persönliche Reflexionen aus dem Jahr 2019
Dies soll eine Reflektion sein über Dinge, die ich im letzten halben Jahr gelernt und erlebt habe – im Hambi, in Diskussionen mit Mitmenschen –, vielleicht auch teilweise ein Feedback an die alte Politgruppe oder einfach nur der Versuch, Unmut über bestimmte Dinge Luft zu lassen. Es fällt nicht leicht, hier einen Anfang zu finden. Es fällt mir manchmal schwer, mit Menschen, deren Lebensrealität in den letzten Monaten eine ganz andere war, über dieses Thema zu reden. Teilweise ist es auch echt anstrengend und stressig.
Meist kommen dieselben (oberflächlichen) Fragen oder Menschen, die mich länger nicht gesehen haben, treffen mich zufällig an und fragen mich dann laut und in aller Öffentlichkeit, häufig mit Menschen drumherum, die ich nicht einmal kenne, wie es denn im Hambi war, wann ich wieder dorthin fahre etc. Ja, danke der Nachfrage. Freut mich, dass es Menschen interessiert. Aber es ist nun wirklich nicht das ideale Small-Talk Thema, wo ich mal kurz was dazu sagen kann/ möchte, sonder etwas, was ich lieber in einem vertraulicheren Rahmen bespreche als umringt von einem Dutzend Menschen, die ich noch nie näher kennengelernt habe. Der Hambi ist immer noch ein politischer Kampf, für Bullen und andere Repressionsorgane überaus interessant und allein, dort gewesen zu sein, führt mit Sicherheit zum Auftauchen in irgendwelchen Listen. Abgesehen davon lassen sich bestimmte Erlebnisse auch einfach schwierig in Worte fassen, sind emotional belastend oder ich bin nicht in der Stimmung, darüber zu reden. Ebenso ist das keine Sache von mal 5 min kurz etwas sagen.
Auch wieder einen (politischen) Alltag zu finden, ist nicht leicht. Es ist so absurd, zurück zu kommen, und der Alltag der Menschen um einen herum besteht plötzlich aus Dingen wie Arbeit/Schule/Studium, Freunde treffen, Feiern, Einkaufen, das normale Stadtleben eben. Während es ein paar Tage zuvor noch darum ging, den Unterschlupf gegen Regen abzudichten, Essen und Wasser zu beschaffen, Material klauen, nächtliche Sabotage, sich nicht von den Cops schnappen lassen, Verfolgungsjagden, Konfrontationen mit Secus, Jäger, die Menschen mit ihrer Knarre bedrohen, auf sie zielen und dann Runterzählen und weitere Situationen mit Cops, wo es teilweise nur noch ums Überleben ging. Einfach so weitermachen wie zuvor geht nicht, obwohl der Zeitraum der Abwesenheit gar nicht so groß war. Dafür ist einfach zu viel passiert. Das fängt schon damit an, dass mensch nicht mehr so ganz weiß, welche Musik er*sie jetzt hören mag. Wenn es um politischen Aktivismus geht, nehme ich mich gerade vor allem in einer beobachtenden Position war, weniger in einer gestalterischen.
Das bringt auch viele Vorteile mit sich, denn so kann mensch in Ruhe über vieles Nachdenken und neue Prioritäten setzen. Ein paar dieser Gedanken möchte ich hier mal teilen. Das sind sowohl Erfahrungen, die ich aus dem Hambi mitnehme, als auch Probleme, die ich nun hier wahrnehme etc.
1. Es wird noch einmal ganz deutlich, dass politischer Kampf auch wirklich Kampf ist. Zuvor war es für mich eher Aktivismus. Ein paar Demos, ein paar Aktionen. Vielleicht das ein oder andere Gerichtsverfahren. Dann macht mensch meist normal weiter. Es gibt zwar Repression, aber wie viel mensch davon abbekommt, kann mensch meist zumindest indirekt kontrollieren, hat seinen Safespace, kann mal eine Pause machen. Im Wald war das anders. Mensch lernt neue Menschen kennen. Manchmal sind in diesen neuen Kreisen schon Genoss*innen gestorben oder lange weggesperrt. Dinge wie die Revolution in Rojava, längere Knastaufenthalte oder gar Tod im politischen Kampf sind nicht mehr so weit entfernt wie sie das mal waren.
Bullen, die Menschen durch den Wald jagen; wer nicht schnell genug flieht oder vielleicht stolpert wird zusammengeschlagen und in die Gesa entführt, egal ob mensch etwas gemacht hat oder nicht. Es wird gedroht, gezielt mit Ängsten gespielt, Exempel werden statuiert, Seile durchgeschnitten, während sich Menschen auf Plattformen befinden, die durch diese Seile gesichert sind, oder mensch sieht sechs Bullen, die alle um einen anderen Menschen im Kreis stehen, der nur noch gekrümmt in der Ecke liegt und dessen Schmerzensschreie inzwischen verstummt sind, da mensch keine Fingerabdrücke abgeben wollte. Es wird deutlich, dass wir uns alle in einem Kampf gegen ein auf Herrschaft und Unterdrückung basierendes System befinden und dass der Staat, um Widerstand zu unterdrücken, sich nicht nur des „Rechtsstaats“ bedienen wird.
2. Der Spruch „dont move to Berlin – support your local…“ oder wie auch immer ist ziemlicher Quatsch. Prinzipiell sollte mensch natürlich lokale Strukturen stärken, aber beispielsweise Kämpfe für Klimagerechtigkeit brauchen auch den Widerstand an Orten, wo massive Umweltzerstörung stattfindet. Zudem kommen an solchen „Frontlines“ viele Menschen zusammen und es gibt einen regen Erfahrungs- und Wissensaustausch. Ich kann anderen Menschen nur empfehlen die eigene lokale Blase mal zu verlassen und Erfahrungen von woanders einzuholen, um sie dann wiederum beim Aufbau lokaler Strukturen zu nutzen.
3. Wie kann mensch sich beim Kampf um den Hambi einbringen/ was ist mitzunehmen für ähnliche zukünftige Kämpfe? Es nützt nicht viel, in den Hambi zu reisen und sich dort seine zeitlich begrenzte Insel zu schaffen und sich von den Kämpfen anderswo abzukapseln. Wichtig ist, Erfahrungen und Wissen aus dem Hambi mitzunehmen und sich zuhause einen „eigenen Hambi“ zu schaffen: Sich in Bezugsgruppen organisieren und in gemeinsamer Solidarität immer mehr Freiräume vom herrschenden System zu erkämpfen, sich von staatlichen Strukturen lösen aber ohne sich dabei von der Gesellschaft loszulösen, sichtbar bleiben. Als Vorbild agieren und sichtbar machen, dass anarchistische Lebensweisen funktionieren können und wir diesen Staat nicht brauchen(1).
Parallel sollten sich entsprechende Kleingruppen organisieren und sich mit Vorbereitung und Plan an bestimmten Kämpfen außerhalb wie auch vor Ort beteiligen, je nach Zeitkapazitäten. Wichtig ist auf jeden Fall, sich hier im Vorfeld Gedanken zu machen, um vor Ort nicht nur Konsument*innen des Geschehens zu werden, sondern eigene Akzente setzen(2). Sonst kann mensch das auch lassen(3).
4. Stärkere Sensibilisierung für andere Kämpfe. Vor allem das Thema Antispeziesismus scheint mir in Jena bisher kaum berücksichtigt zu werden. Wie kann mensch gegen Hierarchien und Unterdrückung kämpfen und gleichzeitig die massenhafte Unterdrückung von Tieren sowie deren Ermordung ignorieren? Wer gibt einer*einem das Recht dazu, Tiere zu essen, zu schlachten, wegzusperren, zu quälen? Wie kann es überhaupt so etwas wie Besitz an fühlenden Wesen geben?
Ganz abgesehen von den ökologischen Folgen sehe ich hier eine noch mangelhafte Auseinandersetzung und kritische Hinterfragung der eigenen Lebensverhältnisse in Bezug auf Mittäterschaft bei der Ausbeutung, Ermordung etc. von Tieren.
5. Mehr interne (inhaltliche) Diskussion bzw. Selbstbildung. Bei einigen Gruppen klappt das bereits ganz gut, bei anderen z.T. ziemlich schlecht. Ich denke, gerade Jena würde das ganz gut tun, wo Linkssein bei Vielen mehr ein cooler, hipper Lifestyle ist. Nach der Jenaer Kinder – und Jugendstudie von Mobit(4) kategorisieren sich ca. 41,3_% der Jugendlichen als links bzw. eher links – der Höchststand seit Beginn der Erhebungen 1997. Auch so sieht mensch viele Jugendliche in der Stadt mit linken Klamotten rumlaufen. Manche von diesen hängen oder hingen auch in Freundeskreisen von politisch organisierten Menschen rum, sind auch ein paar mal bei Politgruppen gewesen und auch bei der ein oder anderen Demo mitgelaufen. Gegenseitige Selbstbildung oder Diskussion zu bestimmten Themen fanden oder finden aber leider meist nicht statt. Und so kommt es, dass diese Leute früh aufhören politisch aktiv zu sein, weil die Überzeugungen nicht stark genug sind, dass die Kritik an Staat und Kapital kaum ausgeprägt ist, dass sexistische Denkweisen beibehalten werden, eigene Rollenbilder nicht oder kaum hinterfragt werden (wo ich die Politgruppe(n) nicht ausklammern möchte) etc. Wie vielleicht bemerkt, richtete sich dieser Punkt vor allem an eine Politgruppe – sie fühlt sich bestimmt angesprochen ;).
6. Fehlende Attraktivität der Szene ab etwa 30 und Schwäche eigener Strukturen. Ich habe das Gefühl, dass sich noch zu viele Menschen in ihrem politischen Aktivismus auf den deutschen Sozialstaat und bestimmte Sicherungsmechanismen verlassen, dadurch in Abhängigkeit zu ihnen stehen, im Umkehrschluss aber wenig versucht wird, aktiv eigene solidarische Strukturen aufzubauen. Das ist sehr schwierig und mühsam, aber wenn wir möchten, dass auch in späteren Lebensabschnitten noch politischer Aktivismus betrieben wird, dann benötigen wir eigene Strukturen, damit niemand irgendwann in Lohnarbeit und den ganzen anderen Scheiß abrutschen muss.
7. Das Zurückscheuen vor einem offensiven Diskurs und Polarisation. Es hilft nichts, die eigenen Ideen zu verwässern, um eine möglichst breite Masse an Menschen anzusprechen. Damit ist z.B. gemeint, nicht mit der SPD, Linkspartei, den Grünen oder gar den Students for Liberty einen „gemeinsamen“ Kampf gegen Neonazismus zu führen, weil es da eventuelle Schnittmengen gibt. Sondern es geht darum, die eigenen Inhalte herauszustellen, zu zeigen, dass es neben völkischem Sozialstaat (z.B. Höcke), progressivem Neoliberalismus (z.B. Merkel) etc. eine wirkliche linke Alternative gibt, und die Menschen dafür zu gewinnen. Ein Auftreten als Einheitsfront mit den Kräften, die für so viel Scheiße verantwortlich sind, hilft uns nicht.(5)
8. Das Fehlen konkreter Utopien. Außer eher abstrakt und unverständlich gehaltenen Diskussionen in akademisch und studentisch angehauchten Politgruppen findet kaum eine Auseinandersetzung darüber statt, wie unsere postrevolutionäre Gesellschaft aussehen soll. Es soll irgendwie „anders“, „besser“ sein, das System soll abgeschafft sein. Aber niemensch kann das näher spezifizieren. Liegt die Entscheidungsgewalt bei Räten, bei kommunalen Vollversammlungen? Warum kämpfen für das „Andere“? Um uns in unserer (egoistischen) Individualität noch stärker auszuleben und Party und Drogenkonsum, welche vielerorts traurigerweise die Hauptassoziationen mit Freiheit sind, noch mehr in den Mittelpunkt unseres Lebens zu rücken? Oder weil wir dann mehr für die Menschen da sein können, die uns wichtig sind, andere Beziehungen eingehen können, Ressourcen gerechter verteilt werden und wir das machen können, was uns im Leben wichtig ist, und nicht, was uns durch Sachzwänge vorgeschrieben wird? Es gibt dazu keine weitläufig präsenten Antworten. Das macht es auch schwierig, Menschen für die eigene Sache zu gewinnen.
Fußnoten
(1) Im Hambi-Camp waren mehrere (zehn)tausend Menschen daran beteiligt, eine Struktur aufzubauen und zu erhalten, welche komplett ohne Geld und Staat funktioniert hat. Tausende Unterstützer*innen aus dem Bürgertum brachten Geld- und Sachspenden vorbei, durch die über hundert Vollzeitaktivist*innen Tag ein Tag aus nichts anderes machen brauchten, außer sich für den Kampf für den Erhalt der Natur einzusetzen. Um Arbeit und Geld mussten wir uns vor Ort keine Gedanken machen, nach dem Staat hat niemand gefragt und für die Spenden wollten die Supportis keine Gegenleistung, sondern bedankten sich bei den Aktivist*innen nur für ihren Einsatz.
(2) Damit ist alles gemeint, von Öffentlichkeits/Kampagnenarbeit bis zu militanten Aktionen. Hauptsache Widerstand 😉
(3) Wobei ich nicht leugnen möchte, dass solche Aktionen unglaublich wichtig sind, um Menschen zu politisieren. Für bereits politisch Organisierte sollte es jedoch nicht der Anspruch sein.
(4) https://www.jena.de/fm/1727/Jenaer%20Kinder-%20und%20Jugendstudie_final_23.pdf
(5) Das lässt sich ebenso auf den Hambi beziehen, wo nun Grüne, BUND, Greenpreace, Linkspartei auf den Zug aufgesprungen sind und fleißig auf Stimmenfang gehen, nachdem ihnen der Wald und die Menschen jahrelang herzlich egal waren. Die Grünen selbst haben noch in der letzten Legislatur in NRW, als sie in der Regierung saßen, den Wald zur Rodung freigegeben.