von Louise
Solidarität und Feminismus – zwei Schlagworte in unserer Bewegung und unseres angestrebten Miteinanders. Für mich gehören diese beiden Werte untrennbar zusammen. Sie funktionieren nur gemeinsam und verlieren ohne den jeweils anderen ihre Bedeutung. Umso mehr verwundert und verärgert mich allzu oft der Umgang unter Genossen in Bezug auf ihre patriarchalen Verhaltensweisen.
Was verstehen wir eigentlich unter genossenschaftlichen Beziehungen? Für mich sind diese Beziehungen langfristig, tiefgreifend und solidarisch. Sie beruhen auf der Grundlage eines gemeinsamen Kampfes und nehmen durch eben diesen Gestalt an. Sie unterscheiden sich von Zweckzusammenschlüssen und voller Besitzansprüchen triefenden individualistischen Beziehungen. Sie sind ehrlich und wertschätzend, kritisch und warmherzig. In diesen Beziehungen erkennen wir einander an und wissen darum, dass wir durch unseren gemeinsamen Kampf auch füreinander kämpfen. Genossenschaftlichkeit sollte frei von Konkurrenz und Abwertung sein.
Kritik ist Teil einer emanzipatorischen Praxis. Sich gegenseitig und selbst zu kritisieren, erfordert Vertrauen, den Willen, durch das System anerzogene Verhaltensweisen abzulegen und gemeinsam zu arbeiten. Kritik sollte weder herabwürdigend, noch als Angriff aufgenommen werden. Sie sollte diesem Anspruch – gemeinsam an unseren Haltungen und Handlungen zu arbeiten – gerecht werden. Doch viel zu oft entsprechen wir dem nicht. Wir misstrauen uns, glauben nicht an die Radikalität unserer Genoss*innen und zweifeln an ihrer Praxis.
Und somit komme ich zum eigentlichen Punkt: Es brennt mir in der Seele, dass meine Genossinnen und Freundinnen vergewaltigt, missbraucht, gedemütigt, ausgenutzt und abgewertet werden. Ich weine und hasse mit ihnen und wünsche mir jedes Mal aufs Neue, dabei handlungsfähiger zu sein. Jeder neue Fall bringt mein Vertrauen in meine Genossen erneut ins Wanken und erinnert mich daran, dass auch ich in jedem Moment davon betroffen sein kann. Es lässt mich meine Position als Frau in der Szene hinterfragen – jedes verdammte Mal. Gleichzeitig bin ich unendlich dankbar für diese mutigen Frauen*, die ihre Erlebnisse erzählen und Täter endlich benennen. Das gibt mir Kraft und Hoffnung.
Diese Hoffnung wird jedoch von den männlichen Genossen in unseren Sphären immer wieder getrübt. Während die einen Täterschutz betreiben, wollen die anderen jeden Typen der Szene (bis auf sich selbst natürlich) aufgrund von sexistischen Verhaltensweisen ausgrenzen. Und ganz ehrlich, würden wir diesen Anspruch konsequent verfolgen, dürfte sich kein cis-Mann mehr in dieser Szene bewegen. Denn wir alle sind in einer patriarchalen und sexistischen Gesellschaft sozialisiert worden. Es kommt aber darauf an, dies zum einen anzuerkennen und zum anderen zu verändern. Doch statt eine solidarische gemeinsame Weiterentwicklung voranzutreiben, gibt es ein Gegeneinander und Abstoßen von Genoss*innen. Mit was für einem Ziel? Eine Kritik an einer Person ist eine Kritik am System. Wir wollen das System zerschlagen, nicht aber die Person. Wir sind als Szene dafür verantwortlich, an Wegen zu arbeiten, einen emanzipatorischen und genossenschaftlichen Umgang miteinander aufzubauen und zu stärken. Wenn wir Personen ausgrenzen, dann ist das keine Lösung des Problems. Es ist eine Verdrängung, wie sie für unsere Gesellschaft so typisch ist.
Ich möchte nochmal explizit betonen, dass ich nicht möchte, dass ihr euch als cis-Männer miteinander, statt mit Betroffenen von euren Handlungen und Verhaltensmustern solidarisiert. Zunächst gilt die Solidarität stets allen Betroffenen! Und es gibt Grenzen, die, werden sie überschritten, kein Zurück mehr zulassen. Aber solange es im Sinne der Betroffenen ist, sollte ein Ausschluss nicht das erste Mittel der Wahl sein. Es bringt uns nicht weiter, wenn ihr stets nur die anderen verurteilt, ohne dabei euch selbst zu reflektieren und eure dominante Männlichkeit zu bekämpfen.
Würdet ihr alle so viel Kraft dafür aufwenden, euch ehrlich und kritisch mit euren eigenen Verhaltensweisen auseinanderzusetzen, statt als über „noch schlimmer als ich“-markierte Männer abzuhaten, wäre uns allen geholfen. Ich kann es nicht mehr hören. Ich will nicht mehr von Typen erzählt bekommen, wie daneben sich der Genosse verhalten hat und was ich daraus jetzt ableiten müsse (am besten nie wieder mit ihm sprechen). Wann habt ihr euch das letzte Mal dazu entschieden, ehe ihr euren eigenen emotionalen Balast und eure Gedanken zum letzten Outcall abladet, zunächst einmal eure Genoss*innen zu fragen, wie es diesen geht? Wann habt ihr sie das letzte Mal gefragt, ob und vor allem wie ihr diesen helfen könnt? Wäre eure politische Arbeit und das genossenschaftliche Miteinander konsequent reflexiv, müsstet ihr zwangsweise erkennen, dass ihr nicht heldenhaft einen Brandherd nach dem anderen löscht, den die letzten Täter hinterlassen haben, sondern dass der ganze Boden brennt. Und ihr habt Spiritus in der Hand.
Erspart euren Genoss*innen die unreflektierten gegenseitigen Herabsetzungen und die Care-Arbeit, weil ihr eure Konflikte nicht miteinander offen thematisieren konntet. Es geht nicht darum, eine Rangfolge danach zu bilden, wer am schlimmsten ist, wer am meisten Macht hat und wer am krassesten mackert. Und vor allem interessiert es mich nicht. Ich habe an euch allen Kritik. Ihr müsst euch alle reflektieren, ansozialisierte Verhaltensweisen ablegen und daran arbeiten, patriarchale Strukturen und Räume zu dekonstruieren. Nur weil Dieter sich Scheiße verhalten hat, heißt das noch lange nicht, dass Klaus-Peter sich zurücklehnen und darüber freuen kann, dass er sowas nie tun würde. Klaus-Peter hat seine eigenen Baustellen, an denen er arbeiten sollte.
Arbeitet endlich gemeinsam an euch, thematisiert euer Verhalten offen und selbstkritisch und versucht nicht weiterhin, euch in patriarchaler Manier gegenseitig zu übertrumpfen.