Zusendung einer Genossin
Das hier soll ein ganz persönlicher Bericht über die Geschehnisse rund um die Outcalls aus Jena und Saalfeld, die FLINT*-Demo gegen patriarchale Gewalt am 27. September und darüber hinaus werden. Zugebenermaßen stand feministische Politik bei mir selbst nie so ganz oben auf der Liste, und umso mehr hat mich die erste Veröffentlichung aus Jena getroffen – auch wenn ja theoretisch alles ganz klar ist: Es existieren die üblichen Verhältnisse, natürlich auch unter Zecken, alle Jahre wieder knallt es mal so richtig, usw. usf.
Getroffen im Sinne von: betroffen gemacht, wütend, hilflos. Ich wollte die Betroffene gern supporten und wusste so null, wie. Dann kam die Veröffentlichung aus Saalfeld, und im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass ich Dreiviertel der Täter flüchtig kenne – diese sympathischen engagierten Antifa-Boys. In meiner mittlerweile endlos großen Wut wollte ich Freundinnen für eine Art Sammlung, Blog o.ä. gewinnen, wo wir ähnliche Vorkommnisse sammeln – ein Träumchen von einer Art Szene-MeToo. Zur Hälfte kam Zustimmung, zur Hälfte Aussagen wie „Ja, an sich schon, aber ich kann mir die Outcalls gerade nicht durchlesen; es erinnert mich zu stark an eigene Erlebnisse“. Mit diesen Antworten wurden meine Erschütterung und der Verdacht, dass mir selbst irgendwas nicht so ganz bewusst ist, immer größer. Und irgendwo zwischen diesen EMails, Gesprächen mit Freundinnen (nein, kein Sternchen) und der Demo kam mir dann zu Bewusstsein, dass es vielleicht an der Zeit wäre, selbst noch einmal so einige Erlebnisse mit dem starken Geschlecht, haha, zu durchleuchten und neu einzuordnen.
Der Demo stand ich erst so mittelerwartungsvoll gegenüber – ehrlich gesagt war es fast die erste FLINT*-Veranstaltung meines Lebens –, aber schon der erste Redebeitrag kam in meine persönliche Kategorie „Krasseste Redebeiträge, die ich je auf Demos gehört hab“. Die geschilderten Erlebnisse, die Beleidigungen, die Zweifel an sich und dem eigenen Körper, und das Ganze – wobei die Rednerin zum Teil mit den Tränen gekämpft hat – über den Holzmarkt mit seinen Eis essenden und schlendernden Leuten geschleudert, diese menschliche Stärke hat mich wahnsinnig beeindruckt. Genau wie dann später noch einige andere Redebeiträge. Und gleichzeitig waren da und die ganze weitere Demo über Freundinnen, die das dort endlich mal laut Gesagte nicht gut hören konnten, die um die Ecke gegangen sind, die die Tränen runtergeschluckt haben oder auch nicht, und eigentlich war es das, was mich noch viel mehr getroffen hat.
Am meisten beeindruckt und vielleicht auch ein bisschen verstört hat mich, wie anders als sonst diese Demo abgelaufen ist, wie offen gesprochen wurde, wie aufmerksam zugehört wurde. Verstört, weil ich immer noch nicht so ganz begriffen habe, ob es am Thema lag, daran, WIE zugehört wurde, oder eben doch daran, dass unter boys eben vieles doch so ganz anders ist, wie ich es selbst eigentlich nicht wahrhaben will.
Mittlerweile sind einige Wochen ins Land gegangen und zugegebenermaßen ist das Thema in meinem eigenen Kopf auch wieder etwas in den Hintergrund geraten. Nachdem ich auch unter befreundeten Männern zunächst viel Betroffenheit und Offenheit gegenüber dem Thema und der Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle (und bei anderen eine gewisse Abwehr) gesehen hab, muss ich sagen, dass ich mittlerweile davon fast gar nichts mehr wahrnehme, dass das Thema kaum von selbst angesprochen wird, keiner von denen, die mir nahestehen, an Treffen der antipatriarchalen Vernetzung teilnimmt und ich auch von keinem weiß, der eigene, andere, persönliche Wege eingeschlagen hat oder jedenfalls darüber spricht (wobei Letzteres natürlich der ausschlaggebende Punkt sein könnte, ich will ja gar nicht lauter Leute in die Pfanne hauen…). Und es gibt wenige Fälle, wo ich den Eindruck habe, dass Menschen verstärkt versuchen, sich zu öffnen, und die machen mir Freude und Mut und schaffen Verbundenheit und Nähe – aber es sind eher Ausnahmen, wobei das natürlich nur mein rein persönlicher Eindruck aus meinem Umfeld ist.
Ich bin der Meinung, es geht einerseits um strukturelle Veränderungen, bspw. die Schaffung von Awareness-Strukturen, Ansprech-„Institutionen“ u.ä. in unseren Zusammenhängen und anderseits um die kleinen oder großen persönlichen Auseinandersetzungen und Veränderungen, das berühmte Sich-Öffnen, mit anderen (diesmal mit Sternchen) reden, Vergangenes und Gegenwärtiges reflektieren usw. Zumindest im letzteren Fall also Dinge, die man theoretisch heute Nachmittag schon beginnen könnte – rein praktisch scheint mir noch nicht mal bei allen darüber ein Bewusstsein zu bestehen, dass es auf beides ankommt. Und so langsam macht sich in mir ein Gefühl der Enttäuschung breit oder eine Angst, dass es am Ende doch an vielen, gerade den persönlichen Stellen bleibt wie es ist – bis zur nächsten großen Betroffenheit.
Fazit: Ich kenne offensichtlich keine einzige Frau, die nicht irgendeine Form von sexuellen Übergriffen erlebt hat. Dennoch war mir das bis zu den Outcalls und allem, was folgte, so nicht bewusst. Alle Männer, denen ich das erzählt habe, haben auf eine Weise reagiert, die deutlich gemacht hat, dass ihnen diese Realität noch weniger bewusst ist. An konkreten Schritten, die sich daraus in meinem persönlichen Umfeld ableiten, ist – soweit mir bekannt – bisher herausgekommen: 1. ein Versuch, die eigene Politstruktur etwas umzupolen, 2. ungefähr drei meiner Freunde kommunizieren gefühlt etwas offener als vorher über ihren persönlichen Kram, auch ihre Liebes- und Freundschaftsbeziehungen.
Und ich selbst? Konzentriere mich – nicht nur wegen der Outcalls und der Folgen, auch aus anderen Gründen, aber auch wegen ihnen und den Dingen, die mir dadurch verschärft bewusst geworden sind – so im Persönlichen grade tatsächlich mehr auf die Beziehungen zu Freundinnen bzw. Frauen als früher. Bei Organisierung bzw. Konsequenzen „in Politgruppenzusammenhängen“ bringe ich mich zur Zeit nahezu null ein. Ersteres fühlt sich auf eine Art sehr gut und nah an, aber eigentlich ist diese Art des Umgangs mit dem ganzen Thema und vor allem zwischen uns allen nicht mein Traum.
Der allseits zu beobachtende männliche Unwillen zur Emanzipation stößt mir auf, verschärft die Rollenbilder in meinem Kopf, wird gelegentlich zu Verachtung – und eigentlich–eigentlich kotzt mich das richtig an. So will ich der Hälfte der Menschheit – ob politisch verbundene Leute oder Freunde oder beides – nicht gegenübertreten. Aber ich werde zunehmend ungeduldig dabei, ewig die gleichen Dinge zu diskutieren, ewig unter den Hartpolitniks die Sozialrunden anzuschieben und das Verhalten von nicht mehr ganz jungen Leuten zwischen 25 und 45 immer auf die ach so dramatische Sozialisation zurückzuführen – und zu warten.