von der FAU Erfurt/Jena
Als FAU (Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union) sind wir in Jena irgendwie bekannt, aber die wenigsten haben eine Vorstellug von unser praktischer Arbeit und begreifen – fernab des Kapital-Lesekreis oder pseudorevolutionärer antikapitalistischer Phrasen – die ökonomische Sphäre als politisches Kampffeld. Ein Kampffeld auf dem wir uns als kleine lokale Basisgewerkschaft zunehmend bewegen und fortwährend Kämpfe lostreten. Daher möchten wir im folgenden die Geschichte der Gesamt-FAU und unseres Syndikats in Thüringen beschreiben und erklären, warum wir es wichtig finden, dass sich mehr Menschen gemeinsam mit uns organisieren.
Die Gesamt-FAU
Die FAU wurde 1977 als I-FAU (Initiative FAU) gegründet. Im selben Jahr wurde die erste Ausgabe der Gewerkschaftszeitung Direkte Aktion (DA) herausgebracht. An diesem Prozess waren Exil-Mitglieder der kurz zuvor erst wiedergegründeten spanischen Gewerkschaft CNT beteiligt – ein schönes Beispiel für funktionierenden Internationalismus. Die FAU knüpft an die Tradition des historischen Anarchosyndikalismus und der FAUD an, die 1919 gegründet und 1933 von den Nazis zwangsaufgelöst wurde. Ziel der Neugründung war und ist es, eine klassenkämpferische Gewerkschaft ohne bezahlten Funktionärsapparat, Abhängigkeiten, Hierarchien und Gewerkschaftsbonzen aufzubauen. Eine Gewerkschaft, die nicht wie die großen DGB-Gewerkschaften mit Staat und Kapital kollaboriert (Stichworte: Sozialpartnerschaft und freiheitlich-demokratische Grundordnung), sondern ihnen den offenen Kampf ansagt. Deswegen haben wir rotierende Mandate für konkrete Aufgaben und sind föderalistisch aufgebaut, d.h. alle Enscheidungen werden vor Ort im autonomen Syndikat getroffen (FAU Erfurt/Jena) und nur über lokale Angelegenheiten hinausgehende Angelegenheiten mit der Regionalföderation abgesprochen (Region Ost) bzw. mit der Gesamtföderation (FAU) koordiniert. Lange Jahre war die FAU eher eine anarcho-syndikalistsche Folklore- und Traditionspflege-Organisation, die der spanischen Revolution von 1936 hinterhertrauerte und weniger eine Gewerkschaft mit eigenen Kämpfen. Das hat sich Ende der 2000er geändert, als zunehmend eigene gewerkschaftliche Kämpfe losgetreten wurden. Einer der wichtigsten war der Kampf am Berliner Kino Babylon 2009. Es folgten weitere medial wahrgenommene Kämpfe wie der Streik in der Dresdner Szene-Kneipe Trotzdem, der Kampf mit der Berliner Böll-Stiftung, die Kampft der Genossen aus Rumänien an der „Mall of Shame“ in Berlin und viele weitere kleinere und Alltagskämpfe. Das hatte zur Folge, dass sich die Mitgliederzahl bundesweit seit 2010 mehr als verdoppelt hat. Dieses Wachstum hat zum großen Teil in der Region Ost stattgefunden.
Die FAU in Thüringen
Im März 2007 wurde in Meiningen und Suhl die FAU Südthüringen (FAUST) gegründet. (Nächstes Jahr feiern wir uns zehnjähriges – haltet euch bereit!) Schon einige Monate danach unterstützte die FAUST die Besetzung des Nordhäuser Fahrradwerkes „Bike Systems“ durch die Arbeiter_innen. Dort wurde von der Belegschaft die Produktion in Selbstverwaltung übernommen. Das Strike Bike wurde zwar zum Soli-Hit, das selbstverwaltete Werk ging trotzdem 2010 pleite. 2012 verlagerte die Thüringer FAU ihren Schwerpunkt von Südthüringen in die Thüringer Studi-Metropolen und wurde dann in FAU Thüringen und später FAU Erfurt/Jena umbenannt. Die Hinwendung zu den eigenen Kämpfen fand bei uns 2013 statt, als ein Mitglied von uns als Tutor am ach so linken und kapitalismuskritischen Soziologie-Institut arbeitete und gemeinsam mit anderen Kolleg_innen einen Hiwi-Streik ins Rollen brachte. Als FAU waren wir aktiv beteiligt und unterstützten den Streik. Wir sammelten dabei zugleich Erfahrungen und Wissen im Arbeitskampf und -recht, die wir anschließend in der Minijob-Kampagne und eigenen Kämpfen einsetzten. Seitdem haben wir für und gemeinsam mit einigen Leuten aus der Szene Lohnzahlungen und andere Ansprüche erkämpft – bei Backwerk, Immergrün, Obi, beim NSU-Filmdreh und anderen Arbeitsplätzen. Dabei immer wieder, wie auch aktuell, an der Universität Jena.
Natürlich haben wir uns auch weiter bei Soli-Aktionen für andere Kämpfe engagiert (z.B. bei der spanischen Santander-Bank oder der Böll-Stiftung), haben zu (Antifa-)Demos mobilisiert und hatten vor Mindestlohn-Zeiten noch einen Minijob-Lohnspiegel am Laufen (abrufbar auf der Website). Wir bieten eine wöchentliche gewerkschaftliche Sprechstunde (v.a. zum Minijob-Bereich) an (jeden Dienstag von 18 bis 19 Uhr im Infoladen Jena) und unterstützten die Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO). Diesen Sommer haben wir außerdem zwei offene AGs gegründet, an denen alle, auch nicht-Mitglieder der FAU, sich beteiligen können: Eine Minijob-AG, um die Selbstorganisierung und Kämpfe von prekären Arbeiter_innen und Minijobber_innen zu fördern, und die Bildungs-AG, um die anstehenden Kämpfe an der Uni, die sich aus dem Arbeitskampf am CATI-Labor ergeben haben, gemeinsam zu stemmen.
Warum FAU?
Wir glauben sicher nicht wie vielleicht manche alten Anarchosyndikalist_innen, dass die Revolution nur von der Arbeiter_innenklasse und durch ihren Gewerkschaften gemacht wird, sondern wir halten die Gewerkschaft für eine notwendige Waffe, die uns als vielfältiger Bewegung für das konkrete und grundlegende, wenn auch nicht einzige, Kampffeld – das Kapital-Arbeit-Verhältnis – zur Verfügung steht. (Obwohl wir und andere FAU-Gruppen natürlich auch andere Sachen machen als bloß Arbeitskampf: Antifa, Kulturkram, Bildung etc.) Wir wollen sowohl für gegenseitige Hilfe und Solidarität untereinander sorgen als auch offensive Kämpfe gegen unsere Bosse und um unsere Bedürfnisse und Interessen führen. Dabei setzen wir uns zum Ziel, die Spaltungen und Hierarchien, die das Kapital unter uns erzeugt und ausnutzt, zu überwinden, d.h. wir bemühen uns, dass in der FAU Platz für alle ist – migrantische Arbeiter_innen (siehe die Berliner Foreigners Section oder die Zusammenarbeit der FAU Düsseldorf mit der Grupo de Acción Sindical), arbeitende Frauen (z.B. die Berliner Gender-AG, ihr Faltblatt und die Sprechstunde zu Sexismus am Arbeitsplatz), Arbeitslose (z.B. die gemeinsamen Besuche beim Amt und die Sachbearbeiter_innen-Datei der Dresdner FAU). Im Gegensatz zu den großen Gewerkschaften tun wir dies auf eine selbstbestimmte Art und Weise. Um zu verhindern, dass auch wir bloß eine Kopie des Staats werden (mit Wahlen, Abstimmungen, Repräsentant_innen, Männer-Geklüngel, bezahlter Bürokratie, Gehorsam etc.), haben wir einige Mechanismen entwickelt, nämlich rotierende unbezahlte Mandate, Entscheidungshoheit der Basis, lokale Autonomie, Ausschluss von der Mitgliedschaft für Bullen und Leute in Herrschaftspositionen über andere Arbeiter_innen.
Warum FAU in Jena?
Und warum eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft in einer Uni-Stadt wie Jena, wo so viele von uns Studierende sind? Als Studierende stehen wir nicht außerhalb des Kapital-Arbeits-Verhältnisses. Wir müssen schon jetzt kostenlose oder unterbezahlte Praktika machen (also für Umme arbeiten) oder jobben, um das Studium zu finanzieren und nach dem Studium werden wir häufig arbeitslos und vom Arbeitsamt verwaltet oder dürfen uns entweder vom Boss ausbeuten lassen oder uns als (Schein)Selbstständige in der Marktkonkurrenz selbstausbeuten. Auch wir von der FAU Erfurt/Jena sind typischerweise studentische Hilfskräfte oder haben Neben- und Minijobs und einige von uns sind mit Studieren fertig und malochen (und organisieren) im Call Center.
Wir halten es für ein großes Problem, dass die Linke (bis auf einige gruselige autoritäre rote Gruppen) den Arbeits- und Klassenkampf in den 80ern und 90ern als Kampffeld kurzerhand entsorgt hat und dass viele Genoss_innen von uns heute zwar ihren Marx gelesen haben und auf Demos ein paar mal “Anticapitalista” rufen, aber dass sich dieses abstrakte antikapitalistische Bewusstsein nicht in eine bestimmte klassenkämpferische Alltagspraxis übersetzt. Bzw. sich aus der Szene zurückziehen, wenn die Lohnarbeit ihr Alltag geworden ist. Nehmen wir die allgemeine Verflechtung unserer Szene mit den Staatsapparaten hinzu, ist es gar nicht weiter verwunderlich, dass der typische Karriereweg vieler Linksradikaler nach der Uni direkt in staatsnahe oder staatliche Apparate wie NGOs, DGB, Linkspartei, Rosa-Luxemburg-Stiftung und Staatsantifa führt. In Jena erleben wir sowas tagtäglich. Wir haben da eine Alternative anzubieten: Statt der Einbindung in die Apparate von Staat und Kapital und statt des Rückzugs ins Private, setzen wir auf Selbstorganisierung von unten, gegenseitige Hilfe und offensive Kämpfe, um so als Arbeiter_innenklasse des 21. Jh. – von migrantischer Putzfrau über die studentische Hilfskraft und den Zeiss-Arbeiter bis hin zur inhaftierten Arbeiterin – in dieser Welt bestehen und sie jetzt schon umkrempeln zu können.
Der Klassenkampf findet nicht in Büchern und auch nicht in Anarcho-Infoblättern statt (oder auf jeden Fall nur begrenzt), sondern im täglichen Organisierungsprozess und den kleinen und größeren Widerständen des Alltags. Wenn ihr darüber mit uns sprechen wollt, kommt zu unserer wöchentlichen Sprechstunde (Dienstag 18 bis 19 Uhr im Infoladen Jena) oder zu unserer Vollversammlung (der Erste Sonntag im Monat)!