Kleine Geschichte der Polizei

von Kevin

In Jena und anderswo scheint das Verhältnis der radikalen Szene zur Polizei klar zu sein: ACAB. We don’t talk to police. Nazis morden, der Staat schiebt ab… No cops, no fascists. BRD Bullenstaat… Jenseits dieser Parolen jedoch, in Gesprächen, stößt man oft auf erschreckend liberale Ansichten bzw. schlicht und einfach auf Unwissen. Daher die Entscheidung, einen ersten Analyse-Artikel zur Polizei, ihrer Geschichte, Funktionsweise und strukturellen Rolle zu schreiben. Er erscheint aufgrund seiner Länge in zwei Teilen. Der hier veröffentlichte erste Teil versucht, den Ursprung und die Geschichte der Polizei in Deutschland nachzuvollziehen. Im zweiten Teil, der voraussichtlich in der nächsten Ausgabe des AIBJ erscheinen wird, soll es um den Aufbau, die Eigenlogik, die Funktion und Rolle der Polizei gehen.

Entstehung der Polizei als eigenständiger Staatsapparat
Vom 15. bis 18. Jahrhundert bezeichnete der Begriff der „Policey“ im Sinne der „guten Policey“ die Ordnung, für die die Obrigkeit durch verschiedene Maßnahmen im Inneren des Staats zu sorgen hatte. Erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zwar im Rahmen des Aufbaus der modernen Nationalstaaten bildete sich mit der „Polizei“ ein eigenständiger Staatsap­pa­rat zwecks Aufrechterhaltung der inneren Ordnung aus. Dieser Prozess ist durch drei Hauptmomente gekennzeichnet: die Entwicklung aus dem Militär heraus, die Verstaatlichung und Entmilitarisierung der Polizei.

(1) Ab 1810 entstand in den deutschen Ländern mit der Gendarmerie nach französischem Vorbild der Vorläufer der modernen Polizei. Die Gendarmie war in den meisten deutschen Ländern (in Deutschland gab es bis 1871 keinen einheitlichen Nationalstaat, sondern einen sogenannten Flickenteppich kleiner unabhängiger Fürsten- und Königtümer) eine militärische Einheit, die im Inneren eingesetzt wurde, in einigen Ländern jedoch war sie bereits den Zivilbehörden unterstellt. Die Einrichtung der Königlichen Schutzmannschaft zu Berlin am 23. Juni 1848 auf Anordnung von König Friedrich Wilhelm IV. gilt als Gründungsmoment der modernen Polizei in Deutschland. Mit ihr wurde erstmals eine zivile Einheit zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung geschaffen. Sie war zwar militärisch organisiert, militärisch bewaffnet und rekrutierte sich aus der Armee, verfolgte aber ganz andere Macht- und Kontrollstrategien (siehe drittens). Bis Ende der 1860er gab es derartige Polizeieinheiten nur in den größeren Städten. Erst nach der Reichsgründung 1871 wurde der Polizeiapparat massiv ausgebaut.

Wie schon im Deutschen Reich entstand auch die Kolonialpolizei in den deutschen Kolonien aus den Schutztruppen, d.h. der deutschen Kolonialarmee heraus. Die Kolonialpolizeien bestanden in den afrikanischen und asiatischen Besit­zung­en des Deutschen Reichs zwischen den 1880ern und 1919. In den meisten Kolonien wurden die Kolonialpolizisten aus der kolonisierten schwarzen Bevölkerung rekrutiert.

Die moderne Polizei entwickelte sich also ab 1800 aus dem Militär heraus. Dabei kam es zu folgender Aufgabenteilung: Die Armee schützt den Staat und seine Ordnung vor Gefahren von außen, die Polizei sichert die innere Ordnung gegenüber den inneren Feinden ab. Während also die Armee Krieg führt, in andere Länder einfällt und sie besetzt, dringt die Polizei in die Städte und Stadtviertel ein und organisiert im Rahmen des sozialen Kriegs Aufstandsprävention und -bekämpfung. Diese Aufgabenteilung zwischen Armee und Polizei ist seit jeher und das bis heute Verhandlungssache, wie man beispielsweise an der Diskussion über den Kombattantenstatus der Polizei in den 60ern und 70ern oder an der aktuellen Durchsetzung des Bundeswehreinsatzes im Inneren sehen kann. Grundsätzlich ist der Bereich der Polizei seit dem Kreuzberg-Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts von 1882 je­doch auf die innere Ordnung und Sicherheit beschränkt.

(2) Die Polizei als neu geschaffener staatlicher Apparat übernahm die innere Ordnungsmacht von lokalen Behörden (Landräte, Bürgermeister) und der Gutsbesitzerklasse. Gerade zwischen den 1810ern und 1850ern, also von der Aufstellung der ersten Gendarmerien bis zur Gründung der Polizei, verteidigten die lokalen Eliten ihre Herrschaftsfunktionen und versuchten, dem expandierenden Staat Widerstand entgegenzusetzen. Seitdem verkörpert die Polizei das staatliche Gewaltmonopol im Inneren.

(3) Während der ersten Phase der Industrialisierung kam es in den deutschen Ländern zu einer Reihe von Arbeiter_innenstreiks und -aufständen wie dem Schlesischen Weberaufstand oder der 48er Revolution, an deren Kämpfen sich zu großen Teilen das entstehende Proletariat beteiligte. Diese wurden von der Armee oder Bürgerwehren noch blutig niedergeschlagen. Die Gründung der Königlichen Schutzmannschaft im Sommer 1848, nur drei Monate nachdem die Armee die Berliner Aufständischen zusammengeschossen hatte, markiert einen Paradigmenwechsel. Ihre bewusst zivilen Uniformen sollten die Bevölkerung beruhigen und die Situation deeskalieren. Die Streifengänge gewährleisteten eine nied­rig­schwellige Alltagskontrolle der Be­völkerung und die Prävention von Unruhen.

Diese neue Polizei diente also nicht wie die Armee der Vernichtung des Gegners, sondern seiner Kontrolle und Disziplinierung und erst im Notfall der Aufstandsbekämpfung. Die entstehende kapitalistische Ökonomie erforderte nämlich keine ständigen paramilitärischen Konfrontationen, sondern eine disziplinierte und befriedete Arbeiter_­in­nen­klasse. Die Geschichte der Polizei und allgemein des Staats in Europa kann also als Geschichte der Entmilitarisierung der Macht­aus­übung im Inneren gelesen werden und ist durch die ständige Entwicklung neuer ziviler Formen der Gewaltausübung gekennzeichnet, z.B. zivile Uniformen, sogenannte nicht-tödliche Bewaffnung, Deeskalationsstrategien, Bürgernähe.

Paramilitärische Polizei und erste Polizeireformen in der Weimarer Republik
Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Deutschland zwangsweise entmilitarisiert. Die Weimarer Republik reagierte darauf mit einer Militarisierung der Polizei. Nach dem Krieg wurden Freikorpseinheiten, d.h. paramilitärische Soldatenverbände, in den Polizeiapparat integriert, wurden mit der Sicherheitspolizei kasernierte Polizei­ein­he­iten aufgestellt. So sollte zum einen die angeordnete Truppenbegrenzung unterwandert werden. Zum anderen war die Militarisierung angesichts von zahlreichen revolutionären Aufständen zwischen 1918 und 1923 eine Frage der Notwendigkeit. Die Polizei war unterstützt von paramilitärischen Freikorps an der blutigen Niederschlagung zahlreicher Aufstände beteiligt wie z.B. den Märzkämpfen 1921 in Mitteldeutschland oder dem Hamburger Aufstand 1923.

Gleichzeitig gab es unter der Ägide liberaler und sozialdemokratischer Staatsfunktionäre wie Wilhelm Abegg (DDP, im Polizeipräsidium und Ministerialdirektor der Polizeiabteilung in Preußen) oder Albert Grzesinski (SPD, Berliner Polizeipräsident, Preußischer Innenminister) erste demokratische Polizei­re­for­men. Abegg versuchte, den Po­lizeiapparat mit Republiktreuen zu besetzen. Grzesinski prägte 1926 mit seiner Devise, die Polizei solle „ein Freund, Helfer und Kamerad der Bevölkerung“ sein, den bis heute populären Leitspruch „ Die Polizei – Dein Freund und Helfer“.

Polizei im Nationalsozialismus
1933 übernahmen die Nationalsozialisten den Staat. Die Polizei wurde daraufhin von liberalen und sozialdemokratischen Beamten gesäubert und mit Nazis aus SA und SS besetzt. Von Februar bis August 1933 wurde eine Hilfspolizei eingerichtet. Sie war im Grunde nichts Anderes als eine Verstaatlichung der nationalsozialistischen paramilitärischen Verbände SA, SS und Stahlhelm und sicherte über den Terror gegen politische Gegner_innen die Machtübernahme ab.

In den Folgejahren unterlief auch der Polizeiapparat eine grundlegende Umstrukturierung. 1933/34 wurden im Rahmen der Gleich­schal­tung der Länder auch die bis dahin föderalen Polizeien zentralisiert. 1933 wurde aus der Preußischen Geheimpolizei und entsprechenden Abteilungen der Länder die zentrale Geheime Staatspolizei (GESTAPO) aufgebaut. 1939 wurden die staatliche Polizei und der parteieigene Sicherheitsdienst der SS im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) unter der Führung Heinrich Himmlers zusammengelegt.

Bereits 1933 errichtete die Polizei ge­meinsam mit der Hilfspolizei und der SA die ersten Konzentrationslager. Das KZ Nohra bei Weimar gilt als erstes offizielles KZ des Nationalsozialismus. Es wurde vom 3. März 1933 von der Polizei eingerichtet und bestand bis zum 10. Mai 1933. Auch das Nachfolgelager KZ Bad Sulza nördlich von Jena wurde von der Polizei betrieben und erst 1936 der SS übergeben. In den Folgejahren unterhielt die Polizei mit den Polizeihaftlagern und Polizeigefängnissen sowohl im Reichsgebiet wie in den besetzten Gebieten ein eigenes Lagersystem. Darüber hinaus waren Polizeibataillone am Vernich­tungsfeldzug und dem Holo­caust im Osten beteiligt, darunter das Jenaer Polizeibataillon 311.

Die Polizei war also sowohl an der Machtübernahme und -sicherung der Nationalsozialisten als auch an ihrer Terrorherrschaft und der Vernichtungspolitik in Osteuropa beteiligt.

Neuaufbau der Polizei nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach der Besetzung Deutschlands übernahmen die Militärpolizeien der Siegermächte die klassischen Polizeiaufgaben. Sowohl in Ost wie West wurden nach der Staatsgründung eigene Polizeien nach dem Vorbild der paramilitärischen Weimarer Polizei aufgebaut.

1950 durfte die BRD ihre eigene Polizei gründen. Wie bereits erwähnt knüpfte sie strukturell nicht an die nationalsozialistische, sondern – entgegen den Entmilitarisierungsvorgaben der Siegermächte – an die paramilitärische Polizeitradition der Weimarer Polizei an: Die paramilitärische Ausbildung (Drill) fand in Kasernen statt und die Ausbilder waren Militärs. Die Einheiten bekamen eine militärische Ausrüstung. Ein großer Teil der Beamten hatte in der Wehrmacht gedient. Hier werden auch die personellen Kontinuitäten zum Nationalsozialismus deutlich. Neben Jugendlichen und sozialdemokratischen Polizeibeamten der Weimarer Zeit wurden einige Nazi-Polizisten und zahlreiche Wehrmachts-Veteranen übernommen (siehe das Heft der Bundeszentrale für politische Bildung).

1951 verstieß die BRD auch gegen die von den Alliierten gemachte Bedingung der Dezentralisierung. Mit dem Bundesgrenzschutz (BGS) richtete sie eine zentralisierte Bundespolizei ein. Begründet wurde das mit der kommunistischen Gefahr im Inneren (Streikbewegung Ende der 40er inklusive des Generalstreiks von 1948) und außen (Grün­dung und Aufrüstung der DDR). Der BGS war eine Militärpolizei, sollte das Verbot einer eigenen Armee kompensieren und diente in erster Linie der Aufständsbekämpfung. Das Führungspersonal der ersten Generation bestand aus ehemaligen Offizieren der Wehrmacht. Zusätzlich wurde 1951 das Bundeskriminalamt (BKA) gegründet. Zahlreiche Mitglieder der ersten Generation hatten hohe SS-Ränge gehabt. Als 1955 die Bundeswehr gegründet wurde, diente der BGS als Personalreservoir: Viele BGS-Beamte gingen in den Armeedienst über.

Im Osten wurde 1949 die Volkspolizei (VoPo) gegründet. Auch sie knüpfte strukturell an die Weimarer Polizeitradition an. Auf der personellen Ebene jedoch wurde ein wirklicher Bruch zum Nationalsozialismus vollzogen. Die erste Generation an Volkspolizisten bestand vor allem aus politisch unbelasteten und unerfahrenen Jugendlichen. Mit der Auflösung der Länder 1952 wurde auch die Volkspolizei zentralisiert. Ab 1950 wurde mit der Stasi einer der im Verhältnis zur Einwohnerzahl größten geheimpolizeilichen Apparate der Geschichte aufgebaut. 1952 wurde die Kasernierte Volkspolizei (KVP) eingerichtet, aus der 1956 die Nationale Volksarmee (NVA) aufgebaut wurde.

Der militaristische DDR-Staat behielt sich vor, nicht nur Polizei-, sondern auch militärische Einheiten im Inneren einzusetzen. Die paramilitärische Kasernierte Volkspolizei war 1953 gemeinsam mit Truppen der Sowjetunion an der Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni beteiligt. Anschließend wurden die sogenannten Kampf­gruppen der Arbeiterklasse eingerichtet. Das waren militärische Einheiten innerhalb der Betriebe und unter Führung der SED, die in Ausnahmesituationen mobilisiert werden konnten, z.B. während der Revolution in Ungarn 1956, des Mauerbaus 1961 und während der Wende 1989.

Entmilitarisierung der Polizei in der BRD ab den 60ern
Erst in den 60er und v.a. in den 70er Jahren kam es in der BRD zu demokratischen Reformen der paramilitärischen Polizei. Dieser Prozess wird oft als Verpolizeilichung oder Entmilitarisierung gefasst. Diese Reformbewegung wurde von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und einigen Polizeiführern angetrieben. 1963 verhinderte die GdP, dass der Polizei der militärische Kombattantenstatus verliehen wur­de. Mit den Denkschriften „Polizeinotruf“ (1970) und „Die gebremste Polizei“ (1972) kritisierte die GdP das paramilitärische Polizeiverständnis und setzte sich für eine demokratische, zivile und bürgernahe Polizei ein. Das 1975 im Auftrag der Konferenz der Innen­mi­nis­ter veröffentlichte „Saarbrücker Gutachten“ sprach sich für eine weitere Professionalisierung und zivile Ausrichtung der Polizei aus. Ab den 70ern kam es unter den Schlag­wörtern Bürgernähe, Deeskalation, Entmilitarisierung, nicht-tödlicher Bewaffnung, Integration und Frauen u.a. zu entsprechenden Polizeireformen in den Ländern. Auch der BGS wurde Schritt für Schritt entmilitarisiert und verpolizeilicht, verlor 1974 seinen Kombattantenstatus und wurde bis 2005 in die Bundespolizei umgewandelt.

In der DDR fand keine derartige Entmilitarisierung und Verpolizeilichung statt. Die Volkspolizei, die paramilitärischen Volkspolizei-Bereitschaften und die militärischen Kampfgruppen der Arbeiterklasse blieben in der Form bis zum Ende der DDR bestehen.

Aufrüstung der Polizei
Die Polizeireformbewegung in der BRD hatte freilich ihre Grenzen. Gegen die neue Arbeiter_innenmilitanz, breiten sozialen Bewegungen, militanten Auseinandersetzungen und den bewaffneten Kampf rüstete der BRD-Staat auf. Das BKA wurde in den 70ern ausgebaut und militarisierte Sondereinheiten wurden aufgestellt – unmittelbar nach der Geiselnahme bei den Olympischen Spielen in München 1972 die GSG 9 des Bundesgrenzschutzes und die Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Länderpolizeien.

Der Aufrüstungsprozess wurde nach der Wende fortgesetzt. Seit der Einstellung des bewaffneten Kampfes durch die radikale Linke Anfang der 90er und den Anschlägen vom 11. September 2001 wird er vor allem mit der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus gerechtfertigt. Ein paar Beispiele: Seit Mitte der 2000er legen sich die Landespolizeien Drohnen zu. Seit 2001 nutzt das SEK Berlin Elektroschocker/Taser. Seit 2017 wird er im Streifendienst eingeführt. 2015 hat die Bundespolizei zusätzlich zur GSG 9 mit der BFE+ eine neue bis an die Zähne bewaffnete Spezialeinheit eingerichtet. Seit Frühjahr 2017 nutzt die Erfurter Polizei testweise Polizeikörperkameras, die sogenannten Body­cams. Im Februar 2017 hat das Bundeskabinett ein Gesetz angenommen, dass tätliche Angriffe gegen Polizist_innen ab sofort härter, mit bis zu 5 Jahren Haft, bestraft werden können.

Internationalisierung der Polizei
1898 fand in Rom die Internationale Konferenz zur sozialen Verteidigung gegen Anarchisten statt. Die eu­ro­pä­ischen Staaten legten dabei die Grundlage internationaler Polizei-Zu­­sam­menarbeit gegen die inter­na­tio­nale anarchistische Be­we­gung. Nach dem Ersten Weltkrieg, 1923, wurden diese Zusam­men­ar­beit mit der Gründung der Internatio­nalen Kriminalpolizeilichen Or­ga­nisation (IKPO oder Interpol) als er­ste internationale Polizeiorganisation fort­ge­setzt. Die meisten inter­na­tio­na­len Polizeistrukturen wur­den aber in den letzten 25 Jahren im Rahmen der EU-Integration geschaffen: 1990 das Schengener Informations­­system (SIS) als internationales Fahndungssystem, 1999 das Polizeiamt Europol, 2002 die europäische Staatsanwaltschaft Eurojust, 2005 die Grenzschutzagentur FRONTEX. Parallel entstanden gemeinsame bilaterale Polizeizentren (mit Frankreich 1997, mit Belgien und Luxemburg seit 2003, mit Tschechien und Polen seit 2007).

In dem Rahmen werden deutsche Länder- und Bundespolizeien seit den 90ern in internationalen EU- und UNO-Missionen eingesetzt, u.a. 1989 in Namibia, 1995 in Bosnien-Herzegowina, 1998 in Albanien, 1999 im Kosovo, 2002 in Afghanistan, 2008 in Georgien, 2013 in Mali, 2014 in der Ukraine, 2015 im Rahmen von FRONTEX in Italien, Bulgarien und Griechenland. So wird die deutsche Polizei mittlerweile regelmäßig an der Verwaltung von Konflikt- und Kriegsgebieten und im Rahmen der Flüchtlingsabwehr an den europäischen Außengrenzen eingesetzt. 2006 wurde dafür mit der European Gendarmerie Force (EUROGENDFOR) eine EU-eigene Militärpolizei für internationale Einsätze aufgestellt. Seit 2008 finden regelmäßig gemeinsame Übungen europäischer Polizei- und Gendarmerie-Einheiten statt. In ihnen geht es unter anderem um internationale Einsätze und Bekämpfung von Unruhen. An der EUROGENDFOR ist die BRD nicht beteiligt, da sie selbst keine Militärpolizei hat, dafür aber aktiv an den internationalen Übungen. In Deutschland fanden solche Übungen bereits 2010 auf dem militärischen Truppenübungsplatz in Lehnin (Brandenburg) und April 2016 auf einem privat betriebenen Truppenübungsplatz in Weeze (NRW) statt. Außerdem hat die Bundespolizei 2010 eine eigene Auslandshundertschaft für Einsätze „Polizeieinsätze robusten Charakters“ aufgebaut.

Während die Polizei zunehmend in Auslandseinsätze eingebunden wird, ist sie auch an der Vorbereitung des Bundeswehreinsatzes im Inneren beteiligt. Am 7. März 2017 fand mit der GETEX (Gemeinsame Terrorismusabwehr-Exercise) die erste gemeinsame Übung der Führungsstäbe von Polizei und Bundeswehr statt. Sie haben dabei den gemeinsamen Einsatz in der Terrorabwehr im Inneren geprobt.

Zwischenfazit
Im Zuge des Aufbaus der modernen Nationalstaaten im 19. Jh. entstand auch die Polizei als eigenständiger Staatsapparat. Sie hat sich in Deutschland historisch aus dem Militär herausentwickelt und diente der Sicherung der inneren Ordnung durch die Kontrolle und Disziplinierung der Arbeiter_innenklasse und die Prävention und notfalls auch Niederschlagung von Aufstandssituationen. Im Verlauf des 20. Jh. war sie Herrschaftsinstrument aller staatlichen Regime in Deutschland – des Kaiserreichs, der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus, der DDR und der BRD. Die Polizei war ein zentraler Apparat der nationalsozialistischen Terrorherrschaft, des Vernichtungsfeldzugs im Osten und des Holocausts. Spätestens seit dem 21. Jh. ist die Polizei im Rahmen der EU auch an internationalen Einsätzen beteiligt. Insgesamt steht die Polizei im Zeichen der Entmilitarisierung oder Verpolizeilichung der staatlichen Machtausübung im Inneren. Herrschaftsstrategien wie alltägliche soziale Kontrolle, Einbindung, Prävention und Deeskalation sollen gesellschaftliche Konflikte befrieden und ruhigstellen. Gelingt das nicht, kann die Polizei auch Aufstandsbekämpfungsstrategien und rohe Gewalt anwenden und das nicht selten mit tödlichen Folgen.

 

Quellen
In den USA gibt es innerhalb der anarchistischen Bewegung eine sehr lebhafte Debatte über die Polizei. In Deutschland dagegen gibt es aus radikaler Ecke bisher kaum tiefergehende Analysetexte zum Thema. Entsprechend stammen die meisten Quellen aus dem liberalen bis linken Spektrum, sind Presseartikel oder sogar Material der Polizei selbst.

Anarchistische Artikel aus den USA:
Slave Patrols and Civil Servants. A History of Policing in Two Modes
Origins of the Police
The Thin Blue Line is a Burning Fuse

Wissenschaftliche Texte aus der BRD:
Winter, Martin: Politikum Polizei. Macht und Funktion der Polizei in der Bundesrepublik Deutschland, Reihe „Politische Soziologie“, Band 10, Münster: LIT-Verlag, 1998, online hier.
Jessen, Ralph: Polizei im Industrierevier. Modernisierung und Herrschaftspraxis im westfälischen Ruhrgebiet 1848-1914, Göttingen, 1991, online hier.

Artikel aus Zeitschriften:
Heiner Busch: Militarisierung der Polizei
Artikel von Christoph Ellinghaus von 1998 zum Thüringer BFE
Sonderheft der Bundeszentrale für politische Bildung

Texte aus Zeitschriften der Polizeiakademien oder -gewerkschaften:
Artikel von Dr. Kurt Gintzel von der GdP
Studienbrief von der Polizeiakademie Hamburg