Gedanken zur Unteilbar-Demonstration in Erfurt, veröffentlicht am 20. Februar 2020
Ich schreibe diesen Text in den Minuten wo sich bestimmt viele von euch auf nach Erfurt zur Unteilbar/Dammbruch/Was auch immer- Massendemo machen. Ich wende mich an euch Genossinen* und Genossen, um mitzuteilen warum ich das nicht tue.
Hier erschienen in den letzten Tagen bereits zwei, drei Statements aus der autonomen/anarchistischen/antiautoritären Ecke zu der ich mich auch zählen würde. Ich kann den Statements nur zustimmen. Soll heißen einen „Dammbruch“ in Form einer Kooperation mit rechten Akteuren gab es vorher schon und, dass wir als „Linke“ kaum Perspektiven aufzeigen wo es hingehen soll und wie das geschehen soll. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass die Aufzählung der Kooperation von CDU/FDP und anderen politischen Akteuren mit der AFD/NPD/Thügida wahrlich nicht vollständig ist. In nahezu jeder Ausgabe der Lirabelle wird auf solche Kooperationen hingewiesen, Arnstadt fällt mir da gleich ein. In Kahla wurde die linke Bürgermeisterin, durch einen von AFD/CDU/NPD und anderen antiemanzipatorischen Kräften unterstützten Kandidaten, in einer der parlamentarischen Demokratie, entsprechenden Wahl aus dem Amt gedrängt.
Wo sind wir nicht überall hingefahren, um Rechte zu stoppen? Nach Eisenach, Suhl, Erfurt, Eisenberg, Sonneberg, Kahla, Magdeburg, Gera, Apolda, Weimar, Saalfeld, Themar, das Eichsfeld und noch viele Orte mehr. Klar auch nach Dresden, dort gelang es sogar Europas größten Neonaziaufmarsch zu stoppen und für mehrere Jahre zu unterbinden. Gerade dürften sich dort wieder Neonazis versammeln, um zu marschieren. Der gesellschaftliche Rechtsruck, die Diskursverschiebung nach rechts hat uns geschwächt, bzw. kommen wir nicht mehr hinterher Feuerwehrleute zu spielen, um rechte Aufmärsche zu stoppen. Das liegt auch daran, dass wir wahrlich nicht so viele sind, wie uns die „Wir sind mehr“-Kampagne weismachen wollte. Wir stagnieren und sind als autonome Linke ziemlich marginalisiert, was vor allem daran liegt, dass wir einen großen Teil der Bevölkerung nicht erreichen und keinen Kontakt zu ihr haben. Später dazu mehr. Ab 2014/2015 und dem Aufkommen von Thügida mussten wir auch hier öfter mal „aktiv“ werden, selbst in Jena gingen die Braunen wieder auf die Straße. Autonom zu handeln haben wir dabei selten gelernt. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir als „autonome Linke“, selbstorganisiert mit den Genoss*innen aus Weimar und Erfurt nach Suhl gefahren sind, um Thügida zu stoppen. Die Gegenproteste waren zwar angemeldet, doch die Anreise gestalten wir, soweit ich mich noch recht erinnere, selbst. Das gab in mir ein gutes Gefühl, wir sind handlungsfähig. Heute fünf, sechs Jahre später Blicke ich resigniert darauf zurück. Uns gelang es an dem Tage, wie so oft nicht die Rechten zu ärgern, doch noch viel schlimmer unsere Positionen und Ideen wurden von niemandem außer uns gehört! So oder so ähnlich läuft es doch immer ab, wenn es heißt wir müssen mal wieder da hin Rechte stoppen oder ein Zeichen setzen, weil die Rechten immer stärker werden. Es gibt zwar in den Studierendenkreisen, aus denen dann doch die meisten von uns kommen, zwar hunderte Info/Theorieveranstaltungen, Lesekreise, Filmabende, usw. aber uns gelingt es in keinster Weise daraus eine Perspektive für die Zukunft zu formen, geschweige denn diese dann noch auf die Straße zu tragen. Beispielsweise gelingt es uns zwar wunderbar die Motive der rechten zu entlarven oder aufzuzeigen, dass die AFD keine sozialen Forderungen vertritt, aber anfangen können wir mit den Informationen nicht viel.
Als die Faschisten vom Dritten Weg, zum Ersten Mai, das erste Mal in Plauen demonstrierten machten wir uns natürlich auch auf den Weg. Dieses mal auch mit der Perspektive eines „sozial-revolutionären Blockes“ auf unserer eigenen Demo. Ziel war es, den Ersten Mai als unseren Tag zu behaupten und der Bevölkerung aufzuzeigen, dass unsere Ideen die besseren sind. Daraus wurde wie so oft aus verschiedenen Gründen nichts. Die Möglichkeit die Aufmarschstrecke der Faschisten zu blockieren war dann doch verlockender, die Bullen haben unsere Demo reichlich gekesselt und traktiert, so dass auch kaum eine positive Außenwirkung möglich war. Als wir liefen gab es die üblichen Sprechchöre, von denen die meisten sich auf die Nazis/Faschisten beziehen, aber keine gesellschaftlichen Perspektiven aufgezeigt werden. Sicherlich gab es auch den ein oder anderen Redebeitrag, wo klassisch von der Überwindung des Kapitalismus gesprochen wurde und auch vom Aufbau autonomer Bassisgewerkschaften aber wir wurden wiedermal nicht gehört! Hier stellt sich die Frage, ob Demonstrationen überhaupt sinnvoll sind? Klar sind sie würde ich sofort antworten, denn sie setzen ja schon ein Zeichen, werden zumindest von den Leuten vor Ort gesehen, wenn wir Glück haben gibt’s ein paar Bilder in den Medien und wenn wir uns anstrengen berichten wir über unsere eigenen Medienkanäle darüber. Doch oft ist es doch so, sobald wir als autonome Linke eine eigene Demo machen, deren Aufruf und Zielsetzung explizit nicht bürgerliche Kräfte und Parteien anspricht, weil ein Bruch mit dem kapitalistischen System gefordert wird, dann gleicht die Demo einem Wanderkessel mit doppelter Bullenkette an allen Seiten. Wenn es gut läuft bekommen wir ein paar Flyer verteilt, auf denen aber selten eine konkrete gesellschaftliche Utopie zu lesen ist, in der Regel werden wir aber nicht gehört.
Da ich ein Mensch im Hamsterrad Kapitalismus bin, der begrenzte zeitlichen und finanzielle Ressourcen und neben der Beschaffung von Geld (Arbeit) zum Überleben auch noch ein paar persönliche Bedürfnisse hat, fehlt mir einfach die Kraft auf viele Demonstrationen und im konkreten Fall von Unteilbar in Erfurt auch der Sinn. Abgesehen von meinem Kritikpunkt, dass wir ja gar kein Verständnis davon haben wo es mal hingehen soll mit unserer Gesellschaft wird uns dort in Erfurt doch eh wiedermal keiner hören. Klar kann es sein, dass mit dem ein oder anderen Flyer/Zeitung ein paar junge Leute weiter politisiert werden aber der Großteil dort dürfte in ihren Massengewerkschaften und Parteien ihren Frieden mit dem parlamentarisch-demokratischen System gefunden haben. Die Leute, die sauer und entrechtet sind werden wohl kaum auf der Demo auftauchen, wenn dann vielleicht mal vom Fenster aus einen Blick darauf werden.
Die spannende Frage ist wie kommen wir an die entrechteten uns „Schnauze voll“-Leute ran. Darauf gibt es in letzter Zeit erfreulicherweise bundesweit einige Ansätze und konkrete Praktiken, die meiner Meinung nach aus besseren Zeiten unserer Bewegung entstammen. Kurz zusammengefasst heißt das, die Probleme der Leute erkennen, ernst zu nehmen und zu verstehen und dann daraus Kämpfe zu entwickeln. Dazu muss mensch mit ihnen in Kontakt treten. Das geschieht oft über Befragungen/Untersuchungen (Mituntersuchung, radikale Befragung). Thematisch sind dabei keine Grenzen gesetzt. Klassisch sind die Themen Wohnen und Arbeiten. Durch die hohen Mietpreise sind ziemlich viele Leute gestresst, unter Druck gesetzt und sauer, damit lässt sich doch was anfangen. Mieterinitiativen sind ein Mittel, um dagegen vorzugehen und im gemeinsamen organisieren wird mensch automatisch auf die Fragen wie wollen wir eigentlich zusammen leben stoßen. Auch das Thema Lohnarbeit stresst viele, Überstunden, zu lange Arbeitszeiten, geringe Löhne, zu wenig Personal, ausstehende Bezahlung, davon sind viele betroffen. Wer sich hier organisiert, auch der wird schnell über Fragen des gesellschaftlichen Miteinanders ins Gespräch kommen. Weitere Themen liegen auf der Hand: Lohnarbeitslosigkeit und die damit verbundenen Zwangsmaßnahmen, Mobilität, Unterdrückung von Frauen*, Unterdrückung von Migranten, usw.
Ich finde es spannend, dass mich viele Genoss*innen teils entsetzt anschauten, als ich ihnen sagte, dass ich nicht mit nach Erfurt fahre. Ich hätte mal die Gegenfragen stellen sollen: Wann hast du das letzte mal die linke Szeneblase verlassen? Hast du dich mit den „anderen“ Leuten unterhalten und über was habt ihr euch das unterhalten? Haben sie dir von Problemen erzählt? Was hast du ihnen geantwortet? Hast du schonmal selber eine Demo organisiert, warst du zufrieden damit? Wann hast du das letzte mal mit deinen Nachbarn geredet? Weißt du was deine Genoss*innen arbeiten oder wie sie sich finanzieren? Hast du schonmal an einer Stadtteilversammlung teilgenommen? Warst du schonmal Streiken oder hast Leute dabei unterstützt? In was für einer Gesellschaft würdest du gerne leben und wie können wir dahin gelangen? Puh ganzschön viele Fragen für ein kurzes Gespräch aber alles interessante Punkte die viel Zeit und Kraft benötigen. Ich denke die Demo in Erfurt wird uns dazu nicht weiter bringen.
Wenn es keinen rapiden gesellschaftlichen Diskurswechsel gibt, dann wird die Unteilbar-Demo in Erfurt auch nicht das verhindern, was sie wohl hauptsächlich verhindern will, eine politische Zusammenarbeit der Parteien mit der AFD auf Landesebene. Es wird wohl so kommen, in vier, fünf , zwölf Jahren oder auch schon nächstes Jahr in Sachsen-Anhalt. Was dann passiert ist unklar, zu erwarten ist aber eine noch stärkere Repression gegen die autonome Linke und dass so manche Staatsgelder an „Demokratieprojekte“ gestrichen werden, von denen wir als autonome Linke ja auch oft genug partizipieren, indem wir z.B. Räume nutzen. Viele Linke haben auch die sicherlich berechtigte Besorgnis, dass ein autoritäres, diktatorisches Regime entsteht, wo dann neben Migrant*innen, autonomen Linken auch Parteilinke, Gewerkschafter und anderen Personen die nicht ins Weltbild der Rechten passen, verfolgt und ermordet werden. Deshalb macht es durchaus Sinn neben den oben skizzierten wichtigen Fragen nach der gesellschaftlichen Utopie und wie und mit welchen Leuten wir diese erreichen wollen auch die Fragen zu thematisieren, wie wir im Falle des weiteren Erstarkens der Rechten handlungsfähig bleiben. Da scheint für mich eine große Leerstelle zu sein. Zwar gibt es immer wieder die „Feuerwehr-Einsätze“, in Form von Massendemonstrationen, doch darüberhinaus keine Idee, falls diese nicht wirken. Als politisch aktive Menschen sollten wir uns mit den Fragen von hier abhaun, aber wohin oder hier bleiben und wie dann noch meine politischen Praktiken (Gruppen, Räume, Häuser, Medienkanäle, …) aufrechterhalten ohne direkt in eine Lager gesperrt zu werden, beschäftigen.
Es bleibt spannend wohin die gesellschaftliche Reise geht, mir war und ist es ein Bedürfnis diese Gedanken mit euch zu teilen, sicherlich hätte ich das auch in Erfurt versuchen können aber ich hatte keine Lust mal wieder nicht gehört zu werden, ich hoffe ihr konntet eure Positionen glaubhaft vertreten und ich hoffe wir sehen uns bald wieder an „unseren“ Orten, die wir ja zum Glück noch haben, zum gemeinsamen Austausch.
wütend – prekär – antinational