„Lieber öffentlich lesbisch, als heimlich im DFD“ Das Jenaer Lesben-Samizdat „frau anders“

von der AIBJ-Redaktion

Thüringen war ab Mitte der 80er Jahre ein „frauenbewegtes Ballungsgebiet“. Zahlreiche autonome1 Frauen*Lesben-Gruppen trafen sich – zumeist unter den Dächern der Kirche -, um die Situation heterosexueller und lesbischer Frauen in der DDR zu diskutieren und zu kritisieren. Darunter zäthlten auch einige lesbische Frauen aus Jena, die ab Januar 1989 das einzige Lesben-Samizdat der DDR herausbrachten. Aus diesem drucken wir nach bisschen historischem Kontext einen Auszug ab.

1. Situation von lesbischen Frauen in der DDR

Das Ausüben sexueller Handlungen zwischen volljährigen Frauen stand – im Gegensatz zur männlichen Homosexualität – niemals unter Strafe. An der gesell­schaft­lichlichen Anerkennung änder­te dies allerdings herzlich wenig, auch nicht, nachdem der §175 (der soge­nann­­te Schwulenpagraph, der gleich­geschlechtlichen Sex unter Männern unter Strafe stellte) 1969 reformiert wurde. Homosexualität war in der DDR bis in die 80er Jahre kein Thema von öffentlichen Interesse. Zumindest gab es wenig Bemühungen seitens der SED die Lebensrealität von Menschen mit homosexuellem Begehren medial abzubilden. Diese litten erheblich unter dieser systematischen Ausgrenzung. Zudem existierten weder offizielle kulturelle Begeg­nungs- und Schutzräume, noch indi­vi­du­elle Unterstützungsmöglichkeiten für das Tabuthema Homosexualität.

2. Organisierungsmodelle

Bereits in den 70er Jahren begannen viele Menschen homosexuellen Begehrens sich selbst zu helfen. Besonders in den Zentren bildeten sich subkulturelle Milieus, deren Begegnungsräume vorwiegend Kneipen und Bars waren. Außerdem trafen sich Männer an öffentlichen Orten wie Parks und Toiletten. Auf Grund sexistischer Ausschlüsse stellten beide Alternativen für Frauen keine sicheren Räume dar. Bis weit in die 80er blieb somit vielen – insbesondere jenen ohne Coming-Out – nur der Weg über verschachtelte private Kontaktanzeigen in Zeitungen, um Menschen mit gleichem Begehren und ähnlichen Erfahrungen kennenzulernen.

Trotz dieser frühen Erfahrungen mit Sexismus in der „homosexuellen Szene“ begannen sich viele Frauen – sicherlich auch aus Mangel an Alternativen – politisch zunächst mit Männern zu organisieren. Ab Ende der 70er Jahre standen ihnen zunehmend die Räume der Evangelischen Kirche zur Verfügung. So gründete sich 1982 der „Arbeitskreis Homosexualität“ in Leipzig, dem noch viele ähnliche folgen sollten. Das gemeinsame Ziel war es, die Stigmatisierung von Homosexualität zu bekämp­fen. Doch wurde zunehmend deutlich, dass die Thematisierung der besonderen Lebenssituation lesbischer Frauen nur mit erheblichen Widerstand gegen die schwulen Männer möglich sein würde. Einige schlossen sich daher den in den frühen 80er Jahren allmählich entstehenden informellen Frauengruppen an. Während sie hier verbündete im Kampf gegen patriarchale Verhältnisse fanden, ging wiederum die heteronormative Dimension der DDR-Gesellschaft nahezu unter.

Lesbische Frauen waren also mit dem Problem konfrontiert, dass in den bestehenden Organisierungsangeboten eine ihrer negativen Betroffenheiten strukturell unsichtbar gemacht wurde. Daraus schlossen einige, dass auch in diesem Falle eine autonome Organisierung anhand der eigenen Diskriminierung notwendig sei. Erste Ansätze dafür hat es bereits Ende der 70er Jahre gegeben. In Berlin-Mahlsdorf fand 1978 das erste landesweite „Lesbentreffen“ statt. Statt der erwarteten 40 Frauen kamen letztlich 100 und dies trotz verschiedener Schikanen der Volkspolizei. So wurde ein erster Schritt zur (politischen) Vernetzung lesbischer Frauen in der DDR gegangen. 1983 gründete sich dann in Berlin die erste eigenständige Lebensgruppe “Lesben in der Kirche” (LiK), gerade in der zweiten Hälfte der 80er gründeten sich in vielen anderen DDR-Städten autonome Lesben­grup­pen.

3. „frau anders“

In Thüringen gründeten sich in den 80er Jahren in Eisenach, Erfurt, Gotha, Jena, Meiningen, Meißen, Rudolstadt und Weimar informelle bzw. autonome Frauen/Lesbengruppen. Außerdem betrieb die Autonome Frauengruppe Erfurt / Weimar (ELSA) eine eigene „Frauenstube“ in Weimar, die als reges Diskussions­por­tal diente. Für Jena sind die Gruppen „Frauen im Gespräch“, „Frauengruppe der Evangelischen Studentengemeinschaft“, die „Lesbengruppe der Evan­­gelischen Studentengemeinschaft“, sowie die „Fraueninitiative Jena“ zu verzeichnen. Ausgangspunkt les­bi­scher Selbstorganisierung in Jena war der seit 1986 veranstaltete “Mitt­wochs­tee”. Hieraus entstanden neue Projekte wie das republikweite „Lesbentreffen“ in Jena am Mai 1987, das eine Fort­set­zung des 1. DDR-weiten Frauentreffens 1985 in Dresden darstellte, und das re­pu­blikweite Frauengruppentreffen vom 26.-28. Mai 1989 in Jena.

Aus den verschiedenen Zusammenhängen heraus formierte sich 1988 schließlich eine Redaktionsgruppe, die dazu antrat, das erste Lesben-Samizdat der DDR herauszugeben. Unter dem Namen „frau anders – Infoblatt für Lesben“ erschien im Januar 89 die erste Ausgabe – offiziell natürlich nur „für den innerkirchlichen Gebrauch“. Ziel des Heftes war es, „ein Stück Hinterland für das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein lesbischer Frauen [zu] geben, vor allem auch den Frauen, die neu in die Gruppen kommen, das Hineinwachsen in die Bewegung zu erleichtern“. Die anvisierte Auflage von zwei­mo­nat­lich 100 Kopien konnte dabei nur mit Mühe und Unterstützung aus anderen DDR-Oppositionsgruppen und von West-Frauen erreicht werden. Deshalb wurden die Hefte auch nur an bekannte Lesbengruppen in anderen Städten geschickt und im Leseladen Jena ausgelegt. Der übliche Umgang mit solcherlei Untergrundliteratur brachte es jedoch mit sich, dass die Hefte von Hand zu Hand weitergegeben wurden, so bis in die „Provinz“ vordrungen und von Hun­derten von Menschen gelesen wurden.

Dies entsprach auch durchaus der Zielsetzung der Redakteurinnen. Als Mitmach-Samizdat diente „frau anders“ in erster Linie der Vernetzung zwischen Lesbengruppen und nicht organisierten Lesben. Dafür wurden alle zwei Monate, das heißt von Ausgabe zu Ausgabe, einerseits eingereichte Selbstverständnisse von Lesbengruppen aus der DDR abgedruckt und andererseits Kontaktadressen veröffentlicht. Lesbischen Frauen sollte also zum Ausbruch aus der leidlichen Erfahrung der emotionalen, sexuellen und organisatorischen Isolation verholfen werden. Dafür wurden auch in den Heften selbst immer wieder typische und alltägliche Erlebnisse und Situationen von lesbischen Frauen beschrieben und deren strukturell-heteronormativer Ursprung enttarnt. Den Leser*innen sollte mit aller Kraft erklärt werden, dass die Verhältnisse „pervers“ seien und nicht sie selbst, auch weil viele bereits unter psychischen Folgeerscheinungen der Diskriminierung bis hin zu Sucht litten.

Neben diesem empowernden Aspekten spielte auch Selbstverständigungsprozesse innerhalb der eigenen Bewegung eine große Rolle. Dafür wurden immer wieder Berichte, Kommentare, Mitschriften, Dokumentationen von (über)regionalen Treffen und Debatten eingereicht und abgedruckt. Des Weiteren veröffentlichten die Redakteurinnen Leser*innenbriefe mit unterschiedlicher Stroß­richtung von „unendlicher Dankbar­keit“ bis Homosexuellenfeindlichkeit. So entstand auf wenig Seiten ein eindrucksvolles Abbild aktueller Debatten und gesamtgesellschaftlicher Diskurse.

In Letztere begannen viele Beiträge im Verlaufe des Jahres 1989 kritisch zu intervenieren. Unter schwierigen Produktions- und Distributionsbedingungen – die Veröffentlichung im Selbstverlag war illegal – zerrissen verschiedenste Autor*innen den heteronormativen DFD, der sich Mitte der 80er Jahre Bestrebungen lesbischer Frauen, sich in diesen zu integrieren, verweigerte. Daher auch der Slogan “Lieber öffentlich lesbisch, als heimlich im DFD”. Sie kritisierten weiterhin die patriarchalen Zustände in Partei und Wirtschaft, beanstandeten den Heterosexismus an Volksschulen, verwehrten sich gegen eine kapitalistische Landnahme durch die BRD und mischten sich in den gerade begonnenen Umgestaltungsprozess aktiv ein.

Das Alleinstellungsmerkmal der „frau anders“ als Bewegungsöffentlichkeit für lesbische Frauen dürfte auch der Grund sein, warum dieses Samizdat – im Gegensatz zu vielen anderen – noch bis 1993 erschien. Aus dem Dunstkreis der „frau anders“ gründete sich außerdem am 26. Juni 1990, noch vor der Wiedervereinigung, das Frauenzentrum Jena e.V. (heute Towanda) . An deren damaligem Sitz (Engelplatz 10) trafen sich die Redaktion, die Ortsgruppe des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV) sowie die „Fraueninitiative Jena“.

 

Fußnoten

(1) Autonom meint hier und im Folgenden „lediglich“ nicht-staatlich.