„Wieviel Miete zahlst du so?“

Kurze Anmerkungen zur politischen Ausblendung der Mietenproblematik in der „Szene“ von Horst¹ – einem Mitglied der Gruppe Statt²

Nun schon seit April 2016 organi­sie­re ich mich in dem Gesprächs­kreis „StattProbleme“ der Gruppe Statt. In diesem widmen wir uns jeden ersten und dritten Mittwoch im Monat der allseits bekannten und ebenso verhassten, aber den­noch wenig bekämpften Mieten­pro­ble­matik in Jena. Die Vieldeutigkeit des Themas ist kein Zufall. Ich habe durch­aus ein Problem mit dem sekundären Ausbeutungsverhältnis Miete. Der Umstand, dass ein Groß­teil der Menschen in dieser Gesell­schaft zur Erfüllung ihres Grund­be­dürf­nisses nach Wohnraum ge­zwung­en ist Geld dafür abzu­drüc­ken, ist in seichten Worten eine Ungerechtigkeit. Und wer dieses Geld letztendlich kassiert, ist da noch gar nicht Thema gewesen. Der Gegenstand der Kritik ist somit leicht erfasst und ehrlich gesagt auch nicht allzu schwer zu er­blicken, vor allem nicht in Jena.

Vielleicht kennt ihr nun aber die Schwie­rigkeit sich gegen ein Ver­hältnis zu engagieren. Wie soll das denn aussehen – gegen Miete an sich zu kämpfen? Den Vermieter ein­fach einen Kopf kürzer machen? Wohl kaum, schließlich steht schnel­ler als mensch denkt, ein*e neue*r vor der Tür. Durch die Welt reisen oder sich in Hörsäle ver­kriechen und allen Menschen in un­serer Reichweite erzählen, wie schei­ße es ist, dass sie ihre Miete jeden Monat überweisen (müssen)? Nee oder? Schließlich hört sie da­durch ja auch nicht auf zu exis­tie­ren. Nun, dann eben einfach auf­hören Miete zu zahlen und sich dem erhabenen Gefühl hinzugeben, endlich was Radikales getan zu haben! Klingt echt geil, aber leider wer­de ich dann irgendwann aus meiner Wohnung geschmissen und darf schlimmstenfalls ohne Um­wege in den Knast ziehen. Per­sonalisierte Kritik, Verbal­radi­kalis­mus und isolierte Praxis führen also alle nicht so recht zu dem großen Wurf, den ich insgeheim doch noch so sehr begehre. Tja und was nun?

Ich glaube, dass Kämpfe zur Ab­schaf­fung von Mietverhältnissen weitaus dreckiger und unreiner sind, als es die Binsenweisheiten von vielen meiner Genoss*innen (u.a.) oft vermuten lassen. Emanzi­pa­torische Potentiale liegen nun mal nicht (allein) in der Lebens­realität akademischer Zecken, sondern im Alltag der Vielen (wozu natürlich auch die akademische Zecken gehören: wenn sie denn wollen!). Die Vielen wiederum sind nicht einfach Leute, als würde es so etwas wie „Die Szene“ und „Die Leute“ geben. Nein, die Leute leben in ebenso sich voneinander unter­scheidenden und differenzierten Lebenswelten. Das, was wir „Sze­ne“ nennen, ist hier eine unter vie­len. Durchkreuzt werden diese aber nun von Verhältnissen, die sich in all diesen Lebenswelten wieder­fin­den lassen. So zum Beispiel das all­gemeine und dennoch besonders nervige Mietverhältnis. Es ist quasi ei­ne Alltäglichkeit und bekommt so­mit nicht nur den Rang einer Selbstverständlichkeit, sondern lei­der auch vermehrt den Hauch einer Naturgewalt. Gerade weil sich aber ein Großteil der Gesellschaft in die­sem wiederfindet und sich auch alltäglich in ihm bewegt, birgt es viele rebellische Potentiale (nicht umsonst ist das Mietrecht so engmaschig und kleinlich).

Die Idee ist deshalb, sich gegen das zu Wehr zu setzen, was einem*r so­wie­so im Alltag und durch Zwang begleitet. Hier beginnt der berühmt berüchtigte Alltagskampf. Nach tief­greifender und langwieriger Analyse des Kampffeldes ist mir klar geworden, dass es keine große Bewegung in Deutschland gibt, die sich des Kampfes gegen Mieten annimmt. Wir müssen also erst­einmal anfangen, kleine Brötchen zu backen. Will heißen, die Men­schen zusammenzubringen, die gerade Probleme mit ihrem Miet­ver­hältnis haben und bereit sind, sich dagegen zu wehren. Das sind nicht viele, aber genug um sich gegen­seitig emotional aufzufangen (darüber hinweg zu gehen wäre mehr als zynisch) und kleine Ak­tionen vorzubereiten. Fürwahr lösen sich dadurch nicht die Probleme auf, aber aus verzweifelten und resig­­nierten Einzelnen werden durch Gegenseitige Hilfe em­power­te und mutige Kämpfer*innen im Kollek­tiv. Das ist nicht die Revolu­tion, aber ein politischer Erfolg.

Aber ja ja, ich kenne sie zu genüge, die Kritik: dass es reformistisch sei gegen Mieterhöhungen, sprich nur gegen die Symptome nicht gegen die Ursachen kapitalistischer Inwertsetzung von Wohnraum zu kämp­­fen; dass es ja nichts bringe und überhaupt nur Sozialarbeit sei, sich den Problemen einzelner Men­schen zu widmen, statt die Massen zu mobilisieren; dass es gefährlich sei, sich mit Menschen zu solida­ri­sie­ren, deren politischer Stand­punkt nicht bekannt ist und wo­mög­lich gar den „unseren“ wider­spricht. Doch möchte ich euch fragen – werte Genoss*innen –: Aus welcher gesellschaftlichen Position heraus könnt ihr denn diese Urteile bitte schon fällen? Steckt ihr denn bis zum Kopf in der Scheiße? Erhal­tet ihr denn täglich einen ätzenden Brief vom Amt, vom Vermieter oder von der Bank? Müsst ihr euch denn jeden Morgen zur Lohnarbeit quälen und könnt das nicht anders durch­halten als dadurch, dass ihr euch diesen Zwang ein bisschen schönredet? Wenn dem so ist – liebe Genoss*innen – dann seid ihr mit euren Urteilen (entschuldigt dieses unzulässige Urteil meinerseits) ganz schön blöd (natürlich von eurem Klassen­in­te­res­se aus gesprochen). Wenn dem nicht so ist, dann seid ihr – was ich noch ärgerlicher fände – durchaus eli­­tär und abgehoben. Mit (unsicht­ba­ren) Privilegien lässt es sich leicht über das urteilen, was so im deprivilegierten Handgemänge pas­siert. Wenn du aber mal selbst so richtig drin steckst (und das werdet auch ihr womöglich alsbald), mühselig nach dem Aus­weg Ausschau haltend, sieht das alles schon ein wenig anders aus.

Nun aber genug des Pöbelns! In erster Linie heißt das, dass ich nicht nur Aktivist bin, der scheinbar über den Verhältnissen schwebt, sondern ich als Mensch bin auch selbst Betroffener von den Verhältnissen. Dies ist ein fundamentaler Perspektivwechsel. Ich habe mich mit dem Gesprächskreis für die gra­bende Maulwurfsperspektive ent­schieden (auch wenn noch ganz schön viel Adler in mir drin steckt)3, zum Teil weil ich selbst (wie auch ihr) von immens hohen Mieten hier in Jena betroffen bin und weil ich selbst (trotz aka­de­mi­schen Ab­schlus­ses) schnurstracks aus dem Elfenbeinturm auf die harte Erde fiel; Hartz IV ist ent­ge­gen aller Versprechungen der bequemen sozialen Hängematte nicht unbe­dingt komfortabel. Ich sehe – zu­min­dest in unserem Gesprächskreis – kein abstraktes Men­schenmaterial mehr vor mir, das ich irgendwie mobilisieren muss. Ich sehe mich und ich sehe den*die Andere in unserer jeweiligen Individualität, die sich in der Erfahrung ver­schränkt, für Wohnraum (zuviel) Geld zu zahlen oder von Ver­mieter*innen wie Dreck behandelt zu werden. Indem wir darüber spre­chen, werden wir uns dessen be­wusst, wir entdecken gemein­sam, dass wir nicht daran Schuld sind, dass es systematische Ursachen für unsere Probleme gibt, dass wir gemeinsame Interessen ha­ben und dass wir uns bei der Durch­setzung dieser gegenseitig unter­stützen sollten. Wir treiben uns also zu einem Punkt, an dem Solidarität oder Gegenseitige Hilfe kein abstraktes Bekenntnis mehr sind, son­dern eine naheliegende Hand­lung als Folge geteilter Klassen­er­fah­­rungen: konkreten Leids, kon­kreten Kämpfens, konkreten Schei­terns und Gewinnens. Eben dies ist die Idee und das Ziel unseres Gesprächskreises. Wie genau wir das machen und was wir damit bisher für Erfahrungen gemacht haben, erfahrt ihr womöglich im nächsten Anarch@-Info-Blatt.

 

(1) Auch wenn dieser Text im Namen einer Einzelperson erscheint und er im Wesentlichen auch von dieser geschrieben wurde, möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass mir einige Genoss*innen schon vorab des Textes und auch mit Kritik an diesem Text enorm weitergeholfen haben, die folgenden Gedanken zu konkretisieren. Darunter waren auch viele meiner Mitstreiter*innen in der Statt-Gruppe. Der Text erscheint dennoch im Namen einer Einzelperson, weil die in ihm vertretenen Positionen nicht zwangsläufig die Gruppenmeinung widerspiegeln.

(2) rechtaufstadtjena.noblogs.org

(3) Widerstrebend gebe ich zu, dass ich den Adler-Maulwurf-Gegensatz hier geklaut habe: arranca.org/ausgabe/48/maulwurf-statt-adler