Kampagne gegen Deportationskultur und die Kriminalisierung von Flüchtlingen in Deutschland und Europa – In Solidarität mit dem Netzwerk der Flüchtlings-Communitys

von The VOICE Refugee ForuGegen Deportationskultur (2) – Ab­schie­bungen sind Verbrechen und wir kämpfen für ihr Ende

Die europäischen Asyl-Strukturen und -Prozesse sorgen für die Kri­mi­na­lisierung aller Flüchtlinge (bei einigen sogar vor ihrer Ankunft in Europa). Dieser Krimi­na­li­­sier­ungs­­prozess setzt umgehend ein und wird mit großer Akribie organi­siert. Er zeigt sich in den verschie­denen Formen der Diskrimi­nierung und des gesellschaftlichen und institu­tio­nellen Rassismus, der mit der Abschiebung endet. Abschie­bung­en sind Verbrechen. Nicht nur aufgrund der offensicht­lichen Ver­weigerung des Rechts der Abge­scho­benen auf Bewegungs­frei­heit und auf die freie Wohnort­wahl, sondern auch weil nicht mit den physischen und finanziellen Kosten und den lang anhaltenden psycho­­lo­gischen Auswir­kung­en ge­rech­net wird. Darum kümmern sich die Abschiebe­ma­schinerie und ihre Vertreter nicht. In den schlimmsten Fällen sterben einige während des Abschiebeverfahrens, während andere in Länder entsorgt werden, wo ihre Leben auf dem Spiel stehen oder wo sie sogar von den poli­ti­schen Kräften umgebracht werden, vor denen sie eigentlich gefloh­en waren. Seit einigen Jahren arbeiten die deutschen Behör­­den mit aus­ländischen Bot­schaf­ten wie der Nigerianischen Botschaft in Berlin zusammen, um Reisepapiere für Staatsbürger ganz anderer afrika­ni­scher Staaten auszu­stellen, die dann ohne jeg­liche Sicher­heits­garantie nach Nigeria abgeschoben werden. Obwohl das bereits öffent­lich skandali­siert wurde, besteht kein Zwei­fel, dass beide Partner diese hinter­hältige Praxis fort­setzen.

Das Recht auf Asyl und Schutz vor Verfolgung, das Herzstück der Genfer Konvention, wird in Deutsch­land sinn­ent­leert. Die Abschaf­fung von Flücht­lings­­rech­ten hat für den Staat oberste Priorität. Gleichzeitig beschul­di­gen Po­li­ti­ker, Rassisten, verlei­tete oder ig­norante Men­schen die Flüchtlinge aller Proble­me der deutschen Gesell­schaft und rechtfertigen und stabi­lisieren so die Deporta­tions­kultur und den sozialen Ausschluss der Flüchtlinge

Künstliche sichere Länder

In den letzten Monaten und Wochen wurde zahlreiche Roma-Familien in ihre sogenannten „sicheren Herkunfts­län­der“ der Balkan-Halb­insel abgeschoben. In der Mehr­heit dieser Staaten wie Al­banien, Serbien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Makedonien und Montenegro besteht der fürchterliche Alltag der Roma aus Diskriminierung, Verfol­gungs­dro­hung­en und tatsäch­lich­er Verfolgung. In keinem dieser Länder gibt es eine Sicher­heits­ga­ran­tie für Roma, aber das spielt für die deutsche Regierung und ihre Partner in der EU keine Rolle. Weitere Abschie­bungen wurden angekündigt, inklu­si­ve Abschie­bung­en nach Afghanis­tan, die seit kurzem anlaufen und als „frei­wil­lige Rückkehr“ bezeich­net werden. Es gibt Pläne, mehr Abschiebungen durch­zuführen. Die zweifelhaften bilateralen Verträge mit nordafrika­ni­schen Staaten und ihre Erklärung zu „sicheren Herkunftsländern“ ebnen den Weg für die Abschie­bung von Flüchtlingen aus dieser Region. Das sind künstliche sichere Länder. Diese Länder sind nur auf dem Papier sicher, einem Papier, das vor allem deutschen INTE­RES­SEN dient und nicht den Menschen, die auf der Suche nach Sicherheit und einem würdigen Leben geflo­hen sind.

Flüchtlinge, die sich weigern, die hinterhältigen Papiere der Aus­län­der­behörde zur freiwilligen Rück­führung zu unterschreiben, leben in dauerhafter Angst, ohne Voran­­kün­digung in Länder abge­scho­ben zu werden, in denen einige von ihnen mit dem Tod bedroht werden. Das kommt einer ständigen psy­cho­logischen Folter gleich, die die deutsche Regierung bewusst an­wendet, um den Willen der Flücht­linge in diesem Land zu brechen. Da hat sie keine Skrupel. Das ist ein Verbrechen und muss auf­hören!

Politiker der Regierungsparteien ma­chen sich eifrig für die tägliche Ab­schiebung Tausender von Flüchlingen stark, während pro­fa­schistische Par­teien soweit gegangen sind, einzufordern, dass die Polizei an den Landesgrenzen auf Flüchtlinge schießen soll. Spanische Grenzschützer haben an den Grenzen von Mellila und Ceuta 2005 unschuldige Flüchtlinge er­schos­sen, einmal ganz abgesehen von den schrecklichen Miss­brauchs­fällen, die es kaum jemals in die Presse schaffen. Das wird also nun in Deutschland vertre­ten, dem Herzen dieses ach so entwickelten und zivilisierten Europas, wo es einen solchen Über­fluss an Demokratie und Freiheit gibt, dass Deutschland sie sogar in sogenannte unter­entwickelte Länder exportieren will.

Kommen wir zusammen, um Ab­schie­­bungen und dem ge­sell­schaftlichen Ausschluss der Flücht­linge in Deutschland ein Ende zu setzen!

In diesen harten Zeiten, in denen der Angriff auf das Asylrecht bis zu seiner vollständigen Abschaf­fung fortgeführt wird und in denen rechter Terror, Gewalt und Massen­­mobilisierungen gegen Flücht­linge in Deutschland zuneh­men, wollen wir eine gemeinsame Plattform der Solidarität und des Wider­stands gegen diese Ver­brechen des deut­schen Staats aufbauen. Es ist nicht genug, sich den vorherrschenden ober­flächlichen und unreflektierten „Refu­gees Welcome“-Initiativen an­zu­­schlie­ßen, in denen die meisten „wohl­wollenden“ Akti­visten erwarten, dass die „armen Flüchtlinge“ auch noch dankbar dafür sein müssen, in Zelten und Sporthallen untergebracht und mit Second-Hand-Klamotten und Schuhen bombardiert zu werden.

Was zählt ist die Refugee Power – für Selbstbestimmung und Frei­heit!

Seit nun über 20 Jahren bringt The Voice nachdrücklich die dringlichen Fragen nach Freiheit, Gleichheit, Menschen­rechten und Würde für Alle zur Sprache und positioniert sich klar gegen den gesell­schaftlichen und insti­tu­tio­nellen Rassismus und gegen Diskrimi­nierung. Das aber schaff­ten wir nur dank unserer Fähigkeit zur Selbstorganisierung und Selbst­bestimmung und dank unserer Kon­se­quenz in den poli­tischen Aus­einander­setzungen.

Darum müssen wir den Selbst­orga­nisierungsprozess fortsetzen. Lasst uns uns in jedem Flücht­lings­­heim, in jedem Lager, wo auch immer wir uns befinden, in poli­t­ischen Communities organi­sie­ren!

Kommen wir in Solidarität mit den Verwandten derer, die auf ihrem Weg nach Europa gestorben oder ver­schwunden sind, zusammen! Kommen wir in Solidarität gegen jede Form von Repression in den Lagern und auf den Straßen von Deutschland und Europa im All­gemeinen zusammen! Je geeinter, desto stärker sind wir!!!

Wir wissen, dass die Gründe für die Flucht aus unseren Ländern mit der Ausbeutung und Zerstörung dieser, unserer Heimatländer durch Kriege und die sogenannten „inter­nationalen Verträge“ der global hegemonialen und reichen Staaten zusammenhängen. Wir sind hier, weil sie unsere Länder zerstört haben!

Erinnern wir uns an die Menschen, die wir in unseren Heimatländern zurück­lassen mussten, die weiter­hin von Marionettenregierungen, die westlichen Interessen ver­pflich­tet sind, unterdrückt werden. Prangern wir die Aus­beutung unserer Ressourcen durch die euro­pä­isch­en Staaten an. Sie wirken zusam­men mit Diktatoren und ihren Hand­langern an der Korruption der Länder der Flüchtlinge mit und unterdrücken diese auch noch in Europa!

Unsere Selbstbestimmung und die politische Autonomie in der Vernet­zung der Flüchtlings-Commu­ni­ty sind wichtige Bezugspunkte. Sie sind für die Fort­führung unserer Bemühungen, unabhängige politi­schen Plattformen der Flücht­linge aufrecht zu erhalten, von äußerster Wichtigkeit.

Wir rufen alle Flüchtlinge auf, auf­zustehen und die Heraus­for­der­ung anzugehen, diese Prinzipien zu leben, sich in den Prozess der Selbst­­organi­sier­ung und Selbst­bes­tim­mung ein­zubringen.

Wir rufen alle Unterstüt­zer_in­nen und nicht-Geflüchteten dazu auf, diese strategische Neubestimmung auf unserem Weg zu unterstützen, indem sie sich zusam­men­schlie­ßen, die Kämpfe der Flüchtlings-Community unterstützen und von der humanitären Hilfe oder symbo­li­schen Solidarität zu einer wirklichen Solidarität finden.

Unser Hauptziel ist, uns in Solidari­tät und frei von jeg­licher Form von Diskriminierung, Rassismus und Sexis­mus von Seiten des Staats, anderer Organisa­tio­nen oder der Flüchltings-Com­munity zu­sam­men­­zuschließen. Wir wollen über regelmäßige Treffen, Dis­kussionen und Veranstaltungen über die Lage in unseren Heimatländern und in Deutschland den soziokulturellen und poli­ti­schen Austausch beför­dern. Indem wir solche Veranstal­tungen und Aktivi­täten bei uns vor Ort und in anderen Städten organi­sieren, können wir – ihr und wir – die staatlich organisierte ISOLA­TION und ABSCHIEBUNG der Flücht­linge in Deutschland aufbrechen.

22 Jahren in BEWEGUNG haben uns, The Voice Refugee Forum, als ein Netzwerk von Flüchtlings-Communities gelehrt, dass die EIN­HEIT in einer unabhängigen politischen Plattform der Flücht­linge, in der Selbstbestimmung der Refugee-Communities, gemein­sam, von und für Flüchtlings-Aktivist_innen und Flüchtlinge STÄRKE bedeutet. Durch die Vernetzung unserer Com­muni­ties lassen wir keinen Flüchtling alleine!

Kommen wir im Kampf gegen Ab­schiebung, Abschiebe­knäs­te, Iso­la­tion und den sozialen Aus­schluss in Zelten, Sport­hallen, Lagern und Containern zusammen! Ohne die Com­muni­ty der Unter­drückten gibt es keinen richtigen Kampf!

Kommt zu unseren wöchentlichen Fllüchtlings-Treffen in Jena/Thü­ringen: Jeden Donnerstag um 18 Uhr in unserem Büro (Schiller­gäss­chen 5).
Ihr könnt uns auch eine E-Mail schicken: thevoicerefugeeforum@riseup.net
Mehr Infos: http://thevoiceforum.org/

The Voice Refugee Forum – Com­mu­nity-Netzwerk in Deutschland

 

Fußnoten

(1) zuerst erschienen Ende April 2016 auf www.thevoiceforum.org/node/4152

(2) Der Begriff der Deportationskultur wird im Text von The Voice nicht weiter erklärt. Wir halten ihn dennoch für ein wichtiges Konzept, weil darüber zwei Dinge im Zusammenhang mit den Abschiebungen deutlich werden. Erstens stehen die Abschiebungen nicht für sich, sondern sind eingebettet in eine rassistische Alltags­kultur, die sie rechtfertigt, und in eine Gesellschaft, deren Institutionen (Lager, Polizei, Ausländerbehörden, Datenerfassungen, Sonder­gesetz­ge­bung­en etc.) sie erst praktisch möglich machen. Und zweitens sind die Abschiebungen eine euro­päische Tradition. Egal ob Bevölkerungsaustausch, Zwangs­um­siedlung, Depor­tation, Ver­trei­bung oder Abschiebung – die modernen europäischen Staaten haben schon immer Bevöl­ker­ung hin- und hergeschoben.