von Kevin
Die Interventionistische Linke (IL) ist eine der dominierenden Strömungen der deutschen (radikalen) Linken. Auch in Jena ist sie Thema: Die Jeaner Undogmatische Radikale Initiative (JURI) war bis 2014 IL-Mitglied, Leute von hier haben an großen IL-Kampagenen teilgenommen (Castor Schottern 2010, Blockupy 2012-2014, Ende Gelände 205 untd 2016), sind zu ihren Gipfeln gefahren (Antifa in der Krise 2014, Strategiekonferenz 2016), IL-Mitglieder sind zum Studium nach Jena gezogen, ganz um die Ecke, in Leipzig, gibt es eine aktive IL-Gruppe.
Kurze Geschichte der IL
Die Interventionistische Linke ist ein Zusammenschluss „postautonomer“ Gruppen, d.h. von Gruppen, die sich oft aus der historischen (80er Jahre) oder aktuellen autonomen Szene herausentwickelt haben und sich kritisch von ihr abgrenzen. Sie ist im Kontext der Alterglobalisierungsbewegung entstanden, deren Hauptpraxis darin bestand, zu großen zwischenstaatlichen Gipfeltreffen Gegenproteste zu organisieren. Nach dem Kölner Anti-G8-Gipfel von 1999 kam es zu jährlichen „Beratungstreffen“ (die erste Phase), in deren Verlauf sich die Gruppen fanden, die 2004 eine größere Aktionskonferenz organisieren. Hier wurde entschieden, zum Jahreswechsel 2004-2005 die Interventionistische Linke zu gründen (zweite Phase) und zu den Protesten gegen den G8-Gipfel von Rostock-Heiligendamm 2007 zu mobilisieren. Die Gruppen, die sich darin wiederfanden, waren zu dem Zeitpunkt ziemlich heterogen und verschieden. Seitdem hat sich die IL von Konferenz zu Konferenz und von Großkampagne zu Großkampagne gehangelt und stark zentralisiert. Im Zwischenstandspapier von 2014 wird die IL von einem Bündnis zu einer Organisation (dritte Phase), alle Gruppen müssen den gleichen Namen annehmen, Hauptmitgliedschaft aller Beteiligten muss die IL sein.
Ich will im folgenden ein paar meiner Kritikpunkte an der IL erklären. Sie beziehen sich vor allem auf die Dinge, die das bundesweite IL-Projekt von anderen unterscheiden. Das kann bei den jeweiligen Ortsgruppen sicher unterschiedlich aussehen und das können Einzelmitglieder sicher anders sehen. Es geht mir nicht darum, die niederzumachen, sondern im Kontext laufender Diskussionen über die IL eine kritische Gegenperspektive auf das Gesamtprojekt stark zu machen.
1. Strukturelle Verflechtung mit den Staatsapparaten
Die IL ist über Doppelmitgliedschaften, enge Beziehungen, Bündnisse und Entrismus (1) strukturell mit den verschiedensten Staatsapparaten verflochten – der Linkspartei, den linken Stiftungen, gewissen NGOs, korporatistischen Gewerkschaften etc. Viele IL-ler_innen haben in solchen Apparaten großartige Karrieren hingelegt. Es ist kein Geheimnis, dass sich Einige in Thüringen bei der Regierungslinken haben anstellen lassen und auf Podien lieber über die großartigen Errungenschaften der Linkspartei und des „roten Thüringen“ sprechen als über die Massenabschiebungen, die Repression im Knast, die Bullenrepression usw. usf. Siehe die Strategiekonferenz der IL vom April 2016. Das wird auch ideologisch und programmatisch gerechtfertigt. Mit Gramsci und Poulantzas können IL-Leute einem_r ganz toll erklären, warum das eine revolutionäre Strategie ist: „den herrschenden Diskurs verschieben“, „die Widersprüche in den Apparaten ausnutzen“… Die IL sagt so ganz offen, dass sie Bindeglied zwischen Staat/Regierung/Partei und Bewegung sein und eine große Mosaiklinke einen will. Dadurch verwischen sie Konfliktlinien zwischen Antiautoritären und Staatslinken und zwischen der Bewegung und dem Staat, deeskalieren den Kampf gegen die staatlich-bürokratische Verwaltung unserer Leben und unserer Kämpfe, unterwandern die Autonomie der Bewegung und tragen zu ihrer dauerhaften Wiedereinbindung und Domestizierung bei. Um etwaigen Vorwürfen vorzubeugen. Ja, der Staat ist ein soziales Verhältnis und nicht nur die Regierung. Und ja, es gibt kein außerhalb des Staats und wir stecken alle mit drin. Aber diese Erkenntnis darf nicht zu einer „Anything goes“-Mentalität führen. Als Teil des gesellschaftlichen Verhältnisses Staat gegen diesen kämpfen, heißt dann, sowohl diese Verstrickung zu reflektieren und neue Beziehungen zueinander aufzubauen, die nicht staatlich vermittelt sind, als auch sich der Einbindung in die Staatsapparate zu verweigern.
2. Kampagnen auf der zentralen politischen Bühne
Ziel der IL ist es, eine vom politischen Establishment und den Medien anerkannte und respektierte politische Kraft zu werden. Deswegen setzt sie auf Pressearbeit (Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Medien) und große medienwirksame Kampagnen. Die bekanntesten Großkampagnen sind bundesweit, aber teilweise werden auch lokale Projekte nach dem Kampagnen-Modell gestaltet. Darüber wird eine soziale Bewegung simuliert, die es so in den Vierteln, am Arbeitsplatz, in den sozialen Kämpfen (sprich: in unserer alltäglichen Lebenswirklichkeit) nicht gibt. Der Effekt: Wir toben uns ein paar Mal im Jahr bei Großkampagnen aus und machen uns so vor, wir seien eine schlagkräftige Bewegung. Das hilft weder den bereits laufenden lokalen Kämpfen, noch kommen wir dazu, in der Alltagserfahrung der Menschen um uns herum präsent zu sein, lokal verankerte Strukturen aufzubauen und gemeinsam mit ihnen neue Kämpfe anzustoßen (z.B. eine autonome Studierendenbewegung, ein Bündnis prekärer Minijobber_innen, Mieter_innenproteste, …). Und wovor fürchtet sich das Kapital wohl eher – vor einer Großdemo mit bunten Regenschirmen oder vor Menschen, die in all ihren Lebensbereichen (auf Arbeit, als Mieter_innen, im Heim etc.) gemeinsam dickköpfig Tag für Tag für ihre Interessen und Bedürfnisse kämpfen?
3. Taktieren
In der IL ist die Idee sehr weit verbreitet, „strategisch“ auf ein gewissen Endziel hinzuarbeiten. Diese „Strategie“ wird oft zum Vorwand für taktische Manöver, die den radikalen Anspruch der IL selbst ad absurdum führen. Zum Beispiel: Die IL will „an die Massen ran“, will viele Leute organisieren. Welche Taktiken werden dafür angewandt? Die Leugnung der eigenen politischen Identität, die Entradikalisierung des Bewegungsdiskurses, Allianzen mit Teilen der Herrschaftsapparate (Linkspartei, NGOs), die Wiedereinführung eines pazifistischen „Konsens“ in die Auseinandersetzungen. Das war zuletzt gut bei der Leipziger Kampagne für ein Social Center for All (SC4A) zu sehen. Text und Mobi blieben alle ganz brav, die Aktionen rein symbolisch, am Ende wurde dem Oberbürgermeister sogar ein Kuchen zu seinem Geburtstag gebacken. Kein Wunder, dass viele Anarchos und Antifas im Verlauf frustriert abgesprungen sind. Auf diese Art und Weise lassen sich sicher einige Dinge erreichen. Das Ergebnis ist dann aber bereits domestiziert und eingebunden.
4. Bürokratismus
Keine Organisation ist vor ihrer eigenen Bürokratisierung gefeit. In der FAU ist das z.B. eine ganz starke Tendenz. Aber die IL ist da ein Musterbeispiel. Es gibt tausend Kongresse, Delegiertentreffen, Abstimmverfahren, Boards, Kader etc. Wo liegt das Problem? Über die Bürokratisierung hält eine staatliche Logik Einzug in die Bewegung, die Logik der Bevölkerungsverwaltung und des Funktionärs. Dann zählen nicht mehr die Beziehungen, die wir untereinander aufbauen, sondern dann zählen Zahlen und technische Verfahren, dann werden wir selbst zu Zahlen und müssen in diesen Verfahren bestehen. Zweitens bildet sich ein bürokratischer Apparat heraus, der über kurz oder lang eigene Interessen entwickelt. Sein Hauptinteresse: der Selbsterhalt. Wenn man einmal wie die IL so straffe überregionale bürokratische Strukturen aufgebaut hat, werden diese ganz logisch weitere überregionale Kampagnen und Events (siehe Punkt 2) anstoßen, um ihre eigene Existenz zu rechtfertigen. Und drittens frisst dieser Apparat massig Ressourcen der jeweiligen Gruppe, die in den lokalen Auseinandersetzungen dann fehlen. Klar braucht es überregionale und internationale Vernetzung. Aber nicht, um ein bundesweites Corporate Design bekannt zu machen (IL), sondern damit die, die bei sich vor Ort Bewegungsstrukturen aufbauen und aufrecht erhalten und sich in Kämpfe und Auseinandersetzungen einbringen, untereinander austauschen, voneinander lernen und gegebenenfalls gegenseitig unterstützen. Und dafür reicht eine lose Vernetzung.
5. Organisationspatriotismus
Mit Organisationspatriotismus meine ich zum einen das mit dem Zwischenstandspapier etablierte Prinzip, dass wenn du in der IL bist, sie deine Hauptorganisation zu sein hat. Klar darfst du in anderen Gruppen mitmachen, aber letzten Endes hast du dich mit der IL zu identifizieren und den größten Teil deiner Arbeit bei ihr reinzustecken. Ob dieses Prinzip (bisher) durchgesetzt wird, kann ich nicht sagen. Zweitens meine ich damit eine Einstellung, die ich sicher auch von Leuten z.B. von der FAU kenne, die mir aber oft bei IL-Leuten aufstößt. Ich habe manchmal den Eindruck, dass sie sich in die Kämpfe auf eine Art einbringen, die in erster Linie darauf zielt, die eigene Organisation bekannter zu machen und möglichst viele Leute für sie zu rekrutieren. Ich glaube, die Motivation für einige Projekte besteht teilweise nicht so sehr in deren Mehrwert, sondern in der Werbung und Rekrutation für die Organisation. Ich finde, das kann sehr schnell in ganz klassische Vorfeld-Politik umschlagen.
6. Klassenkampf
Die IL ist ein super Beispiel für den Mainstream der postautonomen Linken, die Anfang der 90er eine Selbstkritik am patriarchalen, kolonialen und ökonomistischen Klassen-Konzept der Zeit geübt haben, um den Klassenkampf anschließend vollends zu entsorgen. Der Antikapitalismus der IL ist dann meistens eine hohle Phrase (Let’s fight capitalism!), aber keine Alltagspraxis. Welche Alltagspraxis? Z.B. Selbstorganisierung als Arbeiter_innen in basisgewerkschaftlichen Strukturen, das Führen von eigenen Arbeitskämpfen in der eigenen Lebenswirklichkeit, eine Verweigerung der Einbindung durch die Apparate, die uns als Arbeiter_innen mitverwalten. Das soll nicht heißen, dass Arbeitskampf DAS Kampffeld ist, aber doch zumindest EIN Kampffeld. Stattdessen wird oft Stellvertreter- oder Unterstützer_innen-Politik gemacht. Für Geflüchtete, für die Mieter_innen und andere. Es ist wichtig, die Kämpfe Anderer zu unterstützen, aber ich denke, wir können erst dann verlässliche Verbündete sein, wenn wir unsere eigenen Erfahrungen im Kampf gegen die Verhältnisse gemacht haben, die genau uns betreffen. Denn dann läuft die Zusammenarbeit nicht mehr auf die Unterstützung der Einen durch die Anderen heraus, sondern auf einen gemeinsamen Kampf und die gegenseitige Unterstützung von Leuten, die alle auch ihre eigenen Kämpfe führen.
Und nun?
Für die IL ist Politik Machtpolitik. Es geht darum, durch Beziehungen und Kontakte zu den richtigen Leuten, durch die Besetzung von Machtpositionen, durch die Präsenz in der Berichterstattung der Medien, durch die Mobilisierung vieler Leute Einflusshebelchen zu bedienen und so „Brüche zu erzeugen“, die am nächsten Tag schon wieder verpufft sind. Aber es sind die Beziehungen, die wir in unserem Alltag und bei uns vor Ort untereinander und zu anderen Menschen aufbauen, in denen das revolutionäre Potenzial steckt. Beziehungen der Solidarität, der gegenseitigen Hilfe, des Vertrauens und des gemeinsamen Kampfes, die wir sowohl in politischen Gruppen (basierend auf einer gemeinsamen politischen Identität) als auch in konkreten Initiativen (basierend auf der gemeinsamen gesellschaftlichen Lage im sozialen Krieg) entwickeln können und sollten. Und diese Beziehungen, die autonomen Strukturen und Kämpfe, die aus ihnen resultieren, lassen sich nicht durch eine strategisch geplante überregionale Kampagne und tolle Mobilisierung erreichen, sondern nur durch die jahrelange Aktivität von uns in den gesellschaftlichen Bereichen und Verhältnissen, in der gesellschaftlichen Lage, in denen wir selbst mitdrinstecken – in unserem Stadtteil oder Dorf, an unserer Schule oder Uni, an unserem Arbeitsplatz, als Frauengruppe, Arbeiter_innen-Intiative oder migrantische Gruppe etc. Und mit dieser Ansicht stehen wir als Anarchist_innen gar nicht alleine da. Diese Ansicht wird teilweise noch viel stärker als von uns von radikalen Feminist_innen oder von selbstorganisierten Migrant_innen vertreten.
Fußnote
(1) Entrismus bezeichnet die ursprünlich von Trotzkisten ab den 1920ern angewandte Strategie, in reformistische Organisationen reinzugehen, um in diesen zu wirken, zu rekrutieren, um sich vor Repression zu schützen und um eventuell sogar den Gesamtkurs dieser Organisationen zu beeinflussen.