Zusendung von Hana zur Nutzung von Sozialen Medien, Smartphones und Messengern im linken Aktivismus
Das linke Server-Kollektiv Nadir.org titelte in einem Aufruf im Jahr 2012 “Plötzlich plappern Anna und Arthur”. Mit ihrem Titel bezogen sie sich auf die klassische Parole der Roten Hilfe, Anna und Arthur halten‘s Maul, die zur Aussageverweigerung in Ermittlungsverfahren aufruft. In ihrem Text kritisieren die Aktivist*innen, dass trotz der von ihnen und anderen Kollektiven zur Verfügung gestellten autonomen und dezentralen Tech-Infrastruktur immer mehr Linke über Facebook kommunizieren und sich dort vernetzen. Ihre Kritik bezieht sich dabei auf die umfassende Überwachung und Auswertung der Kommunikation, der auch Linke durch ihre Facebook-Nutzung freiwillig zuarbeiten. Ihr zweiter Punkt ist die fehlende Kritik der politischen Ökonomie Facebooks, das als Konzern auf eine bis dato ungekannt sanfte Art unsere Leben in Form von Daten ausbeutet und uns dieselben Produkte im Gegenzug zum Konsum anbietet. Der Text schließt u.a. mit dem Aufruf: “Wir fordern mit allem Nachdruck alle auf: Schließt Eure Facebook-Accounts! Ihr gefährdet andere! Verhaltet Euch zu diesem Datenmonster!”
Nadir.org hatte noch vor dem Entstehen von de.indymedia.org autonome Nachrichtensysteme entwickelt und verschlüsselte E-Mail-Listen angeboten, alles unkommerziell und als integraler Bestandteil emanzipatorischer Infrastruktur. Das alles erscheint im Jahr 2020 ungeheuer weit weg und der Aufruf von 2012 klingt verzweifelt. Abgesehen von riseup.net, das sich weltweit für Aktivist*innen als unabhängige Struktur für E-Mails und Foren etabliert hat, haben sich Facebook, Twitter und Telegram als maßgebliche Plattformen zur Information und Vernetzung durchgesetzt. Und Smartphones sind als dafür genutzte Endgeräte zur Regel geworden. Nun gilt auch hier, dass diese Entwicklung sehr widersprüchlich ist und eine Fülle an Potentialen und Problemen gleichzeitig mit sich bringt. Der Aufruf von Nadir.org soll hier jedoch nicht nur als wichtiger bewegungshistorischer Moment herangezogen werden, sondern auch, weil er in seiner Kürze zwei zentrale Kritikpunkte anspricht, die sich genauso auf die Nachfolge-Plattformen von Facebook anwenden lassen. An dieser Stelle soll das Hauptaugenmerk auf den Sicherheitsaspekt gelegt werden. Eine Diskussion um die ökonomische Analyse der sozialen Medien sollte an anderer Stelle auch ihren Raum kriegen.
Aus den Fehlern der Nazis gelernt?
Es gab in den vergangenen Jahren mehrere Terrorverfahren gegen Nazigruppen, in denen sich die Anklagen hauptsächlich auf deren Messenger-Nutzung stützten, darunter die Gruppe Freital, Oldschool Society, Revolution Chemnitz und die Gruppe S. Bei Letzterer steht ein Prozess noch aus, von den anderen drei Gruppen wurde der Großteil der Mitglieder bereits nach § 129a StGB (Bildung einer terroristischen Vereinigung) verurteilt.
Die Gruppe Freital entstand aus der Neonazi-Gruppe Bürgerwehr FTL / 360, die sich im Rahmen der rassistischen Mobilisierungen 2015 als zunächst noch offen auftretende Gruppe gegründet hatte. Die Mitglieder griffen antirassistische Aktivist*innen an, begangen Mordanschläge auf Geflüchtete und Anschläge mit Sprengstoff, Steinen und Buttersäure auf ein linkes Dresdener Hausprojekt. Für ihre Taten trafen sie sich an der örtlichen Tankstelle, banden für Hilfsarbeiten Nachbar*innen und Freund*innen ein und trafen Absprachen zu den Anschlägen in einem verschlüsselten Chat. Weil jemand den Behörden seinen eigenen Zugang zu der Chatgruppe zur Verfügung stellte, konnte die Polizei mitlesen und Beweismittel sammeln.
Die Oldschool-Society war eine Gruppe von Nazis aus mehreren Bundesländern, die Anschläge auf verschiedene Ziele geplant hatten, von denen laut Anklage einer auf eine Geflüchtetenunterkunft in Borna unmittelbar bevorgestanden habe. Die Gruppe hatte zudem bei einem Helfer mehrere Hundert Kilo Sprengstoff in Auftrag gegeben. Das Bundeskriminalamt hatte die Kommunikation in einer verschlüsselten Telegram-Gruppe mit einem einfachen Trick verfolgt: Mit der Nummer eines der Beschuldigten wurde auf einem BKA-Gerät ein neuer Telegram-Account eingerichtet. Die obligatorische SMS mit dem Bestätigungscode wurde einfach abgefangen, was mithilfe eines richterlichen Beschlusses zur Telekommunikationsüberwachung gemacht werden konnte. Von da an las das BKA mit, bis genügend konkrete Äußerungen gefallen waren, die eine Einstufung als terroristisch zuließen und die Existenz einer darauf gerichteten Gruppenstruktur belegten.
Revolution Chemnitz hatte sich in Reaktion auf die rechten Krawalle in Chemnitz Ende August 2018 gegründet und hatte geplant, zum 3. Oktober Anschläge zu begehen. Für diesen Zweck wurde eine Telegram-Gruppe gegründet, in der sich explizit über diese Pläne ausgetauscht wurde. Als mehrere der Beteiligten im September infolge eines rassistischen Übergriffs verhaftet wurden, fielen der Polizei Handys in die Hände, auf denen die Chatverläufe nachzuvollziehen waren.
Die Gruppe S. gründete sich aus Neonazi-Facebookgruppen heraus und verlagerte ihre Kommunikation in mehrere Telegram-Gruppen. Es wurde gleichzeitig auch in Telefonaten offen gesprochen. Ein Chatmitglied wandte sich selbständig an die Behörden, nachdem schon konkret über Waffen gesprochen, Sprengstoff beschafft und Anschlagsziele thematisiert worden waren. Somit konnten Überwachungsmaßnahmen eingeleitet und Chatverläufe sowie -mitglieder eingesehen werden.
Diese Ermittlungsverfahren veranschaulichen neben der aktuell immensen Bedrohung durch rechten Terror auch, welche Einfallstore für Repression es bei der Nutzung von Messengern wie Telegram gibt: Mit wem kommuniziere ich eigentlich? Wie gehen meine Chatpartner*innen mit ihren Handys um? Wann werden welche Chatverläufe gelöscht und wie sicher ist diese Löschung? Wie leicht wäre es für Behörden, sich lautlos meinen Account selber einzurichten? Und wie leicht kann aus einer Chatgruppe juristisch eine kriminelle oder terroristische Vereinigung werden?
Handys der Linken im Fokus der Behörden
Im Januar 2015 kam es in Leipzig zu einer wütenden Spontandemo, nachdem irrtümlich davon ausgegangen war, dass ein Geflüchteter in Dresden von Nazis ermordet worden wäre. Im Verlauf der Demo kam es zu verschiedenen Angriffen gegen öffentliche Gebäude. Als die Polizei anrückte und einen Teil der Demo einkesselte, folgte eine resolute Maßnahme: Es wurden alle Handys und Laptops beschlagnahmt. Aus Sicht der Repressionsbehörden war das äußerst clever: Die Chancen waren groß, dadurch Aufrufe in Chatverläufen zu sichern und somit nicht nur Rädelsführer*innen dieses schweren Landfriedensbruchs zu identifizieren, sondern auch Kommunikationsstrukturen der Leipziger Szene zu durchleuchten und sich selber langfristig in Chatgruppen einzuklinken. Die einzig sinnvolle Reaktion auf diese Beschlagnahmungsorgie hätte sein müssen: Alle beschlagnahmten Geräte fliegen nach der Rückgabe auf den Schrott, alle irgendwie gefährdeten Chatgruppen werden gelöscht, alle nicht eingekesselten Mitglieder entsprechender Gruppen treten aus den Gruppen aus und alle irgendwie Betroffenen legen sich neue Nummern zu. Und danach hätten in allen Zusammenhängen, Bezugsgruppen, Infoläden, Wohnprojekten usw. physische Treffen stattfinden müssen, in denen diskutiert und entschieden wird:
Wie wollen wir zukünftig kommunizieren, welche Kanäle eignen sich für welche Art der Kommunikation? In welchen Zusammenhängen haben Laptops und Handys nichts zu suchen und wie stellen wir sicher, dass sich möglichst viele, von deren Verhalten wir auch betroffen sind, daran halten?
In Jena gab es seit 2015 zahlreiche Naziaufmärsche und Gegenaktionen, bei denen Dutzende Menschen im Polizeigewahrsam gelandet sind. Auch hier wurden Handys beschlagnahmt. Was hat das innerhalb der Szene für Konsequenzen gehabt? Wurden alle potentiell Betroffenen von den Ingewahrsamgenommenen darüber informiert, dass das betreffende Handy beschlagnahmt wurde? Gab es überhaupt Konsequenzen? Wenn die Jenaer Polizei smart genug war, dann hat sie in den letzten Jahren systematisch alle Handys von in Gewahrsam genommenen linken Aktivist*innen probiert auszuwerten, hat sich notiert, welche Gruppen existieren, wer in den Gruppen Mitglied ist und wer dort was schreibt.
Als in Saalfeld ein Verfahren nach § 129 StGB wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Antifaschist*innen geführt wurde, ließ der verantwortliche Staatsanwalt Zschächner die Handys von Leuten beschlagnahmen, die er bloß als Zeug*innen vorgeladen hatte. Auf den Handys erhoffte er sich weitere Hinweise über die Strukturen der Antifa-Szene. Wer ohne Handy zur Vorladung erschien, bekam zeitgleich in Abwesenheit Hausbesuch von der Polizei. Ein solches Verfahren dient meistens dazu, dauerhaft linke Strukturen auszuleuchten. Sobald die Staatsanwaltschaft Ermittlungen nach § 129 einleitet, kriegen die Polizeibehörden umfassende Befugnisse zur Überwachung von Beschuldigten und Zeug*innen. Wenn also in den Jenaer Fällen bereits Daten über Chatgruppen und -mitglieder gesammelt worden waren und bis dahin nicht schon illegal mitgeschnitten wurde, dürfte spätestens mit den 129er-Befugnissen auch die Jenaer Kriminalpolizei (Staatsschutzabteilung) nichts unversucht gelassen haben, um tiefere Einblicke in die lokale Messenger-Kommunikation zu bekommen. Auch hier wieder die Frage: Gab es irgendwelche Konsequenzen für die innerlinke Kommunikation aus dem Saalfelder 129er-Verfahren, das die gesamte Szene in Mittel-/Ostthüringen betroffen haben dürfte?
In Jena gab es laut Medienberichten im Oktober mehrere Spontandemos mit Pyrotechnik und umgefallenen Straßenschildern. Umgefallene Straßenschilder können schnell eine Sachbeschädigung sein. Sachbeschädigungen aus einer Gruppe von mindestens 15 Personen heraus sind schnell ein Landfriedensbruch. Hat eine beteiligte Person dann auch noch ein Taschenmesser oder ein Pfefferspray dabei, ist es ein schwerer Landfriedensbruch und es gibt Strafen von mindestens sechs Monaten bis zu zehn Jahren Haft; Geldstrafen sind ausgeschlossen. Auch wenn ich selber überhaupt nicht per Messenger über diese Sponti kommuniziert haben sollte, kann ich mir nicht sicher sein, wie andere das halten. Und auch wenn ich per Messenger in verschlüsselten Gruppen dazu aufgerufen haben sollte, aber ohne Handy auf die Sponti gehe, weiß ich nicht, wie das alle anderen halten. Ich weiß auch nicht, ob alle anderen verschlüsselte Handys haben, ob sie Nachrichten automatisch oder per Hand löschen oder ob sie in der Vor- oder Nachbereitung einer Sponti im vermeintlich sicheren Chat vielleicht doch den ein oder anderen Namen fallen lassen. Ich weiß auch nicht, ob von den anderen jemand vielleicht häufiger illegalisierte Substanzen konsumiert oder vertickt, dabei unvorsichtiger ist als im politischen Aktivismus und entweder dabei unfreiwillig ein Handy an die Bullen verliert oder unter Strafandrohungen einknickt und doch mal was blicken lässt. Die Person selber wird begrenzt Belastendes wiedergeben können, ihr Handy und die darauf genutzten Dienste sind hingegen des Vergessens unverdächtig.
Kommunikation über Kommunikation
Es gibt viele Vorteile, die der technische Fortschritt bietet. Sicherlich fließen Infos viel schneller, sind Zugänge für Unorganisierte teilweise niedrigschwelliger oder für bestimmte Menschen auch barrierefreier als in der Variante auf Papier oder in physischen Treffen. Und es geht auch nicht nur um Handys. Wer nur über Computer/ Laptop kommuniziert kann je nach Handhabung ein genauso großes Sicherheitsrisiko darstellen. Es gibt aber eben auch viele Gefahren und Unsicherheiten, die von der Beteiligung abhalten und abschrecken, wenn bei allen Aktionen unvermeidbar Handykommunikation oder gar -dokumentation zum Einsatz kommen. Damit ist noch nichts darüber gesagt, welche dieser Kommunikationsvarianten die Bessere ist.
Es sollte in möglichst vielen Einzelfällen, dezentral und in kleinen Zusammenhängen darüber gesprochen werden, was sich am besten eignet und warum. Und auch darüber, wo die Gefahren liegen und was dringlichst vermieden werden sollte. Die Stille, die diesbezüglich herrscht, wenn gleichzeitig lange bekannt ist, mit welchen Mitteln Polizei und Staatsanwaltschaft gegen Aktivist*innen in Jena und Saalfeld vorgehen, zeugt leider vom Gegenteil und spricht die Sprache einer fundamentalen Verunsicherung, der schleunigst begegnet werden sollte.