Selbstdarstellung organisierter Lesben aus Jena und Erfurt

aus “frau anders” Nr. 1 (Januar 89) und Nr. 4 (September 89)

 

Bärbel (Jena)

Will frau die Anfänge unserer Lesbengruppe in Jena zurückverfolgen, so verlieren sich die Fäden bei einzelnen Frauen – z.B. bei mir. Den AK „Homosexuelle Liebe“, bestehend aus schwulen Männern, gab es seit 1984. Als ich mich im selben Jahr unversehens in eine Frau verliebte, wußte ich fast noch nichts über „Homosexualität“. Außer meinen (hetero?) Freundinnen, die sich einfach mit mir freuten, daß ich so verliebt richtig aufblühte, half mir erst einmal niemand beim „Coming out“. Ich hörte auf meine Gefühle, und die waren eben natürlich, selbstverständlich. Im Nachhinein bekam ich das, in Zeitungen lesend, von Wissenschaftlern bestätigt: Ich sei weder krank noch verbrecherisch, sondern liebe „variiert“.

1985 lernte ich den AK kennen, ging zu Veranstaltungen. Ich war noch keine „bewußte“ Frau und der Unterschied zwischen weiblicher und männlicher Homosexualität war mir noch kein bißchen klar, dennoch fühlte ich mich nur unter Schwulen nicht ganz wohl, ich wünschte mir andere Frauen. In erster Verunsicherung über meine lesbische Verliebung hatte ich geglaubt, ich würde wohl keine zweite in Jena finden, der es auch so geht. Inzwischen kannte ich die berühmten 5 Prozent, war Karin Dauenheimer begegnet, hatte beim Dresdner Frauenfest 1985 Lesben aus der ganzen DDR getroffen – nie vergesse ich dieses überwältigende Glücks- und Geborgenheitsgefühl, zum ersten Mal unter so vielen Frauen, so vielen Lesben zu sein!

Das alles machte mir Hoffnung, auch lesbische Frauen in Jena zu finden. Aber meine Suche blieb noch längere Zeit ziemlich erfolglos. Wohl näherten sich noch zwei, drei andere Frauen dem AK, entfernten sich wieder, suchten auch Frauen, fanden keine, waren selbst verunsichert über ihre Neigung. So kreisten wir vielleicht ein Jahr lang umeinander, ohne uns richtig zu begegnen.

Ab Jan. ’86, nun mit Partnerin, arbeitete ich intensiver und regelmäßig im AK mit. Eine unserer ersten Frauen-Aktionen war das Mittwochsteeangebot für Lesen bei uns zu Hause. Da entstand der Kern unserer Gruppe. Das Bedürfnis erwachte, etwas Eigenständiges von Frauen für Frauen zu tun, obwohl wir im Schwulen-AK integriert schienen – eben als weibliche Minderheit. Instinktiv wählten wir ein Projekt, an dem wir als Grüppchen gemeinsam arbeiten wollten und setzen damit auch eine Alternative zum Stil des AK , der mehr nach „Kulturprogramm“-Konzept lief. Etwa sechs Frauen sagten zu, an der Vorbereitung des Jenaer Lesbenetreffens im Mai ’87 mitzumachen. Aber wir waren als Gruppe noch nicht stark genug, und schließlich arbeiteten nur drei Frauen wirklich engagiert mit. Erst in der letzten Vorbereitungsphase kamen die anderen wieder dazu. Der Erfolg dieses Frauenfestes bestärkte uns aber, nun doch weiter gemeinsam etwas zu tun.

Im Sept. ’87 berieten wir darüber, in welcher Weise wir uns im Frauenforum des Thüringer Kirchentages einbringen könnten. Wir wollten die Chance nutzen, an eine große Frauenöffentlichkeit zu gehen. Unser Beitrag sollte aber ganz persönlich sein. Wir wollten nicht „über uns“ reden, sondern von uns erzählen. So entstanden unsere Tonbandprotokolle und die daraus gewählten Texte, die wir nicht nur zum KT als Lesung anboten, um mit Frauen ins Gespräch zu kommen. Die Vorbereitung dieser Lesung war mehr als die Arbeit auf ein Ergebnis hin, sie brachte uns in der Gruppe näher, half uns bei persönlicher Problembewältigung und war für uns ein schönes, produktives Miteinander.

 

Peggy (Jena)

Nach 19 Monaten Jena entdeckte ich ein Plakat des AK „Homosexuelle Liebe“. Das Problem war, daß ich zwar „jemanden kennenlernen“ wollte, aber Angst hatte. Ich dachte, daß man mir in einem solchen Kreis nichts Heterosexuelles lassen würde, daß mein Leben eine jähe Wendung nehmen könnte… Aber ich hatte damals keine Freunde, was konnte ich schon verlieren?

Ich ging also zu dem angekündigten Abend und wunderte mich erstmal, daß es so viele Lesben und Schwule waren und daß die so normal aussahen.

Eine Woche später besuchte ich den Frauenteeabend. Ich wußte gleich, ich würde wiederkommen. Hier war meine Meinung gefragt, ich wurde angehört und bekam Antwort. Das war mir zuvor in keinem Kollektiv begegnet. Es waren Menschen, mit denen ich leben wollte und konnte.

Zum Erfurter Kirchentag, bei dem unsere Gruppe sich mit einem Programm unter dem Titel „Wenn frau als Frau eine Frau lieben kann – Wortbilder lesbischer Frauen“ vorstellte, machte ich eine schöne Erfahrung: Neben kleineren Mißverständnissen kamen Gespräche von Mensch zu Mensch zustande. Ich fühlte mich nicht zu einer isolierten Randgruppe gehörig, sondern schien mittendrin zu sein. Dieses Kirchentagsprojekt war eine reine Frauenarbeit. Seit März 1988 arbeitete der AK in zwei autonomen Gruppen. Das Samstagkaffee nutzen Lesben und Schwule zum Austausch. 1X im Monat haben wir einen gemeinsamen thematischen Abend. Als ich im April zur Frauen-Gruppe kam, gehörten ca. 8 Frauen dazu. Für intime Gespräche optimal. Zwei Monate später waren wir schon doppelt so viel. Es wurde schwierig, die gewöhnte, vertraute Atmosphäre aufrecht zu erhalten. Plötzlich war ich in der Rolle der Zuhörerin. Mit den Frauen kamen auch neue Probleme, die nicht nur für die Gruppe, sondern auch für mich selbst, neu waren. Ich erlebte Sucht. Ich wußte, daß es das gibt, aber nicht, welche Ausmaße es hat.

Wie wir damit umgehen können, ist immer wieder Gesprächsthema. Es ist bei uns z.B. üblich, daß an den Abenden, zu denen wir uns treffen, kein Alkohol getrunken wird.

Im April werden wir einen Abend zum Suchtthema machen. Außer den wöchentlichen Gesprächsabenden und den thematischen Abenden 1x im Monat, verbinden uns auch gemeinsame Erlebnisse, Urlaub, Arbeitseinsätze, Wanderungen. Gelegenheiten, sich untereinander näher zu kommen, mal etwas anderes miteinander tun.

Ich habe unsere Gruppe, daß heißt meine Eindrücke von ihr nur sehr oberflächlich beschrieben. Für mich ist sie nicht mehr nur eine Möglichkeit, mich mit Homosexuellen zu treffen, sondern eine Gemeinschaft, in der ich so akzeptiert werden, wie ich bin. Wo ich Antwort auf meine vielen Fragen finde, in der ich meine ganze Person einbringen kann.

 

Christiana (Erfurt)

Wir haben uns selbst im Jahresprogramm der ELSA (Erfurter Lesben- und Schwulen-Arbeitskreis bei der Evangelischen Stadtmission) so vorgestellt:
„Abwechselnd mit der großen ELSA treffen sich alle 14 Tage (montags ab 19Uhr) die ELSEN der ELSA.
Das sind Frauen, die innerhalb des großen Arbeitskreises von Schwulen und Lesben ein Zusatzangebot für Frauen machen:
– für Frauen, die ab und zu oder häufig oder am liebsten immer mit Frauen zusammen sein wollen;
– für Frauen, die in kleinerer Runde miteinander ins Gespräch kommen wollen;
– für Frauen, die nicht zuerst ein Bildungsprogramm, sondern menschliche Begegnungen mit Gleichgesinnten suchen;
– für Frauen, die in einer Gemeinschaft aufeinander zu gehen wollen;
– für Frauen, die sich erst den Mut dazu holen wollen;
– für Frauen, die bereit sind, anderen von ihrer Lebenserfahrung mitzuteilen
und natürlich für alle andere Frauen“

Hinter unseren Terminen im ELSA-Programm steht ein „x“. Das wird erklärt mit: „Männer unerwünscht“, bezeichnet aber lediglich die Tatsache, daß wir etwas für uns tun wollen, daß das nur uns betrifft, daß es nicht gegen Männer gerichtet ist, sondern einfach nur ohne sie stattfindet.

Anfangs gab es darüber ein bißchen Aufregung in der ELSA. Nicht so sehr von den Männern, die in der Mehrzahl die Frauen in ihren Veranstaltungen nicht unbedingt vermissen und Frauenaktivitäten mit mild-gleichgültiger Gelassenheit und oft nicht ohne Freundlichkeit betrachten und geschehen lassen. Viel aufgeregter waren dagegen einige Frauen, Lesben, denen die Verteidigung der Männerrechte offenbar dringenderes Bedürfnis ist als den Männern selbst. Sie ließen die Initiatorinnen der Frauengruppe, wie sich das gehört, ordentlich abblitzen. Frauenunterdrückung, Männderdominanz – das ist doch alles Intellektuellen- und Emanzenschnickschnack. Die Frau, die ihren männlichen Kollegen Kaffee kocht, ist schließlich selber schuld. Und was soll überhaupt diese Frauengruppe – wir fühlen uns unter den Schwulen sehr wohl!

Wenn das keine Verteidigung ohne Angriff ist, denn offenbar übersahen die wackeren Streiterinnen, daß die Frauengruppe für interessierte und nicht für desinteressierte Frauen gedacht ist, daß sie ein Angebot ist, und zwar ein zusätzliches, und kein Zwang.

So, das mußte mal gesagt werden. Die Hauptsache aber ist nicht solches Gezänk, sondern die Gruppe selber. Die hat es nicht leicht. Einfach deshalb, weil wir alles weglassen, was herkömmliche Gruppen aller Art kennzeichnet: Hierarchie, Disziplin und Ordnung, Beschlußfassung sowie –durchführung und Abrechnung, Abfassen von Protokollen (damit auch kein Gran des Gesagten und Gedachten verloren gehe), Öffentlichkeitsarbeit. Wir machen alles so etwas nicht und erfahren, daß Demokratie und Freiheit schwer zu ertragen sind. Was wir nicht selbst tun, geschieht nicht, und so geschieht bei uns manchmal einfach nichts. Außer natürlich, daß wir zusammensitzen, immer wieder, alle 14 Tage, und miteinander reden, und daß immer wieder die Frauen kommen, die wirklich wollen. Das ist viel mehr als nichts. Aber wir diskutieren jetzt, wie wir noch ein bißchen mehr machen können, zum Beispiel: den Frauen, die uns noch nicht kennen, mehr Anhaltspunkte bieten über das, was sie bei uns erwartet, etwa in Gestalt eines Programmes. Zunächst aber bleibt Begegnung unser Programm.

Über eine unfertige Sache läßt sich nichts Fertiges sagen. Fertig zu werden ist aber gar nicht unser Ziel. Wir wollen weitermachen, unterwegs bleiben und sind neugierig, wohin wir kommen, und wer mit uns mitkommt. Habt ihr nicht auch ein bißchen Lust?