Veranstaltungsbericht zu Stalking an der Uni Jena

von einer Genossin einer anarchistischen Bezugsgruppe

Seit Jahren kenne ich Menschen in Jena, die davon berichten, dass sie im Kontext ihres Studiums oder in ihrem Freund*innenkreis mit Men­schen zu tun haben, deren Verhalten sie als Stalking beschreiben würden. Sie bekommen E-Mails und aufwühlende Inhalte zugeschickt, obwohl sie den Kontakt untersagt hatten. Auf sie wird gewartet, wo sie zu erwarten sind: Auf dem Weg zum Sport, zum Spielplatz oder zur Arbeit wird eine Begegnung er­zwungen. Sie werden betrunken oder unter Vorwand wiederholt angerufen.

Ich selbst habe ebenfalls zwei Erfahrungen gemacht, die ich in diesen Bereich einordne. Ein Ex-Beziehungspartner, von dem ich mich getrennt hatte, hat sich danach auf einer social-media-Plattform angemeldet, um meinen Account dort anzuschreiben; und er hat einen zweiten Account angelegt, nachdem ich seinen ers­ten blockiert hatte. Er hat meine ihm bekannte E-Mail-Adresse zugemüllt, bis ich sie gelöscht habe und mich danach – mal mit flehenden, mal beleidigenden SMS und Anrufen – wiederholt kontaktiert, bis ich mir eine neue Telefonnummer zugelegt habe. Trotz Kontaktverbotes meinerseits hat er noch vier Jahre später zu meinem Geburtstag eine meiner anderen E-Mail-Adressen angeschrieben mit dem Hinweis: „Ich will dir ja nur gratulieren, da wirst du ja eine Mail aushalten“.

Es gab einen anderen Cis-Mann in Jena, mit dem ich eine Zeit lang befreundet war und der eine Beziehung mit mir wollte, die ich nicht wollte. Nachdem ich eine Beziehung mit einer anderen Person begonnen hatte, hat dieser Typ mir hasserfüllte Blicke zugeworfen, sobald er mich irgendwo sah. Mir gegenüber wurden Gewaltdrohungen gegen meine neue Bezie­hungs­person ausgesprochen und an meinem Institut wurde ich ab dann von ihm als „unzuverlässig“ und „mies“ denunziert – dort wo ich als studentische Hilfskraft angestellt war und bald meine Abschlussprüfungen machen würde.

Als ich im November 2018 die Veranstaltung zu „Stalking im universitären Kontext“ in der Aula des UHG besucht habe, habe ich Eini­ges mehr verstanden von dem, was da eigentlich überall auf der Welt und schon seit Ewigkeiten unter Menschen vor sich geht: Das gewaltvolle Stalking beginnt immer dann, wenn ein Mensch Kontakt zu einem anderen erzwingt und der andere Mensch davon gelähmt und verletzt wird.

Was ich intuitiv richtig gemacht habe, aber grundsätzlich sehr schwer ist: Ein Kontaktverbot aussprechen und durchhalten – keine „letzten Aussprachen“, kein Entgegenkommen. Was ich nicht gemacht habe: Mit anderen Menschen darüber sprechen, weil das ja alles nicht so schlimm war. Damals habe ich noch nicht gewusst, wie schädlich Stalking auf die Betroffenen wirken kann und wie gefährlich stalkende Personen sein können.

Stalking ist eine sich wiederholende Grenzüberschrei­tung, die immer verletzend ist. Die Gewaltförmigkeit, die einer anhaltenden Grenzüberschreitung innewohnt, wird häufig zunächst nicht ernst genommen. Dabei kann sich in vielen Fällen eine Eskalation der Grenzüberschreitungen voll­ziehen, die in körperlicher und tödlicher Gewalt mündet.

Im Folgenden möchte ich ein paar Fakten aus der Veranstaltung wiedergeben, die sicherlich auch für andere interessant sind. Außerdem möchte ich über einen Fall an der Uni Jena zu sprechen kommen, der uns für einige Zeit beschäftigt hat.

Stalking-Typen und Zahlen

Eine Studie von 2017 bezeichnet jenes Verhalten als Stalking, das 5 Handlungen innerhalb von 2 Wochen umfasst. Eine Studie von 1999 ging von mindestens 10 Handlungen in 4 Wochen aus. Unter Stalking fallen Kontaktaufnahme und/oder Belästigung und/oder Annäherung, die soziale Regeln überschreitet, teilweise von der Ziel­person wahrgenommen wird und bedrohlich erscheint oder die Le­bens­gestaltung einschränkt. Beim Stalking-Paragraph „Nachstellung“ (§ 238 StGB) wird in der Recht­sprechung ein ähnliches Maß an­gelegt wie in der Studie von 2017.
Laut einer Meta-Analyse zur Betroffenheit von Stalking betrifft es 30% der Allgemeinbevölkerung und 21% der Studierenden. Eine Studie aus England zeigte, dass von 358 getöteten Frauen 71% Opfer ihrer (ehemaligen) Intimpartner*innen (große Mehrheit männlich) waren und diesen Morden in 94% der Fälle Stalking vorausging.

Um das Risiko besser einzuschätzen, wird in verschiedene „Stal­king-Typen“ unterschieden. Bit­te beachten, dass es verschie­dene Typologien und Umgangsein­schät­zungen gibt.
Der „Zurückgewiesene“: Das Stalking beginnt nach dem Ende einer engen sozialen Be­ziehung. Dieser Typ macht den größten Anteil aus und wird als am gefährlichsten eingeschätzt, da zuvor viel Nähe vorhanden war. Der „Rachesuchende“: Der Stalker fühlt sich ungerecht behandelt. Dieser Typ ist ebenfalls gefährlich, da der Stalker Schaden verursachen möchte. Drei weitere Stalking-Typen sind der „Liebe­suchende“, der „sozial Inkompetente“, der „Beute­lüs­terne“.

Interessanterweise leiden stalkende Personen oft selbst unter ihrem Verhalten. Unter den Beratenen von Beratungsstellen sind 40_% Selbstmelder*innen. Die Pra­xis zeigt, dass Stalking ein än­der­bares Verhalten ist. Die Polizei oder die Unterstützer*innen der von Stalking betroffenen Person können den Stalker nicht zu einer Beratungsstelle zwingen, diese jedoch empfehlen!

Umgang mit Stalking

Jeder Fall, in dem sich eine Person gestalkt fühlt, muss ernst genommen und beobachtet werden und die betroffene Person muss unterstützt werden! Es gibt auch eine Beratungsstelle, sowohl für Betroffene als auch für Stalker:innen: http://www.stop-stalking-berlin.de/

Vier Goldene Regeln zum Umgang:

1. Klare Absage und Abgrenzung: ggf. mit Hinweis an die stalkende Person, wo sie Hilfe findet, am bes­ten alles schriftlich übermittelt und dann kein weiterer Kontakt mehr, auch keine „letzte Aussprache“.
2. Stalking im Umfeld bekannt machen: Es helfen Formulierungen wie „Ich fühle mich bedroht/verfolgt“ oder „Die Person zeigt Verhalten, das ich als Stalking einstufe“ (um nicht zu stigmatisie­ren). So können Grenzen auch durch andere aufgezeigt werden und es besteht höhere Auf­merk­samkeit. Die betrof­fene Person sollte möglichst sozial unterstützt werden. Gegebenenfalls können auch Zeug*innenaussagen festgehalten und Haus­verbote gegen die Stalker*innen ausgesprochen werden.
3. Persönliche Sicherheit erhöhen: Dazu ein Sicherheitskonzept erstellen. Dabei beachten, dass jede Konfrontation des Stalkers Teil eines durchdachten Sicherheitsplanes sein muss, denn sonst fallen die Konsequenzen auf die betroffene Person zurück.
4. Beweise sichern: Stalking-Tage­buch (Entwürfe gibt es online) führen. Das hilft, um weitere Schrit­te im Umgang mit dem Stal­king zu planen und um ggf. Körperverletzung an der stalkenden Per­son als Selbstschutz zu belegen.

Mehr Informationen und Unterstützungsangebote finden sich auf der Seite des Weißen Rings: weisser-ring.de/praevention/tipps/stalking

Ein notorischer Stalker an der FSU Jena

An mehreren Instituten der FSU Jena gab es in den vergangenen Jahren Fälle von Stalking, für die derselbe Täter verantwortlich ist. Der Täter ist Student und wurde bereits wegen Stalkings verurteilt. An der Uni nutzte er Telefonnummern und Mailadressen von Aushängen oder aus Seminargruppen, um Frauen ungefragt zu kontaktie­ren. Auf klare Absagen reagierte er mit einer Flut von Nachrichten, Vorwürfen und anderen persönlichen Angriffen. Er annoncierte außerdem in Umsonstzeitungen die Handynummern von Betroffenen unter Anzeigen von Sexarbeiter*innen.
Der Umgang an den verschiedenen Instituten war nach der Kontaktierung von Verantwortungs­träger*innen sehr unterschiedlich. Teils wurden die Vorfälle ernst genommen und Mitarbeiter*innen boten Unterstützung an, teils wurden die Betroffenen allein gelassen. Die Betroffenen haben sich teilweise selber Unterstützung organi­siert, durch die auch Flugblätter zur Warnung vor dem Täter verteilt wurden. Der Täter hat vermutlich auch aufgrund dieses offensiven Umgangs der Betroffenen mehrfach den Studiengang gewechselt und studiert nun an der FH (Stand 2020).

Datensicherheit und Schutz durch Lehrpersonen

An diesem Fall zeigt sich exempla­risch, wie sensibel persönliche Daten in einer Masseninstitution wie der Uni sein können. Wo es die Regel ist, dass Handynummern unnötigerweise für HiWi-Verträge, Seminar- und Forschungsgruppen gefordert werden, wächst die Gefahr für einen Missbrauch dieser Daten. In Zeiten von Corona-Kontaktnachverfolgung ist mit der neuen Datenmenge jederorts natürlich auch die Gefahr durch gewaltvollen Missbrauch dieser Kontaktlisten gewachsen. Im Sinne der Datensparsamkeit sollten daher an der Uni sowohl Lehrpersonen als auch Kommiliton*innen nicht unnötig Handynummern oder Mailadressen fordern oder in offenen Verteilern verschicken. Bei Mailverteilern sollte immer darauf geachtet werden, statt eines offenen Empfänger*innenkreises (CC) alle Adressen als Blind-Copy (BCC) einzutragen. Wo Lehrpersonen dies missachten, sollten sie von Studie­renden auf ihre Verantwortung hingewiesen werden. Im Falle von Stalking oder anderer Übergriffigkeit durch Teilnehmer*innen von Lehrveranstaltungen können Lehr­per­­sonen selber ein Hausrecht ausüben und die Täter*innen zum Schutz der Betroffenen von Veranstaltungen ausschließen. Auch hierüber müssen Lehrpersonen oft erst noch informiert werden.

Zuletzt müssen wir uns leider auch selber gut überlegen, an welcher öffentlichen Stelle wir unsere Mailadressen oder Handynummern hinterlassen: Braucht es für Seminargruppen unbedingt eine Whatsapp-/Telegramgruppe oder reicht ein Mailverteiler? Muss ich auf Aushängen für WG-Zimmer eine Handynummer hinterlassen oder reicht auch dort eine Mailadresse? Nehme ich für solche Zwecke meine private Mailadresse (mit Klarnamen) oder erstelle ich eine neue, im Zweifel einfach abzuschaltende Adresse?

Wenn Betroffene alleine stemmen, was nicht alleine zu schaffen ist …

In vielen Fällen von Grenzüberschreitungen und Gewalt bleiben Betroffene alleine mit dem Umgang und den Folgen. Leichter ist es in jedem Fall, wenn ihr euch als Be­troffene mit Freund*innen und Verbündeten organisiert oder wenn ihr als Freund*innen von Betroffenen aktiv das Gespräch sucht, Unterstützung anbietet und organisiert. Sprecht mit eurem Umfeld und sprecht auch die Gestalkten an. Zeigt den Betroffenen, dass ihr das Thema ernst nehmt und dass ihr, orientiert an den Bedürfnissen der Betroffenen, einen Umgang finden wollt. Überlasst es nicht der Betroffenen, den Täter oder die Täterin anzusprechen oder zu konfrontie­ren, sondern schirmt sie vielmehr vor weiterer Kommunikation mit selbigen ab. Haltet die Stal­ker*­innen nach Möglichkeit von weite­ren Kontaktaufnahmen ab. Und wenn ihr schon selbst gestalkt habt oder euch nicht sicher seid, ob ein bestimmtes Verhalten eurerseits grenzüberschreitend war oder Stal­king darstellt, sprecht offen mit Freund*­innen und sucht euch Kontakt zu Beratungsstellen.

Bei all dem könnt ihr in Jena bei folgenden Stellen Unterstützung suchen:
– Psychosoziale Beratung und Unterstützung beim Wahrnehmen zivilrechtlicher (Näherungsverbot usw.) und strafrechtlicher (Strafanzeige wegen Nachstellung o.ä.) Möglichkeiten bekommt ihr beim Frauenzentrum Towanda: 03641 443968 | towanda_jena@web.de.
– Das Projekt A4 in Jena unterstützt männliche Betroffener von Partner­gewalt und Stalking, siehe www.projekt-a4.de.
– Wenn ihr schon als Zeug*in Teil eines Strafverfahrens seid oder euch über alle Vor- und Nachteile von Anzeigeerstattung und Involvierung von Polizei und Justiz informieren wollt, könnt ihr euch auch bei Recht Solidarisch melden: recht-solidarisch@riseup.net.