Von rechtsoffenen Anarcho­kapitalisten und anderen Schreckgespenstern

Beobachtungen und Gedanken zur ultraliberalen Konferenz „Freiheit is future“ von jens

Vom 17. bis 19. November fand in Jena eine Konferenz von Markt­fun­damentalist_innen statt, welche von der rechts-offenen Gruppe „stu­dents for liberty“ organisiert wurde. Un­ter dem Schlagwort „Freiheit“ grif­fen sie somit Raum in der lokale Land­schaft, nicht zuletzt durch groß­angelegte Flyeraktionen zur Bewerbung ihrer Veranstaltung.

Im unmittelbaren Vorfeld regten sich einige von unserer Seite wieder mäch­tig über das – monatelang bekannte – Ereignis auf. Wie so oft war keine adäquate und selbst­be­wuss­te Gegenaktion vorbereitet wor­den, weswegen viele Linke re­flex­haft nur zwei Umgangsweisen da­mit kennen: Pöbeln oder Ver­bie­ten. Meiner Ansicht sind dies we­der zielführende, noch langfristig sinn­volle Mittel, um die eigentlichen Probleme hinter einer solchen Kon­ferenz zu beleuchten. Vor­ge­gang­en werden müsste gegen die liberale Ideologie und ihre Orga­ni­sa­tionen selbst, anstatt sich wut­bürgerlich damit zu begnügen ein paar Rechte dif­fa­mieren und aus­gren­zen zu wol­len, ohne jegliche Systemkritik vor­­zu­bringen.

Dankenswerterweise schrieben Men­­­schen von der Gruppe „Pekari“ dann doch noch einen guten Text¹ ge­gen die Konferenz und verteilten ihn auch etwas davor. Auch die Fal­ken brachten ein lesenswertes Flug­­blatt raus², in welchem jedoch kein positiver Freiheitsbegriff ent­fal­tet wird – für Sozialist*innen recht ungewöhnlich. Ich hingegen ent­schied mich, zumindest der Po­diums­­diskussion selbst beizu­woh­nen, um mir ein eigenes Urteil zu bil­den. Denn den politischen Geg­ner zu bekämpfen, verlangt sich selbst politisch ernst zu nehmen. Sich selbst ernst nehmen er­mög­licht erst den politischen Gegner ernst zu nehmen. Deswegen muss mensch, um gegen die Students for liberty und dem ganzen Spektrum der „Libertarians“ überlegen vor­zu­gehen, ihnen zuhören.

Zunächst einmal stellte ich fest, dass die Aula im Uni-Hauptgebäude relativ leer geblieben war für eine so groß angekündigte Debatte über die „Zukunft des Liberalismus“. Da­zu passte, das in selbstgefälliger Wei­se festgestellt wurde, es seien kei­ne guten Zeiten für „die Frei­heit“. Gerd Habermann, Mit­be­grün­der der Hayek-Gesellschaft, äußerte sich gleich in seinem ersten Beitrag offen rassistisch und jammerte über den schrecklichen Egalitarismus, wel­cher armen deutschen Männern vor­schreiben würde, dass sie sich nicht ganz so rücksichtslos ver­halten dürfen, wie sie gerne wollen. Auch bei einer späteren Fragen zum Ver­hältnis „des“ Liberalismus zu rechts­po­pu­listischen Bewegungen distanzierte er sich ausdrücklich nicht von diesen. Die anderen sa­hen in Pe­gida und Co. hingegen keinen Gewinn mehr für „den“ Libe­ra­lis­­mus, weil der gleich­ma­che­ri­sche Kollektivismus und wirt­schaft­liche Protektionismus sich auch dort breitgemacht hätten. Sprich, an­sons­­ten könnte mensch mit dem rassis­tischen Mob durchaus zusam­menarbeiten. Antife­mi­nis­tisch posi­tio­nieren sich die Ultra­liberalen ohne­hin offen, wie ein Blick ins Maga­zin „eigentümlich frei“ schnell deutlich macht.

Dessen Begründer, der Schrift­stel­ler Stefan Blankertz, ist in diesem Zusammenhang allerdings ein weitaus vielschichtiger Akteur. Auf dem Podium wurde er als „erster Anarchokapitalist Deutschlands“ an­ge­kündigt, als der er sich auch selbst sieht. Spätestens mit seinem „Libertären Manifest“ von 2001 ver­breitete er in Vorträgen und Artikeln hier zu Lande anarcho­ka­pi­talis­tische Gedanken, welche zuvor eher als US-amerikanische Marotte er­schie­nen. Ich selbst war bisher stets der Ansicht, dass Anarcho­ka­pi­talis­mus eine Erfindung von einigen unter­nehmerisch tätigen Freaks sei, die ihre Ideologie der gesteigerten Kon­kurrenz, des Freihandels und der Leugnung des menschen­ge­mach­ten Klimawandels mit viel Geldeinsatz verbreiteten. Im auf der Kon­ferenz ebenfalls vertretenen Think Tank „Prome­theus Institut“ ist dies ja durchaus auch der Fall. Den­noch muss ich durch die Beiträge von Blankertz auf dem Podium und seinen bio­grafischen Hintergrund anerkennen, dass dieser tatsächlich ideologisch Anarchismus und „den“ Neo­libe­ra­lismus zusammenbringt. Teil­weise bezieht er sich auf anarchistische Theoretiker wie Paul Good­man und gibt einige Denk­figuren preis, die anarchistisch erscheinen. In diesem Zusam­men­hang wurde mir sehr deutlich vor Augen geführt, dass eine falsch ver­standene Staatskritik in äußerst problematische Fahr­was­ser geraten kann. Und: Dass es Menschen gibt, welche wirklich von ganzem Herzen glauben, dass Kapitalismus Freiheit und Glück bringt und im Grunde ge­nommen die freie Kooperation wäre, von der Anarchist*innen spre­chen. Mich machte dies traurig, weil die wich­tigen liberalen Momente im anar­chis­tischen Den­ken wie die Verant­wort­ungs­über­nah­me, die Betonung der Indi­vi­dualität und die Entfaltung von Einzelnen, sowie eine Zurück­wei­sung von staatlicher Bevor­mun­dung etc., in diesem Zusammen­hang dazu dienen, den durchaus men­schen­feindlichen und das schöne Leben verunmöglichenden staat­li­chen Kapitalismus zu stützen. Dass da kein Verständnis von struk­tureller Ausbeutung, kein Verständ­nis für die Ursachen von Umwelt­zerstörung, Rassismus, Sexismus, Ar­mut usw. ist, liegt letztendlich daran, dass Neoliberale tatsächlich kei­nen Begriff von Gesellschaft ha­ben. Sie sind in einem sehr engen und auch einfachen Gedan­ken­gebäude gefangen, mit dem sie ernsthaft glauben, für „die Freiheit“ schlechthin einzutreten. Dies dient nicht nur als strategische Finte, um auf populistische Weise Menschen das neoliberale Projekt in Zeiten sei­ner harten Diskreditierung weiterhin als Lösung der Probleme zu verkaufen, die es erst hervor­bringt. Ihre Ideolog*innen glauben wirklich daran und können sich des­wegen jeglicher sozialer Verant­wor­tung entledigen, be­zieh­ungs­weise diese in selbst­gerechter und pa­ternalistischer Wohlfahrt erfüllt sehen.

Eine weitere interessante Fest­stel­lung war für mich, dass sich relativ deutlich gegen einen „national“ und „ethnisch“ begründeten Se­pa­ra­­tismus wie in Katalonien aus­ge­sprochen, der Brexit oder eine mögliche Abspaltung Kalifor­niens von der amerikanischen Zen­tral­regierung auf der Grundlage einer „freien Volksentscheidung“ begrüßt wurden. Christian Hoff­mann, Pro­fessor in Leipzig wünsch­te sich so­gar ehrlich, dass die nationalen Grenzen perspektivisch abgeschafft werden – nur, dass dies unter heu­tigen Bedingungen nun mal rea­lis­tischerweise nicht möglich sei. Wie auch, wenn Men­schen die bspw. in die BRD migrie­ren tatsächlich ein Recht auf gutes Leben fordern und damit die struk­turell ungleichen Chan­cen im Kapitalismus offen­legen. Im An­schluss wurde eine De­batte über die Zukunft des National­staates geführt und hier überraschte mich, dass stark befür­wor­tet wurde, klei­nere Herr­schafts­einheiten zu schaffen, die weniger Macht hätten – um dem Markt wiederum freie Hand zu lassen, aber auch um das „Selbst­be­stim­mungsrecht“ repu­bli­kanisch ge­dach­ter Völker stark zu machen. Was zunächst gar nicht mal so ver­kehrt klingt, verbirgt die Ideologie der Trennung von Öffent­lichem und Privaten. Denn in das privatisierte Leben der Liberalen soll bitteschön nie­mand hinein­re­gieren. Darüber hi­naus soll nicht darauf hin­ge­wie­sen werden, dass die Voraus­set­zungen dafür, das jeweiligen Leben selbst zu ge­stalten, enorm von sozial­struk­tu­rel­len Bedingungen abhängig sind und einer mate­riel­len Angleichung der Lebens­grund­la­gen bzw. über­haupt erst einmal einer Grund­si­cher­ung bedürfen. Letzteres ist deswegen keineswegs zwangsläufig staatlich zu denken, denn immerhin richtet der Staat ja erst die Eigen­tums­ordnung ein, welche uns – teilweise mir direkter Gewalt – in struk­turelle Aus­beu­tungs­verhältnis presst. Insofern zeigt sich hierbei die offensichtlich falsche Grundan­nah­me des Libe­ra­lis­mus, das Staat und Kapitalismus getrennte Sphä­ren seien. Der Ausweg ist eine kollektive Aneig­nung des gesell­schaft­lich pro­du­zierten Mehrwerts und seine Ver­gesell­schaftung bei gleichzeitiger Anfech­tung von Eigentums­logik, Verwer­tungs­den­ken und staatlicher Ordnung…

Selbstverständlich gab es noch die eine oder andere berichtenswerte Sache, doch an dieser Stelle möch­te ich mich auf das Geschrie­bene beschränken und meine per­sön­lichen Erkenntnisse nur noch ein­mal kurz zusammenfassen:

Erstens: Die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner kann nur ernsthaft geführt werden, wenn dieser ernst genommen und mit eigenen, besseren inhaltlichen Ange­boten angefochten wird. Dies ist nicht hauptsächlich eine Frage der besseren Argumente, sondern politischer Machtverhältnisse. Den­noch sehe ich bei der Selbst-Be­wusst­werdung und inhaltlichen Vermitt­lung von unserer Seite noch sehr viel Entwicklungsbedarf.

Zweitens: Der Anarchokapitalismus existiert wirklich und deswegen sind die Schnittpunkte zum Anar­chismus zu verstehen, um deutlich zu machen, dass es sich dabei je­doch um durchaus unterschiedliche Welt­anschauungen handelt.

Drittens: Es gilt sich der eigenen Grundannahmen bewusst zu wer­den und sie zu begründen. Sie sollten selbstbewusst vorgebracht und auch geduldig an Anders­denkende vermittelt werden, anstatt in eine Identitätslogik zu ver­fallen und zu glauben, mensch stünde ohnehin schon immer auf der richtigen Seite. Dies ist meiner Ansicht nach die Voraussetzungen für das Wachstum einer anar­chis­tischen Bewegung, die den An­spruch hat, gesellschaftliche Rele­vanz zu erlangen, anstatt stets nur Szenepolitik zu betreiben und ihr Klientel zu pflegen.

Viertens wäre es in diesem Sinne auch ange­bracht, den Liberalen nicht abzu­sprechen, dass sie für „Freiheit“ eintreten, an der sie aufgrund ihres verkürzten Ver­ständ­nisses so krampfhaft fest­halten. Stattdessen sollten wir deut­lich machen, wofür „soziale Freiheit“ im Anarchismus steht – und warum sie notwen­di­ger­weise mit Gleichheit und Solidarität ver­knüpft ist.

 

Fußnoten

(1) http://pekari.blogsport.de/2017/11/17/mit-eurer-freiheit-wollen-wir-keine-zukunft-gegen-die-regionalkonferenz-der-students-for-liberty-in-jena/

(2) http://falken-jena.de/?p=168