„Thüringen goes Hamburg?“

Einige Gedanken zur Beteiligung Thüringer Bewegungs-Linker an den Protesten gegen den G20-Gipfel von Hermann

Was machen ein paar dutzend Thü­ringer an einem verlängerten Wochen­ende in Hamburg? Eine Klassenfahrt? Party auf der Ree­per­bahn? Arbeit suchen in einer der reichsten Städte der BRD? Norma­ler­weise wahrscheinlich sowas in der Art. Das Wochenende um den 7./8. Juli bewog Menschen mehr­heit­lich aus anderen Gründen die Hafenstadt zu besuchen…

Grün­de um gegen das Herr­schafts­sys­tem in dem wir leben und seine Auswüchse zu protestieren gibt es so viele wie Menschen, die darunter leiden; Kristallationspunkte für die Mani­festation eines anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen, emanzipatorischen Auf­schreis gegen Ausbeutung, Unter­drüc­kung und Entfremdung eigent­lich auch. Insofern ist die Frage zu stellen, weswegen gerade der G20-Gipfel als Symbol den Widerstand einer großen Zahl Menschen auf sich zog.

Erstens ist da die Tradition der glo­balisierungskritischen Bewegung, welche aufgrund der Verschiebung von thematischen Schwerpunkten, sowie innerer Widersprüche in den letzten Jahren in Europa fast zum Erliegen gekommen war. Der Aufruf des autonomen „Welcome-to-hell“-Bündnisses hatte sich jedoch genau in diese Tradition gestellt und damit offensichtlich viele Menschen an­spre­chen und erreichen können, deren politische Sozialisation durch diese Bewegung mitgeprägt worden war. Zweitens war es das „rote Ham­burg“ als Szene-Stadt und der Mythos Hafenstraße/Rote Flora/St. Pauli, den viele verteidigen wollten. Denn tatsächlich inspirieren Szene-Viertel, alternative Subkulturen und lange etablierte linke Strukturen Menschen, die im Vergleich dazu in einer der vielen deutschen Provin­zen leben – welche an der links­radi­kalen Selbstwahrnehmung ge­mes­sen auch sowas wie z.B. München sein können. Den Gipfel in der Messe, unmittelbar neben dem Schanzenviertel abzuhalten, wirkte also als bewusste Provokation, welche mensch sich nicht bieten lassen wollte. Drittens mangelt es an Manifestationen einer „lin­ken“ Utopie – und dies gerade in Zei­ten des für viele spürbaren auto­ritären Rechtsrucks, nochmals (unnö­ti­ger­weise) gefühlt zugespitzt vor den nächsten Wahlen zum Reichs­kasperletheater, wie es Jo­hann Most nannte. Gipfelproteste als große Ereignisse bieten dahin­gehend eine Möglichkeit, sich poli­tisch zu positionieren, nicht zu Letzt, um sich selbst zu ver­ge­wis­sern, wo mensch steht. Die De­bat­ten, welche dazu auch lokal und regional geführt werden, sind für die eigene Selbst­verortung und Positionierung im­mer wieder wichtig.

Nun gibt es zurecht viel Kritik an solchen Großevents, auf welche an dieser Stelle nicht weiter einge­gan­gen wird. Dazu wurde ein State­ment der FAU Hamburg ausgiebiger diskutiert und steht uns wohl am nächsten.1 Fest steht, dass Men­schen, die zu so einem Ereignis fahren, aber oftmals auch jene sind, die lokal politisch aktiv sind. Die Effekte einer solchen großen Zusammenkunft in Hinblick auf Vernetzung und die bestärkende Erfahrung des gemeinsamen Handelns, trotz Unterschieden, sind nicht zu unterschätzen. Nicht umsonst wurde der Sicherheits­staat wieder in seinen wider­lichs­ten Facetten aufgefahren, wovon wiederum auch an anderen Stellen genug zu lesen ist. Und genug zu hören sein wird, denn die Repres­sions­welle und Hetze gegen die konstruierten „linksautonomen Gewalttäter“ beginnt ja nun erst.

Dass es solche Events sind, die einige Menschen maßgeblich politisieren, war auch der Ausgangs­punkt einer Vortragstour in Thüringen zu „Geschichte der globalisierungskritischen Be­wegung“, auf welche sich Anarch@s von Mai bis Juli in Jena, Gera, Weimar, Eisenberg, Kassel, Saalfeld, Plauen und Chemnitz bega­ben. Inhalt des Vortrages war nur indirekt die Mobilisierung zu den Gipfelprotesten, sondern vielmehr die Bewusstwerdung über linke Bewegungsgeschichte, in welcher anarchistische Ansätze immer eine große Rolle spielten. Denn nur wer die eigenen Ge­schichten kennt und sie versteht, kann sich ermächtigen, sie mit­gestalten und in die eigenen Hände nehmen. Proteste scheinen aus dieser Perspektive nie sinnvoll, wenn Menschen als Protestmaterial instrumentalisiert werden und unreflektiert an Massenblockaden teilnehmen. Stattdessen haben sie Sinn, wenn Leute sich durch sie bewusst in längerfristigen Bezugs­gruppen zusammen­schlie­ßen und ihre Leben auf umfassende Weise kollektiv rebellisch und solidarisch gestalten.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Aktionsküche „Black Kitchen“ aus Jena, die sich hoffentlich länger­fris­tig etablieren wird und zunehmend besser organisiert. Die Erfahrungen der Selbstorganisierungsprozesse von solchen Aktionsgruppen in Bezug auf einen Protest sind aus anarchistischer Perspektive äußerst wichtig für die Verwirklichung von Anarchie insgesamt, aber auch einfach zum Aufbau einer funktionierenden herr­schafts­feind­lichen Bewegung. In diesem Zu­sam­menhang leisteten die Köch_innen einen tollen Beitrag in Ha­mburg.2

Aber auch bei Massenaktionen waren Menschen aus Jena und Thüringen beteiligt, die wiederum Erfahrungen bei diesen sammeln und ihren Protest zum Ausdruck bringen konnten. Trotzdem es entscheidend ist, dass Menschen auf ihre jeweilige Weise pro­tes­tie­ren, ist dabei jedoch zu kritisieren, dass bei vielen in unserem Umfeld offenbar sehr beschränkte Vor­stellungen von Politik und Aktionen bestehen. Zumindest ist hierbei die Frage zu stellen, inwiefern man bei der Teilnahme an Massenaktionen großer pseudo-radikaler Bündnisse wie der Interventionistischen Lin­ken, umsGanze oder G20-entern stehen bleibt. Ist dies der Fall, wird aktionistischer Protest zum fe­ti­schisierten Konsumobjekt, zum geilen Erlebnis, nach dem mensch nach Hause geht und sich politisch engagiert und auf der richtige Seite stehend fühlt. Selbstermächtigend und selbstkritisch die Herr­schafts­ver­hältnisse in Frage stellen, be­deu­tet jedoch etwas anderes…

Ebenfalls wichtig, sind die Selbst­organisierungserfahrungen, welche auf einem Protestcamp gemacht werden. Bekanntermaßen ver­hin­derten staatliche Arschlöcher und Bullen ja massiv den Aufbau dieser. Dennoch kam schließlich das „Thüringen Barrio“ im Volkspark Altona zu Stande und war somit das einzige Barrio, welches eine Region repräsentierte. Dies stellte sich insofern als bedeutend heraus, als dass das Thüringen-Barrio das einzige war, welches der Abgabe aller Personalien nicht zustimmte. Am Morgen des 7. Juli war das Camp umstellt worden und alle großen Bündnisse (IL, UG, Roter Aufbau) stimmten der von den Bullen geforderten Per­so­na­lien­abgabe als staatstreue Protestmanager zu.

Ihren großspurigen Aussagen im Vorfeld zum Trotz geschah dies ohne solid/Thüringen, die es bisher nicht einmal schafften, wenigstens etwas Kohle für die Fahrtkosten von Aktivist_innen aus Thüringen auf­zu­bringen. Diese blinden Bündnis-Fetischist_innen blieben damit weit hinter dem von ihnen imaginierten bewegungslinken Selbstverständnis zurück und zeigten einmal mehr, dass sie für einigermaßen ra­di­ka­lere Menschen oder Autonome keine Verbündeten sein können und sein wollen. Wen wundert dies aber, wenn ihre Genoss_innen auf der Großdemo mit einer anti­se­mi­tischen Krake rumlaufen und sich der Polizei als Denunziant_innen anbiedern?

Schlussendlich war es meiner Ansicht nach sinnvoll, dass auch Menschen aus Thüringen an den Pro­testen in Hamburg auf viel­fältige Weise beteiligt waren. Nicht zuletzt, weil sie somit Zeug_innen der Ereignisse wurden und ihre Erfahrungen in die lokalen Dis­kussionen und politischen Praktiken und Lebensrealitäten einbringen werden.

 

(1) https://hamburg.fau.org/2017/06/17/g20-in-hamburg/; ein hörenswerter Beitrag zur Kritik findet sich auch beim FSK-Radio auf: http://www.freie-radios.net/83934

(2) Ein politisches Statement dazu findet sich auf: https://www.blackkitchen.space/they-are-g20-we-are-one/