Ein Beitrag zur Hausbesetzung am 17.08.2016 von Luise
Morgens halb 6 – ich stehe etwas frierend aber frohen Mutes „Am Planetarium“. Ein Haus soll hier besetzt werden. Juhuuuu.
9h später sitze ich zuhause am Laptop und habe einen Kloß in meinem Bauch und ein Pieksen in der Brust. Wo das herkommt?! Keine Ahnung.
Ich finde Hausbesetzungen super. Immer und Überall. Häuser nehmen, die leer stehen. Bewohnen statt verfallen lassen, autonome Strukturen aufbauen.
Und doch bleibt dieses Unbehagen.
Ja klar, die Besetzung war von Anfang an nur als symbolische geplant, gegen den Naziaufmarsch und nicht als langfristige Hausaneignung. Das wusste ich von Anfang an.
Woher also mein Stechen in der Brust?
Ich hab angefangen es so richtig doll zu spüren, als die Besetzer (ohne *innen) aus dem Fenster des Hauses kletterten, um ihre Personalien bei der Polizei abzugeben. Eine Person war vermummt, fünf habe ich als Typen identifiziert. Schwarz gekleidet, sportliches auftreten, weiß.
Nachdem das mit der Polizei durch war und ich alle sah, bestätigte sich meine Vermutung – eine Besetzung von 6 weißen Typen. Auch wenn ich mich bemühe, meine eigene heterosexistische Wahrnehmung immer wieder zu verändern und versuche, eben nicht automatisch von cis oder Typ_Frau (cis bezeichnet Leute, die mit ihrer jeweiligen Geschlechterrolle – Mann oder Frau – gut zurechtkommen, im Gegensatz zu z.B. Trans-Menschen, die aus dieser Rolle ausbrechen, Anm. d. Red.) bzw. weiß auszugehen, hat mich die ganze Performance der 6 Menschen (z.B. „Famewinken a la Gangstarap“ mit beiden Händen vom Balkon aus) eben doch stark an „klassische“ Antifamacker erinnert, die da unter großem Applaus das Haus verlassen haben.
Ich habe Bauchschmerzen und denke „Ne, Antifa ist eben doch nicht alles“. Ich finde es super, dass es diese Aktion gab, aber doch bleibe ich wieder bei der Frage hängen, wie die Gruppe zustande gekommen ist. Ob es denn keine Frauen* gab, die darauf Lust hatten? Ob es einfach keine FLTI* Menschen (FLTI* bezieht sich auf die Geschlechtsidentitäten Frauen, Lesben, Trans und Inter, Anm. d. Red.) in dem Umkreis gab (Und das wäre ja auch problematisch)? Haben sie die Frauen in ihrem Umfeld nicht gefragt, weil sie diese nicht für radikal oder mutig genug halten?! Oder haben die FLTI* Personen es sich nicht zugetraut?
Wer macht welche Aktionen? Wer bekommt für welche Aktionen Applaus?! Uargh.
Zudem hat mich die ganze Organisierung vor dem Haus sehr unzufrieden gemacht und ja, auch dass ich selbst nicht anders in dem Moment gehandelt habe. Ich habe mich überhaupt nicht „selbstwirksam“ gefühlt. Als nach circa 1-1,5h von einer cis-Frau der Vorschlag gemacht wurde, ein Plenum abzuhalten… und das mehrmals mit nem Lächeln im Gesicht und sich niemensch bewegt, meinte ein cis-Typ nur zu ihr „Immer schön weiter lächeln“. Ich bin innerlich erstarrt. Heißt das denn, mensch muss ne bestimmte (harte, dominante) Ausstrahlung an den Tag legen, damit es ernst genommen wird, wenn der Vorschlag für ein Plenum gemacht wird?
Die Plena an sich waren auch sehr ungeordnet. Menschen haben sich gegenseitig nicht zugehört, es gab keine Moderation (auch wenn es mehrmals angesprochen wurde, sich aber nur der Versammlungsanmelder bereit erklärte, dies zu tun, dann jedoch nur dominant seine eigene Meinung sagte) und keine Delegierten oder Aufgabenteilungen.
Als es darum ging, ob wir uns räumen lassen oder friedlich den Ort verlassen fiel in der Diskussion ziemlich oft der Satz, dass wir als „freie Bürger ein Zeichen setzen wollen“ – mal von den Bürger*innen abgesehen. Freie Bürger? Zudem wurde gegen Intoleranz und für Menschenfreundlichkeit gesprochen. Freie Bürger? WTF? Was passiert hier nur? Was soll das denn für ne Freiheit sein?! Frei nach einem Plakat an der Hauswand „go to work, send your kids to school, follow fashion, act normal, walk on the pavement, watch tv, save for your old age, obey the law. Repeat after me. I am free.“1 Aber vllt kommt das Wort Freiheit ja auch leichter über die Lippen, wenn ich weder von Rassismus, noch Sexismus, noch Klassismus betroffen bin – wobei ich keine dieser Betroffenheiten bei den Menschen ausschließen möchte. Was jedoch Geschlecht und race angeht, waren wir doch ein ganz schön männlicher und weißer Haufen… klar, morgens ab 6 – wer kanns sich da schon „leisten“ nicht zu arbeiten?
Und ja, letztendlich sind wir alle abgezogen. Die Menschen haben nach mehrmaligen Verhandlungen mit der Polizei, das Haus verlassen haben ihre Personalien abgegeben und wir sind zu einem angemeldeten Kundgebungsort gegangen um von dort mit ner angemeldeten (!) Sponti (die ich dann frühzeitig verlassen habe) durch die Stadt zu ziehen. Nicht jedoch, ohne dass sich der Anmelder zum „Hilfspolizisten“ gemacht hat und uns darauf hingewiesen hat. doch erst Parolen zu rufen, wenn wir bei dem Kundgebungsort wären und ja, immer nett den Fußweg benutzen.
Neben meiner Enttäuschung und Wut darüber, wie die Besetzung gelaufen ist, möchte ich doch sagen, dass ich die Idee, sich mal anders einem Naziaufmarsch entgegenzustellen, ziemlich gut finde und ich mir auch einen Austausch über die Aktion mit den Beteiligten direkt wünschen würde – denn ein anonymes „Rummeckern“ halte ich nicht für sinnvoll. Aber das hier soll zumindest ein Versuch sein, sich innerhalb einer Szene aufeinander zu beziehen und zu lernen, solidarische (!) Kritik zu äußern und anzunehmen. Deswegen: Veröffentlicht gerne eigene Stellungnahmen dazu oder gebt mir über das AIB ne Rückmeldung… denn vielleicht war eure Wahrnehmung der Aktion eine ganz andere.
Zu guter Letzt noch ein Traum: Stellt euch eine Hausbesetzung vor, die von einer Gruppe (pro-) feministischer Menschen ohne Mackertum ausgeht, bei der die Transpis an der Hauswand klar feministische Positionen wiedergeben, wo die Menschen vor dem Haus gleichberechtig mit den Besetzer*innen agieren, nicht mit der Polizei verhandelt wird, Interviews und Flyer für alle verständlich sind, Beteiligte über Ängste sprechen und es Raum gibt voneinander zu lernen, wo es nicht um Fame und das eigene Standing geht, sondern um das Lernen von Selbstorganisierung.
Das wär schön.
Fußnoten
(1) „Geh zur Arbeit, schicke deine Kinder in die Schule, folge dem Trend, verhalte dich normal, geh auf dem Gehweg, schaue fern, spare für deine Rente, befolge das Gesetz. Sprich mir nach. Ich bin frei.“