Diese Chatgruppe hat § 129 Mitglieder

Zusendung von Hana zur Nutzung von Sozialen Medien, Smartphones und Messengern im linken Aktivismus

Das linke Server-Kollektiv Nadir.org titelte in einem Aufruf im Jahr 2012 “Plötzlich plappern Anna und Arthur”. Mit ihrem Titel bezogen sie sich auf die klassische Parole der Roten Hilfe, Anna und Arthur halten‘s Maul, die zur Aussageverweigerung in Ermittlungsverfahren aufruft. In ihrem Text kritisieren die Aktivis­t*innen, dass trotz der von ihnen und anderen Kollektiven zur Verfü­gung gestellten autonomen und dezentralen Tech-Infrastruktur immer mehr Linke über Facebook kommunizieren und sich dort vernetzen. Ihre Kritik bezieht sich dabei auf die umfassende Überwa­chung und Auswertung der Kom­mu­nikation, der auch Linke durch ihre Facebook-Nutzung freiwillig zuarbeiten. Ihr zweiter Punkt ist die fehlende Kritik der politischen Ökonomie Facebooks, das als Kon­zern auf eine bis dato unge­kannt sanfte Art unsere Leben in Form von Daten ausbeutet und uns die­selben Produkte im Gegen­zug zum Konsum anbietet. Der Text schließt u.a. mit dem Aufruf: “Wir fordern mit allem Nachdruck alle auf: Schließt Eure Facebook-Ac­counts! Ihr gefährdet andere! Verhaltet Euch zu diesem Daten­monster!”

Nadir.org hatte noch vor dem Entstehen von de.indymedia.org autonome Nachrichtensysteme entwickelt und verschlüsselte E-Mail-Listen angeboten, alles unkom­merziell und als integraler Bestandteil emanzipatorischer Infrastruktur. Das alles erscheint im Jahr 2020 ungeheuer weit weg und der Aufruf von 2012 klingt ver­zweifelt. Abgesehen von riseup.net, das sich weltweit für Aktivist*innen als unabhängige Struktur für E-Mails und Foren etabliert hat, haben sich Facebook, Twitter und Telegram als maßgebliche Platt­formen zur Information und Ver­netzung durchgesetzt. Und Smart­phones sind als dafür genutzte Endgeräte zur Regel geworden. Nun gilt auch hier, dass diese Entwicklung sehr wider­sprüch­lich ist und eine Fülle an Potentialen und Problemen gleichzeitig mit sich bringt. Der Auf­ruf von Nadir.org soll hier jedoch nicht nur als wichtiger bewegungshistorischer Moment herangezogen werden, sondern auch, weil er in seiner Kürze zwei zentrale Kritikpunkte anspricht, die sich genauso auf die Nachfolge-Plattformen von Facebook anwen­den lassen. An dieser Stelle soll das Hauptaugenmerk auf den Sicher­heits­aspekt gelegt werden. Eine Diskussion um die ökonomische Analyse der sozialen Medien sollte an anderer Stelle auch ihren Raum kriegen.

Aus den Fehlern der Nazis gelernt?

Es gab in den vergangenen Jahren mehrere Terrorverfahren gegen Nazigruppen, in denen sich die Anklagen hauptsächlich auf deren Messenger-Nutzung stützten, darunter die Gruppe Freital, Old­school Society, Revolution Chem­nitz und die Gruppe S. Bei Letzterer steht ein Prozess noch aus, von den anderen drei Gruppen wurde der Großteil der Mitglieder bereits nach § 129a StGB (Bildung einer terro­ristischen Vereinigung) verurteilt.

Die Gruppe Freital entstand aus der Neonazi-Gruppe Bürgerwehr FTL / 360, die sich im Rahmen der ras­sis­tischen Mobilisierungen 2015 als zunächst noch offen auf­tre­tende Gruppe gegründet hatte. Die Mit­glieder griffen antirassistische Akti­vist*innen an, begangen Mord­an­schlä­ge auf Geflüchtete und An­schläge mit Sprengstoff, Steinen und Buttersäure auf ein linkes Dresdener Hausprojekt. Für ihre Taten trafen sie sich an der örtli­chen Tankstelle, banden für Hilfs­arbeiten Nachbar*innen und Freund*­innen ein und trafen Ab­spra­chen zu den Anschlägen in einem verschlüsselten Chat. Weil jemand den Behörden seinen eige­nen Zugang zu der Chatgruppe zur Verfügung stellte, konnte die Polizei mitlesen und Beweismittel sam­meln.

Die Oldschool-Society war eine Gruppe von Nazis aus mehreren Bundesländern, die Anschläge auf verschiedene Ziele geplant hatten, von denen laut Anklage einer auf eine Geflüchtetenunterkunft in Bor­na unmittelbar bevorgestanden habe. Die Gruppe hatte zudem bei einem Helfer mehrere Hundert Kilo Sprengstoff in Auftrag gegeben. Das Bundeskriminalamt hatte die Kommunikation in einer ver­schlüsselten Telegram-Gruppe mit einem einfachen Trick verfolgt: Mit der Nummer eines der Beschul­digten wurde auf einem BKA-Gerät ein neuer Telegram-Account ein­gerichtet. Die obligatorische SMS mit dem Bestätigungscode wurde einfach abgefangen, was mithilfe eines richterlichen Beschlusses zur Telekommunikationsüberwachung gemacht werden konnte. Von da an las das BKA mit, bis genügend kon­krete Äußerungen gefallen waren, die eine Einstufung als terroristisch zuließen und die Existenz einer darauf gerichteten Gruppenstruktur belegten.

Revolution Chemnitz hatte sich in Reaktion auf die rechten Krawalle in Chemnitz Ende August 2018 gegründet und hatte geplant, zum 3. Oktober Anschläge zu begehen. Für diesen Zweck wurde eine Tele­gram-Gruppe gegründet, in der sich explizit über diese Pläne aus­getauscht wurde. Als mehrere der Beteiligten im September infolge eines rassistischen Übergriffs verhaftet wurden, fielen der Polizei Handys in die Hände, auf denen die Chatverläufe nachzuvollziehen waren.

Die Gruppe S. gründete sich aus Neonazi-Facebookgruppen heraus und verlagerte ihre Kommunikation in mehrere Telegram-Gruppen. Es wurde gleichzeitig auch in Telefo­na­ten offen gesprochen. Ein Chat­mitglied wandte sich selbständig an die Behörden, nachdem schon konkret über Waffen gesprochen, Sprengstoff beschafft und An­schlags­ziele thematisiert worden waren. Somit konnten Überwa­chungs­maßnahmen eingeleitet und Chatverläufe sowie -mitglieder eingesehen werden.

Diese Ermittlungsverfahren veran­schau­lichen neben der aktuell immensen Bedrohung durch rech­ten Terror auch, welche Einfallstore für Repression es bei der Nutzung von Messengern wie Telegram gibt: Mit wem kommuniziere ich eigent­lich? Wie gehen meine Chat­part­ner*innen mit ihren Handys um? Wann werden welche Chatverläufe gelöscht und wie sicher ist diese Löschung? Wie leicht wäre es für Behörden, sich lautlos meinen Account selber einzurichten? Und wie leicht kann aus einer Chatgrup­pe juristisch eine kriminelle oder terroristische Vereinigung werden?

Handys der Linken im Fokus der Behörden

Im Januar 2015 kam es in Leipzig zu einer wütenden Spontandemo, nachdem irrtümlich davon aus­ge­gangen war, dass ein Geflüchteter in Dresden von Nazis ermordet wor­den wäre. Im Verlauf der Demo kam es zu verschiedenen Angriffen gegen öffentliche Gebäude. Als die Polizei anrückte und einen Teil der Demo einkesselte, folgte eine resolute Maßnahme: Es wurden alle Handys und Laptops beschlag­nahmt. Aus Sicht der Repres­sions­behörden war das äußerst clever: Die Chancen waren groß, dadurch Aufrufe in Chatverläufen zu sichern und somit nicht nur Rädels­führer*­innen dieses schweren Landfrie­dens­bruchs zu identifizieren, son­dern auch Kommunikationsstruk­turen der Leipziger Szene zu durch­leuchten und sich selber langfristig in Chatgruppen einzu­klinken. Die einzig sinnvolle Reak­tion auf diese Beschlagnah­mungs­orgie hätte sein müssen: Alle beschlagnahmten Geräte fliegen nach der Rückgabe auf den Schrott, alle irgendwie gefährdeten Chat­gruppen werden gelöscht, alle nicht eingekesselten Mitglieder ent­spre­chender Gruppen treten aus den Gruppen aus und alle irgendwie Betroffenen legen sich neue Num­mern zu. Und danach hätten in allen Zusammenhängen, Bezugs­gruppen, Infoläden, Wohnprojekten usw. physische Treffen stattfinden müssen, in denen diskutiert und entschieden wird:

Wie wollen wir zukünftig kom­mu­nizieren, welche Kanäle eignen sich für welche Art der Kommunikation? In welchen Zusammenhängen haben Laptops und Handys nichts zu suchen und wie stellen wir sicher, dass sich möglichst viele, von deren Verhalten wir auch betroffen sind, daran halten?

In Jena gab es seit 2015 zahlreiche Nazi­auf­märsche und Gegen­ak­tio­nen, bei denen Dutzende Men­schen im Polizeigewahrsam gelandet sind. Auch hier wurden Han­dys beschlagnahmt. Was hat das innerhalb der Szene für Kon­sequenzen gehabt? Wurden alle potentiell Betroffenen von den Ingewahrsamgenommenen darüber informiert, dass das betreffende Handy beschlagnahmt wurde? Gab es überhaupt Konsequenzen? Wenn die Jenaer Polizei smart genug war, dann hat sie in den letzten Jahren systematisch alle Handys von in Gewahrsam genommenen linken Aktivist*innen probiert aus­zu­wer­ten, hat sich notiert, welche Grup­pen existieren, wer in den Gruppen Mitglied ist und wer dort was schreibt.

Als in Saalfeld ein Verfahren nach § 129 StGB wegen Bildung einer kri­mi­nellen Vereinigung gegen Anti­faschist*innen geführt wurde, ließ der verantwortliche Staatsanwalt Zschächner die Handys von Leuten beschlagnahmen, die er bloß als Zeug*innen vorgeladen hatte. Auf den Handys erhoffte er sich weitere Hinweise über die Strukturen der Antifa-Szene. Wer ohne Handy zur Vorladung erschien, bekam zeit­gleich in Abwesenheit Hausbesuch von der Polizei. Ein solches Ver­fah­ren dient meistens dazu, dauerhaft linke Strukturen auszuleuchten. Sobald die Staatsanwaltschaft Er­mitt­lungen nach § 129 einleitet, kriegen die Polizeibehörden umfas­sende Befugnisse zur Überwachung von Beschuldigten und Zeug*innen. Wenn also in den Jenaer Fällen bereits Daten über Chatgruppen und -mitglieder gesammelt worden waren und bis dahin nicht schon illegal mitgeschnitten wurde, dürfte spätestens mit den 129er-Befug­nis­sen auch die Jenaer Kriminalpolizei (Staatsschutzabteilung) nichts un­ver­sucht gelassen haben, um tie­fere Einblicke in die lokale Messen­ger-Kommunikation zu bekommen. Auch hier wieder die Frage: Gab es irgendwelche Konsequenzen für die innerlinke Kommunikation aus dem Saalfelder 129er-Verfahren, das die gesamte Szene in Mittel-/Ost­thürin­gen betroffen haben dürfte?

In Jena gab es laut Medien­berich­ten im Oktober mehrere Spontan­demos mit Pyrotechnik und umge­falle­nen Straßenschildern. Umge­fal­lene Straßenschilder können schnell eine Sachbeschädigung sein. Sachbeschädigungen aus einer Gruppe von mindestens 15 Personen heraus sind schnell ein Land­friedensbruch. Hat eine betei­ligte Person dann auch noch ein Taschenmesser oder ein Pfeffer­spray dabei, ist es ein schwerer Landfriedensbruch und es gibt Stra­fen von mindestens sechs Mo­na­ten bis zu zehn Jahren Haft; Geldstrafen sind ausgeschlossen. Auch wenn ich selber überhaupt nicht per Messenger über diese Sponti kom­muniziert haben sollte, kann ich mir nicht sicher sein, wie andere das halten. Und auch wenn ich per Messenger in verschlüsselten Gruppen dazu aufgerufen haben sollte, aber ohne Handy auf die Sponti gehe, weiß ich nicht, wie das alle anderen halten. Ich weiß auch nicht, ob alle anderen verschlüs­sel­te Handys haben, ob sie Nach­richten automatisch oder per Hand löschen oder ob sie in der Vor- oder Nachbereitung einer Sponti im ver­meintlich sicheren Chat vielleicht doch den ein oder anderen Namen fallen lassen. Ich weiß auch nicht, ob von den anderen jemand viel­leicht häufiger illegalisierte Subs­tan­zen konsumiert oder vertickt, dabei unvorsichtiger ist als im politischen Aktivismus und ent­we­der dabei unfreiwillig ein Handy an die Bullen verliert oder unter Strafandrohungen einknickt und doch mal was blicken lässt. Die Person selber wird begrenzt Belas­tendes wiedergeben können, ihr Handy und die darauf genutzten Diens­te sind hingegen des Vergessens unverdächtig.

Kommunikation über Kommu­ni­kation

Es gibt viele Vorteile, die der technische Fortschritt bietet. Si­cher­lich fließen Infos viel schnel­ler, sind Zugänge für Unorgani­sierte teilweise niedrigschwelliger oder für bestimmte Menschen auch barrierefreier als in der Variante auf Papier oder in physischen Treffen. Und es geht auch nicht nur um Handys. Wer nur über Compu­ter/ Lap­top kommuniziert kann je nach Handhabung ein genauso großes Sicherheitsrisiko darstellen. Es gibt aber eben auch viele Gefah­ren und Unsicherheiten, die von der Beteiligung abhalten und ab­schrec­ken, wenn bei allen Aktionen unvermeidbar Handykommuni­ka­tion oder gar -dokumentation zum Einsatz kommen. Damit ist noch nichts darüber gesagt, welche die­ser Kommunikationsvarianten die Bessere ist.

Es sollte in möglichst vielen Ein­zelfällen, dezentral und in kleinen Zusammenhängen darüber gespro­chen werden, was sich am besten eignet und warum. Und auch darü­ber, wo die Gefahren liegen und was dringlichst vermieden werden sollte. Die Stille, die diesbezüglich herrscht, wenn gleichzeitig lange be­kannt ist, mit welchen Mitteln Polizei und Staatsanwaltschaft ge­gen Aktivist*innen in Jena und Saal­feld vorgehen, zeugt leider vom Gegenteil und spricht die Sprache einer fundamentalen Verun­si­che­rung, der schleunigst begegnet wer­den sollte.