Kommentar zu den Kürzungsprotesten

von Kevin

Von Januar bis März 2021 gab es eine Protestbewegung gegen die von der Stadt geplanten Sozial­kürzungen. Dazu hatte sich ein breites Bündnis gebildet von Gruppen und Organisationen der ra­di­kalen Linken über die Umwelt­be­wegung und Kulturszene bis hin zu den betroffenen geförderten Vereinen und Gewerkschaften, aber auch mit den Fußball-Ultras. Ein Großteil der Kürzungen konnte letz­ten Endes verhindert waren. Es war also ein erfolgreicher Kampf und dafür kann man sich trotz aller deprimierender politischer Nachrichten auch mal auf die Schulter klopfen! Ich will rückblickend ein paar Dinge kommentieren, die aus radikaler linker Perspektive interessant sind.

(1) Dass dieses Bündnis überhaupt so zusammengefunden und gemeinsam gearbeitet hat, war ein voller Erfolg. Das ist der Netz­werkarbeit der letzten Jahre zu verdanken und liegt auch daran, dass die radikale Linke sich in den letzten fünf Jahren den sozialen Kämpfen zugewandt hat und Organisationen aufgebaut hat, die auch für andere ansprechbar und ernst zu nehmen sind, wie z_B. die FAU, die Magdelstube, den Frauenstreik und die Mieter-Inis in der JBG und bei Jena Wohnen. Vor fünf Jahren hätte das so wahrscheinlich nicht funktioniert. Das Bündnis ist ziemlich bald nach der Verabschiedung des Haushalts wieder eingeschlafen. Das ist nicht überraschend, da ja das gemeinsame Thema, was so viele verschiedene Menschen vereint hat, erstmal vom Tisch ist. Bleibt zu hoffen, dass dieses sehr breite Bündnis in der einen oder anderen Form wiederbelebt werden kann, wenn wir es brauchen, z._B. wenn es in Thüringen wieder eine Regier­ungsbildung mit der AfD geben soll oder wenn es zu größeren Angriffen auf die Interessen der Arbei­ter:­innen kommt.

(2) Die Kundgebung am Landgrafen, in der die überdurchschnittlich reichen Anwohner:innen symbolisch und praktisch dazu aufgefordert wurden, einen größe­ren Beitrag zur Krisenbewältigung zu leisten, hat ja die Gemüter erhitzt. Dass die Politiker von FDP und CDU sich davon angegriffen fühlen, ist keine große Überraschung. Die heißen Diskussionen innerhalb und im Umfeld des Bündnisses haben aber gezeigt, dass viele Leute konfrontative Aktionen offen ablehnen oder sich in der Diskussion nicht positionieren möchten. Da bleibt es in Zukunft abzuwägen, ob man in neuen Bündniskonstellationen versucht, derart kontroverse Aktionen gemeinsam zu organisieren oder lieber ausdrücklich außerhalb von so einem Bündnis.

(3) Am 27. Januar haben Autonome einen Anschlag mit Steinen und Bitumen auf das Intershop-Gebäude verübt. Im Be­ken­nerschreiben stellten sie auch Bezüge zum Kampf gegen die Sozialkürzungen her. Diese Aktion wurde interessanterweise weder von den Politiker:innen noch im Bündnis selbst aufgegriffen und diskutiert. Es gibt in Jena nun bekanntermaßen eine autonome Szene, die auch militante Aktionen macht und sich so in soziale Käm­pfe einmischt. Noch ist nicht klar, ob größere Bündnisse damit in Zukunft gelassen umgehen können oder Gefahr laufen, gespalten zu werden. Wir können das schon jetzt beeinflussen, indem wir offener Diskussionen über militante Politik führen. Es macht überhaupt keinen Sinn, das Thema auszuklammern in der Hoffnung, so besser anzukommen und mehr Freund:innen zu finden, und dann, erst wenn’s heiß wird und ein gewisser Positionie­rungsdruck herrscht, sich zu fetzen oder mit der eigenen Position zu Militanz hinter den Berg zu halten.

(4) Ein Großteil der Kürzungen im Kultur- und Sozialbereich, nicht alle, wurden verhindert. Dafür haben die Politiker:innen vom ers­ten Vorschlag bis zum verabschiedeten Haushalt die Kürzungen beim Personal der Stadtverwaltung sogar noch vergrößert. Die Arbei­ter:­innen im öffentlichen Dienst müssen nun mit einer Verdichtung der Arbeit, mehr Druck und mehr Stress dafür zahlen und auch wir müssen dafür zahlen, da sich die Dienstleistungen der Stadt verschlechtern werden. Ein Grund dafür war wohl, dass die Beschäf­tigten ziemlich einge­schüchtert waren und nicht aufgemuckt haben. Aber ein anderer Grund war wohl auch, dass die Gewerk­schaf­ten, die ja Teil des Bündnisses wa­ren, sich da scheinbar (ich habe da halt keine Einblicke) nicht reingehangen haben. Das zeigt, dass wir uns als radikale Linke unbedingt noch mehr in die Arbeiterbewegung einbringen und dort Diskussionen mitführen und Prozesse mitgestalten müssen.