Wir sind alle Linksunten!

von der AIBJ-Redaktion

Anderthalb Monate nach dem Ende der G20-Proteste, am 25. August, wurde die Internetplattform links­un­ten.indymedia.org im Rah­men einer aufgeheizten Extre­mis­mus- und Gewaltdebatte verboten. Das Bundes­innen­minis­te­rium bezog sich dabei auf den Artikel 9 Absatz 2 des Grund­ge­set­zes und § 3 des Vereinsgesetzes. Linksunten werde von einem Verein betrieben, dieser biete links­extre­men Gewalttätern eine Plattform und gehöre des­we­gen verboten. Das Verbot betrifft die Seite links­unten.indymedia.org, die zugehörigen Twitter-Accounts, E-Mail-Adressen sowie das Symbol (das Indymedia-I in Kombination mit dem Schriftzug „Linksunten. Indy­media“) und auch etwaige Nachfolgeorganisationen.

Am selben Tag wurden in Freiburg vier Wohnungen, zwei Fahrzeuge und das autnome Zentrum KTS durch­sucht. Aus der KTS wurde fast alles an Ausstattung, Unterlagen und Post der dort untergebrachten Gruppen mitgenommen. Bei den Betreiber_innen wurden angeblich folgende Waffen gefunden: Schlag­stöcke, Quarzhandschuhe, Stein­schleudern, Böller, ein Butter­fly-Mes­ser und ein Elektroschocker. Später kam raus, dass die meisten dieser Gegenstände in der KTS ge­funden wurden, so niemandem kon­kret zuzuordnen sind und dass die Meldung des „Waffenfundes“ nur dazu diente, die Stimmung ge­gen Linksunten weiter auf­zu­heizen.

Was ist Indymedia?

Indymedia oder IMC – kurz für Independent Media Center – ist eine Bewegung für freien und unabhängigen Informations­aus­tausch, die Ende der 1990er Jahre im Kontext der Antiglo­ba­lisie­rungs­bewegung entstanden ist. Das erste Indymedia-Netzwerk wurde 1999 für die Proteste gegen die Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle eingerichtet. Während der Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua spielte Indymedia bereits eine wichtige Rolle bei der unab­hän­gigen Berichterstattung. Auf Indymedia-Plattformen können Men­schen anonym selbst Beiträge verfassen und hochladen. Noch vor Entstehung von Blogs und lange vor den sozialen Medien wurde so zum ersten Mal ein unabhängiges und partizipatives Medium ge­schaf­fen.

2001 entstand mit de.indy­me­dia.org auch in Deutschland ein Indymedia-Netzwerk. 2008 kam das erst regionale süd­west­deut­sche linksunten.indymedia.org hinzu, setzte sich in den Folge­jahren aber bundesweit durch. Seit Mitte der 2000er sind die Indy­me­dia-Plattformen in vielen Ländern wieder zusammengebrochen. Auf den bestehenden Plattformen wird ein breites Spektrum an Beiträgen veröffentlicht – von Wieder­ver­öf­fent­lichungen von Zeitungsartikeln, über Diskussionspapiere, Stel­lung­nahmen und Pressemitteilungen, Termine, Demoaufrufe, Demo­be­rich­te und -auswertungen, Outings und Rechercheergebnisse über Neonazis bis hin zu Beken­ner­schrei­ben von Einzelpersonen und mili­tanter Gruppen.

Angriff auf Gegen-Öffent­lich­keit

Das Verbot von Linksunten ist Teil eines größeren Angriffs auf linke bis anarchistische Medien in Deutsch­land. Als AIBJ haben wir bereits über die Streichung der Finanzierung für die Erfurter Lira­belle und über die Verurteilung wegen Verbreitens der Münchner anarchistischen Straßenzeitung Fernweh berichtet. Im nächsten Schritt wurde während der G20-Proteste insgesamt 32 Jour­na­list_­in­nen die Akkreditierung entzogen. Später kam heraus, dass diese Entscheidung teilweise auf falschen und sogar verfassungswidrigen Einträgen in Verbunddateien gegen Links fußte.

Angriff auf autonome Bewe­gung

Das Verbot von Linksunten steht in engem Zusammenhang mit der Re­pression gegen selbstorganisierte und autonome Bewegung. Es schloss sich der polizeistaatlichen Niederschlagung der Proteste ge­gen den G20-Gipfel in Hamburg an. Nur einen Tag vor dem Verbot rich­tete der Landtag von Sachsen-Anhalt auf Antrag der AfD-Fraktion eine Enquete-Kommission gegen Linksextremismus ein. Am Tag des Verbots selbst forderte die Thü­rin­ger AfD gleich das Verbot der gesamten Antifa als terroristische Organisation.

Auch in Thüringen versucht der Staat zunehmend, gesell­schaft­li­chen Ungehorsam, anti­fa­schis­ti­schen Selbstschutz, autonome und anarchistische Bewegung zu zerschlagen. Nach dem massen­haf­ten militanten Widerstand gegen die Nazi-Demo vom 20. April 2016 in Jena wurde die Soko „Fackel“ eingerichtet und kam es zu Haus­durchsuchungen gegen Anti­fa­schist_innen. In Gotha drohten die Bullen im September 2016, das Hausprojekt Juwel zu stürmen, steckten drei Leute in U-Haft und initiierten Ermittlungen, die nicht unwahrscheinlich zu Haftstrafen führen werden (siehe die Soli-Kampagne „Free the Three“). In Saalfeld läuft seit Anfang 2017 ein Strukturermittlungsverfahren ge­gen die Antifa-Szene mit indi­vi­dueller Einschüchterung und Psycho-Terror sogar noch gegen Minderjährige. Die AfD versucht über die Sondersitzung im Thü­rin­ger Landtag zu „linkem Terror“, über unzählige Anfragen und Po­le­miken den Staat von linken Strö­mungen zu säubern und für ein Verbot „der Antifa“ zu sorgen. Der Staatsschutz ermittelt nun wegen Landfriedensbruchs gegen die Ak­tion gegen den AfD-Wahlstand vom 20. Mai 2017 in Jena. Und das sind nur die größten Repressionsfälle. Über die niedrigschwellige All­tags­repression gäbe es noch einige Seiten zu schreiben, erwähnt seien hier lediglich der von Ordnungsamt, KSJ und Polizei über Kooperations­ge­sprä­che, Auflagen und nach­träg­liche Forderungen ausgeübte Druck auf Anmelder_innen von Demos und Kundgebungen, ACAB-Verfah­ren, das Abgefilme von Demos, schikanöse Polizeikontrollen am Rande von Demos usw. usf.

Das Verbot verhindern

Unmittelbar nach dem Verbot gab es vielfältigen Widerstand. Zum einen haben sich zahlreiche Orga­ni­sationen in öffentlichen State­ments mit Linksunten solidarisiert – von einzelnen Politiker_innen der lin­ken Parteien und Reporter ohne Gren­zen bis hin zur Gefangenen-Ge­werk­schaft, Interventionistischen Linken, Roten Hilfe und viele an­dere. Wobei sich Einige aus dem zivilgesellschaftlichen und Partei-Spektrum zwar gegen das Verbot, aber für die Löschung einzelner Beiträge, also für eine ziel­ge­rich­tete Zensur ausgesprochen haben.

Es gab mehrere spontane und angemeldete Demos in Freiburg, Jena, Berlin und in anderen Städten. Es wurden lokale Bewe­gungs­plattformen wiederbelebt oder neu gestartet, z.B. die Blogs Kommunal für den Raum Aschaf­fen­burg und Wumm für Jena. In Jena sind ein paar Graffitis auf­ge­taucht, u.a. „Je suis linksunten“ und das Indymedia-Symbol.

Am 26. August erschien auf links­unten.indymedia.org kurzzeitig die Ankündigung: „Wir sind bald wieder zurück“ und ein Zitat aus der Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace.

Am 30. August haben vier Leute aus Freiburg Klage vorm Bundes­ver­waltungsgericht in Leipzig ge­gen das Konstrukt eines Vereins und sein Verbot eingereicht. Außer­dem wurde vorm Ver­waltungs­ge­richt in Freiburg gegen die Durch­su­chungen und Beschlag­nah­mung­en geklagt. Teil des Anwaltsteams ist übrigens auch die Jenaer Anwäl­tin Kristin Pietrzyk. Hier das Spen­denkonto für die Gerichtskosten
Empfänger: Rote Hilfe OG Stuttgart
IBAN: DE66 4306 0967 4007 2383 13
BIC: GENODEM1GLS
Stichwort: linksunten
Wenn es zum Prozess in Leipzig kommt, würde es sich anbieten, auch aus Jena anzureisen und die Sache zu unterstützen.

Mögliche Schlussfolgerungen

Das Internet ist anders als zu sei­nen Anfangszeiten oft gedacht kein unkontrollierbares Feld, son­dern wird zunehmend staatlich reguliert und offenbart immer deutlicher sein totalitäres Potenzial. Diese Ten­denz gibt es nicht nur in Staa­ten wie der Türkei, wo die BRD im Rahmen geopolitischer Konflikte nicht müde wird, in Stel­lung­nah­men auf demokratische Freiheiten zu bestehen, sondern eben auch hier bei uns.

Das Verbot geht einher mit dem staatlichen Vorgehen gegen andere unkontrollierbare Medien sowie mit der alltäglichen Ignoranz der Main­stream-Medien gegenüber unseren Kämpfen und Ansichten. Auf beide Arten und Weisen – das Verbot eigener Medien und die Ignoranz der Mainstream-Medien – werden wir und unsere Kämpfe mundtot gemacht.

Linksunten.Indymedia hatte selbst­verständlich seine Probleme: dis­ku­tab­le Moderationskriterien, eine fehlende politische Re­dak­tions­tä­tig­keit, eine untragbare Dis­kussions­kultur in den Kommentaren usw. Nichtsdestotrotz ist mit sei­nem Verbot vorerst eine wichtige Bewegungsplattform verloren ge­gangen. Der bundesweite Aus­tausch, das Archiv mit Beiträgen seit 2009 und die umfangreichen antifaschistischen Recherche-Er­geb­nisse sind gerade nicht zu ersetzen. Dieser Verlust macht deutlich, dass wir in unserem poli­tischen Alltag eine dauerhafte Ar­chiv-Arbeit leisten müssen und zwar gerade der schnelllebigen In­ter­netbeiträge. Das bedeutet in erster Linie die Archivierung der ei­ge­nen Beiträge durch die jeweiligen Gruppen und Organisationen. Aber auch ein zentrales Be­wegungs­archiv für Jena wäre zu diskutieren.

Ein paar Gedanken zum Wumm-Blog

Kurz nach dem Verbot von Links­un­ten wurde der lokale Bewe­gungs­blog wumm.blackblogs.org bekannt gegeben. Hier sollen „eman­zi­pa­to­ri­sche Meldungen aus Jena und Re­gion“ verbreitet werden – sowohl von Gruppen als auch anonym über das Openposting. Als AIBJ-Redak­tion freuen wir uns über die Erweiterung der lokalen Bewe­gungs­medien! Wir denken aber, es wäre gut gewesen, die verlinkten Gruppen, deren Beiträge auto­ma­tisch auf den Wumm-Blog kopiert werden, vorher zu fragen, ob sie in dem Rahmen repräsentiert sein wollen. Außerdem stellt sich hier wie ja auch bei Indymedia die Frage nach dem politischen Rahmen. Auf dem Blog finden sich derzeit Mel­dung­en anarchistischer Gruppen bis hin zum zivilgesellschaftlich-demokratischen Aktionsnetzwerk. Wir würden uns daher sehr über ein poli­tisches Selbstverständnis der Ini­tiativ- und Redaktionsgruppe freuen. Welches Spektrum will Wumm abbilden? In welchen Fällen werden Beiträge gelöscht oder moderiert? Welche Vorstellung von Bewegung hat die Gruppe?