von der AIBJ-Redaktion
Mitte Juni gingen zwei Mails über den linken Szene-Verteiler, in denen dazu aufgerufen wurde, Hinweise über den Verbleib von Sophia aus Leipzig einzusenden. Sie hatte von Leipzig einen LKW angehalten und wollte mit ihm nach Nürnberg trampen. Dort ist sie nie angekommen. Das letzte Lebenszeichen von ihr war eine SMS mit dem Kennzeichen des LKWs.
Viel wissen wir nicht über Sophia. Sie kommt aus Nürnberg, wohnte in Leipzig und war dort wohl in der linksradikalen Szene aktiv. Wir haben ein paar Freund*innen aus Leipzig angerufen und die haben das bestätigt.
Nach ihrem Verschwinden hat ihre Familie, v.a. ihr Bruder, der bei den Grünen ist, eine eigenständige Suche gestartet. Es wurden Mails über alle möglichen Verteiler geschickt, bis zu 60 Leute haben die A9 abgesucht und Zettel an den Tankstellen verklebt. Alles ohne Erfolg. Anfang Juli wurde dann Sophias Leiche in Nordspanien gefunden.
Als wäre das nicht schlimm genug, haben die Angehörigen und Freund*innen von Sophia es dann noch mit den Bullen und den Rechten zu tun bekommen. Sophias Familie hat der Polizei in einem offenen Brief vorgeworfen, dass sie sie nicht ernst genommen haben und nicht offen mit ihnen umgegangen seien, auch weil Sophia offensichtlich aus linken und alternativen Kreisen stammte. Dann haben die Rechten Sophias Tod für ihre ausländerfeindliche Propaganda ausnutzen wollen, da ja der mutmaßliche Mörder aus Marokko stammt. Sie haben der Familie sogar Drohbriefe geschickt. Auch in Jena wurden Ende Juni „mobile Gedenktafeln“, also Flugblätter, in der Uni ausgelegt, die drei andere von Migranten ermordete Frauen zu Opfern des „Multikulti-Experiments“ erklärten. Am 1. September wurde auf dem Schweigemarsch der AfD in Chemnitz sogar ein Großporträt von Sophia getragen. Von all diesen Vereinnahmungsversuchen hat sich die Familie von Sophia klar distanziert.
Uns hat die Geschichte Sophias sehr bewegt und nachdenklich gemacht. Denn zum einen ist ihre Ermordung kein tragischer Einzelfall, sondern der krasseste Ausdruck von Frauenfeindschaft und Männergewalt in unserer Gesellschaft. Immer wieder werden auch in Deutschland Frauen von ihren Partnern, Ex-Partnern oder anderen Männern umgebracht. In Jena wurde zuletzt im Juli 2016 eine Frau von ihrem Ex-Freund, einem Polizeischüler, mit einer Hantel erschlagen. Und das ist wie gesagt nur der Gipfel einer alltäglichen Gewalt, die mit Kommentaren und Blicken beginnt, die Stalking und sexuelle Übergriffe miteinschließt und auch bei Misshandlung und Vergewaltigung noch nicht aufhört.
Zum anderen fragen wir uns, warum wir als Bewegung angesichts solcher Fälle und konkret angesichts der Entführung und Ermordung einer jungen Frau und Genossin aus Leipzig durch einen ihr unbekannten Mann stumm und tatenlos bleiben. Wenn Migrant_innen von Rassisten und Linke von Neonazis und Fascho-Hooligans angegriffen und umgebracht werden, reagieren wir doch richtigerweise auch darauf. Wir wollen damit nicht kleinreden, dass es in Jena Initiativen zum Umgang mit sexueller Gewalt innerhalb der Bewegung gibt, dass es die Demos gegen die Lebensschützer*innen in Annaberg-Buchholz und zur Frauen-JVA Chemnitz gibt. Aber Mord ist ein anderes Kaliber und sollte in keinem Fall unwidersprochen hingenommen werden.
Wir hoffen, dass wir in der nächsten Zeit gemeinsam über diese Dinge diskutieren und auch handlungsfähig werden. Bis zum nächsten Heft wollen wir als einen ersten Schritt wenigstens eine Dokumentation von Fällen krasser Gewalt gegen Frauen in Jena erstellen. Bis dahin sind wir in Gedanken bei Sophia, ihrer Familie, ihren Freund*innen und ihrem politischen Umfeld.