Kritisch-solidarische Anmerkungen zur Hausbesetzung vom 17.08.

von wolja

Schon in den frühen Morgenstunden wurde das Haus in am Planetarium 23, die AP23, von einigen Leuten besetzt. Erklärtes Ziel war die Verhinderung oder zumindest Verkürzung der Route der Thügida-Faschisten und nebenbei auch der Hinweis auf mangelnde „sozio­kul­tu­rel­le Freiräume“ in der Stadt. Vom Ansatz her eine gute Aktion, welche den standardisierten Rahmen eingespielter und eingehegter Anti-Nazi-Proteste ein Stück erweiterte. Beispielsweise wurde schon am 1. Mai 2013 während der Proteste gegen eine NPD-Demo in Erfurt das alte Theaterhaus besetzt, um die Aufmerksamkeit von dieser abzulenken und eigene Themen zu setzen.

Begrüßenswert ist, wenn Menschen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst ermächtigen und bereit sind, einen Schritt weiter zu gehen. Sie nehmen sich in verschiedener Hinsicht den Raum, der ihnen zusteht, versuchen also zu agieren, anstatt in alten Reak­tions­mustern zu verharren. Die Themen von Antifaschismus, Antirassismus und Kämpfe um selbstverwaltete autonome Räume gehören dabei unmittelbar zu­sam­men, auch wenn Menschen unter­schiedliche Schwerpunkte haben.1

Gerade deswegen ist an der Aktion eine solidarische Kritik zu üben, denn selbstermächtigende Handlungen sind nicht an sich „gut“, „cool“ oder „rich­tig“. Solidarische Kritik geschieht nicht von außen und mit dem besser­wisser­ischen erhobenen Zeige­finger nach den Motto: „Dies und das habt ihr falsch gemacht, weil ihr noch nicht so weit seid“. Sie bedeutet im Grunde genommen das Gegenteil von lästern, klüngeln und dem Intrigen spinnen wie es linke Gruppen in Jena betreiben. Kritisch und solidarisch zu sein heißt, eine Aktion aktiv zu beglei­ten, wie es die Teilnehmer_innen der Kund­gebung vor dem Haus taten. Damit respektieren sie den selbstgewählten Weg der Handeln­den, haben aber selbst­ver­ständ­lich auch eigene Vorstellungen davon. Ent­schei­dend ist eine spezifische Per­spektive aufzuzeigen und Fragen auf­zu­werfen, welche Diskussionen an­sto­ßen mit denen gemeinsam weiter­ge­gangen werden kann.

Von diesen Fragen stellen sich einige bei der Besetzung der AP23:

Allem voran irritiert das Selbst­ver­ständ­nis der Besetzer­_in­nen, welches in ihrer Presseerklärung zum Ausdruck kommt. Da diese ohne weitere Anmer­kung­en bei Indymedia veröffentlicht wurde, ist davon auszugehen, dass sie für die Aktion repräsentativ ist. Auf dem Blog von wolja erschien am selben Abend ein knapper Kommentar in dem es hieß:

„Um ein ‘Refugium für Mitmensch­lich­keit, Toleranz, Demokratie und Courage zu schaffen’ [PM] waren zumindest einige der Unterstützer_innen der Soli­da­ritätskundgebung vor dem Haus definitiv NICHT gekommen. Vielmehr sehen sie in diesen Schlagworten bür­ger­licher Ideologie einen nicht geringen Teil dessen präsentiert, was eben ein Grundproblem der rassistischen, sexis­ti­schen, antisemistischen, kapitalis­tisch­en, arbeitsfetischistischen (etc.) Gesell­schaft ausmacht. Dass diese auch mit dem Faschismus zusammenhängt, wie er uns heute begegnet scheint den Autor_innen […] nicht aufgefallen oder zumindest erwähnenswert zu sein.“2

Dem ist im Grunde genommen nichts hin­zu zu fügen, denn inhaltlich er­schöpft sich das Statement der Beset­zer_­innen leider bei oben genannten Schlagworten, welche nicht als Worte selbst problematisch sind, sondern arche­typisch für den bürgerlichen zivilen Ungehorsam3 stehen, in des­sen Geist die Besetzung durchgeführt wurde.

So überrascht es auch nicht, das der Anmelder der Solidaritätskundgebung, den Ablauf derselben konsequent in die vorgeplante Richtung lenkte, anstatt einer kollektiven Selbstorganisierung Raum zu geben. Darin zeigte sich das repräsentative Demokratieverständnis und eine Tendenz zur Instrumen­tali­sier­ung der Teilnehmenden.

Diese Form war dahingehend logisch, als dass bei der Aktion offenbar eine große Medienaufmerksamkeit er­reicht werden sollte, was auch ge­lang.4 Die Überbetonung dessen, selbst „friedlich“ zu sein, meinte in diesem Zusammenhang wie so oft nicht, ein­fach aufgrund der eindeutigen Über­legen­heit der Staatsmacht nicht mili­tant agieren zu wollen, sondern sich selbst in der Handlungsfähigkeit zu beschneiden. Ja kein Ärger sollte verur­sacht werden und darum brauchte es für’s Pressebild noch einige friedliche (!) Statisten vor dem Haus. Problematisch ist ferner, dass im Zuge dessen ganz klar mit den Bullen verhandelt wurde, anstatt das Heft selbst in die Hand zu nehmen und ihnen zu erklären, was geschehen wird.

Während der Besetzung wurde wahr­schein­lich von den Eigentümern keine Anzeige gestellt. Die Bullen drohten natür­lich mit Gewalt, um die Beset­zer­_in­nen zur Aufgabe zu bewegen. Zu die­sem Zeitpunkt hätte sich eine Räumung der AP23 anbahnen können, jedoch hät­te sich die Staatsmacht damit in einer frag­lichen Grauzone bewegt – eine interes­sante Konstellationen, welche eben den Verhandlungsspielraum der Situation eröffnete.

Unverständlich war darum, dass die Besetzung freiwillig aufgaben und auch noch in die Abgabe der Personalien ein­wil­ligten. Dass die Besetzer_innen es physisch oder psychisch nicht mehr aus­hielten, wäre ein legitimer Grund gewesen. Sie wirkten jedoch alle ziem­lich fit. Ziviler Ungehorsam, beruht nicht darauf einfach aufzugeben, sondern sich zu „wider-setzen“. Die Staatsmacht soll zum Eingreifen genötigt werden, eben um ihr ungerechtfertigtes Vor­ge­hen zur Schau zu stellen und sie da­durch zu diskreditieren. Dies wurde also nicht erreicht, ebenso wenig wie das ursprüngliche Ziel, den Naziaufmarsch massiv zu behindern oder gar das selbst nicht ernst genommene, sich für „Sozio­kul­tur“ einsetzen zu wollen.

Letzteres wäre in vernünftigen Begriffen der Kampf um autonome und selbst­ver­waltete Räume, welche in dieser Stadt bitter fehlen. Die Besetzer_innen der AP23 hätten dies viel stärker in den Fokus rücken können, was bedauer­lich­er­weise nicht ihr Ziel war. Nun drohen ihnen die gleichen Anzeigen wegen Hausfriedensbruchs, wie wenn sie sich hätten räumen lassen.5

Wir wünschen allen Aktivist_innen der Haus­besetzung gute Erholung, erträg­li­che Repression und würden uns freuen, wenn wir beim nächsten Mal gemein­sam noch einen Schritt weitergehen.

 

Fußnoten

(1) https://wolja.noblogs.org/post/2016/08/17/endlich-wieder-hausbesetzung-in-jena/

(2) https://wolja.noblogs.org/post/2016/08/17/mitmenschlichkeit-toleranz-demokratie-und-courage-kritische-anmerkungen-fuer-weitere-diskussionen/

(3) „Durch den symbolischen Verstoß soll zur Beseitigung des Unrechts Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung genommen werden. Der Ungehorsame nimmt dabei bewusst in Kauf, auf Basis der geltenden Gesetze für seine Handlungen bestraft zu werden.[…] Demjenigen, der zivilen Ungehorsam übt, geht es damit um die Durchsetzung von Bürger- und Menschenrechten innerhalb der bestehenden Ordnung, nicht um Widerstand, der auf die Ablösung einer bestehenden Herrschaftsstruktur gerichtet ist.“; auf: https://de.wikipedia.org/wiki/Ziviler_Ungehorsam

(4) Artikel u.a. https://www.neues-deutschland.de/artikel/1022442.hausbesetzung-gegen-neonazi-aufmarsch-in-jena.html; http://www.mdr.de/thueringen/ost-thueringen/jena-hausbesetzung-thuegida-demo-gegendemo-100.html; https://taz.de/!5331669/

(5) http://www.thueringen.de/th3/polizei/jena/aktuell/mi/92627/index.aspx