Gerechtigkeit für Sophie Kutscher – es gibt keinen „Selbstmord“ im Knast!

erstveröffentlicht von der Soligruppe Jena für die Gefangenen-Gewerkschaft am 16. Oktober 2021

Am 2. August 2021 wurde in der JVA Chemnitz die erst seit zwei Tagen inhaftierte Sophie Kutscher tot aufgefunden – stranguliert, wie die Anstaltsleiterin mitteilte. Wir spre­chen der hinterbliebenen Fami­lie unser ganzes Beileid aus und wünschen viel Kraft und Mut für die Trauer und den Kampf um Ge­rechtigkeit. Auch möchten wir klar­stellen, dass es unter den Zwangs­bedingungen der Haft kei­nen selbst­gewählten „Freitod“ geben kann. Egal, ob Inhaftierte von Be­am­ten ermordet werden oder ih­rem Leben selbst ein Ende setzen: Ihr Tod geht auf Rechnung des Gefängnissystems.

Eine Mitgefangene informierte uns am 14. August in einem Brief über den Vorfall:
„Hier hat sich eine Gefangene am Montag, den 2. August 2021, das Leben genommen. Das ist sehr traurig. Sie war erst am Freitag verhaftet worden, übers Wochenende war sie in der Sitzwachenzelle, am Montag kam sie dann in eine Einzelzelle auf der Quarantänestation mit halbstündigen Lebendkontrollen und mittags wurde sie stranguliert aufgefunden.
Auch wenn die meisten hier sie nicht kannten, geht es schon nahe. Eine meiner Besten hier hatte an dem Wochenende noch mit einer ehemaligen Gefangenen telefoniert, die zu ihr meinte, eine Freundin von ihr sei verhaftet worden, ob sie sich bitte um die kümmern könnte, wenn sie aus der Quarantäne raus ist. Traurig, diese Mauern nicht mehr lebendig verlassen zu können.“
In der Sächsischen Zeitung (SZ) wurden seitdem mehrere Artikel zu dem Fall veröffentlicht. Im Artikel vom 23. September 2021 wird berichtet, dass der Vater Jörg Kutscher sich um Aufklärung bemüht. Sein Anwalt hat Strafantrag gegen den Anstaltspsychologen und weitere unbekannte JVA-Beamte wegen fahrlässiger Tötung gestellt. Diese sollen Sophie Kutscher nach dem Erstgespräch nicht im ausreichendem Maße zur Verhinderung eines Suizids überwacht haben.

Es ist zu befürchten, dass niemand die Verantwortung wird übernehmen müssen. Bei Miss­handlung, Folter, Tod und Mord in Po­lizeigewahrsam oder Haft gehen die Beamten in der Regel straffrei aus, so beispielsweise nach dem Mord an einem polnischen Untersuchungshäftling in der JVA Tonna 2010. Dieser wurde nach einer Krise bei einer Außentemperatur von 35 °C über 12 Stunden im besonders gesicherten Haftraum fi­xiert – ohne Kühlung, ohne Ge­trän­ke, ohne Versorgung. Der Gefan­ge­ne starb am selben Tag im Krankenhaus in Bad Langensalza. Ge­gen neun Beamte wurden die Verfahren mangels hinreichenden Tat­verdachts und gegen einen Sani­täter gegen die Zahlung von 3000 € eingestellt.

Nur wenn engagierte Angehörige und Initiativen Druck ausüben, wenn eine kritische Öf­fent­lich­keit die Vorgänge begleitet, be­steht überhaupt eine Chance, Aufklärung und Gerechtigkeit für die Toten und ihre Hinterbliebenen zu erreichen. Wir erklären deswegen unsere Solidarität mit der Fa­mi­lie von Sophie Kutscher. Volle Aufklärung der Todesumstände und Gerechtigkeit für Sophie Kutscher!