Wer war Willi Jelinek?

von Kevin

Wilhelm „Willi“ Jelinek war ein Zwic­kau­er Anarchosyndikalist. Von 1922 bis 1933 gab er die Zeitung „Proletarischer Zeitgeist“ (PZ) mit heraus, in der sich sowohl räte­kommunistische wie anarchis­ti­sche Positionen wiederfanden. Die letzten Ausgaben wurden bereits aus dem Unter­grund heraus veröffentlicht. Jelinek kam nach der Machter­greifung der National­so­zia­list_innen 1933 in Schutz­haft. Mehr hab ich über seinen Widerstand zu NS-Zeiten nicht gefun­den.

Den Krieg und die NS-Diktatur über­stan­den 27 der Zwickauer PZ-Heraus­geber_innen nicht. 1945 sammelten sich die 6 Überlebenden um Willi Jelinek und bildeten gemeinsam mit Mit­glie­dern der ehema­ligen Anar­chistischen Föde­­ration den Zwickauer Kreis. Im Unter­schied zu anderen Anar­chist_in­nen der Nachkriegszeit wie der Rei­mers-Kreis in Hamburg sprach sich der Kreis um Jelinek gegen eine Einheits­front mit SPD und KPD aus und ver­weigerte auch die Beteiligung an deren Zusammen­gehen in die Sozialis­ti­sche Einheits­partei Deutschlands (SED) in der Sowjetischen Besatzungszone. Er sah die staats­kapitalistische Diktatur nach sowjetischem Vorbild bereits kommen und drängte daher auf die Vereinigung aller Anarchist_innen als eine Opposition außerhalb der SED. Mit der Abonnent_innen-Liste des PZ, die Jelinek seit 1933 in einem Versteck aufbewahrt hatte, baute der Zwickauer Kreis ein Netzwerk von Anarchist_innen in der gesamten SBZ sowie in die West­zonen auf.

Der Zwickauer Kreis bildete eine gesamtdeutsche Informationsstelle und gab ab Juni 1946 Rund­schrei­ben raus. Diese ersetzten eine eigene Zeitschrift, für die die Anarchist_innen weder das Material noch die Genehmigung hatten. Gleichzeitig führten die Zwickau­er_in­nen einen regen Brief­­wechsel. So wur­den der Zwic­kauer Kreis um Jelinek zum Motor des Nachkriegs-Anarchismus in der SBZ und den Westzonen. Jelinek unter­stützte z.B. die Bremer Bücher­gilde mit Bücher­sendungen. 1947 gingen die Informations­stel­le und die Zwickauer Rund­schrei­ben aus Angst vor Repression durch die Behörden in der SBZ mitsamt eines Vervielfäl­tigungs­ap­parats an den Mühlheimer Kreis um Willy Huppertz in die Westzone über. Aus ihnen ging 1948 die anarchistische Zeitschrift „Die Befreiung“ hervor, die bis 1997 erschien.

Jelinek und seine Genoss_innen kritisierten offen die sich abzeichnende SED-Diktatur, den neuen deutschen Pat­rio­tismus und die soziale Ungleich­heit in der SBZ und machten sich statt­dessen für einen freiheitlichen Sozia­lis­mus stark. Für November 1948 organisierten sie in Leipzig eine Konferenz für die libertären Grup­pen der SBZ. Alle Teil­neh­mer_in­nen wurden verhaftet und zu bis zu 25 Jahren Zuchthaus verur­teilt, auch Jelinek. Er wurde erst in Dresden, dann in Sach­sen­­hausen und schließlich in Bautzen in­haf­tiert. In weiteren Verhaf­tungs­wellen 1949 wurde das anarchistische Netzwerk in Ost­deutschland vollends zerschlagen. Erst in den 1980ern kam mit der der Kirche von Unten, der Ost-Ber­lin­er Umwelt­bibliothek, der Dresdner Gruppe Wolfs­pelz, verschiedenen libertären Samiz­dats wie den Um­welt­blättern oder dem Kopf­sprung und dem Anarcho-Punk wieder eine anar­chis­tische Strömung in un­ser­er Ecke auf.

In Bautzen saßen neben Jelinek und ein paar wenigen Anarchisten wohl vor allem National­sozia­lis­ten ein. Die Le­bens­bedingungen im Bautzener „Gel­ben Elend“ waren äu­­ßerst erbär­mlich. Die Gefang­en­en wurden ausge­hungert und er­krank­ten massen­haft an Tuber­kulose. Im März 1950 kam es deswegen zu zwei Hungerrevolten, an denen Jelinek höchst­wahr­schein­lich beteiligt war. Die erste wurde durch Einlenken der Behörden noch befriedet, die zwei­­te brutal niedergeschlagen. 1952 wurde der Tod von Willi Jeli­nek bekannt gegeben. Wahr­schein­lich war er an den miserab­len Haftbedingungen zugrunde gegangen.

Die Befreiung brachte einen Nachruf auf ihn raus. Ich gebe ihn hier wieder, obwohl er eine aus heutiger Sicht untragbare Gleichsetzung von NS und DDR enthält. Ich glaube aber, dass es keinen Sinn macht, die Geschichte unserer Bewegung zu beschönigen, sondern dass wir uns mit ihr mit allen ihren Widersprüchen aus­ein­ander­setzen sollten. Sicher gibt es genug Gemeinsamkeiten zwischen DDR uns NS, einfach weil beide Systeme staatliche Diktaturen waren. Aber ansonsten gab es in der DDR weder Masseninternierung in KZs, noch organisierte Völker­morde (Shoa und Porrajmos), noch wurde ein Welt- und Vernichtungs­krieg angefangen, der Dutzende Millionen von Todesopfern for­der­te. Diese Gleichsetzung, die im Nachruf auf Jelinek mitschwingt, ist nicht nur falsch, sondern höchst gefährlich, weil sie zentraler Bestandteil der neuen deutschen Nationalerzählung nach 1989 geworden ist.