Menidi und Asenoffgrad: Pogrome gegen Roma im Balkan

vom AIBJ-Auslandskorrespondenten

 

Diesen Sommer hat Shani Haliti aus Erfurt nach knapp drei Jahren Kampf um Aufenthalt für sich, seine Kin­der und alle anderen Mig­rant_­in­nen in Deutschland, nach in­ten­si­vier­ten Maßnahmen der psycho­lo­gi­schen Zerrüttung seitens der Ausländerbehörde und nach wie­derholten Abschiebeversuchen durch die Bullen aufgegeben. Er ist nach Serbien zurückgegangen. Er war das letzte aktive Mitglied der Gruppe Roma Thüringen, die 2013 im Kampf um das Bleiberecht für die Roma aus dem Balkan ge­grün­det wurde. Alle anderen waren schon vorher abgeschoben worden und einige wenige haben sich nach individuellen Lösungen aus dem politischen Kampf zurückgezogen. Mit dem Abschied Halitis ist die Grup­pe Roma Thüringen zer­schla­gen worden.

Das ist kein Grund für uns, das Kapitel abzuhaken. Die Kontakte zwischen Unterstützer_innen und den Abgeschobenen bestehen wei­ter. Der Antiziganismus – der Rassismus, die Feindschaft und der Hass gegen Sinti und Roma, Sin­tezza und Romnja – besteht weiter. In Deutschland wie auch in ihren Herkunftsländern. Und es werden weiter Menschen versuchen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland zu kommen. Deswegen wollen wir im Folgenden über zwei Pogrome bzw. po­grom­ar­ti­­ge Straßen­mo­bi­li­sier­ungen be­rich­ten, die diesen Sommer in Griechenland und Bulgarien ab­ge­laufen sind. Wir hoffen, damit das Verständnis für die Lage der Roma und Romnja aus dem Balkan zu vertiefen und die Solidarität zu verstärken.

Juni 2017 – Pogrom gegen Roma-Ghettos in Menidi bei Athen

Menidi ist ein Viertel am nördlichen Stadtrand von Athen. Ein Großteil der Bevölkerung ist arm. Zudem wurde mit der Säuberung des Athener Zentrums im Vorfeld der Olympischen Spiele 2004 der Drogenhandel von der Stadtmitte ins periphere Menidi verlegt. Damit ist ein Teil der Bevölkerung in die Drogenökonomie und damit in die organisierte Kriminalität einge­bun­den und steht so in engem Aus­tausch mit der Mafia und den Bul­len. In Menidi gibt es drei Roma-Ghettos, d.h. Wohn­sied­lung­en, in denen Roma und Romnja segregiert vom Rest der Bevöl­ke­rung leben. Auch sie sind in die Drogenökonomie eingebunden.

Am 8. Juni wurde Marios, ein 11jähriger griechischer Junge, während er und seine Freund_innen auf dem Schulhof spielten, von einer Kugel getroffen und starb unmittelbar. Die Kugel war wahrscheinlich auf der Feier einer Roma-Familie ein paar Blocks weiter in die Luft geschossen worden. Das war der Ausgangs­punkt eines von Medien, Bullen, Politik, Faschisten und dem Mob organisierten Pogroms.

Am 9. Juni organisierte die Polizei eine Großoperation und 250 Bullen, darunter auch mehrere Spe­zial­einheiten ähnlich den deutschen BFE, USK und SEK, rückten in den Stadtteil ein. Sie durchsuchten 22 Häuser, nahmen 34 Personen in Gewahrsam und verhafteten sechs Per­sonen.

Gleichzeitig berichteten die Medien tendenziell rassistisch vom Ge­schehen: Kein Wort davon, dass nicht nur Roma, sondern auch viele Kreter und pontische Grie­chen gerne mal in die Luft ballern, und immer wieder Meldungen von be­waff­neten, aggressiven, ge­walt­tätigen und kriminellen Ro­ma-Gruppen. Später wurde die Prä­senz von Faschisten in den Demos verschwiegen.

Am 10. Juni fand die Trauerfeier der Familie, Angehörigen und An­woh­ner_innen statt. Anschließend zog eine Demonstration mit Hunderten Leuten zum Roma-Ghetto. Dabei wurden Molotov-Cock­tails in meh­re­re Häuser von Roma geworfen, laut Meldungen von athens.in­dy­me­dia von Mitgliedern von AME/C18, einer autonom-fa­schis­tischen, d.h. von der Goldenen Mor­genröte unabhängigen, fa­schis­tischen Gruppierung.

Am 11. Juni fand eine zweite Demo statt. Sie wurde vom Kreis­bürge­rmeister Giannis Kassawos orga­nisiert. Die Demo blockierte erst die Zuggleise. Anschließend mach­te sich eine Menge von 200 Leu­ten in Richtung Roma-Ghetto auf. Sie wurden von den Bullen gestoppt und fingen an, mit ihnen zu kämpfen. Einige Menschen konnten durch die Polizeiketten dringen und zündeten zwei Roma-Häuser an. Einige Roma waren bewaffnet und schossen.

Am 12. Juni wurde der 23jährige Rom, der während der Polizeirazzia verhaftet worden war, obwohl kei­ner­lei Beweise gegen ihn vorliegen, zu drei Jahren und vier Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Der Verteidiger stellte in letzter Mi­nu­te Befangenheitsantrag gegen den Richter und verhinderte so, dass das Urteil rechtswirksam wurde. Auf einer weiteren Demo am 12. Juni kam es beim wie­der­holten Versuch der Gleis­bloc­kade zu Straßen­schlach­ten mit der Poli­zei. Dabei kamen wie­der Molotov-Cocktails zum Ein­satz.

Am 13. Juni fand eine Demo zum Ministerium für Bürgerschutz statt. Die Leute forderten mehr Poli­zei­prä­senz und ein hartes Vorgehen gegen die Roma.

Am 14. Juni wurde die Autobahn bei Menidi blockiert. Es kam zu Kämp­fen mit der Polizei. Am selben Tag gab die Polizei ein Maß­nah­men­paket bekannt. Dieses umfasst u.a. die Bildung einer Son­der­kom­mis­sion mit Sitz in der Polizeiwache in Menidi, einen Aktionsplan mit auf­­ei­nanderfolgenden Polizei­raz­zien beginnend in Menidi, in den Ghettos der Roma und der Unter­schich­ten, die Verstärkung der Polizeipräsenz und die dau­er­hafte Stationierung von Spe­zial­einheiten im Stadtteil.

Zwei Tage später, am 16. Juni, gab nun auch die Regierung ein Maß­nah­menpaket bekannt. Dieses be­inhaltet die Verstärkung der Po­li­zei­präsenz, den Infrastruk­tur­aufbau in Me­nidi, die Verschärfung der Schulpflicht und Erleich­ter­ung des Bildungswegs für Roma. Damit vollendete der Staat das Pogrom mit der intensivierten poli­zei­staatlichen Überwachung des Stadtteils und speziell der Roma-Bevölkerung in Menidi.

Während dieser Woche fiel es der Athener anarchistischen und autonomen Bewegung sehr schwer, eine Haltung zu finden und zu intervenieren. Dies hat wohl zwei Gründe. Erstens gibt es kaum Beziehungen zur Roma-Ge­mein­schaft. Das wiederum liegt an der ziemlich strikten ethnischen Segregation und daran, dass die wenigen Roma, die sich politisch betätigen, das eher in rechten Parteien und Vereinen tun. Zweitens haben viele Anar­chist_­in­nen in Griechenland Probleme damit, sich mit einer Gemeinschaft zu solidariseren, die in Teilen sehr traditionell und werkonservativ ist und die über die illegale Drogen- und Waffenökonomie eng mit der Mafia und Polizei zu­sam­men­ar­bei­tet. Drittens, so zumindest eine Antifa-Gruppe aus Menidi, war der Mob selbst ziemlich heterogen. Dabei waren sowohl Faschisten, die Molotov-Cocktails in Roma-Woh­nung­en warfen, als auch Linke, die über die Verelendung des Stadtteils und der Lebensbedingungen und über den Druck rein in die Dro­gen­abhängigkeit und -wirtschaft em­pört sind. Deswegen gab es einige Solidaritätsaufrufe und Verteil­aktionen im Stadtteil, aber kein koordiniertes militantes Vorgehen gegen den antiziganistischen Mob.

Antiziganistische Massendemos in Bulgarien

In Bulgarien kam es zu mindestens zwei massenhaften Straßen­mobi­li­sier­ungen gegen Roma – in Asenoffgrad und Nowa Zagora.

In Asenoffgrad hatte eine Gruppe Roma mehrere Kinder, Eltern und Trainer eines Ruderclubs ange­griffen und mehrere von ihnen ins Krankenhaus geprügelt. Der Angriff war eine Selbstjustiz-Reaktion auf das Gerücht, dass ein Roma-Kind umgebracht worden sei. Im Nach­hin­ein stellte sich heraus, dass das Kind nicht getötet worden war, sondern nur eine Platzwunde hatte. Gleich am nächsten Tag begannen Massendemos „gegen die Roma-Gewalt“ mit bis zu 2000 Leuten und mit der Forderung nach mehr Polizei, mehr Sicherheit und här­teren Strafen. Die Demos versuch­ten mehrfach, zum Roma-Viertel der Stadt zu gelangen. Die Polizei riegelte jedoch alle Zugänge zum Viertel mehrere Tage lang ab. In der Zeit flüchteten sich viele Roma aus Angst vor einem Pogrom zu Freund_innen oder Verwandten in Nachbardörfer. Am 2. Juli, einem Sonntag, kamen Leute aus ganz Bulgarien, um an der Demo teilzunehmen, darunter auch die be­rüchtigten „Migrantenjäger“ Pe­ter „Perata“ Nizamoff und Dinko aus Jambol. Ein Mob von 5000 Leuten versuchte, zum Roma-Viertel durchzubrechen und wurde dabei in Kämpfe mit der Polizei verwickelt. Die Demos gingen noch mehrere Tage weiter.

Am 16. Juli wurde ein 17jährige in Stara Zagora von einer Gruppe Roma verprügelt, nachdem sie ihn erfolglos um eine Zigarette gefragt hatten. In Reaktion darauf fand eine Demo mit ca. 300 Leuten statt.

Einige mag vielleicht einfach die Empörung über den gewaltvollen Umgang auf der Straße zu den Demos gezogen haben. Letzten Endes waren die Demos aber von patriotischer und christlich-or­tho­doxer Symbolik und Hass gegen Roma dominiert.

Auch hier spielt die mediale Berichterstattung eine wichtige Rolle. Die Medien haben um­fangreich über diese und zahlreiche andere gewalttätige Konflikte berichtet, in denen Roma beteiligt waren. Eine ähnliche Auf­merk­sam­keit kommt Konflikten unter Bul­garen oder unter Roma selten zu. Darüber hinaus war die Medien­be­richterstattung von einer extrem antiziganistischen Sprache geprägt. Es war die Rede von „Roma-Gewalt“ bis „Zigeuner-Terror“. Wie auch in Griechenland wurde hier die Be­teiligung von Faschisten an den Mobilisierungen verschwiegen.

Die Demos in Bulgarien sind Reaktionen auf gewaltsame Konflikte auf der Straße. Sie setzen aber nicht bei den Gründen für diese Gewaltkultur an – Machismus, Armut und Perspektivlosigkeit, das aufgeheizte rassistische Klima, die strukturelle Gewalt in der Gesell­schaft – sondern ethnisieren die Konflikte und schüren bewusst Hass gegen Roma.

Perspektiven

Was den Antiziganismus im Balkan be­trifft, können auch wir in Deut­schland was machen. Wir können anarchistische und antirassistische Gruppen sowie Roma-Orga­ni­sa­tionen in den Ländern unterstützen. Wir können den Antiziganismus bei uns im Land bekämpfen, einge­wan­derte Roma und Romnja unter­stützen und uns für ihr Bleiberecht einsetzen. Ersteres setzt eine dauerhafte internationale Ver­net­zungs­arbeit voraus, die von der anarchistischen Bewegung in Jena und Thüringen derzeit nur in Form persönlicher Kontakte, gele­gentl­icher Berichterstattung und über Informationsveranstaltungen in­ternationaler Gäste geleistet wird. Letzteres ist mit Roma Thüringen und dem Unterstützungsumfeld in Erfurt über einige Jahre geschehen. Ihr Kampf ist aber im Großen und Ganzen an den staatlichen Ab­schiebe- und Repressionsapparaten gescheitert.