Vom Herumziehen und An­kom­men – Wagenleben in Jena

von der Raud*aue

Seit März diesen Jahres gibt es endlich einen Wagenplatz in Jena! Da wollen wir als aktuelle Bewoh­ner_­innen unsere Story und unsere Sicht der Dinge hier mal kundtun.

Wagen­leben kann schöner und selbstb­estimmter sein als andere Wohn­formen- leider kann es aber auch sehr schnell zu einem politi­schen und persönlichen Kraftakt werden, wenn Verwertungs­inte­res­sen oder der bürgerliche Ruf nach Gesetz und Ordnung unserer Utopie mal wieder zu Leibe rücken wollen. Da unser neues Zuhause im Norden von Jena durchaus noch auf wack­ligen Füßen bzw. Rädern steht, wol­len wir hier mal einen kleinen Ein­blick geben, um so vielleicht die ein oder andere Unterstützer_in gewin­nen zu können – denn sollte es, was wir nicht hoffen, doch mal hart auf hart kommen und uns die Räumung dro­hen, werden wir sicher jede Men­ge Support gebrauchen kön­nen.

Doch beginnen wir mal von vorn, schließ­lich war der Platz nicht einfach plötzlich so da. Im Gegen­teil – über 3 Jahre waren wir hier ak­tiv auf der Suche nach einem Platz, mit einer Kerngruppe von ca. 7-10 Leuten, die diese mitunter an­streng­ende Durststrecke mal mehr, mal weniger souverän meisterte. Ge­meint ist damit, dass das verein­zel­te Wagenleben auf Parkplätzen, in Kleingärten oder zwischen Wa­gen­baustelle und Mietwohnung manch­mal ganz schön trist sein kann, wenn überdies die auf­kei­men­den Hoffnungen auf einen bal­digen Platz letztendlich doch immer wieder zerschlagen werden.

So haben wir über 50 Plätze in Jena abgecheckt, private und öffent­li­che, mal mit der Stadtverwaltung ge­mein­sam, mal ohne sie. Wir ha­ben uns dabei zunächst bewusst für den Weg von Vermittlung und Ver­handlung entschieden, da wir gern einen stabilen Platz erkämpfen woll­ten, auf dem mensch nicht jeden Morgen Angst haben muss von den Bullen geweckt und ge­räumt zu werden – und der somit auch Spielraum für längerfristige Pro­jekte eröffnet.

Das uns verbal durchaus auf­ge­schlos­sene Stadtentwicklungs­de­zer­nat sah sich jedoch für unseren Geschmack viel zu oft in Gesetzen und Verordnungen gefangen. Unser Eindruck war anfangs, dass eher Gründe vorgebracht wurden, wa­rum eine Fläche nicht für uns ge­eig­net wäre, anstatt dass nach Perspektiven für eine Ermöglichung des Wagenplatzes Ausschau ge­hal­ten wurde.

Einmal gingen wir mit einer Liste von 30 potentiell für uns in Frage kom­menden Flächen zur Ver­wal­tung, nur um bei der gemeinsamen Be­trachtung jeder einzelnen zu hören, dass es dort nun leider wirk­lich nicht möglich sei, aus Gründen wie dem Flächennutzungsplan, Natur­schutz bzw. Ausgleichs­flä­chen­regelungen, Konfliktpotential mit der Nachbarschaft, Lärm­schutz­gesetze, Außenbereichs­ver­ord­nungen etc pi pa po…….

Als Folge unserer Gespräche wur­den uns dann auch sogar einmal 3 Plätze von der Stadt angeboten, von denen 2 für uns aufgrund von Abgeschiedenheit und schlechter bis nicht vorhandener Erreich­bar­keit ohne Auto nicht in Frage ka­men. Dem dritten, einem Gehölz­stück oberhalb der Blöcke von Win­zerla, sagten wir zu. Plötzlich wurde daraufhin behauptet, dass es auch dort aus Naturschutzrechtlichen Grün­den irgendwie doch nicht mög­lich sei im Wagen zu wohnen, obwohl uns das Dezernat für Stadt­enwicklung und Umwelt die Fläche ja selbst angeboten hat­te… wahr­schein­licher ist, dass dies nur vor­ge­schoben wurde und bspw. Win­zerlaer Bürger das durch uns drohende Unheil abzuwenden ver­suchten – in diesem Fall mit Erfolg. Wie auch immer, wir standen wei­ter ohne Platz da, private Ver­päch­ter_­innen erteilten uns auch stän­dig nur Absagen auf unsere An­näh­er­ungsversuche. Daraufhin gingen wir inkognito in die Offensive und pachteten im Winter 2015/16 einen hangigen Kleingarten in Jena-Ost ohne zu sagen, dass wir dort einen Wagenplatz aufmachen wollten. Der seit Jahren verwilderte Garten gehör­te der städtischen Immo­bi­lien­firma KIJ und nach nicht einmal 3 Tagen, nachdem die ersten 2 Wä­gen dastanden, bekamen wir auch schon einen Brief, dass wir da schnellst­möglich wieder runter müssten. Verwunderlich war das rückblickend nicht, stand doch im Pacht­vertrag explizit drin, dass das Aufs­tellen von Bauwägen, Hütten etc. nicht zulässig sei. Nach 3 Mo­na­ten gingen wir dann freiwillig um der drohenden Räumungsklage zu­vor­zukommen.

Rückblickend sehen wir diesen ver­zwei­­felten Versuch als wichtigen Wen­depunkt für uns an. Es tat gut, nicht nur immer theoretisch über eine Wagenplatzgründung zu quat­schen, sondern mal ganz konkrete Schrit­te in diese Richtung zu unternehmen. Überdies schien sich in der Folge dieser Aktion in Ver­wal­tungskreisen langsam rum­zu­spre­chen, dass wir es durchaus ernst meinen. Zum ersten Mal be­ka­men wir das Gefühl, dass zumin­dest einige unserer Gesprächs­part­ner_­innen langsam bereit wurden, die bis dahin immer als wie in Stein ge­meißelt erscheinende kommu­na­le Rechtslage langfristig unserem Vorhaben entsprechend anzu­pas­sen. Den eigentlichen Durchbruch brachte im Januar dieses Jahres dann ein gemeinsames Gespräch mit dem Stadt­entwicklungs­de­zer­nen­ten und dem Ober­bürger­meis­ter. Letzterer ist uns gegenüber recht offen eingestellt und sprach uns eine mündliche Duldung auf unserem heutigen Platz für vorerst ein Jahr aus.

Das klingt nicht viel und ist es ei­gent­lich auch nicht, vor allem wenn mensch bedenkt, dass quasi alle Behör­den auch auf diesem Gelände Recht und Ordnung durch uns gefähr­det sehen, der Ortsteilrat Löb­stedt überwiegend keinen Bock auf unsere Wohnform hat, die Ei­gen­tümerin der Fläche (KSJ) uns gleichermaßen möglichst schnell da runter haben möchte und nächstes Jahr OB Wahl ist. Dennoch ermög­lich­te uns die Duldung zum ersten Mal, uns als einen Wagenplatz, der diesen Namen verdient hat, zu etablieren und als reales Phänomen in der Stadtöffentlichkeit sichtbar zu werden. Zudem erhielt die Ver­wal­tung vom OB nun einen kon­kre­ten Auftrag zur Suche nach Alternativflächen innerhalb diesen Jahres. Wir sind gespannt wie das Ergebnis dieser Suche aussehen wird, haben wir doch 3 Jahre lang erfolglos auch mit der Stadt zu­sam­men gesucht. Fest steht für uns jedenfalls, dass wir nach Ablauf un­se­rer Duldung nicht mehr ohne weiteres zurück in die Vereinzelung und Unsichtbarkeit zurückgehen wer­den. Außerdem werden wir alles daran setzen, solang wie es geht auf unserem jetzigen Platz zu blei­ben und wenn möglich eine Lega­li­sier­ung zu erwirken – schließlich ist es der Beste den wir je hatten! 😉

Auf der internen Ebene ist unsere ak­tuelle Situation aber nicht weni­ger spannend. Selbstorganisierung und im speziellen ein Wagenplatz im Aufbau erfordern tatsächlich oft viel Einsatz und einen langen Atem (wer hätt‘s gedacht…). Von Beginn an standen wir ganz konkret immer wieder vor großen Fragen, die wir nie wirklich diskutiert hatten, bevor wir auf den Platz zogen: Mit wem wol­len wir zusammenwohnen? Was ist uns wirklich wichtig? Wie wollen wir leben? Wie können wir mög­lichst offen für andere interessierte Men­schen bleiben, und auch öffent­lich wirksam werden, gleichzeitig aber unsere Privatsphäre so ge­stal­ten, dass sie uns guttut und wir uns Zuhause stets wohlfühlen können? Daneben sind wir ja auch in viel­fältiger Weise in andere Projekte, Lohn­arbeit, soziale und familiäre Netzwerke verstrickt, die wir nicht kom­plett vernachlässigen wollen oder können. Ist es auch des Öf­teren mal mit einiger Arbeit ver­bun­den, dass das Gefühl nach Hause zu kommen ein schönes bleibt – die selbstbestimmte Gestal­tung eines Wohnumfelds, mit dem alle Bewohner_innen zufrieden sind und das möglichst lange Bestand hat, ist für uns Motivation genug.

In gar nicht so ferner Zukunft wird es auch ein paar kleinere Veran­stal­tungen in der Rad*aue geben, darunter politisches Sommerkino am 25. Juni, eine VoKü mit Hirn- und Ma­genfutter am 2. Juli und unser Platzfest am 19. August. Wer noch nicht bei uns war und sich den Platz gern mal anschauen möchte sei herz­lich eingeladen zu diesen Ter­minen mal vorbeizukommen. Ihr fin­det uns in der Straße „Am Stein­bach“, direkt am Saaleufer.

Vielleicht auf bald an der Feuer:­ton­ne in der Rad*aue!