Militarisierung in Jena

von Kevin mit Unterstützung zweier Freund_innen

 

„Der Krieg beginnt hier!“, lautet der Name einer 2011 gestarteten antimilitaristischen Kampagne. „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zer­stört!“, ist einer der zentralen Slo­gans der Flüchtlingsbewegung. Beide Parolen weisen darauf hin, dass Deutschland, auch das schein­bar ruhige Jena, als Rüstungs­exporteur und Militärmacht in die Kriege unserer Zeit verwickelt ist. Und darauf weisen in den letzten Monaten verstärkt die Staatskommunist_innen von SDS uns SDAJ hin. Ihre Analyse beschränkt sich jedoch zumeist auf die Rüstungsproduktion und Bundeswehrpräsenz in Jena. Ich will da einen Schritt weitergehen und schauen, wie sich auch in unserem Alltag Tendenzen der Militarisierung abzeichnen und welche Formen antimilitaristischen Widerstands es jen­seits der rotbeflaggten Demos gibt.

Remilitarisierung Deutschlands
Auf der Potsdamer Konferenz wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Entmilitarisierung Deutschlands beschlossen. Im Rahmen des Kalten Krieg wurden beide deutschen Staaten jedoch schnell wiederbefwaffnet. Der Korea-Krieg führte ab 1950 dazu, dass die USA die Produktionsbeschränkungen für die Schwerindustrie in der BRD aufhob, um so die eigene Rüstungsproduktion zu gewährleisten. Außerdem leitete die BRD-Führung den Aufbau einer eigenen Armee ein. So wurde 1955 die Bundeswehr gegründet, 1956 die Wehrpflicht eingeführt und die BRD trat 1955 der NATO bei. Die DDR konterte mit dem Aufbau der Nationalen Volksarmee (NVA) 1956, der Einführung der Wehrpflicht 1962 und der Aufnahme der DDR in den Warschauer Pakt.

Nach der Wende wurden DDR und NVA vom Westen geschluckt und die Remilitarisierung Deutschlands ging in die nächste Phase. 1997 wurden während des Volksaufstands in Albanien zum ersten Mal Bundeswehreinheiten ins Ausland geschickt. Sie sollten im Rahmen der Operation Libelle deutsche Staats­bürger evakuieren. Dabei lösten sich Schüsse. 1999 beteiligte sich die Bundeswehr an den Bombardements von Serbien und Deutschland führte zum ersten Mal wieder richtig Krieg. 2001 folgte die deutsche Beteiligung am Afghanistan-Krieg und seitdem befindet sich Deutschland in zig Ländern quasi im dauerhaften Kriegseinsatz. Die neue deutsche Kriegsführung wird immer wieder mit dem Kampf für Demokratie und Menschenrechte oder gegen den Terrorismus und Islamismus gerecht­fertigt.

Oft wird popu­lis­tisch behauptet, diese Auslands­ein­­sätze seien einfach Überfälle zwecks Ressourcensi­cherung oder zur Zerschlagung “anti­imperialistischer Bastionen”. Ge­rade in Jugoslawien, Syrien oder in der Ukraine haben wir gesehen, dass es durchaus komplexer ist, dass nämlich die Militarisierung gesellschaftlicher Konflikte zuerst eine Verwaltungsstrategie der jeweiligen Staaten und militaristischen Bewegungen ist und es erst im Anschluss zur militärischen Intervention mächtiger Staatenbünd­nisse (NATO) oder Staaten (Russ­land, Türkei) kommt – die dann selbst­verständ­lich geopolitischen und wirtschaftlichen Eigeninteressen ver­pflich­tet sind.

Transformation von Bundeswehr und Polizei
Für die neuen Bundeswehr-Militärexpeditionen musste die Bundeswehr umgebaut werden. 2011 wur­de die allgemeine Wehrpflicht auf­ge­hoben, die Bundeswehr wurde da­mit zu einer Berufsarmee. Auf der einen Seite sind Söldner/Innen und Berufssoldat/Innen für Auslandskriegseinsätze viel geeigneter als zwangsrekrutierte Jugendliche aller politischen Strömungen. Auf der anderen Seite steht die Bundeswehr vor der Herausforderung, genug Fachpersonal und Kanonenfutter auszuheben. Allein für das Jahr 2013 sollten ca. 13.000 Zeitsoldaten, 14.000 freiwillig Wehrdienstleistende und 900 „zivile Beschäftigte“ geworben werden (TLZ, 12.12.2012). Dazu wurde Ende 2012 ein „Bundeswehr-Karriere-Center“ in Erfurt eröffnet, mit 15 „Kar­riereberatungsbüros“ in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In Thüringen gibt es seitdem sol­che Büros in Gera, Jena, Mühlhausen, Suhl und Erfurt. Zusätzlich gibt es vier Jugendoffiziere (drei in Erfurt, einen in Gera), die unter anderem mit der Uni Jena und Schulen zusammenarbeiten, um dort zu werben. Seit 2015 hat die Bundeswehr eine ziemlich aggressive Werbe­kampagne gestartet. Teil dessen sind die Internetseite bundeswehrkarriere.de, die Webserie „Die Rekruten“, Fernsehwerbung, dauer­haf­te Plakatwerbung, in Jena sogar mindestens eine ganze Straßenbahn mit Bundeswehrwerbung. Die­se Kampagne dient nicht nur der Aushebung von Personal für die Bundes­wehr, sondern der Legitimierung (Rechtfertigung) und Normalisierung der deutschen Militär­macht gegenüber der Öffent­lichkeit.

Parallel zum Umbau der Bundeswehr wird die Militarisierung des Polizei­apparats vorangetrieben. Schauen wir uns an, wie noch 1989/1990 die Volkspolizisten (Vopos) rumrannten, fällt auf, wie seitdem zahlreiche Kriegstechnik und -ausrüstung Einzug in das Repertoire der neuen Landes- und Bundespolizei gehalten hat, will heißen Technik und Ausrüstung, die ursprünglich für die Armee oder Aufständsbekämpfung entwickelt und im militärischen Kontext ausprobiert wurden. Anlässlich der Nazi-Demos der letzten anderthalb Jahre fahren die Bullen all das auf: Schusswaffen, Wasserwerfer (wurde direkt für die Polizei entwickelt), Räumpanzer, Helikopter, in Leipzig sogar Tränengas. 1995 wurde die Thüringer BFE-Einheit, d.h. Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit gegründet. Sie ist in Erfurt stationiert, bis an die Zähne bewaffnet und hat seitdem unzählige Leute verprügelt und misshandelt. Ende 2015 wurde die BFE+ zwecks Terrorbekämpfung gegründet. Davon gibt es bisher eine Einheit in Blumberg in Brandenburg. Das sind Bullen zwischen BFE und SEK, die standardmäßig mit Panzerfahrzeugen und Sturmgewehr ausgerüstet sind.

Von Rockern und Nazis
Auch in Teilen der Bevölkerung findet eine gewisse Aufrüstung statt. Ende der 80er und in den 90ern ist das Gewaltniveau von Seiten der Nazi-Szene konti­nuierlich angestiegen. Von ersten Prügeleien und Messerstechereien zu koor­di­nierten Angriffen mit Brech­stan­gen und Mollies bis hin zur Be­waff­nung mit Schusswaffen und dem “be­­waff­­neten Kampf”, d.h. der rassistischen Mordserie des NSU. Pa­ral­lel dazu haben sich auch Rocker- und andere mafiöse Netzwerke gebildet, die ebenfalls bewaffnet und nicht zimperlich sind. In den letz­­ten zwei Jah­ren ist es im Kontext der Flüchtlingskrise und rassis­ti­schen Hetze unter soge­nannten be­sorg­ten Bürgern und Nazis zu einer Selbst­be­waff­nung mit Pfeffersprays, Te­le­s­kop­schlag­stöcken, Schreck­schuss­­waf­fen und Schuss­waffen ge­kom­­men. Insge­samt kann man also auch in der Bevöl­kerung Mili­tari­sierungs­ten­den­zen wahrnehmen.

Bundeswehr und Rüstungsproduktion in Jena
In Thüringen sind 6500 Soldaten in Kasernen in Erfurt, Gera, Gotha, Bad Frankenhausen, Bad Salzungen und Sondershausen stationiert (thüringen24, 10.06.2016). Jena ist damit kein herausragender Bundeswehrstandort. Das heißt aber nicht, dass sie nicht auch in unserer Stadt Strukturen unterhält. Das Kreisverbindungskommando (KVK) 721 in Jena-Burgau soll die Zusammenarbeit mit den zivilen Behörden unterstützen. Wie bereits erwähnt gibt es in Jena seit 2012 das Karrierebüro der Bundeswehr. Von dort laufen immer wieder Soldat/Innen in voller Uniform über den Uni-Campus. Weiterhin gibt es Leute, die über die Bundeswehr Medizin studieren. Sie lassen sich dabei als Soldat/Innen verpflichten und besuchen dann wie alle anderen Studierenden die Veranstaltungen. Das ist ein weiterer Schritt in der Durch­dringung der Gesellschaft durch die Bundeswehr. Seit Jahren wird außerdem der Fußballverein Carl Zeiss Jena durch die Bundeswehr gesponsort – das wär doch mal eine schöne Kampagne für die Ultras.

Lokale Kriegstreiber- und militaristische Vereinigungen organisieren ab und zu Propaganda-Veranstaltungen in Jena. Zuletzt gab es im Februar 2016 die Veranstaltung „Der Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat“ im Haus auf der Mauer, organisiert von den Jungen Europäischen Föderalisten Jena (JEF Jena), der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP), der Reservistenkameradschaft Jena und der Landesgruppe Thüringen des Reservistenverbandes der Bundeswehr.

Jena ist nicht nur Rekrutationsstandort der Bundeswehr, sondern auch ein Schwerpunkt der Rüstungsproduktion. Im Rüstungsatlas, der 2014 von der Rosa-Luxemburg-Stiftung herausgegeben wurde, finden sich einige Infos, siehe ruestungsatlas-thueringen.de. Carl Zeiss, Jenoptik, j-fiber, Laser Display Technology, Matthias Wetzel In­dustriebeschriftungen, Optics Bal­zers, Schott und VITRON Spezialwerke produzieren Waffenbestandteile oder liefern zu. Zahl­reiche Institute der Uni sind an der Entwicklung von Technologie beteiligt, die in militärischen Kontexten Verwendung findet.

Der Weg zur militarisierten Bevölkerungsverwaltung
Seit Jahren wird über den Bundeswehreinsatz im Inneren diskutiert. Ziel der Diskussion ist es, den Einsatzbereich der Bundeswehr im Inneren durchzusetzen. Argumentiert wird in der Regel mit dem Katastrophenschutz. Ist der Einsatz im Inneren aber erst einmal durchgesetzt, können Soldaten künftig gegen Großproteste oder in der Aufstandsbekämpfung eingesetzt werden. Das ist keine Zukunftsmusik, sondern im Grunde schon jetzt Realität. Bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm waren bereits Panzer oder Tornado-Kampfflugzeuge im Einsatz. Soldaten wurden während des Hochwassers von 2013 eingesetzt – auch in Thüringen. Und für 2017 ist die erste gemeinsame Übung von Polizei und Bundeswehr beschlossen.

Der Ausnahmezustand
Der Einsatz militarisierter Polizeieinheiten ist in der Vergangenheit über die Einrichtung von Ausnahmezuständen möglich geworden. Das waren auf der einen Seite die Nazi-Demos und Gegenproteste. An diesen Tagen wurden ganze Stadtteile abgeriegelt, Bullen mit Maschinenpistolen zur Sicherung sta­tio­niert, Wasserwerfer und Räumpanzer rumgefahren. Auf der anderen Seite gab es mehrere Male die Situation, dass Terror-Panik nach Kofferfunden ausgebrochen ist. Wieder gab es mehrstündige Abriegelung und wurden schwerbewaffnete Polizeieinheiten aufgeboten. Man kann drüber lächeln und das als Terror-Hysterie abtun. Tatsächlich sorgen solche Ereignisse dazu, erstens den Ausnahmezustand zu normalisieren und zweitens die Angst vor dem großen äußeren Feind, dem internationalen Terrorismus zu schüren. Als es dann letztlich zum Anschlag von Berlin kam, patrouillierten in Jena und anderen Städten über mehrere Tage lang Bullen mit Maschinenpistolen um die Weihnachtsmärkte herum. Mittlerweile ein ganz normales Bild…

Antimilitarismus
Neben den staatskommunistischen Antikriegs-Demos oder den eher anarchistischen Versuchen der Mobilisie­rung zum antimilitaristischen Camp gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) in Sachsen-Anhalt sind vor allem die Praktiken interessant, die sich verallgemeinern lassen. Dazu ein paar Beispiele: Gelegentlich werden Soldaten auf dem Campus angepöbelt. Immer wieder wird die Plakat­werbung der Bundeswehr runter­gerissen. Hunderte von Menschen haben sich gegen den Ausnahmezustand zu den Nazi-Demos zur Wehr gesetzt. Leute haben sich mal zusammen die Serie „Die Rekruten“ reingezogen und die Selbst­darstellung und Propaganda der Bundeswehr auseinandergenom­men. Alles in allem an­ge­­sichts des übermächtigen mili­ta­ris­tischen Staats und der zuneh­men­den Militarisierung unserer Ge­sellschaft eine traurige Bilanz.

Neben den in die Rüstungsproduktion verwickelten Betrieben und den Bundeswehrstandorten zeigen sich Militarisierungstendenzen an zahlreichen Punkten. Hier können wir ansetzen und sabotieren. Gerade als Anarchist_innen sollten wir dahingehend aktiv werden. Denn auf der einen Seite setzen sich liberale Pazifist_innen gegen Krieg ein, fordern aber, dass wir uns in den sozialen Kämpfen vollkommen fried­lich verhalten, uns also ergeben sollen. Auf der anderen Seite haben autoritäre Kommunist_innen oft genug in Kriegssituationen die Seite der einen oder anderen patriotischen oder staatlichen Kriegspartei er­griffen. Wir dagegen sollten versuchen, Krieg, Militarismus und Militarisierung zu bekämpfen und gleichzeitig auf militante Art und Weise in den sozialen Kämpfen aufzutreten. Nach dem Motto “No War but Class War!” (“Kein Krieg, außer dem Klassenkampf!”)