verfasst von zwei Mitgliedern des CATI-Labour-Struggles, die nicht beanspruchen können, für die ganze Gruppe zu sprechen
Was ist passiert?
Mitte Juni begannen organisierte Interviewer_innen des CATI-Labors der Uni Jena gemeinsam mit der FAU einen Arbeitskampf. Dieser richtete sich gegen die Praxis, Studierende mittels Werkverträgen in die Scheinselbstständigkeit zu zwingen1. Außerdem wurde eine höhere Bezahlung der studentischen Arbeiter_innen2 gefordert.
Nachdem wir unseren Forderungskatalog den CATI-Labor-Verantwortlichen und -Assoziierten des Soziologie-Instituts zukommen ließen, passierte zunächst wenig bis nichts. Das Öffentlichmachen des Arbeitskampfes mit Plakaten, Flyern und einer spontanen Kundgebung hat hingegen ordentlich Bewegung in die Sache gebracht: Nach mehreren Gesprächen mit Vertreter_innen des Instituts – die erwartungsgemäß von verschiedenen Einbindungsversuchen geprägt waren – liegt nun eine Stellungnahme des Instituts für Soziologie vor. In dieser bestätigt das Institut, von der Werkvertragspraxis Abstand zu nehmen und spricht sich für eine Aufnahme von studentischen Hilfskräften in den Tarifvertrag aus.3 Von daher ist ein Teilsieg errungen; das Modell der Werkverträge und Scheinselbstständigkeit wird nach 12-jähriger (laut Institut „problemloser“) Anwendung fallen gelassen.
Werkverträge und Scheinselbstständigkeit
Das CATI-Labor wird von dem Institut für Soziologie betrieben und dient zur Durchführung von computergestützten Telefoninterviews (CATI = Computer assisted telephone interviewing). Dort werden die Daten für „Prestigeprojekte“ des Instituts wie zum Beispiel den Thüringen Monitor erhoben. Was war Anlass für unsere Unzufriedenheit mit der Arbeitssituation im CATI-Labor? Obwohl faktisch ein Arbeitsverhältnis vorlag, wurden die Interviewer_innen mit Werkverträgen beschäftigt. Diese machen sie zu Selbständigen, die sie de fakto nicht sind: Folglich lag eine Scheinselbstständigkeit vor.
Das faktische Arbeitsverhältnis ergibt sich aus der tatsächliche gelebten Praxis: Die Interviewer_innen arbeiten in den Räumen der Uni und zwar mit Material und Software der Uni, welche dieser zudem umfassendes Monitoring erlaubt. Sie sind weisungsgebunden und tragen sich in Dienstpläne ein. Letztendlich wurden die Interviewer_innen auch nicht pro Werk, also durchgeführtes Interview, sondern nach Arbeitszeit bezahlt. All dies ist auf der rechtlichen Basis von Werkverträgen entweder gar nicht oder aber nur unter bestimmten Umständen vorgesehen.
Die Werkverträge haben aber für die Uni einen großen Vorteil: Sie sind billig, da sie erlauben, die Verpflichtungen eines Arbeitgebers wie Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu umgehen. Dies geschieht dann logischerweise auf Kosten der Scheinselbstständigen. Da diese Praxis nach unserem Aufmucken nicht mehr haltbar ist, wird nun vermutlich angestrebt werden, die Interviewer_innen künftig als studentische Hilfskräfte anzustellen. Dieses Modell ist nicht unumstritten, da durchaus diskutiert werden kann, ob die Arbeit im CATI-Labor eine wissenschaftliche ist und somit auf SHK-Basis stattfinden kann.
Anders als bei vielen Hiwi-Stellen bei Profs können die studentischen Arbeiter_innen nicht auf eine Karriereplanung mit Papa Prof hoffen. Aus dem CATI-Labor gibt es keinen Weg nach oben, selbst wenn am Institut das persönlich-akademische Benefit der Interviewer_innen ausgiebig beteuert wird. Dass die Telefon-Interviewer_innen also nicht viel zu verlieren haben, erklärt, warum ein paar studentische Arbeiter_innen endlich mal rebelliert haben.
Reaktionen des Arbeit(„Auftrag“)gebers
Anders als unterstellt, wurde das CATI-Labor nicht in übler Absicht von der FAU infiltriert, um Interviewer_innen zu instrumentalisieren, sondern eine Gruppe von Interviewer_innen suchte die FAU- Sprechstunde auf. Dass die Inanspruchnahme des Schutzes der FAU nicht unbegründet war, zeigte sich spätestens, als der Arbeitskampf öffentlich gemacht wurde. Da kam es nämlich durchaus zu heftigen persönlichen Anschuldigungen und Diffamierungen der Kämpfenden. Folgende Strategien des Instituts und der Uni zeichneten sich ab:
1. Repression und Union Busting gegen die Gewerkschaft FAU Erfurt/Jena wurden in Betracht gezogen und vorbereitet. Mehrfach wurde behauptet, die FAU sei keine richtige Gewerkschaft, einzelne Personen schlugen auf einer Institutskonferenz vor, künftig vom Hausrecht Gebrauch zu machen und die Polizei gegen die FAU vorgehen zu lassen.
2. Es wurde sich bemüht, die studentischen Arbeiter*innen in internen Gesprächen zu beschwichtigen und einzubinden. Sie wurden u.a. eingeladen, sich (unbezahlt) an der Sonderkommission zum CATI-Labor zu beteiligen, so ihren eigenen Arbeitskampf von oben mitzuverwalten und das nächste Arbeitsmodell (vermutlich nicht weniger problematische Hiwi-Verträge) mitzugestalten und so zu legitimieren.
3. Einzelne Dozent*innen und Professor*innen des Instituts haben am Konflikt beteiligte studentische Arbeiter*innen im instituts-öffentlichen Raum bloßgestellt und verbal angegriffen. So entpolitisierten sie den Arbeitskampf zu einer persönlichen Fehde zwischen Einzelpersonen und übten Druck auf engagierte Student*innen aus.
4. Das Institut schob die (zunächst generelle, dann nur die juristische) Verantwortung die Uni-Ebene ab, obwohl es einen Teil der Schuld für das Schlamassel selbst trägt. Dass institutsintern letzten Endes ein Lösungsvorschlag ausgemauschelt wurde, zeigt, dass es da wohl doch einen gewissen Spielraum gab.
Nieder mit den roten Baronen!
Die Aktionen des CATI-Arbeitskampfs übten Druck auf den Apparat des Soziologie-Instituts aus. Dieser Druck führt zu einem Positionierungszwang, der letzten Endes interessante Erkenntnisse über die politischen Dynamiken innerhalb des linken Establishments am Institut brachte. (1) Nur Wenige unterstützten den Arbeitskampf öffentlich, z.B. die studentischen Hilfskräfte, die die zwei offenen Briefe verfasst haben. Einige sympathisierten unauffällig. (2) Auf der anderen Seite gab es eine Fraktion aus Profs, Dozent_innen und verbandelten Studis, die trotz ihrer ach so linken Texte klare Boss-Allüren an den Tag legten.4 (3) Zwischen diesen Fraktionen gab es eine Menge Karriere-Hiwis, Gewerkschaftsjugend-Aktivist_innen/Funktionär_innen und Leute aus studentischen Gremien, die auf Sozialpartnerschafts-Kurs waren. Sie wollten sich „beide Seiten anhören“, fanden die Ausfälle gegen die FAU natürlich blöd, waren aber auch der Meinung, dass die FAU übertreibe und überhaupt, wer sei schon die FAU etc. Sie konnten sich nie zu einer Unterstützung des Arbeitskampfes durchringen und machten sich stattdessen für die Einbindungsstrategie stark.
Ein paar Worte zum „Institutspatriotismus“, der von Boss-Profs und Sozialpartner-Studis gefahren wird: Es gibt die Ansicht, dass das linke Soziologie-Institut aufgrund seiner kritischen Forschung und Lehre so etwas wie einen Stützpunkt für die revolutionäre Bewegung darstelle. In der verallgemeinerten Konkurrenz um Prestige und Fördergelder könne es aber nur durch seine hohe Produktivität, z.B. viele Forschungsprojekte, bestehen. Und hier müssten wir alle mitanpacken und den Gürtel ein bisschen enger schnallen. Wer das nicht tut, wer sich z.B. wie die Leute vom CATI-Labor gegen die Ausbeute im Institut auflehnt, greife das Institut an, greife also das linke Projekt allgemein an und sei so was wie ein Konterrevolutionär.
Erstens glauben wir nicht, dass wir Studis und Hilfskräfte, die wir aufgrund von unbezahlten Überstunden teilweise für 5€ die Stunde arbeiten, dasselbe Interesse haben wie Profs, die einen fetten Gehaltsscheck und den ganzen Fame einheimsen. Zweitens kann man sich schon mal fragen, was bei der linken Soziologie politisch am Ende raus kommt: Geklüngel mit der Linksregierung, Werbung für die Linkspartei und Rosa-Luxemburg-Stiftung, Rekrutation für DGB und Gewerkschaftsbürokratien. Im Grunde ist das Soziologie-Institut einer der Standorte, an denen der linke Flügel des politischen Establishments hochgezogen wird. Mit autonomen Kämpfen und Selbstorganisierung hat das aber wenig zu tun. (Klar gibt es ein paar unverbesserliche Radikalinskis. Und die haben um ihr Überleben tüchtig zu kämpfen.) Dieser Institutspatriotismus ist aber nicht nur eine fixe Idee, er beruht auf materiellen Beziehungen. Einige Profs haben richtiggehend Kaderschmieden aufgemacht und pushen ihre Studis durch die akademische Konkurrenz und die wollen ihre Karrieren sicher nicht riskieren.
Leider ist die Deutungshoheit über den Konflikt die ganze Zeit bei den Soziologie-Chefs und ihrer Bagage geblieben. Ein Großteil der Studierenden glaubt bis heute ihrer Verschwörungstheorie, wonach die böse FAU die unschuldigen oder naiven Interviewer_innen aus dem CATI-Labor erst verführt und dann instrumentalisiert habe, um ihre eigene Agenda durchzusetzen, nämlich das linke Soziologie-Institut zu zerstören. Das ist nicht nur absoluter Mumpitz, sondern leider auch eine ganz klassische antigewerkschaftliche Erzählung.
Der kommende Aufstand5
Zusätzlich dazu haben ein paar weitere Faktoren uns im Verlauf des CATI-Labour-Struggle das Leben schwer gemacht: Der Komplex aus Mitverantwortlichkeit und Ohnmacht der jeweiligen verschiedenen Instituts- und Uni-Ebenen, was es schwer macht, eine klare Angriffsfläche zu identifizieren. Die Fluktuation und Schnelllebigkeit an der Uni, was langfristige Organisierungsprozesse, Erfahrungsweitergabe und größer angelegte Konflikte erschwert. Die persönlichen Abhängigkeiten und die Prekarität von Hilfskräften und Mittelbau. Und eine Mischung aus hoher Belastung in Prüfungszeiten und Unzuverlässigkeit der einzelnen Beteiligten. Um diese Dinge irgendwie zu überbrücken, wurde Anfang August von der FAU eine offene AG zur Arbeit im Bildungsbereich gegründet. Hier können sich alle einbringen und die anstehenden Arbeitskonflikte an der Uni Jena mitunterstützen.
Fußnoten
(1) Gezwungen? Ja, gezwungen! An der Wortwahl „zwingen“ haben Institutsverantwortliche großen Anstoß genommen. Schließlich werde hier niemand zu irgendetwas gezwungen, man erhalte vielmehr (dankenswerterweise) die Chance, etwas Geld dazuzuverdienen.
(2) Und schon wieder: Institutsverantworliche legen Wert darauf, dass die Interviewer_innen Studierende sind, keine „Arbeiter_innen“. Auch diese Wortwahl werden wir jedoch beibehalten, alles andere würde die Lohnarbeit und -Abhängigkeit verschleiern.
(3) Eine Aufnahme von Studentischen Hilfskräften (SHKs) in den Tarifvertrag finden wir richtig. Allerdings lautete unsere Forderung nicht, die Interviewer_innen zu SHKs zu machen, sondern sie am Tariflohn orientiert zu bezahlen (und nicht, sie darin aufzunehmen). Aber das nur nebenbei.
(4) Ein paar Zitate von einem der beteiligten Profs geben hier Aufschluss: Klagen seien nicht einseitig. “Wir, also die Uni, haben mehr und bessere Anwälte. Und wenn ich kämpfe, führe ich den Kampf so, dass er ihn gewinne.“ Oder: Wir dürften nicht von Prekarisierung sprechen, weil wir als Studierende nicht zur Klasse des Proletariats gehörten und daher auch kein Recht hätten, marxistische Klassenkampf-Rhetorik zu verwenden. Da könnten wir auch gerne mal ein Seminar bei ihm belegen und uns das noch einmal ausführlich erklären lassen.
(5) Ein bisschen Selbstironie muss sein.