Die Jenaer Anti-Nazi-Demos aus Sicht eines Sanis
Vor gut 3 Jahren fanden nach einer längeren Pause wieder faschistische Demos in Jena statt. Wie die meisten von euch wissen werden, zog Thügida mehrmals im Jahr mit Fackeln durch die Stadt, auch die AfD lud ein paar Mal ein. Auch wenn die Nazis mit Sicherheit nicht weniger und auch nicht schwächer wurden, ist es im letzten Jahr in Sachen Fascho-Demos wieder ruhiger geworden. Ein guter Anlass, mal zurückzuschauen und darüber nachzudenken, wie das ganze eigentlich lief.
Als Reaktion auf die Verletzungen durch Polizeigewalt bei den ersten Demos haben sich Anfang 2016 (wieder) Menschen, darunter auch ich, als Demo-Sanis zusammengetan. Seit unserer Gründung waren wir bei den Gegendemos dabei und haben (zwangsläufig) einen guten Überblick über das Verhalten der Demonstrant*innen und der Polizei bekommen. Doch kurz zu den Sanis: Menschen, die auf Demonstrationen oder Aufständen einen Fokus darauf haben andere medizinisch zu versorgen, gibt es wahrscheinlich schon seit Anbeginn des Politischen. Mein Wissen beschränkt sich auf bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte. Weil bei Demonstrationen die Versorgung durch Rettungsdienste meist sehr schlecht ist und die große Gefahr besteht, als Opfer von Polizeigewalt kriminalisiert zu werden, gab es mindestens seit den 70er Jahren eine selbstorganisierte medizinische Versorgung. In den großen Anti-Atom-Demos wie Brokdorf gab es teils ausgeklügelte Systeme mit 3er-Gruppen in der heißen Zone, eigenen Rettungswagen (umgebaute Kleinbusse) und Praxen, die unter der Hand die Behandlung übernahmen. Mit dem Aufkommen der Autonomen kam es auch in dieser Subsubsubszene zu Spaltungen. Auf der einen Seite Menschen (die „schwarzen Sanis“), deren Fokus darauf lag, als Teil der Demo und der Radikalen Bewegung mit zu kämpfen und möglichst selbstorganisiert und herrschaftsfrei zu handeln. Auf der anderen die „roten Sanis“, die sich in der Nähe zum Rettungsdienst sahen, teilweise deren Arbeitsweise kopierten und eher neutral und professionell auftraten. Dieser Graben ist heute zwar nicht mehr so tief und es gibt eigentlich die Einigkeit, dass beide Konzepte ihren Sinn haben, solange die Sicherheit der Versorgten absolute Priorität hat. Aber gerade bei Großereignissen kommt es immer wieder zu Streitereien. Zumal Demo-Sani die perfekte Rolle für „wahre Helden“ ist, mit allen mackerigen Nebenwirkungen.
Wir in Jena organisieren uns autonom und stehen als Teil der Antifaschistischen Demo auf jeden Fall voll hinter euch. Teilweise haben wir eine medizinische Ausbildung, teils bringen wir uns die wichtigen Sachen selbst und gegenseitig bei. Wenn du bei uns mitmachen willst, bist du gerne willkommen. Aber viele der Verletzungen auf Demos können auch gut innerhalb der Bezugi versorgt werden. Um euch das beizubringen, bieten wir Sanis regelmäßig Workshops an. Ihr lernt dabei, was ihr am besten auf die Demo mitnehmt, wie ihr die häufigsten Verletzungen versorgt und was ihr in schwierigen und ernsten Fällen tun solltet. Es wäre super, wenn ein/zwei Personen pro Bezugi sich mehr mit dem Thema Erste Hilfe beschäftigen und bei uns einen Workshop machen würden. Das würde uns entlasten und euch empowern.
Die Demos ist Jena haben sich in den letzten zwei Jahren ziemlich verändert. Ich würde sagen, die Bullen haben es geschafft uns zu zähmen. Vor zwei Jahren schienen sie mir noch ziemlich überfordert. Vielleicht ist meine Erinnerung von den Dresdner Demos 2010/11 vernebelt, aber ich glaube, dass wir auch hier in Jena mal erfolgreich gestört und blockiert haben. Aber die Polizei hat dazugelernt: Wasserwerfer und Räumpanzer wurden aufgefahren. Immer mehr Absperrungen wurden aufgebaut, auch wenn die anfangs noch regelmäßig überwunden wurden. Die Bullen antworteten mit Schlagstockeinsatz und viel Pfefferspray, auch gegen Menschen, die den Gittern nur zu nahe kamen. In Jena sind ja viele der Menschen auf den Gegendemos anscheinend sonst politisch nicht aktiv und viele waren erschüttert vom harten Gewalteinsatz der Bullen. Ich erinnere mich daran, wie ich Jugendlichen die Augen auswusch, nachdem als sie unbeteiligt gepfeffert worden waren. Spätestens als ihre erboste Strafanzeige nicht ernst genommen wurde, brach ihr Vertrauen in die Polizei zusammen. Die Menschen wirkungsvoll einschüchtern konnten die Bullen aber erst, als sie Hunde einsetzte und im Nachgang der Demo vom 20.4.2017 die Repression anrollen ließ. Die Hunde bissen auch wirklich zu: Einem wurde bei einer Sitzblockade in die Schulter gebissen, einem anderen in den Arm, weit weg vom Geschehen. Ein paar Kampfhunde der Bullen hielten über hundert Menschen auf, die auf die Naziroute durchbrechen wollten. Die Repression kam zunächst in Form von Hausdurchsuchungen. Auch wenn die Wohnungen meist wie zufällig ausgewählt schienen und die Durchsuchungen meines Wissens keine Verurteilung zur Folge hatte, hielt mit den Namensschildern an den Zimmertüren auch die Vorsicht Einzug in die WGs. Bei den folgenden Demos stand BFE (Beweis- und Festnahmeeinheit der Polizei) in der Menge und nahm von allen Personalien, die sie über frühere Bilder zu identifizieren glaubten. Die Folge war zwar aktionistisches Rumgerenne auf der Suche nach einem Durchkommen auf die Nazi-Route, aber eine wirkliche Aktion machte niemand mehr. Wer soll die Leute auch schützen, wenn sie sich zurückziehen wollen und die Demo vor allem aus Unerfahrenen, Feiernden und BFE-Grüppchen besteht? Den Meisten scheint es bei solchen Demos doch nur um Symbole für sich selbst und die Presse zu gehen, und selbst wenn es mehr Menschen gäbe, die den Nazis ernsthaft was entgegensetzen wollen, stellt sich mir die Frage nach einer sinnvollen Strategie, die auch die Repression mit einkalkuliert.
Der traurige Höhepunkt war schließlich die Demo der AfD diesen September: Antifa schien zu bedeuten, sich in der Nähe der Gitter zu treffen, ein bisschen umher zu tingeln und zu schnacken. Es gab keine koordinierte oder spontane Aktion, sondern nur Zuschauen. Dass einzelne Menschen durch die Gitter auf die Seite der Nazis gehen konnten, ohne dass die Umstehenden auf die Idee gekommen wären, dem irgendetwas entgegen zu setzen, war die Sahne auf der Torte in unser eigenes Gesicht. Wir kriegten es noch nicht einmal hin, mit Menschentrauben die paar Eingänge zur Demo zu verstopfen.
Dass ich als Sani bei den letzten Demos nichts zu tun hatte, ist natürlich ein erfreulicher Nebeneffekt. Aber wenn es mal wieder so weit sein wird, wir sind bereit für mehr.
Passt aufeinander auf!
Wie wir auf Repression reagieren können.
Dass Antifaschistische Demos auch anders laufen können, zeigen die Erfahrungen in besagtem Dresden, als zweimal durch massive Sitzblockaden und gezielte Störmanöver der größte Naziaufmarsch Europas verhindert wurde, sodass viele Faschos die Lust verloren. Die Unterstützungsstrukturen sind da: der EA, die rote Hilfe, das abc, SoKüs und eben die Sanis. Doch ich befürchte, wir haben zweierlei vergessen: Erstens, dass politische Veränderung nicht nur Theorie, private Praxis und Diskurs braucht, sondern auch Aktion. Und zweitens, dass der Staat mit Repression reagiert. Die Gewalt der Polizei hat System. Hausdurchsuchungen und fadenscheinige Anklagen sollen einschüchtern. Schlagstockeinsatz und Pfefferspray sind dazu da, Menschen Verletzungen zuzufügen, um sie folgsam zu machen. Darauf müssen wir gefasst sein und uns solidarisch organisieren. Gegen Hausdurchsuchungen helfen das Verschlüsseln der elektronischen Geräte und das Weggeben von sensiblen Sachen und Daten. Gegen Abhören das Weglegen der Handys bei Gesprächen und verschlüsselte Kommunikation. Gegen die Verurteilungen helfen gemeinsame Kassen und die Aussageverweigerung. Gegen das plan- und sinnlose Rumrennen auf Demos Aktionstrainings und ein koordiniertes Vorgehen mit Bezugsgruppen und Strategien, die nicht erst auf Deli-Plena besprochen werden, wenn schon alles läuft. Gegen Greiftrupps helfen Beisammenbleiben, Klamotten wechseln und Aufmerksamkeit aller. BFE sind in der Demo, weil wir sie da reinlassen, das sollten wir nicht vergessen. Und gegen körperliche und psychische Traumatisierungen brauchen wir sichere Orte, gegenseitige Hilfe und ein Bewusstsein der Szene für emotionale Bedürfnisse und Care-Arbeit.