Die Ab-Normalität hoher WG-Mieten

von Melvin Blauholtz

 

Wir drucken hier den Text eines Freundes über den Jeaner Mietspiegel ab. Darin kritisiert er, dass WGs und studentische Mieter_innen – die eine niedrige Kaufkraft haben, jedoch relativ hohe Mieten zahlen – nicht be­rück­sichtigt und so in der Statstik unsichtbar gemacht werden. Wir halten die Kritik als einen inhaltlichen Beitrag zu den Bemühungen der letzten Jah­re zum Aufbau einer Mieter_innen-Bewegung in Jena für sehr interessant.

Jenseits der breiten Kampagnen für soziokulturelle Räume aus dem al­ter­na­tiven Spektrum und spektakulären Hausbesetzungen autonomer Gruppen bemühen sich ein paar Zusammenhänge seit 2014 in klein­tei­liger Arbeit darum, Mieter_innen zusammenzubringen und und all­täg­li­chen Widerstand gegen die Vermieter_innen zu organisieren. Seit Sommer 2014 existiert der Arbeitskreis Recht auf Stadt Jena, seit einiger Zeit mit Be­teiligung und Unterstützung durch den AK Soziale Kämpfe der linksradikalen Gruppe Pekari. Er lädt zu einem zweiwöchentlichen offenen Gesprächskreis ein, versucht Menschen zu begeistern, ihr Mietverhältnis zu politisieren, und die Mietverhältnisse in Jena öffentlich zu skan­da­li­sie­ren und zu diskutieren. Eine erste größere praktische Aus­ein­an­der­set­zung ergab sich im Herbst 2016, als ein Bewohner eines Hauses in der Er­furter Straße sich der Gruppe anschloss, um sich gegen seine Verdrängung aus dem Haus zu wehren. Gemeinsam wurde der Rausschmiss verzögert und ein Stadtteilbrunch in der Wohnung organisiert.

In­spiriert vom Arbeitskreis haben einige Leute in Jena angefangen, mit angedrohten oder durchgezogenen Mietminderungen gegen konkrete Missstände vorzugehen. Die Mietminderung ist die verrechtlichte Form eines klassischen Kampfmittels im Mietverhältnis, des Mietstreiks. Es lohnt sich, sich hierzu zu informieren, denn oft geben Vermieter_innen (erst) durch den ökonomischen Druck einer geminderten Miete den Forderungen der Mieter_innen nach. Darüber hinaus organisieren sich seit ein paar Mo­na­ten zahlreiche Mietparteien in den Wohnungen der Jenaer Bau­genos­sen­schaft (JBG) gegen die Willkürentscheidungen und die rassistische und so­zialchauvinistische Wohnungsvergabepolitik des Genossen­schafts­vor­stands. Über Flyer wurden die Mieter_innen und Baugenoss_innen zu Tref­fen eingeladen. Dabei wurden ein Positionspapier und eine Beschwerde­lis­te erarbeitet und bei der Vollversammlung der JBG vorgestellt.

Es scheint sich in puncto Mieter_innen-Organisierung langsam etwas zu be­we­gen. All die genannten Initiativen sind offen und freuen sich über Bete­iligung. Falls sich also die eine oder andere WG vom folgenden Text inspiriert fühlt, ist sie eingeladen, mit ihnen in Kontakt zu treten.

 

Dieses Jahr erhebt die Stadt Jena wie alle zwei Jahre den neuen „qua­li­fizierten Mietspiegel“. Der einen oder dem anderen dürfte dessen Fra­ge­bogen in die Hände gefallen sein – und wer ihn ausfüllen wollte, ist von der Stadt schnell dazu an­ge­halten worden, ihn wegzu­schmei­ßen. Mit den sieben Filter­fra­gen zu Beginn des Fragebogens wer­den nämlich alle Gruppen aus­sortiert, die für den Mietspiegel ir­re­levant sind. Eigentümer_innen lo­gi­scherweise, Hausmeister_­innen­woh­nungen, gewerblich genutzte Woh­nungen – und Wohn­gemein­schaf­ten. Beantwortet man Frage 5 – „Werden Küche, Bad oder sonstige Teile der Wohnung auch von an­de­ren Mietern mitbenutzt?“ – mit Ja, wird darum gebeten, „den Fra­ge­bogen nicht weiter auszufüllen und ihn auch nicht an uns zurück zu senden.“ (Herv. im Original) Das ist kein hashtag-tauglicher Skandal und zu erklären, wie es dazu kommt, ist keine investigative Meis­ter­leistung. Aber diese kleine Frage 5 illustriert sehr gut, wie selbst renommierte Statistiken zur Be­nachteiligung von Randgruppen beitragen.

Auf Anfrage teilt der Sach­bear­bei­ter der Stadt Jena mit, dass es sich bei einer Wohngemeinschaft nicht um einen „normalen Wohn­haus­halt“ handelt. Würde man WGs in den Mietspiegel miteinbeziehen, „spie­gelt er nicht das örtliche Miet­preisniveau für Normale“ wieder, so hieß es. Da in WGs alle Jahre mal dieser, mal jener Mensch auszieht, sind deren Wohnungen nicht für den normalen Wohnungsmarkt er­schließ­bar. Keine Familie kann in das freigewordene Zimmer der WG ein­ziehen. Die Erklärung ergibt zwar Sinn, wenn der Fokus auf Fa­mi­lien als Mietende liegen soll. Sie macht damit aber deutlich wer von­seiten der Stadt als be­ach­tens­wert gilt.

Diese „Normalisierung“ der bür­ger­lichen Familie wurde vonseiten der Stadt mehrmals damit begründet, bei der Erstellung des Mietspiegels sei man an die Weisungen des „Ge­setz­gebers“ gebunden. Und diese würden WGs leider aus der Statistik aus­schließen. Aber genau dies, die Ver­antwortung für die Ausarbeitung des Mietspiegels auf die Ge­setz­ge­bung abzuwälzen, funktioniert in die­sem Fall nicht. Der „Gesetzgeber“ – gemeint ist das Bun­desinstitut für Bau-, Stadt- und Raum­forschung – hat zwar tat­säch­lich einige Hinweise he­raus­ge­ge­ben, von denen das „Team Wohnen“ des Fachdienstes Soziales der Stadt­verwaltung Jena sagt, es richte sich nach ihnen. In einigen der dortigen Hinweise sind bei­spiels­weise Alten- und Stu­die­ren­den­heime aufgeführt, die aus der Statistik herauszufiltern seien. Aber ge­rade der Hinweis über die Frage, ob WGs ausgeschlossen werden müs­sen, ist dort ausdrücklich als eine Ermessensfrage formuliert:

„Bei welchen Wohnungen sollte über die Berücksichtigung nach den ört­lichen Gegebenheiten ent­schieden werden? […] – Besondere Nut­zungstypen, wie z.B. Woh­nungen, deren Küche, Bad und/oder Toi­lette von mehreren Mietern, die jeweils einen eigenen Mietvertrag mit dem Wohnungseigentümer ab­ge­schlossen haben, gemeinsam benutzt werden.“1

Er­stens ist also überhaupt nicht ge­sagt, diese Nutzungstypen sollten nie berücksichtigt werden, sondern nur, dass dies eine Entschei­dungs­fra­ge je nach „örtlichen Gege­ben­hei­ten“ ist. Und zweitens zählen laut Bundesinstitut nur WGs da­run­ter, deren Mietende separate Miet­verträge haben. Der Unterschied zur Frage des Jenaer Mietspiegels ist offensichtlich: Dessen Frage­bogen hält schlichtweg alle WGs raus. Das bedeutet, die Universi­täts­stadt Jena hat eine Ent­schei­dung gefällt: Die örtlichen Gege­ben­heiten sprächen demzufolge nicht dafür, WGs in die Statistik mit­einfließen zu lassen.

Eine Analyse der „Jena Wohnstadt“ schätzt die Anzahl von Studie­ren­den, die sich für den Jenaer Wohn­markt interessieren, auf 18.600. Al­so suchen 83% von Jenas Stu­die­rende Wohnungen – 97% von ihnen natürlich zur Miete und auch nur 13,5% in Studierendenheimen. Was die Mietpreise unter Studierenden im Verhältnis zum „qualitativen Miet­spiegel“ angeht, kommt selbst diese Analyse auf ein klares Fazit: „Laut den Ergebnissen der Befra­gung [von 2011!] zahlen Stu­die­rende in Jena oft höhere Netto­kalt­mieten. […] Studierende zählen zu den einkommensschwächeren Haus­halten. Nur als Wohn­ge­mein­schaf­ten verfügen sie trotzdem über eine höhere Wohnkaufkraft.“2 Die Diskrepanzen zwischen einer „nor­malen“ Jenaer Familie und dem „Rest“ von mindestens 16.000 Stu­die­renden sind der Stadt also bekannt, ihnen wird seit 2011 aber nicht mehr nachgegangen. Für die Stu­dierendenstadt stellen Stu­die­ren­de zwar ein image-taugliches Aus­hängeschild dar, haben als einkommensschwache Kaufkraft je­doch keine Bedeutung.

Da WGs aus dem Mietspiegel heraus­fallen und auch sonst nicht statistisch repräsentiert sind, wer­den sie unsichtbar. Der qualifizierte Mietspiegel soll laut Bürgermeister Frank Schenker ein „wissen­schaft­lich abgesichertes, differenziertes Bild der aktuell auf dem Jenaer Woh­nungsmarkt bestehenden Miet­preise und damit eine re­prä­sen­tative, rechtsichere Grundlage für die Mietpreisgestaltung“ dar­stel­len. Streicht man aus dem Miet­spiegel nun aber all jene Mietenden mit unterdurchschnittlicher Kauf­kraft und überdurchschnittlich ho­hen Mieten, suggeriert der Miet­spie­gel, die Mieten wären mo­de­ra­ter, als dies für WG-Suchende der Fall ist! Sogar der Sachbearbeiter der Stadt antwortete dazu am Te­le­fon: „Sie haben nicht ganz unrecht.“

Ist dieser statistische Ausfall nicht von Vorteil, weil man mit Rückgriff auf die Jenaer Mietpreisbremse die eigene WG-Miete runterschrauben kann? Ja. Falls man weiß, wie hoch die Miete vor dem eigenen Einzug war (zur Auskunft sind Vermietende aber nicht verpflichtet). Falls man den Mut und die Ausdauer hat, die eigenen Vermietenden zu ver­kla­gen. Falls man ein bis anderthalb Jahre auf das Prozess-Ende warten kann und bis dahin die An­walts­kos­ten selbst trägt oder das prekäre Glück hat, arm genug zu sein, um Prozesskostenhilfe zu bekommen. Und, falls die Miete nicht bereits vor der Einsetzen der Miet­preis­re­ge­lung überdurchschnittlich hoch war: Dann darf sie nämlich schlicht­weg überhöht bleiben! Die Miet­preisbremse ist de facto nutz­los, um die Differenz von über­höhter WG-Miete und günstigem Miet­spiegel auszugleichen.

Solange in dieser Universitätsstadt als „normal“ allein die bürgerliche Klein­familie gilt und solange es kei­ne Statistik gibt, die regelmäßig die Mietpreise von Wohn­ge­mein­schaf­ten abfragt, trägt der „qualifizierte Miet­spiegel“ dazu bei, ein att­rak­ti­ves Image zu manifestieren, das so nicht existiert: Mietende von WGs zie­hen mit einer falschen, aber sta­­tistisch legitimierten Er­war­tungs­haltung nach Jena; erst mal hier angekommen, fehlen ih­nen aber die legalen Instrumente, wirk­sam gegen die überhöhte Mie­te vorzugehen.

 

Fußnoten

1) Abschnitt e), in: http://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/Sonderveroeffentlichungen/2014/DL_HinweiseErstellungMietspiegel_neu.pdf?__blob=publicationFile&v=3

2) Kapitel A 2.3, in: https://www.jena.de/fm/1727/Jena%20Wohnstadt_Teil%20A_Analysen%20November%202016.pdf