vom Anarcho-Infoblatt Jena | erschienen am 6. Februar 2020
Angesichts der aktuellen Ereignisse und gestrigen Erlebnisse auf der Demo ein paar kurze Anmerkungen von ein paar Leuten aus der anarchistischen Bewegung – vom Anarcho Infoblatt Jena.
1) „Alle zusammen gegen den Faschismus…“
Auch wir Anarchist*innen nehmen aktiv an der spontanen gesellschaftlichen Mobilisierung gegen die Zusammenarbeit von CDU, FDP und AfD im Thüringer Landtag teil. Da es sich um eine spontante massenhafte Mobilisierung handelt, ist es logisch, dass sich die verschiedensten Gruppen darunter mischen. Wir wollen deswegen nicht über jede einzelne Äußerung von X oder Y nörgeln. Aber wir wollen ein paar Gedanken zur ganz grundsätzlichen Ausrichtung dieser Bewegung äußern.
2) Aber sicher nicht für Bodo!
Gestern gab es auf dem Holzmarkt Redebeiträge, in denen die Errungenschaften von rot-rot-grün (r2g) herausgestellt wurden und es gab kurzzeitig Sprechchöre wie „Bodo, Bodo, Bodo!“ Man muss kein Antiautoritärer sein, es reicht eine einfache antifaschistische Haltung aus, um nicht in diesen pro-r2g-Chor einzustimmen. An dieser Stelle sei kurz an die anhaltenden Abschiebungen aus Thüringen unter r2g erinnert und an die drei Spontandemonstrationen, die Besetzung des Linksparteibüros und die Konfrontation von Bodo durch die Flüchtlingsgruppe The VOICE in Jena, die sich alle gegen diese Abschiebungen richteten. Weiterhin wollen wir darauf verweisen, wie eine r2g-Landesregierung und ein SPD-Oberbürgermeister 2015-2017 in Jena mit dem bisher krassesten Polizeiaufgebot und unter massiver Gewaltausübung mehrere Nazi-Demonstrationen durch unsere Stadt geprügelt haben. Und wir verweisen auf die tausenden Menschen, die sich friedlich und militant gegen die zeitweilige polizeistaatliche Besatzung unserer Stadt gewehrt haben und die dabei Verletzungen in Kauf genommen haben. Auch sollten wir nicht die Ermittlungen, Anklagen und Prozesse gegen Antifaschist*innen vergessen, die in den letzten Jahren dieser „antifaschistischen Regierung“ stattgefunden haben: der Prozess gegen die Drei von Gotha, die Sonderkommission der Polizei gegen die antifaschistische Gegenwehr in Jena, Prozesse gegen Antifaschist*innen im Nachgang der Proteste in Jena.
3) Keiner hat uns verraten. Sondern wir machen uns was vor.
Die Wahl von Kemmerich war vollkommen demokratisch. Die Mehrheit des vom Volke legitimierten Landtags hat ihren Kandidaten gewählt. Und sicher gab es dabei Absprachen. So funktioniert aber nun einmal die staatliche parlamentarische Demokratie. Hätte die Mehrheit des Landtags – ebenfalls unter vorherigen Absprachen – Bodo wiedergewählt, der auch bloß einer Minderheitenregierung vorgestanden hätte, dann hätte sich keiner über ein undemokratisches Verfahren beschwert. Und wenn wir schon historische Parallelen ziehen: Auch die Nazis wurden demokratisch vom Volk gewählt. (Was danach passierte, ist natürlich eine andere Sache.) Es wäre also an der Zeit, eine grundlegende Kritik staatlicher Herrschaft und des demokratischen Regimes stark zu machen, anstatt zu hoffen, dass der Staat von den Leuten geführt wird, die uns gerade etwas besser in den Kram passen.
4) Ministerpräsident stürzen und Neuwahlen sind notwendig, aber keine Lösung.
Sicherlich sind der Sturz des Ministerpräsidenten und Neuwahlen jetzt die naheliegenden politischen Forderungen. So würden wir in dieser Etappe der Faschisierung des Staates einen Riegel vorschieben. Aber es gibt überhaupt keine Garantie, dass nach Neuwahlen alles besser würde. Im Gegenteil, es kann passieren, dass die AfD noch stärker würde. Oft gab es in der Geschichte nach Bewegungsmomenten große Überraschungen und Enttäuschungen in den sich anschließenden Wahlen (z.B. wurde de Gaulle in Frankreich in den Wahlen direkt nach dem Mai 68 noch stärker als vorher). Oder wir kriegen wieder r2g und wir wissen aus den letzten Jahren, dass r2g nicht immer gut war für eine unabhängige und radikale Bewegung. Es sollte uns dahingehend auch zu denken geben, dass Rücktritt und Neuwahlen auch die Forderungen sind, die vom gessamten politischen Establishment außerhalb Thüringens erhoben werden, von der Kanzlerin, von der Bundes-CDU, von der CSU usw., deren Anliegen sicherlich nicht eine antifaschistische Umwälzung dieses Landes ist.
5) Fazit: Sich einbringen, aber mit eigener Botschaft!
Wir sprechen uns aus für einen entschlossenen antifaschistischen Kampf zum Sturz des Ministerpräsidenten und das gerne in einer breiten Bewegung. Wir sollten uns aber nichts vormachen: Neuwahlen und eine erhoffte Neuauflage von r2g sind keine Lösung. Wir sollten stattdessen alles daran setzen, in dieser Situation neben dem Erreichen der politischen Forderung ein kritisches Bewusstsein über Staat und Demokratie zu stärken und unsere eigene, unabhängige und radikale Bewegung mit ihren eigenständigen Strukturen auszubauen. Denn wenn jemand in den letzten Jahren kompromisslos gegen den Faschismus und die AfD gekämpft hat, dann waren es zumeist Leute aus eben dieser Bewegung und nicht unsere Staatsväter. Und dieser Kampf wird in den nächsten Jahren genauso weitergeführt werden müssen – egal unter welcher Regierung.