Vorstellung des Netzwerks „Break Deportation“

von Break Deportation Netzwerk Jena

Aktiv ist das Netzwerk in Jena seit Februar 2016. Das war die Zeit, in der auch den letzten Aktiven in geflüch­te­ten­­­solidarischen Zusammenhängen klar­­­werden musste, dass die bisher ge­feierte „Willkommenskultur“ nicht für alle Menschen gilt und es mehr Abschie­bung­en als ohnehin schon, auch aus Thü­ringen, geben würde. Diese Entwick­lung kündigte sich bereits im Oktober 2015 an, als ein landesweiter Erlass zur An­kündigung von Abschiebungen auf­ge­ho­ben wurde, später zum Jahreswechsel mehrere Massenabschiebungen statt­fan­den und für 2016 durch eine „linke Regierung“ die Landesmittel für Ab­schie­bungen von 750.000 auf 4,9 Millionen Euro (!) aufgestockt wurden1. Für 2017 ist eine erneute Erhöhung auf 9,4 Millionen Euro geplant….2

Anders als die erfahrenen Selbst­orga­ni­sa­tionen von Refugees, wie „The VOICE“3 oder „Roma Thüringen“4, set­zen wir uns als Break Deportation „Sek­tion Jena“ vorwiegend aus Bekannten­kreisen und verschiedenen politischen Gruppen, vor allem „Pekari“ und „Die Falken“, zusammen. Dementsprechend bestehen wir leider fast nur aus weißen Her­kunftsdeutschen ohne eigene Migra­tions­erfahrungen, was natürlich auch unsere bisherigen und folgenden Ak­ti­vi­tä­ten beeinflusst und immer mit­be­ein­flus­sen wird. Wir sind dementsprechend permanent auf kritischen Input von au­ßen angewiesen.

Angefangen haben wir mit Vernet­zungs­tref­fen, rotierend in Erfurt und Jena, in denen neben geflüchteten, teils eben selbst­organisierten Menschen bzw. Aktivist*innen aus verschiedenen thü­ring­ischen Städten, unter anderem auch Gruppenvertretungen aus Dresden oder Leip­zig anwesend waren. Dabei offen­bar­ten sich frühzeitig mögliche Hierar­chien durch Erfahrungsunterschiede und Sprachbarrieren. Die Arbeit beschränkte sich daher anfangs auf die Formulierung konkreter politischer Grundstand­punkte, etwa dass wir in Deutschland eine langjährige Ab­schiebekultur haben, es alle geflüch­te­ten Menschen treffen kann und in der mo­men­tanen Politik nicht nur Her­kunfts­deutsche und Migrant*innen, son­dern auch Geflüchtete untereinander aus­gespielt werden.

Der Kampf unseres Netzwerks gestaltet sich so als revolutionär, da die Grund­prin­zipien einer auf Profit und Kon­kur­renz ausgerichteten Politik im Inland als auch der neokolonialen Verhältnisse auf nationalstaatlicher Ebene angegriffen werden. Wir sind der Meinung, dass für zukünftige politische Durchschlagskraft eine Selbstorganisation der Betroffenen über Nationalitäten hinweg nötig ist. Das können wir nur erreichen, wenn wir nicht als NGO angesehen werden, die versucht, stellvertretend Probleme der Refugees zu lösen. Das würde nur wieder zu Resignation und der momen­tan größtenteils vorhandenen Passivität führen. Vielmehr sind wir politische Mit­streiter*innen, die sich zwar in einer völ­lig anderen Position befinden, aber zusammen mit den Geflüchteten vor­dergründig gegen Abschiebungen und insgesamt für eine befreite Gesellschaft kämpfen.

Als in Jena das Büro der Partei „Die Linke“ besetzt wurde5, um auf die Mas­sen­abschiebungen in Thüringen auf­merksam zu machen, wurde in­ner­halb der Gruppe unser Verhältnis zu par­la­men­tarischer Politik diskutiert: Zu einer einheitlichen Lösung sind wir bis jetzt allerdings nicht gekommen, wobei festzuhalten ist, dass wir die Doppel­moral der „Willkommenskultur“ natür­lich verurteilen. Die Besetzung haben wir also genauso unterstützt wie die Spontandemonstrationen in Jena6 oder die eingerichteten SMS-Alarme zur Er­grei­fung schneller Gegenmaßnahmen bei Naziübergriffen, aber auch bei Abschiebungen.

Um die Geflüchteten auf solche Dinge vorzubereiten, besuchen wir sie seit Juni dieses Jahres auch direkt in meh­re­ren Gemeinschaftsunterkünften Jenas. So können wir durch persönliche Kon­tak­te schneller und frühzeitiger von Ab­schie­bungen oder „freiwilligen Aus­reisen“, zu denen sie massiv gedrängt werden, mitbekommen, dem­ent­spre­chend handeln und der Isolation, von der sich viele Menschen betroffen se­hen, wenigstens etwas entgegen­wirken. Bei den Besuchen achten wir auch darauf, möglichst allen Dis­kriminier­ungs­formen entgegenzutreten, indem wir etwa gleichermaßen als männlich und als weiblich wahrgenommene Men­schen in Besuchsgruppen haben, Frau­en* in Frauen*gruppen stärken möchten sowie mit Regenbogen-Buttons darauf hin­weisen wollen, besonders auch an die Position queerer Personen zu den­ken. Letztendliches Ziel ist, regel­mä­ßig­en Kontakt in die Heime aufzubauen, die Isolation zu durchbrechen sowie das Selbstbewusstsein der kollektiven Lage der Geflüchteten zu stärken, indem ihre La­gen in den Unterkünften sowie ihre Geschichten aus Heimatregionen und von Fluchterfahrungen dokumentiert und anonym/mit Einverständnis veröffentlicht werden7.

Die anfänglichen Sprachunterschiede konnten wir durch Dolmetscher*innen, die wir in Listen gesammelt haben, und durch mehrsprachige Flyer weitgehend reduzieren. Damit gewährleisten wir den gegenseitigen Austausch über zum Bei­spiel die Asylrechtsverschärfungen einerseits und erhalten andererseits auch Informationen über weitere Dis­kri­mi­­nierungen in konkreten Fällen. So kommt es etwa vor, dass Amts­ärzt­*in­nen die Reisefähigkeit für Ab­schie­bung­en bescheinigen, obwohl objektiv me­di­zi­nische Einwände vorliegen. Außerdem werden zusammenlebende Menschen aus­einandergerissen, indem junge Men­schen Versprechungen zu Arbeits­chan­cen erhalten, während die Eltern abge­scho­ben werden.

Für uns sind keine Abschiebungen ver­handelbar. Wir unterscheiden nicht in „gute“, wirtschaftlich verwertbare Men­schen und jene, die es aus kapi­talis­ti­scher Sicht nicht sind!

Egal, ob Abschiebungen direkt blockiert werden, öffentlich dagegen Stellung be­zo­gen wird oder Menschen in die Ille­ga­lität gehen müssen oder politische Hei­raten nutzen, um bleiben zu können. Uns als auch Refugees, die sich poli­tisch engagieren, drohen Repressionen.

Gerade weil es zusätzlich noch so viele büro­kratische Auseinandersetzungen gibt, fällt es schwer, das „große Gan­ze“, also die Abschiebepraxis zu stop­pen, nicht aus den Augen zu verlieren. Logisch und zugleich ernüchternd ist, dass deshalb vermehrt auch kaum In­teresse an eigenem, weitergehenden politischen Aktivismus bleibt. Dafür gibt es oftmals eben zu viele akute, eigene Probleme, Angst vor Repressionen oder einfach den Wunsch, mal zur Ruhe zu kommen. Ein weiterer Grund, dass Moti­vation für Aktivismus verfliegt ist, dass einzelne Personen Aufenthaltstitel er­hal­ten und damit in vermeintlicher, weil vorübergehender Sicherheit leben. Die Gesetze ändern sich jedoch, wie an­ge­spro­chen, ständig und schon morgen können Abschiebewellen auch Men­schen aus Staaten, in denen Krieg herrscht, treffen, da auch dort Regionen als „sicher“8 deklariert werden können. In Thüringen haben wir dafür immerhin (noch) keine gesonderten Ab­schie­be­la­ger – wie etwa in Bamberg9.

Wir können für die Zukunft schließen, dass es, wenn wir die Selbst­orga­ni­sa­tion von Geflüchteten unterstützen wol­len, mehr Überzeugung und politische Bildung auf deren Seite braucht und wir auf diesem Weg selbst viel dazulernen müssen. Wie in so vielen politischen Kämp-fen braucht es eine breitere Mo­bi­­lisierung, einen großen Aufschrei. Wir freuen uns, wenn Menschen sich mit dem Netzwerk solidarisch zeigen und mal vorbeikommen und/oder sich mit uns vernetzten wollen – sofern sie un­se­ren politischen Grundkonsens teilen. Schreibt uns einfach auf Facebook, „Break Deportation Jena“, an!

 

Fußnoten

(1) Vgl. Meldung des MDR: http://bit.ly/2ag4OfN

(2) Vgl. Bericht in der TLZ: http://bit.ly/2aiFFVZ

(3) „The VOICE“ hat den Sitz in Jena und ist mehr als 20 Jahre aktiv, http://www.thevoiceforum.org/

(4) „Roma Thüringen“ ist seit 08.06.2013 aktiv und vertritt, wie der Name schon sagt, vor allem die Interessen der sich in Thüringen befindenden Rom*nija, https://de-de.facebook.com/roma.thuringen

(5) Ein Bericht dazu auf unserem Blog: http://bit.ly/2aaBl5w

(6) Berichte im AIBJ #2 oder hier: https://linksunten.indymedia.org/de/node/181998

(7) Statements dazu von Mena im AIBJ #2 oder hier auf unserem Blog: http://bit.ly/2aCLtcq