Beitrag zur Militanzdebatte

zugesandt von einem Genossen

Rückblick I: Autonome Flitterwochen und soziale Kämpfe in Jena

Am 11.11.2020 findet in den Jenaer Abendstunden ein „antifa­schis­ti­scher und antiautoriärer Martinsumzug“ statt. Hierbei werden zum ers­ten Mal seit den Gegenprotesten gegen Thügida 2016 die Bullen ange­griffen. Die Protestierenden drüc­ken ihre Wut über Gentrifizierung und die immer teurer werdende Stadt sowie ihre Solidarität mit Lina aus. Steine und Pyro werden auf die Bullen geworfen, die Oberbank wird gesmasht und es werden „Freiheit für Lina“-Schriftzüge gemalt. Nach kurzem Polizeikontakt löst sich die Sponti auf. Im Nachgang spricht die Poli­zei von einer neuen Qualität der Gewalt in Jena und die Medien sehen in Jena bereits ein „Klein-Leipzig“.

In der Nacht vom 23. auf den 24.11.2020 ziehen unbekannte Randalierer durch Jena und hinterlassen dabei „eine Spur der Verwüstung“ (Jenaer Nachrichten). Es werden Steine auf die rechtsextreme Burschenschaft Germania (nachzulesen unter rechercheportaljenashk.noblogs.org „Arten­schutz für Rechtsaußen“) geworfen, eine Mülltonne wird in Brand gesetzt und Werbetafeln mit Werbung für die Bundeswehr werden entglast und zerstört.

Am 23.01.2021 versammeln sich ca. 80 Personen im Landgrafenviertel. Der Ort wurde bewusst gewählt mit dem Anliegen, dass der besser verdienende Teil der Bevölkerung Jenas, besonders die Villenbewohner*innen des Landgra­fen­viertels, an der Deckung der Kosten der durch Corona ausgelösten Wirtschaftskrise beteiligt werden sollen. CDU und FDP sprechen von Übergriffigkeit, Nötigung und sogar linksextremem Alltagsterrorismus, während sie im Stadtrat für ein Haushaltssiche­rungs­konzept plädieren, was zig Kürzungen im sozialen Bereich und beim Umweltschutz vorsieht und die finanzielle Last ausschließlich auf die ärmeren Teile der Bevölke­rung abzuwälzen versucht.

In der Nacht zum 27.01.2021 wird der Neubau des Interhsop-Gebäudes am Steinweg mit Bitumen, Farbe und Steinen eingedeckt. Es entsteht ein Sachschaden von 25.000€. Die Schriftzüge „Fight Capitalism“ und „Fight Gentrification“ werden angebracht. In einem Bekennerschreiben auf Indymedia heißt es:
„…In einer Zeit, in der die Stadt neue Kürzungen beschließt und finanziell schwächer gestellte Haushalte um ihre Existenz und ihren Wohnraum bangen, ist das 80 Mio Euro teure Gebäude, in dem Intershop gleich dutzende neue Büroflächen bezieht und diese Woche eine neue Lidl-Filiale öffnet, eines der Aushängeschilder für neoliberale Stadtpolitik und Gentrifizierung. Mit unserem Angriff bringen wir unsere Wut über die alltägliche Verdrängung in Jena, immer neue Großbauprojekte (Zeiss oder Inselplatz-Campus, welcher ein Riesen-Prestige-Projekt zur Aufwertung des Stadtzentrums ist), steigende Mieten und eine kleine Minderheit, welche von Corona profitiert und dafür nicht zur Kasse gebeten wird, zum Ausdruck. Eine Politik, welche auf dem Rücken ökonomisch schwächer Gestellter ausgetragen wird, wird nie unwidersprochen bleiben.“
Die Urheber*innen knüpfen mit einer Warnung/Drohung an: „Wir fordern die Stadt auf, das Feuer nicht weiter anzuheizen und von den geplanten Kürzungen zurückzutreten […] Für eine solida­rische Stadt in der Menschen Wohnraum haben statt neuen Einkaufsmeilen.“

Am 27.01.2021 soll es zur Abstimmung des Haushaltssiche­rungskonzeptes kommen. Vor der Stadtratssitzung haben sich 500 Menschen vom Bündnis „Solida­rische Stadt“ versammelt, um ebendies zu verhindern. Der Druck hat Erfolg und die Abstimmung wird fürs Erste vertagt. Später haben sich die meisten der Kürzungsphantasien von CDU und FDP zur weiteren Neoliberalisierung der Stadt dadurch erübrigt, dass eine Regelung auf Landesebene erzielt wurde.

Am 29.01. ist erneut eine Gruppe im Stadtzentrum unterwegs und zündet Pyrotechnik, wirft Bauzäune um und sprüht mehrere Graffiti. Diese Aktion findet in der Öffentlichkeit kaum Beachtung.
In der Nacht vom 08.03.2021 auf den 09.03. gab es großflächige Graffiti an der Jenaplanschule in Jena Süd. Dabei wurden Schriftzüge wie „No Cops No Nazis“, „F*Antifa Area“ und „Free Lina“ und „Macker treten“ gesprüht. Der Sachschaden wird auf 2000€ geschätzt.

Am 13.03.2021 wird dann die Löbderstraße als eine der wichtigsten Einkaufsmeilen Jenas zerlegt. Der Aufschrei und die Empörung sind groß. Der Sachschaden soll sich auf knapp 80 000€ belaufen. Ein Bekennerschreiben nimmt Bezug zur drohenden Räumung des besetzten Hauses Rigaer 94 in Berlin und auf die neoliberale Stadtpolitik. Die Rigaer soll wegen fingierter Brandschutzprobleme als Symbol und eines der letzten besetzten Häuser Deutschlands ge­räumt werden. Zudem wird Bezug genommen auf den Hungerstreik von Dimitris Koufontinas, welcher als politischer Gefangener in Griechenland unter der neuen Regierung zu menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert ist und sich seit Wochen in einem Hungerstreik befand. In einem anderen Schreiben heißt es:
„Eure heile Welt ist für ei­nen Moment ins Schleudern ge­kom­men. Doch dies ist das unver­träg­liche Bild einer unversöhnlichen Konfrontation. Unsere Wut über die geräumten (und noch räumungsbedrohten) Projekte in Berlin, unser Hass auf den griechischen Staat und seinen andauern­den Mord an dem Hunger- und Durststreikenden Dimitris Koufontinas und unser Groll gegen die Repression, haben uns durch eure Straßen getrieben. Es herrscht wieder einmal eine Fassungslosig­keit über Zerstörung und Gewalt. Die Jenaer Einkaufspassage hat sich einige, nicht zu übersehende Farbflecken und Glasbrüche eingefangen. Ein Bild, welches wir euch malerisch überreichen. Denn ihr habt es euch redlich verdient, dass eure Innenstädte zertrümmert und eingehämmert werden. […]
Und so habt ihr euch verschätzt. Umso offenkundiger eure Verachtung wird, umso wilder werden wir unsere Freiheit verteidigen. Ihr werdet uns weiter Projekte nehmen und dennoch könnt ihr uns niemals befrieden. Zu tief sind die Wunden eures Handeln. Zu unfähig eure Krisendiagnosen und zu unverantwortlich eure Entscheidungen. Unser Leben gehört uns. Greift es an und wir tauchen eure Städte in Rauch. Wir bringen keine Warnungen mit. Wir greifen an. Kein Gesetz, keine Strafen, keine Ermittlungen werden unsere Ideen brechen können.
In tiefer Verachtung für den Staat! In tiefer Liebe zur Anarchie!“

Die Reaktionen sind harsch. Die Polizei richtet eine 14-köpfige Sonderkommission ein und setzt medienwirksam einen Spür­hund ein. Stadtspitze und Innenminister verurteilen die Tat scharf, der Innenminister kommt sogar nach Jena zu Besuch. Stadt und Sparkasse loben eine Belohnung in Höhe von 10 000€ für Hinweise aus, wenn die Täter dadurch gefasst würden.

Derweil scheint es in der linken Szene einen regelrechten Wettbewerb darum zu geben, wer sich als Erstes von den Ereignissen distanziert. Noch bevor überhaupt jemand so richtig begriffen hat, was da eigentlich passierte, schreibt die Ende Gelände Jena Ortsgruppe auf Twitter:
„Ich halte mich mal zurück das zu verurteilen, nur so viel: Solche Aktionen sind kein Ersatz dafür, echte Allianzen gegen neoliberale Stadtpolitik zu schmieden, und können verhindern, dass das in der Breite der lohnabhängigen Bevölkerung auch gelingt.“

Auf Libertad Media erscheint kurze Zeit später ein satiri­scher Kommentar: „Randale leistet Bärendienst für sozialpolitische Bündnisse“. Darin heißt es, die nächtliche Randale hätte auch politisch einiges an Porzellan zertrümmert. Die Taten wären kaum verständlich und nachvollziehbar. Zudem lasse das „Sammelsurium verschiedener Themen gewisse Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Motivation aufkommen: Ging es hier wirklich um diese Themen oder nicht auch um ein bisschen zu viel Spaß am Event?“ Die Aktion habe den zahlreichen Bündnissen gegen neoliberale Stadtpolitik einen Bärendienst geleistet, da nun alle unter dem nachvollziehbaren Druck stünden, sich von der Aktion zu distanzieren. Auch wird der Wunsch nach einer Szenedebatte über den Einsatz von Militanz laut.

Ein paar Tage nach der Ran­dale gibt es Berichte über mögliche Nachahmer, wo 3 Täter versucht haben sollen, ebenfalls in der Gegend zu randalieren.

Die Belohnung für Hinweise zur Ergreifung der Innenstadt-Randale wurde inzwischen auf 15.000 Euro erhöht und mittlerweile gibt es im Stadtrat Debatten darüber, ob die Innenstadt noch weiter mit Überwachungskameras aufgerüstet werden soll.

Am 11.06. kam es im Zuge von Ordnungs- und Kontrollmaßnahmen der Bullen im Para, wo laut Pressebericht ca. 2.000 Menschen ausgelassen feierten, zu Flaschenwürfen auf die Bullen und Beschädigungen an Polizeifahrzeugen. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass Bullen in dieser Form aus einer Dynamik sozialer Unruhen heraus attackiert werden. Hier scheint es sehr viel Potenzial zu geben. Der Staat reagierte in den Tagen darauf mit massiver Präsenz.

Rückblick: Militante Aktionen gegen Faschisten

Am 25.02.2021 wurde ein Mann im Jenaer Paradiespark angegriffen. Die Angreifer attackierten ihn mit einem Schlagstock, sprühten Pfefferspray und nahmen im Anschluss sein E-Bike mit, welches kurze Zeit später in die Saale geworfen wurde. Auch eine spätere Suchaktion mit Tauchern konnte das E-Bike nicht mehr finden. Medien und Polizei hielten sich bedeckt, was das Motiv der Tat anging. Ein paar Tage später postete der Neonazi Kevin Armstroff (nachzulesen auf rechercheportaljenashk.noblogs.org) in den Sozialen Medien, dass er in Jena angegriffen und sein E-Bike ent­wen­det wurde. Ein Zusammenhang liegt nah. Er lobt 500_€ für Hinweise zu den Tätern oder sein E-Bike aus und bestreitet jeden politischen Bezug seiner Person, was ange­sichts eindeutiger Veranstaltungs­besuche, Kleidung, Aufkleber etc. wenig glaubhaft ist.

In der Nacht vom 01.05. auf den 02.05 wurden in Jena die Commerzbank und die Deutsche Bank eingeschlagen und mit Farbe und Bitumen verschönert. Ein Bekennerschreiben nimmt Bezug zur Beteiligung der beiden Banken an Rüstungsgeschäften und auf die Unterstützer*innen und Profiteure des faschistischen Angriffskrieges der Türkei gegen die kurdische Bevölkerung. Anlass dafür ist die neuerliche Offensive in Südkurdistan (Nordsyrien). Die Stadtspitze spricht von linkem Terror, die CDU sabbert von mehr Überwachung im öffentlichen Raum. Abermals werden 5000€ Belohnung ausgelobt. Einzig die Grüne Jugend Jena ist empört über die öffentliche Reaktion, Farbanschläge als Terror zu bezeichnen, und prangert nochmal die Rolle der beiden Banken in der Rüstung, ihre Beteiligung an Geno­ziden sowie die Rolle von Jenoptik als Rüstungslieferant für das türkische Regime an.

Kommentar: Autonome außer Rand und Band?

Die Reaktionen im Anschluss an die Randale vom 13.03.2021 in Jena haben die Notwendigkeit aufge­zeigt, eine Militanzdebatte in der Jenaer Szene zu führen. Dieser Text möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten und zugleich den Start­schuss zu einer lebhaften Diskussion bieten.

Der Begriff der Militanz leitet sich vom lateinischen militare für „Kriegsdienst leisten“ ab. Das gewalttätige Handeln ist dem Begriff somit eingeschrieben. In seiner Weiterentwicklung steht der Begriff nicht mehr dafür, einen Kriegsdienst abzuleisten, sondern dafür, sich bewusst und gewalttätig für seine Sache einzusetzen. Das gilt glei­chermaßen für den militanten Nazi, den militanten Christen oder für militante Autonome und Antifaschist*innen. Hierbei wird der Begriff der Militanz vor allem auf ein Handeln aus der Gesellschaft bezogen und nicht auf ein militantes Handeln des Staates, welcher sich ja über Gewalt und das staatliche Gewaltmonopol definiert und jegliche Ausübung von Gewalt für sich beansprucht.

Militanz beschreibt eine bestimmte Art zu handeln und keine Einstellung. Auch wenn manche Stimmen meinen, dass Militanz jegliches entschiedenes Eintreten für alles Mögliche sein würde und dazu auch schon der Abwasch in der Küche dazu zählt, so liegt dem eher ein Militanzfetisch zugrunde, als dass der Küchenabwasch, so wichtig er auch ist, irgendetwas mit Militanz zu tun hätte.
Wer militant handelt, dem geht es nicht darum, sich mit dem­jenigen, den die Militanz trifft, zu einigen. Militanz wird angewendet, wenn man sich über die Ansichten des Anderen hinwegsetzt, da ein anderer Weg, den Konflikt zu lösen, nicht mehr als sinnvoll, zu langwie­rig oder aussichtslos angesehen wird.

Auf die konkrete Situation bezogen heißt das, nicht länger dabei zuschauen zu wollen, wie die Stadt durchgentrifiziert wird, ohne dass man in der Lage zu sein scheint, diesen Prozess aufhalten zu können. In der parlamentarischen Demokratie, wo wir bei so vielen wichtigen Entscheidungen immer wieder zu spüren bekommen, dass wir nichts zu melden haben und auf diese Entscheidungen keinen Einfluss nehmen können, ist militantes Handeln das letzte und notwendige Mittel, um, in diesem Fall, gegen die fortschreitende Verdrängung in unseren Städten zu protestieren.
Es geht nicht darum, in der Gesellschaft mit unseren Aktionen überall Anklang finden zu wollen. Die bürgerliche Gesellschaft schert sich nicht darum, was außerhalb ihrer Kleinfamilie und dem Arbeitsplatz geschieht. Wenn sie sich dafür interessieren würde, dann würden auf der Welt nicht so viele Dinge passieren, die es anzuprangern gilt. Es geht vor allem um die Kampf­an­sage und das eigene Empowerment, dass wir nicht tatenlos dabei zuschauen werden, wie wir aus dem Stadtbild verdrängt und wie uns unsere Räume genommen werden, damit daraus ein Wirtschafts- und Prestigeobjekt nach dem anderen gemacht werden kann, sondern dass wir handeln und auch wenn unser Handeln diesen Prozess nicht aufhalten wird, so schaffen wir doch wenigstens die Gewissheit, dass es keine Räumungen, keine Kürzungen und kein widerwärtiges Ausufern von Polizeigewalt mehr geben wird, ohne dass im Anschluss Teile dieser ach so schönen Stadt zerlegt werden, ohne dass wir die offizielle Macht mit unserer Macht konfrontieren. Das ersetzt freilich nicht die Arbeit von Bün­dnis­sen wie „Solidarische Stadt“. Es ergänzt sie aber um einen wichtigen Teil, nämlich den: „Wenn die Verhandlungen scheitern und friedliche Mittel der Mitbestimmung und des Protests ignoriert werden, wie das so oft passiert, dann knallt’s!“
Murray Bookchin schrieb in „Die nächste Revolution“ eine sehr treffende Kritik an den gängigen Demonstrationen:
„Was will eine Demonstration eigentlich demonstrieren? Sie darf nicht nur ein Protest sein, sondern die offizielle Macht mit öffentlicher Macht konfrontieren, wenn auch in einem anfänglichen Stadium. Demonstrationen sind Mo­bilisierungen einer Vielzahl ernst­zunehmender Menschen, die dadurch, dass sie auf die Straße gehen, ihre wirkliche Opposition gegen bestimmte Handlungen der Mächtigen bekunden wollen. Zu bloßen Possen reduziert werden sie zu einer Art Unterhaltung, die die Teilnehmer*innen selbst entwürdigt. Dann stellen sie keine Kampf­an­sage gegenüber den Herr­schen­den dar; wenn eigenwilliges Han­deln entschiedenen Widerstand er­setzt, zeigen sie den Zuschau­er*innen natürlich, dass die Vertre­ter*innen ihrer Ansichten nur Ex­zen­triker*innen sind, die nicht ernst genommen werden müssen und triviale Beweggründe haben. Ohne eine Haltung, die Respekt verschafft – und ohne Disziplin, die ernstgemeinte Absichten zeigt –, sind Demonstrationen und ähnliche Bekundungen sogar schlechter als nutzlos; sie schaden ihrer Sache, weil sie herabwürdigen.“

Daraus leitet sich für uns als Ziel ab, dass wir keine Demonstrationen anmelden und darum bitten wollen, irgendwo rumlaufen zu können. Wenn uns etwas stört, dann gehen wir einfach auf die Straße. Wir nehmen uns unseren Raum und wir bitten niemanden um etwas, schon gar nicht eben jene Politiker*innen, die unsere Bedürfnisse und unsere Wut nicht ernst nehmen, oder die Cops, von welchen wir, unsere Freund*innen und Genoss*innen nur Repression erfahren. Und wenn wir wütend über neue Prachtbauten sind, dann zerstören wir sie. Wenn die Cops uns in unseren Vierteln drangsalieren, dann greifen wir an.

Eine kraftvolle Bewegung erwächst nicht aus der Homogeni­sierung des Kampfes und des Widerstands, sondern aus einem Zu­­sam­men­kommen der Heteroge­nität. Die Unterschiedlichkeit, und kei­nes­falls Gleichförmigkeit, ist der natürliche Zustand des Menschen. So lange diese Erkenntnis nicht auch auf die verschiedenen Pro­test- und Widerstandsformen angewandt wird, schwächt sich die Bewegung im Gleichklang mit dem Interesse des Staates selbst. Genauso wenig, wie militantes Handeln die einzig richtige Protestform ist, so wenig ist friedliches Handeln die einzig sinnvolle.
Bei aller berechtigter Kritik an der Aktion (und es wird wohl niemand seine Hand dafür ins Feuer legen und sagen, dass es den Rossmann unbedingt hätte treffen müssen): Die reflexartigen Distanzierungen von Teilen der Szene, häufig im Einklang mit dem Jargon der Staatsmacht und unter Aufgabe der Ziele des – eigentlich gemeinsamen – Protests, haben die Szene geschwächt und die Position des Staates gestärkt.

Was die Gründe dafür auch gewesen sein mögen, ob Angst vor Repression oder politische Erwägungen und auch Angst vor einer Schwächung der eigenen sozialen Stellung und Privilegien: Die Diskreditierung militanter Praxis ist ein autoritäres Gebaren, nach dem jede andere politische Praxis als die eigene falsch sein soll. Sie unterstützt die Position des Staates. Kritik, was denn „die richtige Form der Mitbestimmung wäre“, stärkt den staatlichen Anspruch auf das alleinige Gewaltmonopol und behindert weitere militante Praxis. Genauso wenig, wie es möglich ist, allen einen militanten Ausdruck abzuverlangen, ist es möglich, einzig durch den erzwungenen friedlichen oder begrenzt militanten Weg sich ausreichend für das Wohl der Menschen einzusetzen. Autori­tä­re Homogenisierungsversuche sind in jedem Falle zurückzuweisen.

Was hier zudem auffallen sollte, ist weniger das Stattfinden militanter Aktionen, die als „zu krass“ wahrgenommen werden, sondern auch das scheinbare Fehlen der von Ende Gelände Jena angepriesenen „anderen Mitbestimmung“. So scheint sich die Mitbestimmung der Gentrifizie­rungsgegner*innen in Jena vor allem auf die Kampagne rund um das neue Haushaltssicherungskonzept konzentriert zu haben und mit dessen Scheitern sind auch die hiesigen öffentlichen Aktionen gegen Gentrifizierung, Neoliberalisie­rung und Verdrängung in der Stadt in der öffentlichen Wahrnehmung erloschen. Es gibt sehr viele Gruppen, die viel politische Arbeit verrichten: Infostände, Flyern, Basisarbeit. Es gibt aber auch solche, von denen gerade nicht so viel kommt und die dann Autonome dafür kritisieren, dass deren politi­sche Arbeit falsch sei. Man kann den Autonomen jetzt nicht vorhalten, dass andere politische Arbeit von anderen Gruppen seit geraumer Zeit in Jena im Tiefschlaf festhängt und dass sich scheinbar mit dem Ist-Zustand begnügt wird. Zudem haben es viele Jenaer Politgruppen versäumt, trotz Corona ihre politische Arbeit spürbar fortzusetzen. Bei den Autonomen scheint das bisher kein Problem zu sein.

In dem Kommentar auf Libertad Media stand geschrieben, dass „nun auf allen politischen Initiativen ein großer Druck lasten würde, sich von der Aktion zu distanzieren“. Wenig überraschend gab es diesen Druck einfach nicht. Abgesehen von der Linkspartei (und diese gilt nicht unbedingt der linken Szene zuzurechnen) im Stadtrat, welche aufgefordert wurde, sich von dieser Gewalt zu distanzieren, wurde der Distanzie­rungsdruck in der linken Szene vor allem von der Szene selbst geschaffen. Wie hier in vorauseilendem Gehorsam gehandelt wurde, war zugleich faszinierend wie auch beschämend.

Für die Zukunft noch ein Vorschlag, wie man stattdessen in einer solchen Situation hätte handeln können, ohne der autonomen Szene in den Rücken zu fallen: Ent­weder gar nichts sagen, oder der nächste Twitter-Post oder Kommentar auf Libertad Media sieht in etwas so aus:
„Wow, krass. Die halbe Je­naer Innenstadt ist zerlegt. Wir wollen uns in unserer Stadt wohl fühlen. Wenn das das Ergebnis von @Nitzsches Stadtpolitik ist, braucht es dringend ein Umdenken: Nächs­ten Mittwoch, 17 Uhr haben wir eine Kundgebung vor dem Rathaus angemeldet, in der wir eine solida­rische Stadt für Alle fordern und Flyer verteilen“