Und was nun mit der Polizei?

von Kevin

 

In der letzten Ausgabe vom AIBJ habe ich versucht, die Geschichte der Polizei von ihrer Entstehung als eigenständiger Staatsapparat Mitte des 19. Jh.s bis heute zusammen­zufassen. Die wichtigsten Punkte waren dabei die Herausentwicklung der Polizei aus dem Militär, die Entmilitarisierung der polizeilichen Verwaltung gesellschaftlicher Kon­flikte im Bemühen um die Diszi­pli­nier­ung der Arbeiter_­innen­klasse und anderer widerspenstiger Be­völ­kerungsgruppen sowie die Rolle als bewaffneter Arm des Staats nach innen in bisher allen politi­schen Regimen in Deutschland. In den folgenden Zeilen soll es nun um den Aufbau und die Eigenlogik des Polizeiapparats gehen und will ich ein paar klassische Debatten über die Polizei anreißen.

Aufbau des Polizeiapparats in Thüringen

Die Polizei ist abgesehen von der Bundespolizei und dem Bundes­kri­mi­nalamt Ländersache, weswegen die Polizeiapparate sich je nach Land unterscheiden. Die Thüringer Polizei wurde in den Jahren nach der Wiedervereinigung neu auf­ge­baut und hat heute ca. 8000 An­ge­stell­te, davon 6000 Polizeibeamte. Sie besteht aus dem Landes­kri­mi­nal­amt (LKA) mit einem eigenen SEK (seit 1991), einer Lan­des­po­li­zei­direktion (LPD) und verschie­de­nen Bil­dungseinrichtungen.

Die Landespolizeidirektion (LPD) unterhält sieben Landes­polizei­in­spek­tionen (LPIs) – in Erfurt, Gera, Gotha, Jena, Nordhausen, Saalfeld und Suhl. Jede LPI hat eine eigene Kriminalpolizeiinspektion (KPI), die unter anderem die Abteilungen für politisch motivierte Kriminalität betreibt. Daneben sind der LPD die Auto­bahnpolizeiinspektion und die Bereitschaftspolizei des Freistaats (seit 1992, drei Züge, stationiert in Erfurt) unterstellt.

Der Thüringer Polizei stehen zwei Bildungseinrichtungen zur Ver­fü­gung: Seit 1991 das Bildungs­zent­rum der Thüringer Polizei (BZThPol) in Meiningen und seit 1994 die Thü­rin­ger Ver­wal­tungs­fach­hoch­schule (VFHS) in Gotha mit einem eigenen Fach­bereich Polizei in Mei­nin­gen. Zu­sätzlich werden Fach­an­ge­stellte von anderen Unis rek­ru­tiert – bei­spiel­sweise Infor­ma­tiker_innen und Chemiker_innen.

Auch in Thüringen sind die zwei bun­­desweiten Polizei­ge­werk­schaf­ten vertreten. Die ersten reichs­wei­ten Polizeigewerkschaften wa­ren wäh­rend der Weimarer Re­pub­lik ent­standen. 1948 wurde dann die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ge­gründet, 1951 die Deutsche Polizei­ge­werkschaft. Die GdP ist im DGB orga­nisiert und gilt als demo­kra­ti­scher. Die DPolG ist im Deutschen Be­amtenbund (DBB) und gilt als konservativer.

„Bullenkultur“. Die Eigenlogik des Polizeiapparats

Die Polizei ist ein Staatsapparat mit gewis­ser Autonomie und funk­tio­niert nach ihren eigenen Regeln. Sie basiert auf folgenden Prinzipien: Män­­ner­­bündelei, Korpsgeist, Auto­ri­ta­rismus und Patriotismus. Ähnlich wie die Burschenschaften oder Ar­mee ist die Polizei als klassischer Männerbund entstanden. Daran än­dert auch die zunehmende Auf­nah­me von Frauen in die Polizei nichts. Die Führungsetagen bleiben männ­lich, gewisse Einheiten wie das Thü­rin­ger SEK sind reine Männer­ein­hei­ten und die Frauen übernehmen in der Regel männlich-dominante Ver­hal­tensweisen. Die Polizei ist mit ih­ren Werten wie Ehre, Pflicht­erfül­lung, Heldentum und ihrem Ideal ei­ner soldatischen Männlichkeit eine der Bastionen männlicher Domi­nanz­kultur.

Unter den Polizist_innen herrscht so­­ge­nannter Korpsgeist, d.h. dass Polizist_­innen grundsätzlich zusam­men­­halten und sich gegenseitig dec­ken: kein Kamerad wird aus­ge­liefert. Selbst in offensichtlichen Miss­­brauchsfällen führt das zu einem „blue wall of silence“, einer „blauen Wand des Schweigens“. Da­für gibt es unzählige Beispiele, einer der bekanntesten wäre der Hamburger Polizeiskandal von 1994. Damals hatte die Hamburger Polizeiführung trotz besseren Wis­sens nichts gegen Fälle rassistischer Ge­walt und Folter durch die Ham­burger Polizei unternommen.

Ähnlich wie in der Armee herrscht in der Polizei ein striktes Befehls­gefüge. Vorgesetzten gegenüber hat Gehorsam zu gelten, Befehle werden unhinterfragt ausgeführt. Wer sich das antut, während Nazi-Demos mit Bullen zu reden, wird sicher schon in guter deutscher Tradition den Spruch „Ich tue nur meine Pflicht“ gehört haben.

Letztlich können wir davon aus­gehen, dass innerhalb der Polizei als einem institutionellen Pfeiler des deut­schen Nationalstaats bzw. min­destens in gewissen Strömungen inner­­halb der Polizei ein aus­ge­präg­ter Patriotismus und harter Ras­sismus herrschen. Da brauchen wir uns nur daran erinnern, wie Er­furter Bereitschaftspolizisten wäh­rend der anti-AfD-Proteste vom 9. März 2016 in Jena eine Ausgabe des ultra­nationalistischen Compact-Ma­ga­zins im Einsatzfahrzeug liegen ließen. Oder wie Leipziger Antifas im Frühling 2015 Alexander Kurth (Legia) ein Handy abzogen und so heraus­fanden, dass mindestens 3 Polizeibeamte engsten Kontakt zur Neonazi-Szene unterhielten.

Diese „cop culture“ zieht einen ge­wis­sen Schlag Leute an und zwar die, die man wohl als „autoritären Charakter“ beschreiben kann. Und sie prägt die, die jahrelang in den Strukturen der Polizei ihren Dienst tun. Entsprechend würde ich sagen, dass Polizist_innen in erster Linie nach ihrer strukturellen Rolle zu beurteilen sind, dass ein großer Teil der Bullen aber auch auf per­sön­li­cher Ebene – je nach Einheit – schlicht und einfach au­to­ritäre Arsch­löcher sind. Alle, die am 8. März 2017 auf der fe­mi­nis­tischen Demo zur Frauen-JVA in Chem­nitz waren, können das bes­tä­tigen. Die Bullen machten sich während der Kund­gebungen auf die un­ver­schäm­teste Art und Weise über die Inhalte der Redebeiträge und die Vortragenden lustig und wäh­rend sie die Leute am Ende noch ein paar Hundert Meter über die Straße prügelten, stand ihnen die Freude geradezu ins Gesicht ge­schrieben.

„Ich hab Polizei“

Die Polizei als bewaffneter Arm des Staats, der ja wiederum die Gesell­schaft und ihre Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse ver­waltet und zu stabilisieren ver­sucht, ist an der Aufrechterhaltung die­ser Verhältnisse beteiligt. Die Polizei verteidigt also Rassismus, Frau­en­unterdrückung und Klassen­herrschaft und damit die Interessen und Privilegien der entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen – der Deutschen, der Männer und der Reichen.

Eine der Praktiken, derer sich die Polizei dabei bedient, ist das sogenannte Racial Profiling. Der Beg­riff kommt aus dem am­e­ri­kanischen Raum und bedeutet, dass die Polizei Schwarze, Mig­rant_­innen und Flüchlinge über­pro­por­tional häufig überwacht, kon­trol­liert, schikaniert, also ins Visier nimmt. Das kann man gut am West­bahnhof oder in letzter Zeit im Paradiespark beobachten. Ziel des Racial Profiling ist eine intensivere Kontrolle und Disziplinierung der rassistisch unterdrückten Bevöl­ke­rungs­gruppen. Rassistische Polizei­kontrollen an Bahnhöfen dienen oft der Durchsetzung der Residenz­pflicht, d.h. des Gesetzes, dass Flüchtlingen verbietet, ohne Erlaub­­nis ein bestimmtes Gebiet zu ver­las­sen. Wer ohne entsprechende Erlaub­nis beim Reisen erwischt wird, muss mit entsprechenden Stra­­fen rechnen. Racial profiling dient aber im weiteren Sinne auch der Konstruktion des Bilds vom kri­mi­nellen Ausländer. Nach den Sil­ves­terereignissen von 2015 in Köln wurde zu Silvester 2016 ein hartes Durch­greifen versprochen. Und tat­sächlich machte die Polizei dieses Mal vor dem Kölner Haupt­bahn­hof einen Kessel auf und steck­te dort jeden rein, der nach nordafrikanisch aussah. So konnten alle Rassist_­in­nen mit dem Finger auf den Kessel voller Migranten zeigen und sagen: „Seht ihr! Da sind die kriminellen Aus­länder. Die Polizei wird sie ja nicht umsonst interniert haben.“ Darüber ist es die Polizei, die im Falle von Ab­schie­bungen bewaffnet in die Wohnung der Migrant_innen ein­dringt, sie verschleppt und ins Ab­schie­beflugzeug steckt.

In Bezug auf das Geschlech­ter­verhältnis lässt sich beobachten, dass die Polizei im Falle von Män­ner­gewalt regelmäßig nicht reagiert – zumindest nicht so wie im Falle an­derer Gewaltdelikte. Kommt es zu Gewalt an Frauen und man ver­sucht, die Polizei einzu­schal­ten, heißt es oft: Haben Sie denn An­halts­punkte, dass Ihre Nachbarin geschlagen wird? Können Sie be­wei­sen, dass Sie geschlagen wurden? Solange es keine Ver­let­zun­gen gibt, können wir da nichts machen usw. usf. Das liegt zum Einen sicher daran, dass das Ge­setz der Polizei oft keine Hand­habe zu einem Eingriff gibt, aber eben auch daran, dass der Großteil der Polizist_innen Männer und damit parteiisch sind.

Im Klassenkampf bestand die Rolle der Polizei bis zum National­so­zia­lis­mus zum großen Teil darin, wilde Streiks oder Arbeiteraufstände ge­walt­­sam niederzuschlagen. In einer Zeit, in der die Arbeiterklasse zu großen Teilen befriedet und nur ein kleiner Teil von ihr kämpferisch ein­gestellt ist, treffen wir in an­de­ren Situationen auf sie, z.B. bei Zwangs­­räumungen. Wer auf­grund von Armut oder Notlagen seine/ihre Wohnung nicht halten kann, kann letzten Endes geräumt werden. Diese Aufgabe übernimmt die Po­lizei. In anderen Städten wie Berlin und Hamburg gibt es breite Bünd­nisse gegen Zwangsräumungen und finden bemerkenswerte Ak­tio­nen statt. In Thüringen ist das nicht der Fall und wir erfahren von Räu­mung­en eher aus der Zeitung als aus unserer Kämpfen. So wurde beispielsweise in Erfurt ein Mann bei einer Zwangsräumung im De­zem­ber 2015 vom SEK erschossen. Er hatte sich in seiner Wohnung verbarrikadiert, drohte mit Selbst­mord und verteidigte sich mit einem Beil.

Demokratische Polizei

Trotz des autoritären Aufbaus der Polizei und ihrer gesellschaftlichen Rolle, dürfen wir nicht vergessen, dass sie immer noch eine demo­kra­tische Polizei ist. So ist sie da­rum be­müht, gerade auch die un­ter­­drück­ten Gruppen in den Polizei­ap­pa­rat zu integrieren. 1903 wurde die erste Polizistin in Stuttgart als „Polizeiassistentin“ eingestellt. Ihre Auf­gabe bestand darin, die ärzt­li­chen Untersuchungen von Pros­ti­tu­ierten zu überwachen. Darüber hi­naus engagierte sie sich gegen Kin­derhandel und die schlechte Be­hand­lung von Frauen durch die Polizei. Von den 1920ern bis 70ern bestanden eigene Fraueneinheiten wie die Weibliche Kriminalpolizei. Erst seit den 80ern und 90ern werden Frauen in den regulären Polizeidienst aufgenommen. Heute beträgt der Frauenanteil in der Po­lizei in Mitteldeutschland knapp über 20%. Migrant_innen, d.h. Leu­te ohne deutschen Pass, können seit 1993 in die Polizei auf­ge­nom­men werden. Interessanterweise wurde das entsprechende Gesetz im selben Jahr wie das Verbot das PKK, eine der wichtigsten Or­ga­ni­sa­tionen der kurdischen Diaspora in Deutschland, beschlossen. Das zeigt, dass die Einbindung in den Po­lizeiapparat parallel zur Unter­drüc­kung radikaler Bewegung ver­läuft und letzten Endes der bes­seren Verwaltung der ent­spre­chen­den Bevölkerungsgruppen dient.

Ein weiteres Merkmal de­mo­kra­ti­scher Polizei ist der politische Plu­ralismus innerhalb der Polizei. Die beiden demokratischen bzw. kon­servativen Polizeige­werk­schaf­ten wur­den bereits erwähnt. Wäh­rend eini­ge Bullen neurechte Zeit­schriften wie Compact in ihren Ein­satz­fahrzeugen rumliegen lassen und auch die im Juni 2017 geleakte whatsapp-Diskussion aus Sachsen-Anhalt beweist, dass es enge Kon­takte zwischen AfD-Politikern und rechten Bullen gibt, hat sich bei­spiels­weise der Landesvorstand der GdP Thüringen nach der Dresden-Rede von Björn Höcke (AfD) Ende Januar 2017 klar von der AfD ab­ge­grenzt und alle Polizeibeschäftigten da­zu aufgerufen, ihr Verhältnis zur AfD zu überdenken. Darüberhinaus gibt es seit 1987 die Bun­des­ar­beits­ge­meinschaft (BAG) Kritische Poli­zis­ten, einen linken Berufs­verband von Polizeibeamten. Der ist aus dem Hamburger Signal he­raus ent­standen, einer Gruppe, die sich in Protest auf den Hamburger Kes­­sel und das gewaltsame Vor­ge­hen der Polizei gegen eine Anti-AKW-Demo 1986 bei Hamburg gegründet hatte.

Drittens gibt es demokratische Kon­troll­instanzen, die Fälle poli­zei­li­chen Fehlverhaltens untersuchen und Maß­nahmen dagegen einleiten sollen. Die Staatsanwaltschaft kon­trolliert die Polizei auf juristischer Ebene, parlamentarische Gremien auf politischer Ebene und poli­zeiinterne Strukturen auf ad­mi­nistrativer Ebene. Darüber hinaus hat die rot-rot-grüne Thüringer Lan­des­regierung im Januar 2017 bekannt gegeben, eine am Innen­mi­­nisterium angesiedelte Poli­zei­vertrauensstelle einzurichten, um so Beschwerden von außerhalb wie innerhalb der Polizei vertraulich behandeln zu können.

Viertens unternimmt die Polizei auch Einsätze gegen Bewegungen, die eigentlich an der Verteidigung und am Ausbau der selben Herr­schafts­verhältnisse interessiert sind, sobald sie der aktuellen staat­lichen Strategie und dem demo­kra­tischen Gleichgewicht nicht ent­spre­chen. In Deutschland hat der Staat bundesweit und auch regional An­fang der 2000er eine staats­antifaschistische Wende vollzogen und die Repression gegenüber der Neo­nazi-Bewegung erhöht. So kommt es, dass die Polizei nicht nur ge­gen autonome Bewegung, son­dern auch gegen Nazis teilweise äußerst gewaltsam vorgeht.

Es hat sich historisch gezeigt, dass im Zuge autoritärer Umstruktierung von Staaten diese Merkmale demo­kra­tischer Polizei abgeschafft wer­den: Der Pluralismus wird in der Türkei seit dem Putsch vom 15. Juli 2016 über Säubungerungen linker, li­beraler und kritischer Beamter aus dem Polizeiapparat abgeschafft – um nur ein Beispiel zu nennen.

Ist von demokratischer Polizei die Rede, soll hier keine Illusion über Demo­kratie bestehen. Die Demo­kra­tie ist eine Form staatlicher Ver­wal­tung, die dem gesell­schaft­li­chen Interessenausglich und ge­wis­sen Werten verpflichtet ist, bleibt aber nichtsdestotrotz ein staat­liches Regime und damit gewalt­tätig. Um nur zwei paar Beispiele anzuführen: Oury Jalloh wurde am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Po­lizei von den Bullen bei leben­di­gem Leibe angezündet und um­gebracht. Im April 2012 wurden vier Jugendliche in der Polizei­in­spek­tion Weimar eine ganze Nacht lang von mehreren Bullen beleidigt, ge­schlagen und gefoltert. Zu beiden Vorfällen gab bzw. gibt es Unter­stützungsgruppen und poli­ti­sche Kampagnen und dennoch gab es kaum Konsequenzen für die Tä­ter_­innen. Das heißt, dass es auch in einer Demokratie gewisse Straf­frei­heit für gewalttätige Po­li­zist_innen gibt – selbst bei offen­sicht­lichen Rechtsverstößen.

Polizei ist Alltag

Wie im ersten Teil des Artikels zur Geschichte der Polizei schon an­ge­ris­sen wurde, stellt sie eine Wei­ter­entwicklung militärischer Auf­stands­bekämpfung im Inneren hin zu zivilen Formen von Konflikt­be­wäl­tigung und alltäglicher Kontrolle und Disziplinierung dar. Die wich­tig­ste dieser Praxen ist die Pa­trou­ille. Gerade in gewissen Bereichen von Jena, beispielsweise in der Lut­her­straße, am Magdelstieg, seit neuestem im Paradiespark, vergeht keine Stunde, wo man nicht eine Polizeistreife vorbeifahren sieht oder sogar noch kontrolliert wird. Dann gibt es Polizeibeamte, deren Job darin besteht, einen gewissen Stadtteil unter Kontrolle zu halten. In der DDR gab es dazu ab 1952 die sogenannten Abschnitts­bevoll­mäch­tigten (ABV). In der BRD wur­den seit den 70ern sogeannte Kon­taktbereichsbeamte (KOB oder KOBB) eingerichtet, die über meh­re­re Jahre hinweg einen gewissen Stadtteil „betreuen“. Jena hat ins­ge­samt vier solche Stadtteilbullen, die das Stadtgebiet unter sich auf­teilen. Hinzu kommen die regel­mä­ßige Besuche von Bullen an Schulen. Dort werden Schü­ler_­in­nen beispielsweise über das Ver­kehrs­recht aufgeklärt, aber auch mit der polizeilichen Freund-und-Helfer-Ideologie indoktriniert.

Der Bulle in und unter uns

Die Polizei zielt wie auch andere Staats­apparate auf die Verin­ner­li­chung staatlicher Anweisungen und auf die Beteiligung der Bevöl­ke­rung. Das geht weit über die Einbindung gewisser Bevölkerungs­grup­pen wie aktuell Frauen und Migrant_innen in den Polizeiapparat oder historisch die Kolonial- und Judenpolizei hinaus. Immer wieder wird die Bevölkerung dazu auf­ge­rufen, im Rahmen von Fahndungen In­formationen beizusteuern. Auf De­mos werden wir dazu ge­zwung­en, eine Anmelderin und Ordner zu benennen, denen die Bullen ge­wis­se Aufgaben übertragen, z.B. dafür zu sorgen, dass alle Vorgaben des Ord­nungsamtes eingehalten werden und Gewalt zu unterbinden. Sie werden regelmäßig zu soge­nann­ten „Kooperationsgesprächen“ ein­geladen, wo über die Köpfe der Demonstrationsteilnehmer_innen Deals und Kompromisse mit Ord­nungs­amt und Bullen ausgeklüngelt werden. So werden einige von uns zwangsweise zu kleinen Bullen innerhalb der Bewegung gemacht.

Gleichzeitig gehen auch die Bullen auf uns zu. Auf größeren Demos gibt es fast immer sogenannte Kommunikationsbeamte, die in blauen Westen Demonstrant_innen ansprechen und vorgeben zu ver­mit­­teln, aber in Wirklichkeit be­frie­den und Informationen sammeln wol­len. An vielen Bürgerbündnissen ge­gen Rechts, z.B. in Weimar, neh­men höhere Polizeibeamte regulär teil.

Das alles funktioniert auch auf der ideologischen Ebene. Ständig wird ge­gen „gewaltbereite Autonome“, „Gewalt“, „vermummte Demon­stran­ten“ usw. gehetzt und damit der Bevölkerung und insbesondere den sozialen Bewegungen das Recht auf Gewaltausübung und Ge­gen­­gewalt abgesprochen. Gleich­­zei­tig steht aber fest, dass die Polizei als Vertreterin des staatl­ichen Gewaltmonopols das Recht hat, straffrei Gewalt auszuüben, was bis hin zu Misshandlung, Folter und Mord reichen kann. Immer wie­der findet sich in verschiedenen sozialen Kämpfen und Bewegungen ei­ne „Pazifismuspolizei“, d.h. Gleich­­gesinnte oder Mitkämpfer_­in­nen, die aber genau das versuchen durchzusetzen und teil­weise nicht minder gewalttätig, d.h. unter Ein­satz körperlicher Gewalt, Andere da­von abhalten, bei­spiels­­wei­se Fla­schen auf Nazis zu werfen.

Ideen für den alltäglichen Wider­stand gegen die Polizei

An dieser Stelle soll es nicht über mili­tantes Vorgehen in Demonstra­tions­situationen, bei Haus­räu­mung­en oder gegen Abschiebungen ge­hen. Dahingehend wird schon ge­nug geschrieben. Ich möchte ein paar Gedanken darüber anstellen, was es für Widerstandsformen ge­gen die Polizei gibt, die sich für den Alltag eignen und verallgemeinern lassen, also potenziell von Allen angeeignet werden können.

(1) Es gibt auf der ideologischen Ebene eine ganze Menge Auf­klä­rungs- und Bildungsarbeit zu leisten. Das betrifft insbesondere die Kritik des staatlichen Ge­walt­mo­nopols und des autoritären und gewalttätigen Charakters der Polizei. Darüber hinaus müssen wir darüber aufklären, wie man sich im Falle von Stress mit Bullen am besten verhält (Aus­sa­ge­ver­wei­ger­ung, Zusammenhalten etc.) Diese Arbeit muss selbstverständlich in den unmittelbaren So­zial­be­zieh­ung­en wie Familie, Freund_­innen­kreis und auf Arbeit passieren. Es ist aber durchaus denkbar, in ver­schie­denen Gemeinschaften, wie bei­­spielsweise im Wohni, an Schu­len oder in Jugendzentren Dis­kus­sions­veranstaltungen zum The­ma zu organisieren, um Men­schen zu erreichen, mit denen wir nicht alltäglich in Kontakt stehen.

(2) Wenn wir selbst in Polizei­kon­trollen geraten, können wir – je nachdem, wie viel Zeit wir haben und wie viel Risiko wir in der Situation tragen können – uns der Kon­trolle verweigern. Es gibt ver­schie­dene Arten und Weisen, Po­li­zei­kontrollen zu sabotieren. Die einfachste wäre, festzustellen, dass es sich um eine ver­dachts­un­ab­hän­gige und damit rechtswidrige Kon­trolle handelt, dass es auch sonst in Jena keine offiziellen Ge­fah­ren­gebiete (wo verdachtsunabhängige Kon­trollen möglich sind) gibt und auch die angeblichen „gefährlichen Orte“ oder „Erfahrungsgebiete“ kei­ne rechtliche Grundlage haben, um dann jegliche Kooperation zu ver­weigern. Im schlimmsten Fall würden die Bullen einen dann mit auf die Wache nehmen und dort kontrollieren.

(3) Wenn Menschen auf der Straße von Bullen kontrolliert und schi­ka­niert werden, lohnt es sich immer, hin­zugehen, die betroffenen Per­so­nen anzusprechen, ihnen zu er­klä­ren, dass sie nichts als ihre Per­sonalien angeben müssen, ihnen an­sonsten Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rung ans Herz zu legen und ge­ge­be­nen­falls mit den Bullen rumzustreiten. Ge­ben sich mehr Menschen einen Ruck zu dieser Form von Alltags­solidarität kann sich das Gefühl auf den Straßen grundlegend ändern. Dann haben wir mehr Sicherheit und die Bullen wissen, dass ihnen auf die Finger geschaut wird und sie sich nervige Gespräche geben mussen.

(4) Wenn Bullen an Schulen gehen, Material des LKAs oder sonstiger polizeilicher Behörden verteilen und Freund und Helfer spielen, können Eltern oder im besten Fall die Ju­gend­lichen selbst dagegen vor­gehen. Sie können die Veran­stal­tungen durch nervige Zwi­schen­fragen stören („Warum musste Oury Jalloh sterben?“, „Warum schla­gen Sie antifaschistische De­mon­­stranten?“, „Warum stecken Sie Drogenabhängige in den Knast?“ etc.), sie können in Schü­ler­räten, Schül­ervertretungen, El­tern­aben­den, Elternvertretungen und bei der Schul­leitung Be­schwer­den und Forderungen einreichen und Druck machen.

(5) Um die Polizei gesellschaftlich zu isolieren, lohnt es sich – viel­leicht gerade innerhalb der Ge­werk­schaftsbewegung – darüber zu diskutieren, inwiefern Kellner_innen und Kassierer_innen sich weigern können, Bullen zu bedienen. Dabei ist es hilfreich, entsprechende ge­richt­liche Urteile in Erfahrung zu bringen und das als Betriebsgruppe mit dem Chef abzustimmen.

(6) So viel Kritik wir als Anar­chist_­innen gegenüber den DGB-Ge­werk­schaften haben. Es kann nicht sein, dass die Bullen dort immer noch ihren Platz haben und GEW-Leh­rer_innen und GdP-Bullen wie beste Freunde durch Jena demonstrieren. Hier sollten wir jede Gelegenheit nutzen, mit Kolleg_innen aus den DGB-Gewerkschaften zu diskutieren und Druck auf die DGB-Ge­werk­schaften auszuüben, die GdP end­lich rauszuschmeißen.

(7) Es gibt viele Berufe, wo man zur Ko­operation mit den Bullen ge­zwung­en ist (Ärzt_innen, Notfall­as­sis­tent_innen, Feuerwehr, an Schu­len etc.). In Situationen, wo das mög­lich scheint, kann man ruhig da­rüber nachdenken, diese Zu­sam­men­arbeit zu verweigern oder denn Bullen unmissverständlich klar zu ma­chen, dass man mit ihnen eigentlich gar nichts zu tun haben will.

(8) Wir müssen klar gegen die Re­krutation von Menschen aus un­serem eigenen sozialen Umfeld in den Polizeiapparat vorgehen. Nicht nur Absolvent_innen von Bul­len­schulen, sondern auch andere Be­rufs­gruppen (Soziolog_innen, Che­mi­ker_­innen, Islam­wis­sen­schaftl­er_­­innen, Informatiker_innen) wer­den gezielt von den Bullen an­ge­worben. Hier gilt es eine Kultur und ein Bewusstsein zu etablieren, dass Freund_innen von uns gar nicht erst auf die Idee kommen, sich da zu bewerben oder, sollten sie schon für die Bullen arbeiten, sich zwischen Arbeitsplatz und Freund_­in­nen entscheiden müssen. Schließlich kann es allein aus Si­cher­heitsgründen nicht sein, dass Bul­len – befreundet hin oder her – sich in Bewegungsstrukturen auf­hal­ten, Infos abgreifen etc.

(9) Kommt es aufgrund von Auseinandersetzungen mit Bullen zu Prozessen und Strafbefehlen, gilt es eine breite Solidarität mit den Betroffenen aufzubauen: Pro­zess­be­gleitung, Spenden für die Ge­richtskosten, Kundgebungen in den entsprechenden Stadtteilen usw. Schließlich sollen Gericht, Polizei und Gesellschaft merken, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, sondern eine breitere Feind­schaft gegen die Polizei. Dazu ge­hören auch Prozesse wie den, den Miloud von The Voice vor einiger Zeit in Dresden gegen die Polizei aufgrund von Racial Profiling geführt hat.

(10) Darüber hinaus reicht es selbstverständlich nicht aus, ein­fach nur gegen die Bullen zu sein. Wir müssen innerhalb der Be­we­gung eigene Konflikt­bearbeitungs­me­cha­nismen und -prozesse ent­wickeln, die uns unabhängig von der Polizei machen. Hier passiert in Jena schon einiges. Aus der femi­nis­tischen und anarchistischen Szene heraus wurden in den letzten Monate mehrere Fälle häuslicher Ge­walt und familiärer Konflikte oh­ne Rückgriff auf Jugendamt oder Polizei begleitet.