Bericht von der Besetzungsaktion des Jenaer Links­partei-Büros gegen die Massen­abschie­bung­en unter der Thüringer Linksregierung

Antirassist_innen aus Thüringen

erschienen zuerst am 11. Mai 2016 auf https://linksunten.indymedia.org/de/node/178706

Wir haben heute, am 11. Mai, von ca. 15:30 Uhr bis 18 Uhr aus zwei Gründen das Jenaer Parteibüro der Linken besetzt. Erstens wollten wir ein klares Zeichen gegen die Massen­abschie­bung­en von Mig­rant_in­nen aus Thüringen und die deutsche Deportationskultur set­zen. Jede Abschiebung ist ein Ver­brechen und muss gestoppt werden. Zweitens wollten wir die Debatte über die Verwicklung der Linkspartei in die Abschiebe­­ma­schi­nerie und unser Ver­hält­nis zu ihr anheizen. Die generelle Ab­leh­n­ung von Abschiebungen darf keine Verhandlungsmasse im Koali­tions­geklüngel sein.

Für uns ist klar: Die Linkspartei hat in Thüringen (und zahlreichen anderen Bundesländern) durch ihre Regierungs­bildung die politische Entscheidung getroffen, die staat­liche Abschiebe­maschinerie zu verwalten und so neben Bullen, NGOs, Bürokratie etc. zu Mit­tä­ter_innen zu werden. Das trifft selbst­verständlich auch für an­dere Parteien wie die Grünen und die SPD zu. Dennoch versuchen die Thüringer Linken immer noch mit Refugees-Welcome-Postern und über sinnfreies Gelaber das zu ver­schlei­ern, was doch so offen­sicht­lich ist. Auch sie lassen abschieben. Auch sie unterteilen durch ihre Politik „gute Kriegs­flücht­linge“ und „schlechte Wirt­schaftsflüchlinge.“ (Wie auch im ND-Online-Artikel zu unserer Besetzung, in dem am Ende darauf hingewiesen wird, wie sich die Linken für den Familiennachzug von Syrer_in­nen stark machten.) Und auch sie schöpfen nicht einmal den Rahmen des Möglichen aus. Es gibt z.B. in Thüringen keinen Winterabschiebestop mehr wie noch zu Zeiten der CDU-Re­gie­rung. Damit haben die Linken schon lange eine rote Linie über­treten und können sich nicht länger über ihren angeblichen Kampf in den Institutionen und dessen Widersprüche rausreden. Das über­rascht uns nicht weiter. Wer den Staat übernehmen will, übernimmt auch seine Logik und dazu gehört die Bevöl­ker­ungs­­­verwaltung durch Deportation und Abschiebung. Wären die Leute in der Linkspartei tatsächlich Antiras­sist_in­nen, müssten sie die Koalition platzen lassen oder austreten.

Auch während der Besetzung haben Linke-Funktionäre und Partei­mit­glieder versucht, uns zuzulabern und sich rauszureden. Es hat eine Weile gedauert, ihnen klar zu machen, dass wir nicht gekommen sind, um mit ihnen zu sprechen und in Dialog zu treten, sondern dass wir ihr Büro besetzt haben, um es mit unseren Inhalten zu füllen.

Während der Besetzungsaktion wur­den 600 Flugblätter auf Deutsch und Englisch in der Innenstadt verteilt (siehe weiter unten) und eine Rhythms of Resistance / po­li­tische Samba-Gruppe spielte. Die RoR-Gruppe hat viel Aufmerk­samkeit auf die Aktion gelenkt und dabei Slogans gerufen wie: „Gegen das deutsche Abschiebe­regime“ und „Auch die Linken bringen Menschen um, jeden Tag durch Abschiebung“.

16:30 Uhr haben wir im besetzten Büro eine Info-Veranstaltung durchgeführt. Es wurden Infos über die beteiligten Apparate und die Abschiebungen der letzten Monate durchgegeben, Leute haben von ihren persönlichen Erfahr­ungen und ihre Mitbetroffenheit gesprochen und wir haben über antirassistische Praxis und die Rolle und Mitschuld der Links­partei gesprochen. Wir alle stehen vor der Frage, wie wir unsere Ohnmacht angesichts der überwältigenden Entwicklung (z.B. Sonder-Abschiebelager für Roma und Romnja in Bayern, die Ver­schlep­pung unserer Freund_innen) kollektiv über­win­den können.

Nachdem wir die Info-Veran­stal­tung beendet hatten, verließen wir das Büro geschlossen und zogen als Spontan-Demo über die Johannis-Straße.

Es kamen schon zu Beginn der Beset­zung relativ schnell Bullen (vermutlich vom Makler-Büro auf demselben Haus­flur oder der Hausverwaltung gerufen) und Leute vom ZEVD, dem Zentralen Ermitt­lungs- und Vollzugsdienst der Stadt­verwaltung (sehen aus wie Securities und werden vom Ord­nungs­amt bei Ruhestörungen etc. geschickt). Die Bullen führten während der Aktion Personalien­kontrollen im Umfeld des Büros durch, klauten das „Abschie­bung­en Stoppen“-Transpi, kontrollierten und filmten die Rhythms of Resis­tance-Gruppe nach der Aktion und stoppten und filmten die Spontan­demonstration und lösten sie mit 4 Wannen voller Bullen auf.

Durch die Aktion haben wir die Stadt informiert, Aufmerksamkeit erregt, einige hitzige Debatten angestoßen und Leute dazu ge­zwungen, endlich klar Position zu beziehen. Letzten Endes war es natürlich bloß eine symbolische Aktion. Worauf es ankommt, ist der alltägliche gemeinsame Orga­ni­sierungs­pro­zess von Mig­rant_innen und Unterstützer_in­nen. Abschiebungen kön­nen nur von einer selbst­organi­sier­ten und rebellischen Community der Mig­rant_innen verhindert werden und diese Community müssen wir unter­stützen, indem wir die Isolation in den Lagern aufbrechen, die Menschen ken­nen lernen und den gemeinsamen Widerstand organisieren.

Wir dokumentieren hier noch ein­mal das Flugblatt, das in der Stadt verteilt wurde:

Wir haben soeben das Parteibüro der Linkspartei besetzt, um gegen die anhaltenden Massen­ab­schie­bungen von Migrant_innen aus Thüringen zu protestieren!

In regelmäßigen Abständen ver­schlep­pen deutsche Polizisten Menschen aus ihren Wohnungen oder aus den Lagern und Heimen, in denen sie festgehalten werden, stecken sie in Busse und bringen sie zum Leipziger Flughafen, von wo aus sie per Flugzeug de­por­tiert werden. In jeder deutschen Stadt gibt es diese Lager und Heime, auch in Jena. Diese Ver­bre­chen finden in unserer nächsten Nähe, unter unseren Augen statt! Die letzte Abschie­bung aus Thüringen wurde am 21. April 2016 durchgeführt. 35 Menschen wurden in den Kosovo abgeschoben.

Wir haben heute aus zwei Gründen das Büro der Linkspartei besetzt. Erstens verwalten die Linken unter Ramelow seit 2014 den Thü­ringer Staat. Die Massen­abschie­bung­en von Migrant_in­nen, die Repression in den Knästen, die Polizeigewalt gegen antifa­schis­ti­sche Proteste finden unter ihrer Regierung statt. Die Nazis brüllen „Ausländer raus“ und die Linkspartei setzt das um. Dafür haben sie die politische Verant­wor­tung zu tragen. Zweitens behaupten viele Linkspartei-Mit­glieder immer noch, sie seien Teil einer antirassistischen Partei und „setzten sich für die Flüchtlinge ein“. Sie haben die Dreis­tig­keit, am 20. April mit Refugees-Welcome-Postern auf die Straße zu gehen und wortwörtlich am nächsten Tag abschieben zu lassen. Hier müssen wir einen klaren Trennstrich ziehen und sagen: Nur wer sich aktiv gegen die Abschiebung aller Mig­rant_in­nen einsetzt, kann Teil einer antiras­sisti­schen Bewegung sein.

In einer Zeit, in der Deutschland wie­der Lager baut, um Roma, Romnja und andere Migrant_innen dort einzu­sper­ren, in einer Zeit, in der linke Parteien Massen­ab­schie­bungen durchführen lassen, erklären wir unsere ungebro­che­ne Soli­darität mit allen Migrant_in­nen! Wir stellen uns auf ihre Seite, gegen diesen Staat und gegen seine linke Regierung.

Und wir fordern nichts weniger als die Schließung aller Lager und ein sofortiges Ende aller Abschiebungen! Bis das nicht passiert, rechnet mit unserem Widerstand!

Kommt alle um 16:30 Uhr ins besetzte Linkspartei-Büro zu unserer Info­veran­stal­tung! Wir wollen über die Abschie­be­­ma­schi­nerie und die Kämpfe der Mig­rant_in­nen gegen die deutsche Depor­tations­kultur infor​mieren und dis­ku­tieren.