von der AIBJ-Redaktion
Das AIBJ ist mittlerweile anderthalb Jahre alt und mit der nun zehnten Ausgabe zu einer „Institution“ in der radikalen Bewegung in Jena geworden. Unabhängig davon, ob dies nun Jubelstürme, Stirnrunzeln oder schlichtweg ein Schulterzucken auslöst, finden wir das angesichts der Kurzlebigkeit der hiesigen politischen Landschaft erwähnenswert. In Zeiten, in denen der Zwang zur Flexibilität und die Mentalität des „Sich-alles-offen-Haltens“ Menschen dazu bringt, überall dabei und deshalb letztlich nirgendwo so richtig zu sein, können wir uns mal auf die Schulter klopfen: Wir sind unserem Projekt treu geblieben! Und das sicher nicht aus Tradition oder Gewohnheit und schon gar nicht als Selbstzweck. Stattdessen haben wir uns immer wieder anhand der selbstgesteckten Zielen für das Fortleben des AIBJ entschieden. Von diesen Zielen, den Strategien sie zu erreichen und den Problemen dabei erzählt dieser Artikel. Ob diese Geschichte des AIBJ letztlich auch eine des Erfolges ist, verraten wir euch hingegen nicht (obwohl wir auch darauf eine sehr bescheidene Antwort haben). Dieses Urteil müsst ihr euch schon selbst bilden.
Von der Idee zum gedruckten Heft
Wer keine Produktionsmittel (keine Maschinen, kein Geld) besitzt und gewisse spendable Organisationen (Parteien, NGOs) ablehnt, dennoch aber Ideen und Infos verbreiten möchte, kommt schnell zum Selbstmachen eigener Hefte, Zines und Samizdats. Anknüpfen konnten wir hier zum einen an vorausgegangene Heftprojekte der autonomen Szene in Jena, z.B. frau anders in den 80ern, the future is unwritten in den 90ern und die Alerta in den 2000ern, sowie an die teils beachtens- wie beneidenswerte Kultur selbstorganisierter Presse in anderen Ländern. Die selbstgedruckten Flugblätter, Hefte, Zeitungen, Broschüren und Bücher sind dort eine Grundlage erfolgreichen Widerstandes.
Selbstverlegte Medien können Geschichtsbewusstsein erzeugen und fördern, indem sie ansonsten vergrabene Debatten über und Erfahrungen von sozialen Kämpfen zugänglich machen. Sie können somit Verbindungslinien schaffen zwischen ansonsten voneinander abgeriegelten Strömungen, Subkulturen und Generationen. Sie können vorherrschende Erzählungen herausfordern, indem sie mittels herrschaftskritischer Perspektiven auf das Zeitgeschehen deren Objektivitätsanspruch als herrschaftsstabilisierende Ideologie entlarven. Sie können Form und Inhalt der Berichterstattung „demokratisieren“, indem sie die Hierarchie zwischen Sender und Empfänger verflachen oder auflösen. Sie können Mut mahen, Einsamkeits- und Ohnmachtsgefühle abbauen oder schlichtweg herausfordern, indem mensch hinter den Zeilen Menschen entdeckt, die sich ähnliche Fragen stellen.
Im Unterschied zu digitalen Medien haben gedruckte Hefte den Vorteil, dass man sie Anderen direkt in die Hand drücken und so direkte Beziehungen zu den Leser*innen aufbauen kann, dass man sie an Orten hinterlassen kann, wo Andere sie zufällig finden (z.B. in Kneipen oder auf dem WG-Klo), dass sie eher als ein Internetpost später wieder ausgegraben und nachgelesen werden, dass man sie in Knäste schicken kann, dass Viele tatsächlich lieber analog lesen und dass man so verschiedene Kämpfe und Diskussionen unter einem gemeinsamen Dach, in unserem Fall des Anarchismus, führen kann.
Leider ist seit den 90ern mit dem Aufstieg des Internets die Heftkultur bei uns ziemlich eingegangen. Viele Gruppen konzentrieren sich heute ausschließlich auf Blogs, Facebook, Twitter, Youtube, den Wastun-Onlinekalender und andere Internet-Medien. In der Hoffnung, nicht als Technikdinosaurier abgestempelt zu werden, die den Umstieg auf digitale Medien einfach nur verpasst haben, haben wir uns deshalb bewusst für ein gedrucktes Medium entschieden. Dabei verstehen wir uns nicht als Konkurrenz, sondern als notwendige Ergänzung zur Internetmedienlandschaft.
Und hier beginnt die schnöde Arbeit, die die Herausgabe eines Hefts mit sich bringt. Jede Ausgabe erscheint im Selbstverlag, d.h. wir recherchieren, schreiben, redigieren, gestalten, setzen, drucken und falten jedes einzelne Heft selbst. Dabei läuft eine Menge unsichtbarer Arbeit ab, die ihr dem Heft nicht ansehen könnt. Finanziert wird das ganze teils privat und teils über Spenden. Anschließend verteilen wir die Hefte – ebenfalls selbst – in Jena und umliegenden Städten.
Agitation statt Kommerz
Im Unterschied zum überwiegenden Teil bürgerlicher Presse ist der Inhalt unserer Hefte für uns nicht eine austauschbare Information, deren Veröffentlichung und Platzierung zum Teil davon abhängt, wie sehr sie zur Steigerung der Auflage oder Einschaltquote beiträgt oder ob sie der redaktionellen Anweisung entspricht. Uns geht es stattdessen mittels Darstellung und Kommentierung von selbstorganisierten Kämpfen vor Ort um deren Sichtbarwerden und letztlich Verbreiterung. Unseren Standpunkt in diesen Kämpfen verstehen wir dabei im Übrigen als eine Art Gemälde: in einem festen Rahmen lassen sich verschiedenste Pinselstriche erblicken, sich beißende Kontraste und nahezu unsichtbare Schattierungen entdecken, aber auch fließende Übergänge beobachten. Tja, und manchmal schauen auch wir mit Verwunderung auf unser und euer Werk.
Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht das Mittel, das wir auf den schaurig-schönen Begriff der Agitation herunterbrechen. Darunter verstehen wir weder einen rein technischen Akt der autoritären Beeinflussung, nach dessen Vollzug sich die agitierte Person selbst nicht erklären kann, wie sie nun zu einer neuen Anschauung gekommen ist, noch setzen wir damit ein hierarchisches Verhältnis zwischen aufgeklärten führenden Agitator*innen und verblendeten zu führenden Massen voraus. Wir lehnen die in beiden Punkten enthaltene Vorstellung ab, wonach nur die agitierende Person einen Subjektstatus hat, sprich sich als handelnd erfährt, während die agitierte Person zum Objekt degradiert wird, das sich nach belieben zurichten ließe. Ziel von Agitation ist im Wortsinne das Aufwiegeln, der Versuch, Personen zum (politischen) Handeln, zur Subjektwerdung anzustacheln. Am Ende eines ideelen Agitationsprozesses ist sich eine Person ihrer gesellschaftlichen Lage bewusst geworden und weiß um die Ursachen, Grenzen und Möglichkeiten ihres Einflusses von bzw. auf diese Lage.
Dabei spielt Sprache eine wichtige Rolle. Unserer Meinung besteht ein großes Problem der antideutschen und studentischen Szene in Thüringen darin, Wissenschafts- mit Bewegungssprache zu verwechseln und sich auf eine Art und Weise auszudrücken, die es Vielen unmöglich macht mitzukommen. Wollen wir aber Menschen begeistern, müssen wir eine Sprache finden, die zwar komplexe Sachverhälte ausdrücken kann, aber trotzdem allgemein zugänglich bleibt.
Wir und die Szene
Die Inhalte der Agitation dürfen keinesfalls beliebig sein, schließlich ist Aufbegehren an sich erstmal nichts Gutes. Für uns selbst stellte sich deshalb zuallererst die Frage, wen wir mit unserem Heft überhaupt erreichen (wollen) und welches Bewusstsein oder besser welche Versatzstücke an Bewusstsein wir an dieser Stelle vorfinden.
Wer meint, dass unsere ständige Kritik an staatsfixierten/etatistischen und autoritären Versuchen gesellschaftlicher Einflussnahme einfach nur dazu dient, unsere eigene Praxis zu rechtfertigen, täuscht sich. Diese Kritik ist nicht nur deshalb so zentral, weil wir hier einen grundlegenden Missstand oder die größte Hürde für die Entfaltung sozialrevolutionärer Prozesse vermuten. Sie erfolgt auch deshalb so häufig, weil wir unseren Leser*innenkreis als begrenzt wahrnehmen und der Überzeugung sind, dass viele Leser*innen mal mehr und mal weniger staatsfixierten und autoritären Vorstellungen von Abkürzungen in die befreite Gesellschaft unterliegen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass uns durchaus bewusst ist, dass wir mit den Inhalten unseres Heftes kein vollständiges Abbild dessen liefern, was denn nun alles an dieser Gesellschaft und den Anschauungen über sie zu kritisieren sei. Wir versuchen lediglich unseren Einflussbereich auszuloten und an dieser Stelle möglichst effiziente Hebel anzusetzen. Inwiefern uns dies tatsächlich gelingt und ob die ständige Provokation und Konfrontation das geeignetste Mittel zur Bewusstseinsbildung ist, steht wiederum auf einen ganz anderem Blatt.
Vor diesem Hintergrund löst sich nun die Widersprüchlichkeit dessen auf, dass wir einerseits keine allgemeine Plattform für das gesamte linke politische Spektrum Jenas sein wollen und andererseits trotzdem versuchen, möglichst viele Menschen aus diesem Spektrum zu erreichen. Die Tatsache, dass wir weder Open Calls noch sonstwie Aufrufe zur Einsendung von Artikeln verfassen, ist kein Ausdruck narzisstischer Selbstherrlichkeit oder etwa ein autoritäres Gehabe, sondern eine strategische Herangehensweise (was zugegebenermaßen beides nicht ausschließt). Zweifelsohne nehmen wir uns das Recht heraus, zu bestimmen, welche Inhalte im Heft erscheinen und welche eben nicht. Wir sind eben kein scheinbar neutrales Medium und wollen uns selbst als politische Subjekte ernst nehmen.
Aus diesem Grund vertreten wir auch keinen medialen Allgemeinheitsanspruch. Wir wissen und versuchen auch transparent zu machen, dass wir nicht über alles Linkspolitische berichten und insofern auch nur Teil einer lokalen Gegenöffentlichkeit sind, die wir gerne um weitere Zines, Samisdats etc. erweitert sehen würden, auch weil wir glauben, dass unausgetragene Debatten dadurch so richtig Fahrt aufnehmen würden. Bisher fühlen wir uns allerdings mit der feministischen Gruppe fkk und sporadisch gefütterten Blogs sehr allein. Möglicherweise trifft die Bezeichnung „lokale Gegenöffentlichkeit im Versuch oder im Werden“ deshalb auch besser zu, gerade weil wir kaum über Szene-Grenzen hinaus kommen. Dafür braucht es allerdings neben szeneinternen Publikationen wie unserem Samizdat ganz anders gestaltete Zeitungs-, Zeitschriften- und Heftprojekte, die zu starten zumindest wir gerade keine Kraft haben.
Was haben wir bisher geschafft?
Wir haben uns in der ganzen Zeit bemüht, verschiedene Gruppen und Szenen mit unserem Heft zu erreichen und langsam Beziehungen zu ihnen aufzubauen u.a. zu den Schüler_innen, die sich mit den Nazi-Demos ab März 2015 politisiert haben, zur radikalen studentischen Szene, zu den antifaschistischen Fußballfans, zur teils abgekoppelten Jenenser ü30-Szene, zu verschiedenen Gefangenen in Thüringen und anderswo (wir schicken ca. 5 Hefte pro Ausgabe in den Knast) und zu Provinzprojekten im Jenaer Umland. Außerdem schicken wir ein paar Kopien pro Ausgabe in Nachbarstädte in Thüringen und Sachsen und halten die dortigen Szenen über das Geschehen in Jena auf dem Laufenden.
Mit unserem Schwerpunkt auf den selbstorganisierten Kämpfen vor Ort und im Alltag hoffen wir, dazu beigetragen zu haben, dass mehr Menschen von diesen Kämpfen erfahren, sich ihnen anschließen und sich selbst in diese Richtung hin organisieren. Darüber hinaus arbeiten wir kontinuierlich zu Themenfeldern, die in Jena lange vernachlässigt wurden: Erstens drucken wir in jeder Ausgabe die Gefangenen-Infos ab, um die Kämpfe der Gefangenen bekannt zu machen und im militanten Bewusstsein zu verankern. Darüber hinaus veröffentlichen wir immer mal wieder Texte und Berichte der Gefangenen-Gewerkschaft in Thüringen. Zweitens gibt es im jeden Heft einen Artikel zur lokalen Bewegungsgeschichte. Dabei haben liegt ein Fokus auf der Geschichte der Opposition in der DDR, weil wir es nicht länger hinnehmen wollen, dass die linke Szene dieses Kapitel ihrer eigenen Geschichte verleugnet und dem BRD-Staat und konservativen Kräften überlässt. Drittens gibt es immer mal wieder Texte zum internationalen Geschehen und Solidaritätsaufrufe für Gruppen im Ausland.
Ein Ziel dieser bewegungsgeschichtlichen und internationalistischen Beiträge ist es, das kollektive Bewusstsein der Bewegung mitzugestalten. Wenn ich in einem Heft schmökere, das behauptet über soziale Kämpfe und Organisierung in meinem Umfeld oder Spektrum zu berichten, entstehen ziemlich wahrscheinlich Fragen wie „Ist das auch meine Geschichte? / Möchte ich sie mir aneignen?“ oder „Wie stehen meine Kämpfe in Verbindung zu jenen von Genoss*innen in anderen Ländern?“. Wenn es einem selbstverlegten Medium gelingt, solche oder ähnliche Fragen zu provozieren, erwächst im Idealfall ein kollektiven Bewusstseins, das sich weder allein über die reine theoretische Aneignung noch über das praktische Aufreiben in lokalen Kämpfen herstellen lässt.
Mit den regelmäßigen Bewegungsnachrichten geben wir nicht nur einen Überblick über das aktuelle Geschehen, sondern halten unsere Aktionen und wichtige Ereignisse für später fest. In ein paar Jahren können die alten AIBJs eine gute Quelle sein, um sich einen Überblick über die Themen, Kampagnen, Kämpfe und Aktionen der 2010er zu verschaffen.
Probleme und Herausforderungen
Wir haben erwähnt, dass wir uns immer wieder daran für das Fortleben des AIBJ entscheiden, ob wir unsere selbstgesteckten Ziele erreichen. Das fällt uns nicht immer einfach. Der Hauptgrund dafür ist, dass wir kaum Kriterien der Messbarkeit haben, die nicht Kritik und Feedback der Leser*innen wären. Wir können sonst nicht einschätzen, ob die Herausgabe des AIBJ auch nur einen kleinen Teil zu emanzipatorischen Bewusstseinsänderungen beiträgt. Auch wenn ihr es also nicht mehr hören könnt: unser Problem ist eure fehlende Rückmeldung (wobei es auch an uns ist, uns subtilere Möglichkeiten zu überlegen, an eure Eindrücke zu kommen, als ständige Appelle). Auch wenn wir unseren Rahmen nur ungern austauschen wollen, bleibt doch viel Raum für Feinjustierungen im Bild selbst. Wir möchten wissen, was wir konkret ändern könnten, was gefällt, was missfällt oder ob unser Projekt sogar gänzlich einflusslos bleibt.
Damit zusammen hängt eine gewisse Schreibfaulheit bzw. -unwillen oder -überforderung in den sozialen Kämpfen. Wir haben immer wieder verschiedenste Initiativen angefragt, einen Text über ihre Erfahrungen, Selbstvorstellungen, Aufrufe usw. beizusteuern, um sie so bekannter zu machen und ihre Beiträge in die Bewegungsdiskussion miteinzubeziehen. Das hat oft nicht geklappt, was aber nicht dazu führen wird, dass wir sie nicht weiternerven!
Das dritte große Manko ist sicherlich eine Vielen nur allzugut bekannte Dynamik: Fluktuation in der Redaktion. Zwar lässt sich festhalten, dass diese schon geringer ist als in anderen Gruppen, auch wenn wir kein Kontakt zu einem vergleichbaren Projekt haben. Die Stammredaktion arbeitet seit mehr als einem Jahr zusammen. Diese besteht aber nur aus wenigen Personen. Das bedeutet eine hohe Arbeitsbelastung für Wenige. Ein weiteres Problem der Redaktionsgrupe ist, dass sie eine ganz schöne Männer*gruppe ist. Zwei Frauen* waren zeitweise beteiligt, haben die Redaktion aber letzten Endes aufgrund von Stress oder mangelnden Interesses verlassen. Wieso es keine FLTI*-Person in die Stammredaktion geschafft hat, können wir nur schwer beantworten. Allerdings ist das eine Frage, die uns unter den Nägeln brennt und weitere nach sich zieht: Ist der Stil des Heftes bereits männlich besetzt? Thematisieren wir innerhalb der Redaktion Geschlechterverhältnisse zu wenig? Einige Frauen* aus der Szene, die zum Hineinschnuppern angefragt wurden, lehnten dankend ab, wohlmöglich auch weil sie sich in die Rolle einer Quotenfrau gedrängt fühlten oder tatsächlich wurden. Da momentan keine Lösung für dieses Problem in Sicht ist, versuchen wir, uns jedes Mal doppelt zu fragen, wen wir eigentlich ansprechen oder bitten, einen Artikel zu beizusteuern, und gehen dabei aktiv auf FLTI*-Personen zu und ermuntern sie, etwas zu schreiben.
Eine vierte Sache, die wir jetzt konsequenter angehen wollen, ist die Organisation. Zum einen müssen wir endlich eine ordentliche Kasse für Druck- und Portokosten aufbauen, um so das AIBJ längerfristig abzusichern. Wer hier helfen mag, kann uns gerne eine Geldspende zukommen lassen (siehe Editorial). Zum anderen ist es an der Zeit, eine richtige Vertriebsstruktur einzurichten. Das betrifft sowohl die Belieferung anderer Städte als auch von Leuten in Jena, die von der Szene abgekoppelt sind, die entsprechenden Orte nicht frequentieren und unser Heft nur zufällig in die Hände kriegen. In den kommenden Wochen werden wir dahingehend die entsprechenden Gruppen und Personen ansprechen bzw. anschreiben.