Zu Personenkontrollen im Stadtgebiet und «Gefahren» zwischen Polizeigesetz und Wirklichkeit von Luigi
Nicht erst seit den zunehmenden Personenkontrollen in jüngerer Zeit, die speziell rund um den Jahnplatz mit einem «Gefahrengebiet» begründet werden, sind Menschen im (abendlichen) Alltag mit schikanösen Polizeimaßnahmen konfrontiert. Bereits im Juni 2012 erklärte die Jenaer Polizei über die OTZ, im Stadtgebiet vermehrt «anlasslose» Personenkontrollen bei Träger_innen von Kapuzenpullovern und weiten Hosen durchführen zu wollen. Das Ziel: Konsument_innen illegalisierter Drogen aufzuspüren. Tatsächlich müssen vor allem Menschen im Alter zwischen ca. 16 und 40 Jahren immer wieder die Erfahrung machen, bei Dunkelheit unvermittelt von einer Streifenbesatzung angehalten zu werden. Darauf folgt meistens eine Überprüfung der Personalien, die Frage nach Drogenkonsum oder Vorerfahrungen mit der Polizei und häufig auch eine Durchsuchung von Taschen und Rucksäcken. In einigen Fällen kommt es infolge von z.B. Grasfunden auch zu Hausdurchsuchungen.
Dass ein Großteil dieser Maßnahmen in nachträglichen Polizeipressemeldungen als «freiwillig» gerechtfertigt wird oder vermeintliche Verdachtsmomente konstruiert werden, entlarvt indes die Rechtswidrigkeit eines Großteils der Kontrollen. Denn ohne konkreten Grund dürfen die Bullen tatsächlich nicht einmal Identitätsfeststellungen durchführen (!). Rechtlich gesehen könnte daher der Dialog auch so klingen:
«Guten Tag. Wir führen heute verdachtsunabhängige Personenkontrollen durch. Könnten wir bitte Ihren Ausweis sehen?»
«Könnt ihr nicht. Ihr könnt gar nix. Tschüss!»
In der Realität verläuft das Ganze erfahrungsgemäß anders, wofür verschiedene Faktoren entscheidend sind. Die beiden zentralen dürften rechtliche Unsicherheit der Kontrollierten und das Gewaltgefälle in der Situation sein. Du stehst alleine im Dunkeln 3-6 Bewaffneten gegenüber, denen Gerichte in 99,9% jede noch so dumme Aussage abnehmen. Die dich, wie noch so spektakuläre Fälle jährlich zeigen, ohne Not straflos erschießen können. Genau das wissen die Bullen am besten und bauen die Kontrollsituationen und ihr Auftreten dementsprechend auf. Notwendig wäre für eine rechtmäßige Identitätsfeststellung gemäß Thüringer Polizeiaufgabengesetz (PAG) stets eine konkrete «Gefahr» oder der Aufenthalt an einem «gefährlichen Ort». Richtigerweise heißen die Polizeigesetze in vielen Bundesländern «Gefahrenabwehrgesetz», da sie formell die Eingriffsgrundlage in Fällen konkreter Gefährdung bestimmen. Die zu bekämpfende und gesetzlich nicht näher bestimmte «Gefahr» (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 PAG) besteht der Jenaer Polizei zufolge (s.o.) demnach überwiegend darin, dass Menschen selber entscheiden, Gras rauchen zu wollen. Was sie daran erkennen wollen, dass jemand Kapuzenpullis trägt. Ein «gefährlicher Ort», d.h. ein de facto Gefahrengebiet ist zumindest grob bestimmt (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 PAG):
« (…) ein Ort (…) von dem aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, daß dort
– Personen Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben,
– sich Personen ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis treffen, oder
– sich Straftäter verbergen, oder
– an dem Personen der Prostitution nachgehen,
Klingt nicht gefährlich, ist aber so. Wie bei den meisten durch Strafgesetze geschützten «Rechtsgütern» (jede Straftat braucht ein verletztes Objekt, also «Rechtsgut», das dem Staat schützenswert ist) sind es vor allem der Staat selber und seine Ausbeutungsgesellschaft, die geschützt werden müssen. In der Abgrenzung zur bundesgesetzlichen Strafprozessordnung (StPO), die ab dem Moment konkreten Verdachts die Ermächtigungsgrundlage für Polizeihandeln darstellt, sind Polizeigesetze als Ländergesetzgebung eine Ermächtigungsgrundlage bei «Gefahren», deren Vorliegen die Polizei aufgrund von «Lageerkenntnissen» feststellt. Im Prinzip ist dies eine Ermächtigung zum präventiven Eingreifen in Grundrechte. Im Detail mutet das Gefahrenverständnis archaisch an. Vor allem, wenn das Gegenmittel eine simple Ausweiskontrolle sein soll. Gehen wir die vier Bestimmungen eines Thüringer Gefahrengebiets durch:
Erstens ist jede_r und alles «gefährlich», was allgemein strafrechtlich verfolgt werden kann («Straftäter» und «Straftaten», § 14 Abs. 1 Nr. 2 aa) PAG). Nehmen wir das zentrale Beispiel der Jenaer Polizei: Cannabiskonsument_innen. Das geschützte Rechtsgut ist in diesem Fall die «Volksgesundheit». Im Sinne einer bürgerlichen Verfassung konnte es dem Staat nicht darum gehen, die Einzelne vor sich selber zu schützen. Er braucht aber trotzdem ein «gesundes Volk», das tagtäglich seine Arbeitskraft verkauft, den Fortbestand des Volkes durch Geburten sichert oder in den Krieg zieht. Zu Ende gedacht macht die Jenaer Polizei bei dieser Art der «Gefahrenabwehr» Jagd auf Volksverräter_innen. Du willst abends eine Tüte rauchen? Wehe dir, die du dein Volk im Stich lässt und deine Arbeits-, Gebär- oder Kampffähigkeit schmälerst!
Zweitens «(…) Personen ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis treffen» (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 bb) PAG). Spricht eigentlich gegen sich selber. Oder fühlst du dich unangenehm bedroht, wenn du an einer Person vorbeiläufst, die nicht dieses Stück Papier mit dem hässlichen Adler im Portemonnaie trägt? Oder auf diesem hässlichen Papier den falschen Stempel (Residenzpflicht) hat? Gefährdet ist hier nur der Staat und seine Kontrolle über die Bevölkerung, speziell das mörderische Migrationsregime.
Drittens «(…) sich Straftäter verbergen» (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 cc) PAG). Die Kifferin vom Jahnplatz ist vor der anrückenden Streife an die Leutra geflüchtet. Spürst du beim Vorbeispazieren die schwere Gefahr? Eine Kontrolle deiner Personalien wird dem abhelfen.
Viertens «(…) an dem Personen der Prostitution nachgehen» (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 dd) PAG). Stichwort archaisch. Wo überwiegend «Frauen» (der herrschenden geschlechtlichen Lesart nach) Sexarbeit verrichten, die von überwiegend «Männern» (”) gekauft wird, besteht aus staatlicher Perspektive per se eine erhöhte «Gefahr». Für wen? Eventuell zunächst für die Sexarbeiter_innen und ausgehend von Freiern und Zuhältern. Diese Art von Gefahr dürfte jedoch gerade da am größten sein, wo die Sexarbeiter_innen ins Unsichtbare gedrängt werden oder sich aufgrund rassistischer Bevölkerungskontrolle (Aufenthaltsrecht<->Arbeitsrecht) verstecken müssen. In dieser Konstellation dürften anlasslose Personalienkontrollen für Freier oder Zuhälter weniger ein Problem darstellen als für Sexarbeiter_innen, denen nicht selten gerade aufgrund fehlender Papiere nur diese immer nachgefragte Lohnarbeit zur Sicherung ihres Überlebens bleibt. Indem die Polizeigesetzgebung Prostitutionsräumen den Stempel «gefährlich» gibt und Stadtverwaltungen sie üblicherweise in Rand- und Gewerbegebiete beauflagen, schützen sie vor allem Freier. Die können dadurch anonym und isoliert von sozialer Verantwortung von der marktförmigen Abwärtsspirale in Sachen Preis-Leistung in der Sexarbeit profitieren. Wo nicht die Rechtsgüter der Sexarbeiter_innen geschützt werden sollen, eignet sich diese Gefahrenzuschreibung sekundär auch dazu, die sichtbaren und «normalen» gesellschaftlichen Räume der hetero-monogamen Kleinfamilien zu schützen, an deren Fassade der patriarchale Status von Vater, Liebespartner etc. geknüpft ist.
So viel zur Qualifikation einer «Gefahr». Gefährlich für den Menschen ist tatsächlich vor allem anderen diese Gesellschaftsverfassung und die zu ihrer Aufrechterhaltung benötigte Polizei. Wir leben jedoch in einer vielfachen herrschaftsförmigen Entfremdung und Vermittlung von Begriffen und Verständnissen der Realität. Der Ernst-Abbe-Platz würde sich unter naheliegenden Kriterien durchaus für ein Gefahrengebiet eignen: Die dort ansässige Firma Jenoptik beliefert Kriegsherde weltweit mit modernster Technik. Erst im Oktober 2016 bekam sie einen neuen Auftrag im Wert von 27 Millionen Euro für die Herstellung von Einzelteilen des Patriot-Raketenabwehrsystems, das die Bundeswehr zuletzt in die Dienste von Erdogans Kriegen an der türkischen Südostgrenze stellte. An sich ziemlich gefährlich, aber im Gefüge der aktuellen Gesellschaft anerkannter als die Kifferin vom Jahnplatz. Hätte Jena einen Knast, dann käme der in seiner Gefährlichkeit für Menschen an zweiter Stelle nach den Kriegszulieferanten und noch vor der Bullenwache am Anger. Wo ein Haufen isolierter Zellen, Gitterfenster und schwer bewaffneter Bediensteter mit juristischer Unantastbarkeit sind, geht kaum ein Mensch heil heraus. Gleich nach diesen Stätten käme wahrscheinlich jeder Haushalt mit einer Zweier-Beziehung, die weitgehend unbeeinträchtigt von den Augen und der Verantwortung Dritter abläuft. Der jüngste bekannte Mord an einer «Frau» fand im Juli 2016 in einer Wohnung in Lobeda-Ost statt, wo dem bisherigen Wissensstand nach ein ehemaliger Bulle seine frühere Freundin im Streit mit einer Hantel erschlug. Nachbar_innen hörten den Streit, warteten aber die gerufenen Bullen ab, die nur noch die Tote vorfanden. Dass «Gefahren» vorwiegend auf öffentlichen Plätzen, speziell in belebten Gegenden zu bekämpfen seien, ist Teil eines impliziten Herrschaftsdiskurses. Dieser vollbringt es einerseits, dass Menschen gegenüber «Fremden» nur im Negativen Verantwortung empfinden, sie nämlich als ständige «Gefahr» wahrnehmen. Im Positiven hingegen, in gegenseitiger Hilfe, Solidarität, sehen sich die wenigsten gegenüber Unbekannten. Weiterhin institutionalisiert ein Polizeigesetz einen Begriff von «schützenswert», der anstelle der Menschen primär jene vorgenannten Herrschaftsinteressen von Kapital, Staatsgewalt und Patriarchat in den Mittelpunkt stellt.
Unterstützung aus der Bevölkerung kann mensch sich im Falle einer Kontrollsituation trotz der relativ geringen Schutzfunktion schwer erhoffen. Das Vorschussvertrauen, das die uniformierten Schlägerinnen und Mörder genießen, kommt einer religiösen Irrationalität gleich. Und zur Aufrechterhaltung z.B. des Migrationsregimes bräuchte es im Zweifelsfall auch nicht einmal Bullen, da die Zahl der in die Bresche springenden Wahndeutschen so konstant zunimmt wie deren Bewaffnung. Heißt, dass sich der völlig verquere Gefahrenbegriff auch abseits der Bullen im Bewusstsein und in der Handlungsbereitschaft der Mehrheitsbevölkerung widerspiegelt. Daher greift eine auf die Bullen reduzierte Kritik an Staatlichkeit und Bevölkerungskontrolle, wenngleich der Wunsch nach einer klaren, eingrenzbaren Verortung nachvollziehbar ist, zu kurz.
Wer sich selber in einer «verdachtsunabhängigen» Polizeikontrolle wiederfindet, kann verschiedene Handlungsstrategien erwägen. Alle Strategien jenseits des rechtlichen Rahmens kann mensch wohl im Verhältnis zur eigenen Wehrhaftigkeit, körperlichen Fitness, Mut, Wut, Ortskenntnis etc. entwickeln. Was auch immer die eklige Kontrollsituation beenden kann, ist legitim und bei einer Verstetigung oder Einübung auch langfristig ein Gewinn an Autonomie gegenüber dem nervigen «Das dürft ihr doch gar nicht» Rumdiskutiere mit Bullen, die dir üblicherweise als erstes vermitteln: »Wir scheißen eh aufs Gesetz.». Wer sich die Strategie des Erstschlags, des Flitzens oder Straßentheaters nicht zutraut oder aufgrund rechtlicher oder emotionaler Verletzlichkeit, ein Fehlgehen für riskanter hält als eine durchzustehende Kontrolle, kann sein_ihr Handeln zur Reduktion der Ohnmacht an folgenden Eckpunkten orientieren, Stift und Papier immer mitführend:
– sprecht Vorbeigehende an, als Zeug_innen bis zum Abrücken der Bullen dazubleiben
– fragt nach dem konkreten Grund für die Kontrolle; 1. rechtlich, 2. Merkmale fürs Anhalten eurer Person
– fragt nach allen Namen oder Dienst-/Personalnummern der anwesenden Bullen
– fragt nach der Dienststelle/Polizeiinspektion und/oder Zug der Bereitschaftspolizei
– notiert euch die Autokennzeichen der Bullen, Uhrzeit und Ort der Kontrolle
– bei Grund «Gefahrengebiet»: Fragt nach dem genauen örtlichen Rahmen, der hier bekannten Art der Kriminalität (Einbrüche/Diebstähle/Drogen…)
– verweigert jegliche Durchsuchung z.B. mit der Ansage: «Ihr dürft mich nicht durchsuchen. Ich stecke meine Hände in die Taschen und lehne mich mit dem Rucksack an die Wand. Wenn ihr mich durchsuchen wollt, dann müsst ihr das gewaltsam machen und die damit einhergehenden Rechtsverletzungen im Zweifelsfall später verantworten. Überlegts euch.» Eigentlich bietet das Gesetz eine Rechtsgrundlage, um Personen innerhalb von Gefahrengebieten auch anlasslos zu durchsuchen (§ 23 Abs. 1 Nr. 4 PAG). Hierbei auch ein herzlicher Gruß an die rot-rot-grüne Landesregierung, die abseits ihrer BürgerInnenrechts-Ideologie ein solches Polizeistaatsgesetz, das die Grundlage für völlig willkürliche und uneingeschränkte Schikane- und Durchsuchungsmaßnahmen bietet, offenbar auch ziemlich gut findet. Jedoch müssen Bullenmaßnahmen als faktische Grundrechtseingriffe immer verhältnismäßig sein. Vorausgesetzt, ihr entscheidet euch nicht schon zur Totalverweigerung auch der Personalienabgabe: Wenn ihr die Konsequenz einer gewaltsam durchgeführten Durchsuchung einzugehen bereit wärt, dann könnt ihr mit einer Totalverweigerung des schwereren Eingriff einer körperlichen Durchsuchung darauf spekulieren, dass die Bullen es angesichts einer eventuell drohenden Rechtfertigungspflicht vor einem Verwaltungsgericht («Ist der Cannabiskonsum an der Leutra tatsächlich so häufig und schwerwiegend, dass willkürliche und mit Zwang durchgeführte Durchsuchungen zur «Gefahrenabwehr» verhältnismäßig sind?») lieber sein lassen. Das ist keine verlässliche Taktik, aber einer von vielen denkbaren Vorschlägen, den Bullen das Durchsetzen ihrer relativen Übermacht weniger schmackhaft zu machen und selber Handlungsspielraum auszutesten.
Solche Hinweise orientieren sich an dem müßigen Spiel, dass ihr den Bullen vermittelt, zu einer späteren rechtlichen Überprüfung der Maßnahme bereit zu sein und dafür bereits vor Ort Voraussetzungen schafft. Die Hinweise sind weder abschließend noch zuverlässig, was eine spätere gerichtliche Bewertung von Rechtmäßigkeit angeht. Sie können in erster Linie eurem eigenen Handeln Struktur geben und ein Stück Ohnmacht verringern. In zweiter Linie können sie den Bullen vermitteln, dass ihr Handeln in diesem einen von 99 anders gelagerten Fällen doch Konsequenzen haben könnte. Weiterhin sind eure Notizen und damit festgehaltenden Erfahrungen in der Kontrolle auch hilfreich für andere, die sich Kontrollen ausgesetzt sehen und vorbereiten wollen. Eure Verweigerung von Personalienangaben oder zumindest Durchsuchungen bzw. generell euer Widerspruch gegen Bullenmaßnahmen kommt euch vielleicht in dem Moment, in dem ihr nichts zu verlieren meint (kein Gras, Spraydosen und Schablonen, … dabei, gültige Aufenthaltspapiere …), sinnlos und zeitverschwenderisch vor. Für all die, die täglich etwas zu verlieren haben, bedeutet eine Gewohnheit der Bullen, problemlos überall kontrollieren und filzen zu können, jedoch eine immense Gefahr. Jede mit Stress verbundene Kontrolle, jede verweigerte Mitwirkung oder optimistisch gedacht jeder kollektive Widerstand gegen die polizeiliche Durchsetzung der täglichen Gewalt gegen z.B. Kifferinnen oder Illegalisierte ist ein kleiner Gewinn an Autonomie im Alltag und ein erster Schritt zum Abbau von tatsächlichen «Gefahren».