Antifa heißt mehr als Straßenblockaden… Autoritäten und Sexismus sind Teil des Problems

Diskussionsbeitrag zu den Gegendemonstrationen in Jena am 17.08.16 von Ronja

Ich bin gerade richtig frustriert und wü­tend von den Gegendemos heim­ge­kom­men. Wir sind die meiste Zeit ir­gend­wo zwischen Junger Gemeinde (JG), und Aktionsnetzwerk hin und her geeiert und ich frag mich gerade, wo ich die so oft beschworene Grenze zwischen „bür­ger­lichem“ und „linken“ Protest ziehen soll. Denn der Text hier soll kein Rund­um­schlag werden, sondern eine solida­rische Kritik an der Szene_“Bewegung1“, zu der ich auch selbst gehöre.

Der erste Kritikpunkt ist dement­spre­chend, dass sich die Szene so sehr an die Stadt, Verwaltung, Polizei und der­gleichen anbiedert und die Proteste für eine „bunte, tolerante, weltoffene Stadt“ in einen neoliberalen Stadt­ent­wick­lungsdiskurs stellt. So unter an­derem geschehen auf der Demo der JG wo die Redner*innen, Walter Rosenthal, der Präsident der FSU und Anja Sieges­mund, Ministerin der Grünen, Angst vor ge­ringerer Attraktivität der Stadt für Pro­fessor*innen und Tourist*innen äus­ser­ten. Demoauflagen werden ein­ge­halten, Ordner*innen schön autoritär und juristisch völlig unnötig mit Weste und Armbinde versehen, die Demo­leitung führt Gespräche mit Poli­zist­*in­nen und den Schäfchen aka Demon­strant­*innen wird regelmäßig über Lauti oder Megaphon Bescheid gegeben, was sie zu tun oder zu lassen haben.

Womit ich auch schon zum zweiten Punkt, der mich heute gestört hat, über­gehen kann. Die Gegenproteste, egal ob von Aktionsnetzwerk, JG oder kleineren, autonomen Zusammenhängen2 sind männ­lich-dominant und autoritär orga­nisiert. Während das Aktionsnetzwerk noch Deligierten-Plena duchführt, in de­nen dann die Netzwerk Kader (zumin­dest heute hab ich alle als Cis-Männer wahrgenommen) allen anderen sagen, wie’s weiter geht, verkündet die JG so ziem­lich wortwörtlich, dass sie Deli-Plena sinnlos findet und jetzt los läuft und die Leute sich anschließen sollen. Darauf­hin rennt der Großteil der Leute los… (das war an der Kreuzung beim Ärztehaus/Nollendorfer Hof). Die Antifa-Macker von JG, Aktionsnetzwerk und anderen Gruppen stolzieren schwarz gekleidet über die Demo, quatschen sich mit ihren Antifa-Macker-Freunden ab, manche vermummen3 sich ziemlich sinn­loser Weise während dem Rum­stehen und erklären dann allen An­de­ren, wo’s langgeht. Die Masse läuft hin­ter­her. (Würde nur noch fehlen, dass sie mit ihren Knüppelfähnchen spielen – Das ist aber auch schon so ziemlich das Einzige, was sie nicht tun…!) Dabei wis­sen sie selbst oft nicht, was passiert, sind zu ungeduldig, um auf Infos aus den Infostrukturen zu warten und ren­nen einfach los – um riots zu machen?! Oder was erhoffen sie sich davon?!

Viele der Leute auf der Demo sind nicht in Bezugsgruppen organisiert und selbst wenig informiert bevor sie kommen – und das wird dort auch nicht von ihnen erwartet. Leute tauschen sich nicht un­ter­einander aus, hören nicht auf Hin­weise von Genoss*innen, es gibt keinen nennenswerten Informationsfluss in der Demo, weil es alle gewöhnt sind vom Lauti (oder von ihrem eigenen kleinen Antifa-Macker) gesagt zu bekommen, was sie zu tun zu haben. Wie wenig in­for­miert und eigenverantwortlich viele Leute auf einer Demo unterwegs sind, zeigt sich auch daran, wie viele Leute Handyfotos und -filme machen, tele­fo­nie­ren, mit Bier (doppelt uncool, weil Alkohol und weil Glasflasche) rum­ren­nen, Namen und andere Infos rum­brül­len, usw.

Ich möchte keine ausführlichen Ver­mu­tung­en anstellen, inwieweit hierar­chie­är­me­re, selbstorganisiertere Demos, die sich klarer von Staat und Stadt ab­gren­zen, „erfolgreicher“ im Stören der Nazis wären (Obwohl ich vermute, dass sie es wären). Mir geht es vor allem darum, dass Staats- und Autoritätshörigkeit und Sexis­­mus Grundpfeiler des faschis­ti­schen/neo­nazistischen Gedankenguts sind – die allem Anschein nach auf den Gegen­­demos kaum hinterfragt wer­den!!! Nazis sind nicht nur rassistisch, son­dern auch homo- und transphob, strikt hierarchisch organisiert, haben ei­nen oft militaristischen Männ­lich­keits­kult und reaktionäre Geschlechterbilder, sind behindertenfeindlich und vieles mehr! Antifa ohne Feminismus und ohne Herrschaftskritik is’ zwar immer noch besser als gar keine, stabilisiert aber im Großen und Ganzen auch nur das patriachale, autoritäre Gesell­schafts­system4.

Rassistische, heterosexistische und au­to­­ritäre Strukturen ziehen sich durch die ganze Gesellschaft und auch die (radikale) Linke ist Teil davon. Wenn ich_du_wir also mehr wollen als „riots“ oder als uns unser Checkertum, un­seren Antifaschismus oder deine_eure Männ­lichkeit zu beweisen, dann müssen wir wahrscheinlich genau damit auf­hören. Und stattdessen versuchen, mög­­lichst viele Leute in Ent­schei­dungs­prozesse miteinzubeziehen, in ihrer Selbst­organisation zu unterstützen und ernst zu nehmen und möglichst schnell und horizontal Infos zu verbreiten. Und auch unsere eigenen Ge­schlech­ter­bil­der und unser eigenes Dominanz- oder Kon­sumverhalten hinterfragen und uns die Frage stellen, mit welchen Zielen und welcher Motivation wir an einer Demo teilnehmen. Und ja, manchmal muss es schnell gehen auf einer Demo, aber ganz oft ist schnell auch einfach nur „einer sagt schnell wo’s langgeht“ und_oder führt dazu, dass einzelne Leute zurückgelassen werden. Also müssen wir lernen weniger hektisch zu sein und stattdessen mehr auf Andere und unsere Umgebung zu achten. (Das alles ist einfacher, wenn wir uns be­wusst machen, dass unser Ziel nicht ist, uns in der ersten Reihe mit den Bullen zu prügeln).

Ahoi Fantifa! 😉

 

Fußnote

(1) Also denen, die zumindest irgendwie „emanzipatorisch“ oder was auch immer sein wollen und nicht nur bunt und flauschig…

(2) Das kann ich natürlich nicht von allen sagen, weil ich da nicht alles mitbekommen, aber auf einige trifft das auf jeden Fall zu.

(3) Das soll nicht heißen, dass schwarze/einheitliche Kleidung und Vermummung generell sinn­los sind, aber sie sollten kein Style-Element sein.

(4) Kapitalismus lass ich hier mal außen vor. Das wird meinem Eindruck nach noch eher mitgedacht als Sexismus oder andere Herrschaftsformen, aber dann auch oft auf verkürzte, klassistische Art und Weise nach dem Motto „Nazis sind arm, ungebildet, dörflich, etc.“. Aber ja, das Thema mach ich jetzt nicht mehr auf…