von der AIBJ-Redaktion
Im Oktober 1997 sollte es in Saalfeld eine bundesweite und breite Antifa-Bündnisdemo geben. Nach der Demo in Wurzen bei Leipzig von 1996 mit 6000 Antifas sollte es die zweite dieser Art in unserer Region werden. Durch Pressehetze, ein staatliches Verbot und Bullenrepression wurde diese unterdrückt und verhindert. Im März 1998 wurde die Demo entgegen krasser Demo-Auflagen und trotz Bullen-Terror nachgeholt und durchgesetzt. Für einige Leute aus Jena und anderen thüringischen Städten war das damals die erste Großdemo und eine wichtige Erfahrung.
Die 90er in Saalfeld
In Saalfeld fanden während der 90er zahlreiche wichtige Nazi-Events und Organisierungsprozesse statt. Am 17. August 1992 marschierten 2500 Glatzen in einer bundesweiten Hess-Gedenkdemo und der ersten großen Fascho-Demo Thüringens durch die Stadt. Ein halbes Jahr später kam es zu einem dreitägigen Vernetzungstreffen verschiedener Nazi-Vereine. Ebenfalls 1992 wurde in Saalfeld die Anti-Antifa gegründet, um Infos über die antifaschistische Bewegung zu sammeln und unter den Nazis zu verbreiten. Im Herbst 1995 verhinderten die Faschos mithilfe einer Bombenattrape die Gedenkfeierlichkeiten an einem Saalfelder antifaschistischen Mahnmal. Neonazi-Größe und Verfassungsschutz-Mann Tino Brandt gründete im Sommer 1996 das „Aktionskommitee Deutsches Jugendhaus Saalfeld“ mit dem Ziel, ein „Nationales Jugendzentrum“ aufzubauen. Und am 26. März 1998 – nicht einmal zwei Wochen nach der Antifa-Demo vom 14. März – wurde die 14jährige Punkerin Jana Georgi von einem 15jährigen Jungfascho erstochen. Ansonsten trifft auf das allgemeine Klima im Saalfeld der 90er der Begriff „rechter Konsens“, der zu dem Zeitpunkt in der Antifa-Szene von Thüringen und Sachsen in Mode kam, recht gut zu. Saalfeld hatte damals eine ziemlich rechts eingestellte Bevölkerung und war zusätzlich ein Organisierungsschwerpunkt der sich im Aufbau befindlichen Nachwende-Neonazi-Bewegung.
Staatliche Unterdrückung der Saalfeld-Demo 1997
Um etwas gegen die Fascho-Umtriebe und die rechte Einstellung der Bevölkerung zu machen, rief ein breites Antifa-Bündnis für den 11. Oktober 1997 zu einer Demonstration unter dem Motto „Den rechten Konsens durchbrechen!“ auf, angemeldet vom Verdi-Gewerkschafter Angelo Lucifero. Zu diesem Bündnis gehörten neben der lokalen Antifa-Gruppe und Antifa-Gruppen anderer Städte auch die linken Organisationen des Antirassistischen und antifaschistischen Ratschlags. Der Antifa/Antira-Ratschlag findet seit 1991 in verschiedenen Städten Thüringens statt und vereint bis heute auf Grundlage eines Anti-Nazi-Konsens die Linke in ihrer ganzen Breite, von linken Gewerkschafts-, Partei- und Staatsfunktionären bis zu autonomen Gruppen.
Fast die ganze Saalfelder Stadtgemeinschaft stellte sich gegen die geplante Demo. NPD/JN meldeten eine Gegendemo an, Stadtrat und Stadtverwaltung veröffentlichten einen offenen Brief, die Presse hetzte gegen die „Chaostage von Saalfeld“ und das Landratsamt und in zweiter Instanz das Verwaltungsgericht in Gera verboten die Demo kurzerhand. Das Verbot wurde vom thüringischen SPD-Innenminister Richard Dewes befürwortet. Den Rest erledigten die 7000 herangekarrten Bullen. Am großen Tag errichteten sie Straßensperren, die teils von Bundesgrenzschützern mit Maschinenpistolen im Anschlag bewacht wurden. Ein Sonderkommando stürmte in Saalfeld ein Szene- Haus und nahm 14 Leute fest. Bullen nahmen Gewerkschafter_innen fest, die in Saalfeld Flyer verteilten, sowie jeweils 50 und 60 Jugendliche am Saalfelder bzw. Geraer Bahnhof. Ganz interessant: Am selben Tag wurde in Heilsberg bei Rudolstadt ein Nazi-Waffenlager ausgehoben und 68 Faschos wurden verhaftet.
Trotz alledem gab es von Antifa-Seiten einigen Widerstand und Aktionen. In Halle wurde am Vorabend ein Nazi-Treff angegriffen und in mehreren Städten kam es am besagtem Tag zu Demos gegen Faschos und Staat: 300 Leute in Erfurt, 100 in Jena, 70 in Dessau, 500 in Leipzig. Bei Eisenberg kam es zu einer dreieinhalbstündigen Autobahnblockade. Denn als die Antifa-Busse aus Berlin, Görlitz, Nürnberg und Oldenburg mitbekamen, dass die Bullen die Ausfahrt gesperrt hatten, wurde entschieden, die A9 in beide Richtungen dicht zu machen. Nach der Aktion wurde die 400 Leute für bis zu zwei Tage im ehemaligen DDR-Strafarbeitslager in Unterwellenborn interniert, wo sie schikaniert, sexuell bedrängt und teils mit Nazis zusammengesperrt wurden. Um die 1500 Leute wurden also an dem Tag an verschiedenen Orten aktiv.
Die Saalfeld-Demo 1998
Am 14. März sollte nun der zweite Anlauf stattfinden. Das Bündnis stand, zusätzlich gab es einen gemeinsamen Aufruf der Saalfelder Antifa und der zwei wichtigsten Ost-Antifa-Gruppen, der Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) und des Leipziger Bündnis gegen Rechts (BgR). Die Demo wurde zwar nicht verboten, obwohl 2500 Saalfelder Bürger_innen einen Aufruf der Stadtratsfraktionen der CDU, SPD und FDP zum Verbot unterschrieben hatten. Die Demo wurde aber mit krassesten Auflagen belegt: Sie durfte nicht durch die Innenstadt ziehen, solle sich in maximal 50m lange Blocks aufteilen, keine Seitentranspis etc. Quasi alle Demonstrant_innen wurden in Vorkontrollen gefilzt, schikaniert und abgefilmt. Und dieses Mal gab es wirklich eine Nazi-Demo mit 150 Faschos unter dem Motto „DGB – Arbeiterverrat. Arbeitsplätze statt Chaoten-Demos“.
Den Höhepunkt des Bullenterrors stellte der Angriff auf die zwölf Busse aus Berlin, Halle, Leipzig, Brandenburg, Potsdam und anderen Städten auf der B88 10 km vor Saalfeld dar. Neben der Straße landete ein Helikopter des Bundesgrenzschutzes, ein Einsatzfahrzeug stoppte den Buskonvoi. Als die 700 Leute eine Sponti machen wollten, wurden sie mit Tränengas beschossen und von den Bullen angegriffen. 200 Leute wurden verhaftet und wieder ins DDR-Arbeitslager nach Unterwellenborn gebracht. Der Rest in die Busse geprügelt und über Stunden dort festgehalten. Landtags- und Bundestagsabgeordnete bekamen Platzverweise.
Trotz alledem fand dann eine Demo mit 5000 Gewerkschafter_innen und Antifas statt. Sie lief im Wanderkessel und wurde dauerhaft abgefilmt. In Gorndorf kam es zu einer Szene, als mehrere Faschos aus und vor der Platte die Demo abfotografierten und provozierten. Als aus der Demo Flaschen flogen, wurde sie von den Bullen angegriffen, Leute verprügelt und rausgezogen.
Ein paar Gedanken im Nachhinein
Fast zwanzig Jahre nach den Saalfeld-Demos stellen sich einige Fragen. Die staatliche Repression gegen die Antifa-Kampagne in Saalfeld kam nicht ganz unvermittelt. Erst ein Jahr zuvor war die Polizei ziemlich rabiat gegen den Rudolf-Heß-Aktionstag der Nazis vom 17. August 1996 in Worms (Westdeutschland) vorgegangen. Dutzende Nazis wurden bei der Anreise verhaftet, die Demo wurde – im Gegensatz zu den folgenden Jahren – nach einer Stunde gekesselt und aufgelöst. Das sollte den Linken zu denken geben, die den Nazis heute beim Ballstädt-Prozess möglichst lange Haftstrafen wünschen, für ein Verbot von Nazi-Demos in Jena eintreten oder es unterstützen, wenn die Bullen mal was gegen rechts machen. Da „links“ und „rechts“ im Rahmen der staatlichen Anti-Extremismus-Theorie im Grunde dasselbe sind, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Gewalt und Repression, die Einige den Faschos an den Hals wünschen, auch gegen unsere Bewegung richtet.
Seit den Saalfeld-Demos hat sich einiges getan. Die ehemaligen Bündnispartner_innen und Mitantifaschist_innen der linken Parteien und Gewerkschaftsbürokratien sind mittlerweile an der Regierung. Sie haben sich zum einen ihre warmen Pöstchen, Diäten und Renten gesichert, zum anderen sind sie nun die Verwalter_innen des Staats und Mittäter_innen in den staatlichen Verbrechen geworden. Linkspartei-Konsorten wie Bodo Ramelow, Stefan Dittes, Sabine Berninger und Frank Spieth, die sich anno dazumal für die Antifa stark gemacht haben, stehen heute auf der anderen Seite. Denken wir nur an Ramelows Ausfall gegen die Bornhagen-Demo gegen Höcke und die AfD, sinngemäßes Zitat: Die Antifas benutzten doch NSDAP-Methoden. Das zeigt uns, dass die Großbündnisse vielleicht für einen Tag im Jahr eine größere Menge an Leuten auf die Straße bringen, langfristig gesehen aber bedenkliche Nachwirkungen haben können. Denn über die Großbündnisse wird den linken Partei-Leuten die Möglichkeit gegeben, sich in den sozialen Bewegungen zu etablieren, sich darüber Legitimität zu verschaffen, dort staatslinke Propaganda zu machen und motiviertes Personal für ihre Apparate oder die Staatsantifa zu rekrutieren. Gerade die letzten beiden Punkte – die Präsenz parlamentaristischer und etatistischer (=pro-staatlicher) Positionen innerhalb der Szene und der Verlust von Mitkämpfer_innen aus der Bewegung – haben sich in den letzten zwei Jahren linker Staatsverwaltung in Thüringen als ernstes Problem erwiesen.
Zum Nachlesen
Beiträge der Leipziger Antifa-Szene Herbst 1997
https://www.conne-island.de/nf/38/11.html
Jungle-World-Artikel zur verbotenen Demo 1997
http://jungle-world.com/artikel/1997/42/38369.html
Debattenbeitrag eines sächsischen autonomen Antifas vom Oktober 1997
http://jungle-world.com/artikel/1997/43/38287.html
Debattenbeitrag des Gewerkschafters Angelo Lucifero vom Oktober 1997
http://jungle-world.com/artikel/1997/44/38232.html
„Saalfeld – Demokratie im Würgegriff“ – Broschüre der PDS zum Tag der verbotenen Demo
http://www.die-linke-thl.de/fileadmin/lv/nazi-
terror/anfragen/Brosch%C3%BCre%20Saalfeld.pdf
Jungle-World-Artikel zur Verbotsfrage November 1997
http://jungle-world.com/artikel/1997/47/37933.html
Aufruf von BgR, AAB und Antifa Saalfeld für die Demo 1998
https://www.nadir.org/nadir/initiativ/bgr/aufrufe/saalfeld.htm
Junge-Welt-Artikel zur Demo 1998
https://www.nadir.org/nadir/initiativ/bgr/kampagne/saalfeld/junge2.htm
Rückblick von 2012 vom Infoladen Sabotnik http://sabotnik.blogsport.de/2012/03/09/saalfeld-damals/