von Kevin
In der letzten Ausgabe vom AIBJ habe ich versucht, die Geschichte der Polizei von ihrer Entstehung als eigenständiger Staatsapparat Mitte des 19. Jh.s bis heute zusammenzufassen. Die wichtigsten Punkte waren dabei die Herausentwicklung der Polizei aus dem Militär, die Entmilitarisierung der polizeilichen Verwaltung gesellschaftlicher Konflikte im Bemühen um die Disziplinierung der Arbeiter_innenklasse und anderer widerspenstiger Bevölkerungsgruppen sowie die Rolle als bewaffneter Arm des Staats nach innen in bisher allen politischen Regimen in Deutschland. In den folgenden Zeilen soll es nun um den Aufbau und die Eigenlogik des Polizeiapparats gehen und will ich ein paar klassische Debatten über die Polizei anreißen.
Aufbau des Polizeiapparats in Thüringen
Die Polizei ist abgesehen von der Bundespolizei und dem Bundeskriminalamt Ländersache, weswegen die Polizeiapparate sich je nach Land unterscheiden. Die Thüringer Polizei wurde in den Jahren nach der Wiedervereinigung neu aufgebaut und hat heute ca. 8000 Angestellte, davon 6000 Polizeibeamte. Sie besteht aus dem Landeskriminalamt (LKA) mit einem eigenen SEK (seit 1991), einer Landespolizeidirektion (LPD) und verschiedenen Bildungseinrichtungen.
Die Landespolizeidirektion (LPD) unterhält sieben Landespolizeiinspektionen (LPIs) – in Erfurt, Gera, Gotha, Jena, Nordhausen, Saalfeld und Suhl. Jede LPI hat eine eigene Kriminalpolizeiinspektion (KPI), die unter anderem die Abteilungen für politisch motivierte Kriminalität betreibt. Daneben sind der LPD die Autobahnpolizeiinspektion und die Bereitschaftspolizei des Freistaats (seit 1992, drei Züge, stationiert in Erfurt) unterstellt.
Der Thüringer Polizei stehen zwei Bildungseinrichtungen zur Verfügung: Seit 1991 das Bildungszentrum der Thüringer Polizei (BZThPol) in Meiningen und seit 1994 die Thüringer Verwaltungsfachhochschule (VFHS) in Gotha mit einem eigenen Fachbereich Polizei in Meiningen. Zusätzlich werden Fachangestellte von anderen Unis rekrutiert – beispielsweise Informatiker_innen und Chemiker_innen.
Auch in Thüringen sind die zwei bundesweiten Polizeigewerkschaften vertreten. Die ersten reichsweiten Polizeigewerkschaften waren während der Weimarer Republik entstanden. 1948 wurde dann die Gewerkschaft der Polizei (GdP) gegründet, 1951 die Deutsche Polizeigewerkschaft. Die GdP ist im DGB organisiert und gilt als demokratischer. Die DPolG ist im Deutschen Beamtenbund (DBB) und gilt als konservativer.
„Bullenkultur“. Die Eigenlogik des Polizeiapparats
Die Polizei ist ein Staatsapparat mit gewisser Autonomie und funktioniert nach ihren eigenen Regeln. Sie basiert auf folgenden Prinzipien: Männerbündelei, Korpsgeist, Autoritarismus und Patriotismus. Ähnlich wie die Burschenschaften oder Armee ist die Polizei als klassischer Männerbund entstanden. Daran ändert auch die zunehmende Aufnahme von Frauen in die Polizei nichts. Die Führungsetagen bleiben männlich, gewisse Einheiten wie das Thüringer SEK sind reine Männereinheiten und die Frauen übernehmen in der Regel männlich-dominante Verhaltensweisen. Die Polizei ist mit ihren Werten wie Ehre, Pflichterfüllung, Heldentum und ihrem Ideal einer soldatischen Männlichkeit eine der Bastionen männlicher Dominanzkultur.
Unter den Polizist_innen herrscht sogenannter Korpsgeist, d.h. dass Polizist_innen grundsätzlich zusammenhalten und sich gegenseitig decken: kein Kamerad wird ausgeliefert. Selbst in offensichtlichen Missbrauchsfällen führt das zu einem „blue wall of silence“, einer „blauen Wand des Schweigens“. Dafür gibt es unzählige Beispiele, einer der bekanntesten wäre der Hamburger Polizeiskandal von 1994. Damals hatte die Hamburger Polizeiführung trotz besseren Wissens nichts gegen Fälle rassistischer Gewalt und Folter durch die Hamburger Polizei unternommen.
Ähnlich wie in der Armee herrscht in der Polizei ein striktes Befehlsgefüge. Vorgesetzten gegenüber hat Gehorsam zu gelten, Befehle werden unhinterfragt ausgeführt. Wer sich das antut, während Nazi-Demos mit Bullen zu reden, wird sicher schon in guter deutscher Tradition den Spruch „Ich tue nur meine Pflicht“ gehört haben.
Letztlich können wir davon ausgehen, dass innerhalb der Polizei als einem institutionellen Pfeiler des deutschen Nationalstaats bzw. mindestens in gewissen Strömungen innerhalb der Polizei ein ausgeprägter Patriotismus und harter Rassismus herrschen. Da brauchen wir uns nur daran erinnern, wie Erfurter Bereitschaftspolizisten während der anti-AfD-Proteste vom 9. März 2016 in Jena eine Ausgabe des ultranationalistischen Compact-Magazins im Einsatzfahrzeug liegen ließen. Oder wie Leipziger Antifas im Frühling 2015 Alexander Kurth (Legia) ein Handy abzogen und so herausfanden, dass mindestens 3 Polizeibeamte engsten Kontakt zur Neonazi-Szene unterhielten.
Diese „cop culture“ zieht einen gewissen Schlag Leute an und zwar die, die man wohl als „autoritären Charakter“ beschreiben kann. Und sie prägt die, die jahrelang in den Strukturen der Polizei ihren Dienst tun. Entsprechend würde ich sagen, dass Polizist_innen in erster Linie nach ihrer strukturellen Rolle zu beurteilen sind, dass ein großer Teil der Bullen aber auch auf persönlicher Ebene – je nach Einheit – schlicht und einfach autoritäre Arschlöcher sind. Alle, die am 8. März 2017 auf der feministischen Demo zur Frauen-JVA in Chemnitz waren, können das bestätigen. Die Bullen machten sich während der Kundgebungen auf die unverschämteste Art und Weise über die Inhalte der Redebeiträge und die Vortragenden lustig und während sie die Leute am Ende noch ein paar Hundert Meter über die Straße prügelten, stand ihnen die Freude geradezu ins Gesicht geschrieben.
„Ich hab Polizei“
Die Polizei als bewaffneter Arm des Staats, der ja wiederum die Gesellschaft und ihre Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse verwaltet und zu stabilisieren versucht, ist an der Aufrechterhaltung dieser Verhältnisse beteiligt. Die Polizei verteidigt also Rassismus, Frauenunterdrückung und Klassenherrschaft und damit die Interessen und Privilegien der entsprechenden gesellschaftlichen Gruppen – der Deutschen, der Männer und der Reichen.
Eine der Praktiken, derer sich die Polizei dabei bedient, ist das sogenannte Racial Profiling. Der Begriff kommt aus dem amerikanischen Raum und bedeutet, dass die Polizei Schwarze, Migrant_innen und Flüchlinge überproportional häufig überwacht, kontrolliert, schikaniert, also ins Visier nimmt. Das kann man gut am Westbahnhof oder in letzter Zeit im Paradiespark beobachten. Ziel des Racial Profiling ist eine intensivere Kontrolle und Disziplinierung der rassistisch unterdrückten Bevölkerungsgruppen. Rassistische Polizeikontrollen an Bahnhöfen dienen oft der Durchsetzung der Residenzpflicht, d.h. des Gesetzes, dass Flüchtlingen verbietet, ohne Erlaubnis ein bestimmtes Gebiet zu verlassen. Wer ohne entsprechende Erlaubnis beim Reisen erwischt wird, muss mit entsprechenden Strafen rechnen. Racial profiling dient aber im weiteren Sinne auch der Konstruktion des Bilds vom kriminellen Ausländer. Nach den Silvesterereignissen von 2015 in Köln wurde zu Silvester 2016 ein hartes Durchgreifen versprochen. Und tatsächlich machte die Polizei dieses Mal vor dem Kölner Hauptbahnhof einen Kessel auf und steckte dort jeden rein, der nach nordafrikanisch aussah. So konnten alle Rassist_innen mit dem Finger auf den Kessel voller Migranten zeigen und sagen: „Seht ihr! Da sind die kriminellen Ausländer. Die Polizei wird sie ja nicht umsonst interniert haben.“ Darüber ist es die Polizei, die im Falle von Abschiebungen bewaffnet in die Wohnung der Migrant_innen eindringt, sie verschleppt und ins Abschiebeflugzeug steckt.
In Bezug auf das Geschlechterverhältnis lässt sich beobachten, dass die Polizei im Falle von Männergewalt regelmäßig nicht reagiert – zumindest nicht so wie im Falle anderer Gewaltdelikte. Kommt es zu Gewalt an Frauen und man versucht, die Polizei einzuschalten, heißt es oft: Haben Sie denn Anhaltspunkte, dass Ihre Nachbarin geschlagen wird? Können Sie beweisen, dass Sie geschlagen wurden? Solange es keine Verletzungen gibt, können wir da nichts machen usw. usf. Das liegt zum Einen sicher daran, dass das Gesetz der Polizei oft keine Handhabe zu einem Eingriff gibt, aber eben auch daran, dass der Großteil der Polizist_innen Männer und damit parteiisch sind.
Im Klassenkampf bestand die Rolle der Polizei bis zum Nationalsozialismus zum großen Teil darin, wilde Streiks oder Arbeiteraufstände gewaltsam niederzuschlagen. In einer Zeit, in der die Arbeiterklasse zu großen Teilen befriedet und nur ein kleiner Teil von ihr kämpferisch eingestellt ist, treffen wir in anderen Situationen auf sie, z.B. bei Zwangsräumungen. Wer aufgrund von Armut oder Notlagen seine/ihre Wohnung nicht halten kann, kann letzten Endes geräumt werden. Diese Aufgabe übernimmt die Polizei. In anderen Städten wie Berlin und Hamburg gibt es breite Bündnisse gegen Zwangsräumungen und finden bemerkenswerte Aktionen statt. In Thüringen ist das nicht der Fall und wir erfahren von Räumungen eher aus der Zeitung als aus unserer Kämpfen. So wurde beispielsweise in Erfurt ein Mann bei einer Zwangsräumung im Dezember 2015 vom SEK erschossen. Er hatte sich in seiner Wohnung verbarrikadiert, drohte mit Selbstmord und verteidigte sich mit einem Beil.
Demokratische Polizei
Trotz des autoritären Aufbaus der Polizei und ihrer gesellschaftlichen Rolle, dürfen wir nicht vergessen, dass sie immer noch eine demokratische Polizei ist. So ist sie darum bemüht, gerade auch die unterdrückten Gruppen in den Polizeiapparat zu integrieren. 1903 wurde die erste Polizistin in Stuttgart als „Polizeiassistentin“ eingestellt. Ihre Aufgabe bestand darin, die ärztlichen Untersuchungen von Prostituierten zu überwachen. Darüber hinaus engagierte sie sich gegen Kinderhandel und die schlechte Behandlung von Frauen durch die Polizei. Von den 1920ern bis 70ern bestanden eigene Fraueneinheiten wie die Weibliche Kriminalpolizei. Erst seit den 80ern und 90ern werden Frauen in den regulären Polizeidienst aufgenommen. Heute beträgt der Frauenanteil in der Polizei in Mitteldeutschland knapp über 20%. Migrant_innen, d.h. Leute ohne deutschen Pass, können seit 1993 in die Polizei aufgenommen werden. Interessanterweise wurde das entsprechende Gesetz im selben Jahr wie das Verbot das PKK, eine der wichtigsten Organisationen der kurdischen Diaspora in Deutschland, beschlossen. Das zeigt, dass die Einbindung in den Polizeiapparat parallel zur Unterdrückung radikaler Bewegung verläuft und letzten Endes der besseren Verwaltung der entsprechenden Bevölkerungsgruppen dient.
Ein weiteres Merkmal demokratischer Polizei ist der politische Pluralismus innerhalb der Polizei. Die beiden demokratischen bzw. konservativen Polizeigewerkschaften wurden bereits erwähnt. Während einige Bullen neurechte Zeitschriften wie Compact in ihren Einsatzfahrzeugen rumliegen lassen und auch die im Juni 2017 geleakte whatsapp-Diskussion aus Sachsen-Anhalt beweist, dass es enge Kontakte zwischen AfD-Politikern und rechten Bullen gibt, hat sich beispielsweise der Landesvorstand der GdP Thüringen nach der Dresden-Rede von Björn Höcke (AfD) Ende Januar 2017 klar von der AfD abgegrenzt und alle Polizeibeschäftigten dazu aufgerufen, ihr Verhältnis zur AfD zu überdenken. Darüberhinaus gibt es seit 1987 die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Kritische Polizisten, einen linken Berufsverband von Polizeibeamten. Der ist aus dem Hamburger Signal heraus entstanden, einer Gruppe, die sich in Protest auf den Hamburger Kessel und das gewaltsame Vorgehen der Polizei gegen eine Anti-AKW-Demo 1986 bei Hamburg gegründet hatte.
Drittens gibt es demokratische Kontrollinstanzen, die Fälle polizeilichen Fehlverhaltens untersuchen und Maßnahmen dagegen einleiten sollen. Die Staatsanwaltschaft kontrolliert die Polizei auf juristischer Ebene, parlamentarische Gremien auf politischer Ebene und polizeiinterne Strukturen auf administrativer Ebene. Darüber hinaus hat die rot-rot-grüne Thüringer Landesregierung im Januar 2017 bekannt gegeben, eine am Innenministerium angesiedelte Polizeivertrauensstelle einzurichten, um so Beschwerden von außerhalb wie innerhalb der Polizei vertraulich behandeln zu können.
Viertens unternimmt die Polizei auch Einsätze gegen Bewegungen, die eigentlich an der Verteidigung und am Ausbau der selben Herrschaftsverhältnisse interessiert sind, sobald sie der aktuellen staatlichen Strategie und dem demokratischen Gleichgewicht nicht entsprechen. In Deutschland hat der Staat bundesweit und auch regional Anfang der 2000er eine staatsantifaschistische Wende vollzogen und die Repression gegenüber der Neonazi-Bewegung erhöht. So kommt es, dass die Polizei nicht nur gegen autonome Bewegung, sondern auch gegen Nazis teilweise äußerst gewaltsam vorgeht.
Es hat sich historisch gezeigt, dass im Zuge autoritärer Umstruktierung von Staaten diese Merkmale demokratischer Polizei abgeschafft werden: Der Pluralismus wird in der Türkei seit dem Putsch vom 15. Juli 2016 über Säubungerungen linker, liberaler und kritischer Beamter aus dem Polizeiapparat abgeschafft – um nur ein Beispiel zu nennen.
Ist von demokratischer Polizei die Rede, soll hier keine Illusion über Demokratie bestehen. Die Demokratie ist eine Form staatlicher Verwaltung, die dem gesellschaftlichen Interessenausglich und gewissen Werten verpflichtet ist, bleibt aber nichtsdestotrotz ein staatliches Regime und damit gewalttätig. Um nur zwei paar Beispiele anzuführen: Oury Jalloh wurde am 7. Januar 2005 in einer Dessauer Polizei von den Bullen bei lebendigem Leibe angezündet und umgebracht. Im April 2012 wurden vier Jugendliche in der Polizeiinspektion Weimar eine ganze Nacht lang von mehreren Bullen beleidigt, geschlagen und gefoltert. Zu beiden Vorfällen gab bzw. gibt es Unterstützungsgruppen und politische Kampagnen und dennoch gab es kaum Konsequenzen für die Täter_innen. Das heißt, dass es auch in einer Demokratie gewisse Straffreiheit für gewalttätige Polizist_innen gibt – selbst bei offensichtlichen Rechtsverstößen.
Polizei ist Alltag
Wie im ersten Teil des Artikels zur Geschichte der Polizei schon angerissen wurde, stellt sie eine Weiterentwicklung militärischer Aufstandsbekämpfung im Inneren hin zu zivilen Formen von Konfliktbewältigung und alltäglicher Kontrolle und Disziplinierung dar. Die wichtigste dieser Praxen ist die Patrouille. Gerade in gewissen Bereichen von Jena, beispielsweise in der Lutherstraße, am Magdelstieg, seit neuestem im Paradiespark, vergeht keine Stunde, wo man nicht eine Polizeistreife vorbeifahren sieht oder sogar noch kontrolliert wird. Dann gibt es Polizeibeamte, deren Job darin besteht, einen gewissen Stadtteil unter Kontrolle zu halten. In der DDR gab es dazu ab 1952 die sogenannten Abschnittsbevollmächtigten (ABV). In der BRD wurden seit den 70ern sogeannte Kontaktbereichsbeamte (KOB oder KOBB) eingerichtet, die über mehrere Jahre hinweg einen gewissen Stadtteil „betreuen“. Jena hat insgesamt vier solche Stadtteilbullen, die das Stadtgebiet unter sich aufteilen. Hinzu kommen die regelmäßige Besuche von Bullen an Schulen. Dort werden Schüler_innen beispielsweise über das Verkehrsrecht aufgeklärt, aber auch mit der polizeilichen Freund-und-Helfer-Ideologie indoktriniert.
Der Bulle in und unter uns
Die Polizei zielt wie auch andere Staatsapparate auf die Verinnerlichung staatlicher Anweisungen und auf die Beteiligung der Bevölkerung. Das geht weit über die Einbindung gewisser Bevölkerungsgruppen wie aktuell Frauen und Migrant_innen in den Polizeiapparat oder historisch die Kolonial- und Judenpolizei hinaus. Immer wieder wird die Bevölkerung dazu aufgerufen, im Rahmen von Fahndungen Informationen beizusteuern. Auf Demos werden wir dazu gezwungen, eine Anmelderin und Ordner zu benennen, denen die Bullen gewisse Aufgaben übertragen, z.B. dafür zu sorgen, dass alle Vorgaben des Ordnungsamtes eingehalten werden und Gewalt zu unterbinden. Sie werden regelmäßig zu sogenannten „Kooperationsgesprächen“ eingeladen, wo über die Köpfe der Demonstrationsteilnehmer_innen Deals und Kompromisse mit Ordnungsamt und Bullen ausgeklüngelt werden. So werden einige von uns zwangsweise zu kleinen Bullen innerhalb der Bewegung gemacht.
Gleichzeitig gehen auch die Bullen auf uns zu. Auf größeren Demos gibt es fast immer sogenannte Kommunikationsbeamte, die in blauen Westen Demonstrant_innen ansprechen und vorgeben zu vermitteln, aber in Wirklichkeit befrieden und Informationen sammeln wollen. An vielen Bürgerbündnissen gegen Rechts, z.B. in Weimar, nehmen höhere Polizeibeamte regulär teil.
Das alles funktioniert auch auf der ideologischen Ebene. Ständig wird gegen „gewaltbereite Autonome“, „Gewalt“, „vermummte Demonstranten“ usw. gehetzt und damit der Bevölkerung und insbesondere den sozialen Bewegungen das Recht auf Gewaltausübung und Gegengewalt abgesprochen. Gleichzeitig steht aber fest, dass die Polizei als Vertreterin des staatlichen Gewaltmonopols das Recht hat, straffrei Gewalt auszuüben, was bis hin zu Misshandlung, Folter und Mord reichen kann. Immer wieder findet sich in verschiedenen sozialen Kämpfen und Bewegungen eine „Pazifismuspolizei“, d.h. Gleichgesinnte oder Mitkämpfer_innen, die aber genau das versuchen durchzusetzen und teilweise nicht minder gewalttätig, d.h. unter Einsatz körperlicher Gewalt, Andere davon abhalten, beispielsweise Flaschen auf Nazis zu werfen.
Ideen für den alltäglichen Widerstand gegen die Polizei
An dieser Stelle soll es nicht über militantes Vorgehen in Demonstrationssituationen, bei Hausräumungen oder gegen Abschiebungen gehen. Dahingehend wird schon genug geschrieben. Ich möchte ein paar Gedanken darüber anstellen, was es für Widerstandsformen gegen die Polizei gibt, die sich für den Alltag eignen und verallgemeinern lassen, also potenziell von Allen angeeignet werden können.
(1) Es gibt auf der ideologischen Ebene eine ganze Menge Aufklärungs- und Bildungsarbeit zu leisten. Das betrifft insbesondere die Kritik des staatlichen Gewaltmonopols und des autoritären und gewalttätigen Charakters der Polizei. Darüber hinaus müssen wir darüber aufklären, wie man sich im Falle von Stress mit Bullen am besten verhält (Aussageverweigerung, Zusammenhalten etc.) Diese Arbeit muss selbstverständlich in den unmittelbaren Sozialbeziehungen wie Familie, Freund_innenkreis und auf Arbeit passieren. Es ist aber durchaus denkbar, in verschiedenen Gemeinschaften, wie beispielsweise im Wohni, an Schulen oder in Jugendzentren Diskussionsveranstaltungen zum Thema zu organisieren, um Menschen zu erreichen, mit denen wir nicht alltäglich in Kontakt stehen.
(2) Wenn wir selbst in Polizeikontrollen geraten, können wir – je nachdem, wie viel Zeit wir haben und wie viel Risiko wir in der Situation tragen können – uns der Kontrolle verweigern. Es gibt verschiedene Arten und Weisen, Polizeikontrollen zu sabotieren. Die einfachste wäre, festzustellen, dass es sich um eine verdachtsunabhängige und damit rechtswidrige Kontrolle handelt, dass es auch sonst in Jena keine offiziellen Gefahrengebiete (wo verdachtsunabhängige Kontrollen möglich sind) gibt und auch die angeblichen „gefährlichen Orte“ oder „Erfahrungsgebiete“ keine rechtliche Grundlage haben, um dann jegliche Kooperation zu verweigern. Im schlimmsten Fall würden die Bullen einen dann mit auf die Wache nehmen und dort kontrollieren.
(3) Wenn Menschen auf der Straße von Bullen kontrolliert und schikaniert werden, lohnt es sich immer, hinzugehen, die betroffenen Personen anzusprechen, ihnen zu erklären, dass sie nichts als ihre Personalien angeben müssen, ihnen ansonsten Aussageverweigerung ans Herz zu legen und gegebenenfalls mit den Bullen rumzustreiten. Geben sich mehr Menschen einen Ruck zu dieser Form von Alltagssolidarität kann sich das Gefühl auf den Straßen grundlegend ändern. Dann haben wir mehr Sicherheit und die Bullen wissen, dass ihnen auf die Finger geschaut wird und sie sich nervige Gespräche geben mussen.
(4) Wenn Bullen an Schulen gehen, Material des LKAs oder sonstiger polizeilicher Behörden verteilen und Freund und Helfer spielen, können Eltern oder im besten Fall die Jugendlichen selbst dagegen vorgehen. Sie können die Veranstaltungen durch nervige Zwischenfragen stören („Warum musste Oury Jalloh sterben?“, „Warum schlagen Sie antifaschistische Demonstranten?“, „Warum stecken Sie Drogenabhängige in den Knast?“ etc.), sie können in Schülerräten, Schülervertretungen, Elternabenden, Elternvertretungen und bei der Schulleitung Beschwerden und Forderungen einreichen und Druck machen.
(5) Um die Polizei gesellschaftlich zu isolieren, lohnt es sich – vielleicht gerade innerhalb der Gewerkschaftsbewegung – darüber zu diskutieren, inwiefern Kellner_innen und Kassierer_innen sich weigern können, Bullen zu bedienen. Dabei ist es hilfreich, entsprechende gerichtliche Urteile in Erfahrung zu bringen und das als Betriebsgruppe mit dem Chef abzustimmen.
(6) So viel Kritik wir als Anarchist_innen gegenüber den DGB-Gewerkschaften haben. Es kann nicht sein, dass die Bullen dort immer noch ihren Platz haben und GEW-Lehrer_innen und GdP-Bullen wie beste Freunde durch Jena demonstrieren. Hier sollten wir jede Gelegenheit nutzen, mit Kolleg_innen aus den DGB-Gewerkschaften zu diskutieren und Druck auf die DGB-Gewerkschaften auszuüben, die GdP endlich rauszuschmeißen.
(7) Es gibt viele Berufe, wo man zur Kooperation mit den Bullen gezwungen ist (Ärzt_innen, Notfallassistent_innen, Feuerwehr, an Schulen etc.). In Situationen, wo das möglich scheint, kann man ruhig darüber nachdenken, diese Zusammenarbeit zu verweigern oder denn Bullen unmissverständlich klar zu machen, dass man mit ihnen eigentlich gar nichts zu tun haben will.
(8) Wir müssen klar gegen die Rekrutation von Menschen aus unserem eigenen sozialen Umfeld in den Polizeiapparat vorgehen. Nicht nur Absolvent_innen von Bullenschulen, sondern auch andere Berufsgruppen (Soziolog_innen, Chemiker_innen, Islamwissenschaftler_innen, Informatiker_innen) werden gezielt von den Bullen angeworben. Hier gilt es eine Kultur und ein Bewusstsein zu etablieren, dass Freund_innen von uns gar nicht erst auf die Idee kommen, sich da zu bewerben oder, sollten sie schon für die Bullen arbeiten, sich zwischen Arbeitsplatz und Freund_innen entscheiden müssen. Schließlich kann es allein aus Sicherheitsgründen nicht sein, dass Bullen – befreundet hin oder her – sich in Bewegungsstrukturen aufhalten, Infos abgreifen etc.
(9) Kommt es aufgrund von Auseinandersetzungen mit Bullen zu Prozessen und Strafbefehlen, gilt es eine breite Solidarität mit den Betroffenen aufzubauen: Prozessbegleitung, Spenden für die Gerichtskosten, Kundgebungen in den entsprechenden Stadtteilen usw. Schließlich sollen Gericht, Polizei und Gesellschaft merken, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, sondern eine breitere Feindschaft gegen die Polizei. Dazu gehören auch Prozesse wie den, den Miloud von The Voice vor einiger Zeit in Dresden gegen die Polizei aufgrund von Racial Profiling geführt hat.
(10) Darüber hinaus reicht es selbstverständlich nicht aus, einfach nur gegen die Bullen zu sein. Wir müssen innerhalb der Bewegung eigene Konfliktbearbeitungsmechanismen und -prozesse entwickeln, die uns unabhängig von der Polizei machen. Hier passiert in Jena schon einiges. Aus der feministischen und anarchistischen Szene heraus wurden in den letzten Monate mehrere Fälle häuslicher Gewalt und familiärer Konflikte ohne Rückgriff auf Jugendamt oder Polizei begleitet.