Mehr Repression: Zwang zur Zeug*innenaussage bei der Polizei ermöglicht

von anonym

Zeitgleich zum Verbot der Home­page linksunten.indymedia.org trat am 25. August 2017 eine Gesetzes­re­form in Kraft, die relativ ge­räusch­los im Vorfeld des G20-Gip­fels und der Sommerpause des Bun­destags im Juni beschlos­sen wurde. Neben erweiterten Über­wa­chungs­mög­lich­keiten privater Com­puter per Staatstrojaner und Vor­rats­daten­spei­cherung und der Ab­schaf­fung des sogenannten Rich­ter*­­innen­vorbehalts bei der An­ord­nung von Blutentnahmen (können nun durch die Polizei nach freiem Ermessen angeordnet werden) wurde auch die Freiwilligkeit einer Zeug*innen­aus­sage bei der Polizei ein­ge­schränkt.

Bisher konnten Beschuldigte und Zeug*innen in Strafverfahren po­li­zeiliche Vorladungen einfach ig­no­rieren. Erst das Erscheinen bei einer staatsanwaltschaftlichen Vor­la­dung war verpflichtend. Der Gesetzesänderung zufolge sind nun auch polizeiliche Zeug*­in­nen­la­dung­­en verpflichtend, wenn dem «ein Auftrag» der Staats­an­walt­schaft zuggrundeliegt.

Das erste Problem an der völlig un­bestimmten Formulierung ist die Ausgestaltung dieses «Auftrags». Ob es in jedem Einzelfall einer Anweisung der Staatsanwaltschaft bedarf, ob allgemeine Aufträge der Staatsanwaltschaften an die Polizei in ihrem Bezirk ausreichen oder ob der «Auftrag» auch im Nachhinein eingeholt oder einfach damit be­grün­det werden kann, dass die Polizei in jedem Er­mitt­lungs­verfah­ren formell der Staatsanwaltschaft zuarbeitet, ist absolut ungewiss.

Das nächste Problem ist die La­dungs­frist und die Ladungsform. Während üblicherweise die Straf­prozessordnungen Wochenfristen zur schriftlichen Ladung von Zeug*­innen vorschreibt, verzichtet das neue Gesetz auf eine dies­be­zügliche Bestimmung. Das könnte zur Folge haben, dass Zeug*innen per Einwurf einer schriftlichen Ladung von einem Tag auf den anderen in irgendeine Polizeiwache in Deutschland als Zeug*in geladen werden und unter Strafandrohung erscheinen müssen. Oder die Polizei lädt infolge einer Identi­täts­feststellung einfach mündlich vor Ort und führt im direkten Anschluss eine Vernehmung durch.

Gerade das Fristproblem hebelt das Grundrecht auf einen Rechts­bei­stand aus, den Zeug*innen auch bei polizeilichen Vernehmungen beanspruchen können. Unter An­drohung von Rechtsmitteln wie Ordnungsgeldern oder Beugehaft könnte die Polizei somit Menschen dazu bringen, Aussagen zu ma­chen, ohne sich vorher mit einem Rechtsbeistand besprechen zu können oder dabei von einem Rechtsbeistand vertreten zu lassen.

Da schlimmstenfalls Jahre vergehen wer­den, bis diese Unbestimmtheit eventuell für verfassungswidrig befunden wird, ist daher zu emp­feh­len, unbedingt
– künf­tige Zeug*innenladungen ge­nau­estens zu lesen und Rück­spra­che mit Antirepressions­grup­pen zu halten
– immer eine schriftliche Ladung zu fordern
– immer auf das Hinzuziehen eines Rechts­beistands zu bestehen
– im Zweifelsfall ein Ordnungsgeld zu riskieren, um in der Klage da­gegen die Rechtswidrigkeit des Polizeihandelns feststellen zu lassen

Eure Verweigerung von Zeug*­in­nen­aussagen vor Ort oder un­begleiteten Zeug*innen­ver­neh­mungen bei der Polizei ist dabei nicht nur ein Zeichen des Wider­stands gegen des ausgebauten Bullenstaat, sondern auch sehr solidarisch gegenüber denjenigen, die ihr mit eurer Aussage belasten und im Zweifel in den Knast bringen sollt!