rechts von Schröter. Im Wahlkampf hat er verschiedenes klar gemacht. Er hat erklärt: „Wenn ich OB bin, hat die Politik gegen die Autofahrer ein Ende.“ D.h. er will Straßen ausbauen und den Autoverkehr anregen. Nichts von wegen Umwelt. Er will Stellen in der Stadtverwaltung streichen, also Leute kündigen. Er denkt an ein Jugendzentrum in der Innenstadt, was auch als Affront gegen den bisherigen sozialarbeiterischen Träger der Innenstadt, die JG, zu verstehen ist oder als Versuch begriffen werden kann, die ungehorsamen und unangepassten Jugendlichen des Stadtzentrums unter Kontrolle zu kriegen. Von sozialem Wohnbau hält Nitzsche bekanntlich nichts und auch nichts von alternativem Wohnen, so wird er die Duldung des Wagenplatzes nicht verlängern. Er will stattdessen Stadt und Land, v.a. Jena und Apolda, besser anschließen. Das Modell dahinter: Student*innen und Arbeiter*innen wohnen in den Schlafstädten der Provinz und gehen in die Lichtstadt arbeiten und studieren.
Das sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass mit Nitzsche auch in Jena das politische Establishment autoritärer und repressiver wird. Darauf sollten wir vorbereitet sein, denn damit wird es für uns noch schwieriger werden als schon bisher, unsere Forderungen und unsere Interessen durchzusetzen.