Klassenkampf an der Uni

von der AIBJ-Redaktion

Im folgenden Textchen wollen wir kurz klarstellen, welche Sicht wir auf die Uni haben, welche Rolle sie unserer Meinung nach in der Verwaltung des Kapitalismus spielt, wie wir unsere eigene Lage an der Uni einschätzen und wo wir Widerstandspotenzial und Perspektiven für Organisierung und Kämpfe sehen. Weil der Text nicht zu lang werden sollte, haben wir uns an vielen Stellen kurz gefasst. Falls es Erwiderungen oder weiterführende Diskussionsbeiträge zum Thema „Klassenkampf an der Uni“ geben sollte, können wir natürlich gerne den einen oder anderen Punkt weiter ausführen.

Wir selbst haben diese Ansichten aus unser eigenen Erfahrung als Studieren­de, studentische Arbeiter_innen und Studien-Abbrecher_innen gewonnen. Es sei gleich zu Beginn gesagt, dass wir uns bewusst sind, dass das studen­ti­sche Leben im Vergleich zu anderen Klassenlagen gewisse Vorteile hat. Aber daraus zu schließen, dass wir allgemein “privilegiert” seien und nicht rum­jam­mern sollte, halten wir für falsch. Nur weil ein Kontext anders ist als andere und es immer schlimmer geht, sollten wir die jeweils besonderen Herrschafts- und Ausbeutungsmechanismen nicht aus den Augen verlieren. Darum geht es hier.

Uni im Kapitalismus

Wir betrachten die Uni nicht als den Ort, wo wir uns verwirklichen und unsere Bedürfnisse wie z.B. unseren Wissens­durst befriedigen können, sondern in erster Linie als einen staatlichen bzw. staatstragenden Apparat mit Vielfach­funktion für die Verwaltung des post­fordistischen Kapitalismus, d.h. für die Gesellschaft, in der wir heute leben (müssen).

(1) Die Uni ist schon lange keine Institution ausschließlich zur Repro­duktion der herrschenden Klassen mehr. Seit der Bildungsexpansion der 60er und 70er Jahre ist sie zusätzlich zu einem Apparat zur Verwaltung eines spezifischen, in gewisserlei Hinsicht durch­aus privilegierten Teils der Arbei­ter­_innenklasse geworden. Der Kapital­ismus wird zunehmend komplexer und differenziert sich weiter aus (immer weitere Arbeitsteilung, beschleunigter technologischer Fortschritt). In dem Kontext werden angehende Kultur-, Bildungs-, Gesundheits-, Verwaltungs-, Kreativ-, technische Fach- und andere Arbeiter_innen an der Uni ausgebildet (mit entsprechenden Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattet), diszipliniert (in die Arbeitsabläufe eingetaktet und auf Selbstdiziplin getrimmt, Stichwort: Friedolin) und (über Märkte der Möglichkeiten, Karriereschulen, Messen, Praktika etc.) den verschiedenen Funktionen und Posten zugewiesen.

(2) Die Uni ist selbst so etwas wie ein Großbetrieb. Dieser befindet sich in einer grundlegenden kapitalistischen Umstrukturierung. Über das staatliche Austeritätsprogramm, die zunehmende Konkurrenz der Unis um Fördergelder (Stichwort: Exzellenz-Initiative), die Verpflichtung zur Drittmitteleinwerbung (also von privaten Sponsorengeldern) und den Aufbau von Privathochschulen, d.h. im Rahmen einer allgemeinen Privatisierung des Uni-Apparats und der Intensivierung des akademischen Ar­beits­prozesses, transformieren sich die Arbeitsverhältnisse innerhalb des Uni-Betriebs. Der Mittelbau (Dozent_innen, Lektor_innen etc.) wird durch zuneh­mende Arbeitsanforderungen und Pre­ka­risierung (befristete Verträge) zu mehr Produktivität in der Wissen­produktion angehalten und diszipliniert. Die grundlegenden infrastrukturellen Auf­gaben wie Sauberkeit, Essen, Sicherheit etc. werden outgesourct. Die Arbeiter_innen werden damit von ex­ternen Firmen angestellt, die in regel­mäßigen Abständen in Neuaus­schreibungen der Aufträge miteinander kon­kurrieren müssen. Effektive Arbeits­kämpfe an der Uni werden damit er­schwert. Ein Großteil der wissen­schaftlichen Zuarbeit und zunehmend auch infrastrukturelle Aufgaben werden von studentischen Arbeiter_innen, den sogenannten Hiwis gestellt. Ihre Ar­beitskraft ist stark abgewertet. Sie be­kommen zumeist nur den Mindest­lohn, in der Regel werden ihnen Ur­laubsgeld und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall vorenthalten, unbezahlte Überstunden werden oft vorausgesetzt. Viele der Studis machen das in der Hoffnung mit, die Hiwi-Jobs ebneten ihnen den weiteren akademischen Karriere-Weg.

(3) Gleichzeitig stellt die Uni neben dem Schulsystem, den Medien, der Gedenk­stätten- und Museenlandschaft einen ideologischen Apparat dar. Sie produ­ziert die Ideologie, die die Bevölkerung entgegen aller Widersprüche und Herr­schaftsverhältnisse innerhalb eines kapital­istischen Staats zusammenhält. Diese Ideologie ist auf keinen Fall ein­heit­lich, sondern nimmt verschiedene, teils rivalisierende Formen an, in Jena z.B. die autoritär-konservative Strö­mung mit ihrer Hochburg in den Politik­wissenschaften und die demokratisch­sozialistische Strömung der Soziologie. Sie alle eint, dass sie den Staat als Apparat und als gesellschaftliches Ver­hältnis nicht infragestellen. Radikale Gegenströmungen werden in der Regel informell in internen Konkurrenzkämp­fen und formell über die Extremismus­klausel herausgedrängt.

(4) An der Uni wird Herrschaftswissen produziert, das anschließend in ver­schiedenen Bereichen Anwendung findet. Das Angebot reicht von Ver­suchen der Gewerkschaftsforschung zur Modernisierung der bürokratischen Gewerkschaften über neue Techno­logien zur effizienteren Rohstoffnutzung und Transformation des Energieregimes bis hin zu Erkenntnissen der Massen­psychologie in puncto intelligente Auf­stands­bekämpfung, Rüstungstech­no­­logien und Überwachungstechniken.

(5) Unserer Erfahrung nach ist die Uni zusätzlich ein Apparat zur Einbindung radikaler Bewegung. Diese Einbindung ist in vielen Fällen das widersprüchliche Ergebnis radikaler Kämpfe um Aner­kennung und Veränderung. An ver­schiedenen Instituten gibt es deswegen heute Nischen für kritische Forschung und Lehre, an denen sich einige wenige radikale Dozent_innen und sich politisierende Student_innen auf inhalt­licher Ebene austoben können. Von ei­nigen wird die Uni deswegen als Stützpunkt für die Bewegung gewertet. Als solcher kann sie aber erst durchgehen, wenn sich die radikale akademische Theoriebildung in mehr als nette Konferenzen oder Kampagnen-Spektakel, nämlich in handfeste soziale- und Klassenkämpfe und langfristige Selbst­organisierungsprozesse über­setzt. Das sehen wir momentan nur bedingt gegeben. Im Gegenteil, in vielen Städten akademisiert sich die Szene und tut sich äußerst schwer damit, aus dem universitären Ghetto auszubrechen und mit anderen Gruppen in Austausch zu treten

Kämpfe an der Uni

Für uns stellt die Uni also insgesamt eine für unseren eigenen Interessen und Bedürfnissen feindliche Umgebung dar. Die Frage ist, wie wir unsere Lage an der Uni politisieren, wie wir diese Feindschaft auch von unserer Seite her zuspitzen und Angriffe gegen den und innerhalb des Uni-Apparats organisieren können.

Schauen wir uns die letzten 50 Jahre an, können Kämpfe an der Uni auf zwei Ebenen ausgetragen werden, nämlich um die Inhalte und um die Arbeits­verhältnisse. Auf der einen Seite gibt es die Auseinandersetzungen um die Inhalte sowohl innerhalb als auch außerhalb des Uni-Betriebs. Ein Beispiel für die Infragestellung etablierter Forschung und Lehre, den Angriff auf das Herrschaftswissen und die Durch­setzung einer dissidenten Strömung sind die Studierenden-Streiks an der amerikanischen Uni von Berkeley. Dort wurden 1969 nach einem zweimo­natigen Streik von Schwarzen und anderen Minderheiten-Studierenden so­wie Lehrpersonal, nach der Ausrufung eines „extremen Ausnahmezustands“ auf dem Campus, Riots und Massen­verhaftungen die Ethnic Studies, das heißt Studien zur Geschichte unter­drückter und kolonisierter Bevölke­rungs­gruppen, eingeführt. Als diese 1999 zusammengekürzt werden sollten, organisierten Studierende wieder wochen­­lange Proteste inklusive einen Hungerstreik. Beispiele für autonome Selbstbildung außerhalb des offiziellen Uni-Betriebs wären die Alter-Uni, die es in Jena einige Jahre lang gab, die autonomen Lesekreise und selbst­organisierte Vorträge sowie die Alternativen Orientierungstage (ALOTA), die in Jena seit 2014 jährlich zu Winter­semesterbeginn organisiert werden.

Im Bereich der Arbeitskämpfe gibt es in Deutschland zurzeit Bemühungen klei­nerer radikaler Gruppierungen, den Pre­karisierungsprozess zu sabotieren und kleinere Kämpfe um konkrete Ver­besser­ungen anzustoßen. In Frank­furt/Main gab es 2015 zwei Hiwi-Streiks. Daraus ist 2016 die unterbau-Initiative für den Aufbau einer Hochschul­gewerkschaft für alle Arbeiter_innen (Mittelbau, Hiwis, Ausgelagerte) ent­standen. In Jena gab es im Sommer 2016 einen Konflikt von studentischen Arbeiter_innen und der FAU am CATI-Labor der Soziologie, woraufhin sich nun die offene Bildungs-AG der FAU Erfurt/Jena gegründet hat. Die großen Gewerkschaften (im Uni-Bereich v.a. die GEW) dagegen unterbinden über Appelle an die politische Elite und tech­no­kratisches Klagen die Selbsttätigkeit und offensive Kämpfe der Arbeiter­_innen und versuchen, sich weiterhin als Vermittlungsinstanz zwischen Staat und Arbeiter_innen zu behaupten. In Jena werden sie wohl bald das große Betteln um die Einführung des Tariflohns für Hiwis losgehen, den die Linksregierung im Koalitionsvertrag mal versprochen hatte.

Der Kampf um die materiellen Verhält­nisse an der Uni beschränkt sich nicht bloß auf die Arbeitsverhältnisse, son­dern kann sich auch um das uni­ver­sitäre Verwaltungsregime und seine Transformation drehen, z.B. in Form der Besetzung der Uni Jena und der Bildungs­proteste 2009 oder der Be­mü­h­ungen 2014, die Diskriminierung ausländischer Studierender durch die Uni Jena zu thematisieren und anzu­ge­hen.

Selbstorganisierung

Die Grundlage für Selbstorganisierung an der Uni sehen wir in einer generellen kämpferischen und Verweigerungshal­tung. Die Uni darf nicht, wie in Jena oft der Fall, als Lebensmittelpunkt und Ort der Selbstverwirklichung gesehen wer­den, sondern eben als ein spezifisches Feld von Widerstand und Klassenkampf. Entsprechend gilt es zu versuchen, sich der ständigen Einbindung im Laufe des Studiums oder der Arbeitskarriere und der Beteiligung an der Verwaltung der Widersprüche an der Uni zu entziehen und zu widersetzen.

Ein weiteres Hindernis für Selbst­orga­ni­sier­ung an der Uni ist der Studieren­den­rat. Viele aktive Stu­dieren­de enga­gie­ren sich in den universitär-demo­kra­tischen Referaten und Arbeits­kreisen. Das bietet sicher gewisse Vorteile, z.B. die Finanzierungs­möglichkeiten, führt aber dazu, dass keine eigenen, autonomen Beweg­ungs­strukturen an der Uni aufgebaut werden.

Es gibt verschiedene Modelle der Selbst­­organisierung von Studierenden und Arbeiter_innen an der Uni. Das klassische Modell wäre die Basisgewerkschaft. Das kann eine Hochschulgewerkschaft für Alle nach dem revolutionär-unionistischen Modell sein, wie z.B. die unterbau in Frankfurt, das können aber auch eine Arbeitsgruppe oder ein Branchen­syndikat innerhalb einer Gewerkschaft für alle Berufe nach dem anarcho-syndikalistischen Modell sein, wie z.B. die Bildungs-Sektionen und -AGs der FAU. Eine zweite Möglichkeit der Selbstorganisierung besteht in auto­nomen Studierendengruppen wie es sie in Deutschland nicht wirklich, dafür aber in anderen Ländern, z.B. Griechen­land, gibt. Diese Gruppen setzen an der gemeinsamen Lage als Studierende oder studentische Arbeiter_innen an, beziehen oder beschränken sich aber nicht auf Arbeitsverhältnisse, sondern können auch den Kampf um die Inhalte, den antifaschistischen Kampf an den Instituten, den antirassistischen Kampf gegen die Diskriminierung ausländi­scher Studierender und andere führen.

Und Jena?

In Jena gibt es dahingehend, um es positiv zu formulieren, noch viel Poten­zial. Obwohl Jena eine ausgewiesene Uni-Stadt ist und ein großer Teil der Szene studiert, gibt es im Grunde keine autonomen Strukturen, seien es eine Hochschulgewerkschaft oder autonome Studi-Gruppe. Das hat man Ende 2013 bei den Stepagainst-Protesten gegen die Kürzungswelle an der Uni Jena gemerkt. Die Proteste blieben von Anfang bis Ende liberal, es gab keine ernsthaften radikalen Mobiliserungs- und Organisierungsversuche. Die FAU Erfurt/Jena hat mit der offenen Bildungs-AG nun ein Angebot gemacht. Bleibt abzuwarten, wie das angenom­men wird und sich entwickelt.