Stellungnahme des Bündnisses „Solidarische Stadt“

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Das „Bündnis solidarische Stadt“ nimmt den am 03.03.2021 vorge­stell­ten, neuen Entwurf der Jenaer Stadtverwaltung für einen Doppelhaushalt 2021/22 mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis.
Zum einen sehen wir die aktuell vorliegende Finanzplanung, die nun ohne ein Haushaltssiche­rungs­konzept auskommt und in welcher die in den kommenden zwei Jahren zu erbringende Einsparungslast erheblich abgesenkt werden konnte, als einen großen Erfolg des breiten Protests sowohl aus der Zivilgesellschaft als auch aus der lokalen Politik an. Viele der zunächst befürchteten Härten können damit vermieden werden, viele der kritisierten Kürzungen sind einstweilen zurückgenommen. Dies begrüßen wir sehr.

Zum Anderen sehen wir aber auch, dass einige von uns und anderen kritisierte Kürzungen unverändert erhalten bleiben (F_01 Kom­munale Entwicklunsszusam­men­arbeit, F_11 Zuschuss Musik- und Kunstschule, F_31 Bürgerhaus­halt, F_38 Schüler:innenbeförderung, F_39 Rabatz/Sprach­brücke/ MINT, S_11/12 Fachleis­tungs­stan­dards Jugendhilfe und Schulbegleitung). Kritisch betrachten wir weiterhin die Tatsache, dass der Wegfall der Vorgaben des HSK genutzt wurde, um die von uns geforderten Maßnahmen auf der Einnahmenseite zu umgehen: Die Grundsteuerhebesätze werden nicht erhöht, die Gewerbesteuer als A-Maßnahme mindestens auf 2023 vertagt. Dass zudem die Personalkosten der Stadt Jena bis zum Jahr 2025 um_ € 3 Mio. gesenkt werden sollen, sich der Konsolidie­rungsbeitrag der Beschäftigten der Stadt im Vergleich zum HSK also ver­doppelt hat, kritisieren wir scharf. Selbst wenn dieser Beitrag nur dadurch eingespart wird, dass auslaufende Stellen nicht neu besetzt werden, ist hier mit einer massiven Leistungsverdichtung zu rechnen. Somit tragen die Be­schäftigten der Stadt Jena im aktuellen Entwurf den Löwenanteil der Kürzungen.

Wir rechnen damit, dass der neue Haushaltsentwurf für die Stadt eine kurzfristige politische Entlastung bringen wird, denn es ist wohl davon auszugehen, dass die neue Fassung den Stadtrat am Ende in irgendeiner Form passieren wird. Schließlich sind die am meisten kontrovers diskutierten und auf den stärksten Widerstand gestoßenen Vorhaben gestrichen. Ein Desaster wäre das nun im Raum stehende Szenario, dass der Haushalt am Ende mit Hilfe der AfD und gegen die Bedenken demokratischer Fraktionen durchgebracht werden könnte. Die Erin­ne­rung daran, dass der Ober­bür­ger­meister vor gut einem Jahr seinem Parteifreund Thomas Kemmerich zur mit Hilfe der AfD gewonnenen Ministerpräsidentenwahl gratulierte und sich bis heute nicht von dessen Handeln distanziert hat, lässt uns hier nichts Gutes vermuten.

Ganz grundsätzlich sehen wir in dem neuen Entwurf auch die Zementierung eines „Weiter so“. Indem sie versucht, durch kurzfristige Verteilungskompromisse die verschiedenen partikularen Interessengruppen zu bedienen, setzt die Stadtverwaltung eine jahrzehntelange Praxis des Reduzierens von Orientierungs- auf Verteilungsfragen fort und verweigert sich der Notwendigkeit, diesen gewohnten kommunalpolitischen modus ope­ran­di zu hinterfragen. Sie verschließt sich einer angemessenen Strategie im Umgang mit den bei­spiel­losen Herausforderungen, die wir in Zukunft angesichts der erforderlichen Transformation zu ei­ner ökologisch nachhaltigen und sozial gerechten Gesellschaft zu bewältigen haben.

Unsere Forderungen richten sich nicht ausschließlich oder vorrangig auf die Verteidigung eng verstandener Eigeninteressen, sondern es geht uns darum, die grundsätzliche Ausrichtung des bis heute vorherrschenden Politikansatzes zu hinterfragen, welcher hinter dem HSK und dem jetzigen Haushaltsentwurf steht: Ein Politikansatz, der Wachstum vor Gemeinwohl stellt. Unsere Hauptforderung lautete von Anfang an: Gemeinwohl statt Wachstumsdogma! Gemeinwohl umfasst soziale Gerechtigkeit, kul­turelle Vielfalt, Demokratie, Nachhaltigkeit und Klima­gerech­tigkeit. Dass ein Kurswechsel hin zur Gemeinwohlorientierung nicht in Aussicht steht, ist daran ersichtlich, dass unsere Forderungen nach einem zumindest vorübergehenden Aussetzen geplanter Investitionen im fossilen Infrastrukturbereich keine Berücksichtigung fanden: Osttangente, Parkhaus Inselplatz, Stadioninfrastruktur – alles wird kommen und jede ernsthafte Diskussion hierüber wurde verweigert._ Auch unsere Kritik an der – vorgeblich alternativlosen – Ausrichtung auf weiteres Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum ist von der Stadtverwaltung und der Mehrheit des Rats zu keinem Zeitpunkt ernst genommen, sondern durchweg als realitätsfern zurückgewiesen worden. Unsere Vor­schlä­ge, welche in erster Linie die soziale Gerechtigkeit, den Schutz von Klima und Umwelt, die Überlebensinteressen künftiger Generationen sowie eine durch hiesiges Wachstum verursachte und damit vermeidbare Verarmung von Menschen und Natur in anderen Teilen der Welt im Blick haben, sind aber keine Träumerei, son­dern verantwortungsvoll und langfristig gedacht.

Unserer Ansicht nach muss ein Umdenken hin zu einem schnellen und entschlossenen Umbau der städtischen Infrastruktur im Hinblick auf Nachhaltigkeit und sozialen Ausgleich erfolgen, was sich natürlich nicht nur auf die Ebene der Stadtpolitik beschränken darf, sondern die breite Jenaer Bürger:innenschaft mit einbeziehen muss. Bleibt ein solcher Kurswechsel weiterhin aus, werden wir die in den vergangenen Wochen erlebten Auseinandersetzungen alle zwei Jahre aufs Neue erleben müssen – jedes Mal unter dringlicheren kri­senhaften Bedingungen und mit weiter schwindendem Handlungs­spielraum.
Stand: 17.03.2021