Krieg beginnt hier — Sabotage von außen wird ihn nicht stoppen

Anknüpfende Gedanken an «Militarisierung in Jena» (AIB #8) von Anonym

Im Jahr 2017 lässt sich eine Welt ohne Kriege zunächst kaum mehr denken. Es wird immer irgendwo gekämpft. Alleine die Bundeswehr ist spätestens seit 1999 ohne Unterbrechung in zig Ländern stationiert und an kriegerischen Aus­einan­dersetzungen beteiligt. Auch die Bedeutung anhaltender Kriege für die Thüringer Konjunktur ist ver­mutlich vielmehr schlicht akzeptiert als unterschätzt. Was in Jena bei­spielsweise die Produktion von allerlei Material für Grenzsicherung oder Panzer durch Jenpotik ist, ist die Bundeswehr für Erfurt: Arbeits­plätze, Investitionen, Zuliefererbetriebe, konsumstarke Beschäftigte und Mieter*innen. Die paar örtlichen Gegenaktionen, die Kevin im vergangenen AIB richtigerweise unter «traurige Bilanz» fasst, können am Stand von Bundeswehr und Kriegs­industrie in der Bevölkerung keinesfalls rütteln. Fraglich wäre jedoch, ob ein Mehr solcher Aktionen oder die Möglichkeit von deren Ausweitung zu Massenaktionen irgend­was am Dauerkriegszustand und dessen mehreitlicher Befürwor­tung ändern könnte.

Diese Bewegung gab es bereits. Sie war vielleicht sogar die größte Massenbewegung in der BRD, in der mas­senhafter ziviler Ungehorsam und Militanz nebeneinander standen. Die autonome Bewegung ging erst aus ihr hervor, u.a. mit den Kra­wallen gegen das Rekrutengelöbnis 1980 in Bremen. Ein Zurück zu solchen Verhältnissen scheint derzeit unvorstellbar. Die größten Anti-Kriegs-Mobilisierungen sind derzeit jene rund um die US-Basis Ramstein (NRW) wo Teile der früheren Friedensbewegung mit den Freund*innen des Antisemiten Ken Jebsen gemeinsame Sache machen. Diese sind an den rechten Kopp-Verlag angebunden (Willy Wimmer) und finden nur Kriege von NATO-Staaten falsch, nicht aber jene Russlands im Kaukasus, der Ukraine oder Syrien. Hoffnungsvoller erscheint da die War starts here-Kampagne, die eine klare Abgrenzung von der rechten Querfront fordert und trotz einer offenen Basisorganisierung keinen falsch verstandenen Pazifismus im Sinne von «friedlichen Mitteln» zelebriert. Doch auch dieser Hoffnungsschimmer bleibt auf der Ebene der BRD, zumal überschattet vom Pegida-Vorläufer «Friedens­winter» und der erstarkten Quer­front in Antikriegs-Protesten eben eine «traurige Bilanz», wie sie die paar zerrupften Werbeplakate und angepöbelten Bundis in Jena aus­macht – mal abgesehen von der grundsätzlichen Frage, welche Faktoren zum Zerfall der früheren Bewegung führten und in welchem Verhältnis dieser überhaupt zum Aufstieg der BRD zur Dauerkriegspartei steht.

Vielen Bauchgefühl-Kriegsgegner*innen fällt es jedoch auch schwer, sich angesichts von etwa IS und Anschägen in deutschen Metropolen die Sinnhaftigkeit einer sofortigen Abrüstung vorzustellen. Würden die Polizist*innen, die anlassbezogen immer wieder auch in Jena oder Erfurt mit Maschinenpistolen patroullieren, uns nicht tatsächlich im Ernstfall schützen? Und sind nicht auch schon deutsche Waffen über den Umweg der durch Merkel wohlgelittenen nordirakischen Kurden zu den Kämpfer*innen der YPG nach Rojava gelangt? «Wo sind denn die kollektiven, antiautoritären Waffenschmieden, die uns lebensrettende Abwehrwaffen zukommen lassen und uns an ihnen trainieren, wenn ihr die Rüstungs­industrie tatsächlich lahm­ge­legt habt und nicht mehr könnt als Flaschen werfen?» müssten sich vielleicht Kriegsgegner*innen in den NATO-Staaten fragen lassen, wenn deren Abrüstungsträume verwirklicht wären, beispielsweise Rojava und Chiapas aber immer noch unter Beschuss stehen. Anarchist*innen in den USA haben schon häufiger darauf hingewiesen, dass sie sich selbstverständlich bewaff­nen, wenn sie in einem Land der Vollbewaffnung und eskalierenden sozialen Konflikte nicht die letzten Blöden ohne Möglichkeit der Selbstverteidigung sein wollen. In Deutschland ist es wahrscheinlich das sehr viel weiter akzeptierte und durchgesetzte Gewaltmonopol des Staates, die externalisierten Kriege desselbigen und die noch nicht eskalierten sozialen Konflikte im Inland, deren offenbar ausreichende Verlässlichkeit auch Anarch@s garantiert, sich noch nicht gegen ReichsbürgerInnen, Nazis oder andere menschen- und freiheitsfeindliche Strukturen mit unschöneren Mitteln verteidigen zu müssen. Eine schaurige Form des Verlassens auf einen Staat, der infolge der RAF massiv aufgerüstet hat, diskursiv wie infrastrukturell, und bei militärischen Antworten auf antistaatliche Aktionen die Bevölkerung hinter sich wüsste. Bereits in den 1970ern war die BRD Vorreiterin, was Isolationshaft und Militarisierung der Polizei angeht, wovon ersteres in Form der F-Typ-Gefängnisse erfolgreich in u.a. die Türkei exportiert wurde.

Mit diesen schwierigen Fragen muss sich mensch jedoch den Kopf zerbrechen, wenn die Frage nach Handlungsmöglichkeiten gegen Krieg und Militarisierung der Bevölkerung gestellt wird. Mit der Vorstel­lung von Sabotage und Ab­rüs­tung ist es noch nicht getan, wenn die gesamte Welt von bewaffneten Staaten, Milizen, Clans und Mafiosis durchsetzt ist. Gleichzeitig würden deutsche Waffenschmieden selbst im Falle einer gesellschaftlich relevanten Antikriegsbewegung einfach auswandern und in 2/3 dieser Welt mit offenen Armen empfangen werden, um dort die Waffen zu bauen, mit denen dann progressive Bewegungen später zerschossen werden könnten. Darin hat die deutsche Rüstungsindustrie und -politik ohnehin Erfahrung, hat sie doch ihren Ursprung in ausgelagerter Rüstungsproduktion ehemaliger NS-Rüstungsingenieure und -betriebe in der Nachkriegszeit, die bis zur Absegnung der Wieder­bewaffnung durch die Alliierten im nahen Osten und in Westafrika jene Produktion aufbauten, die später heimgeholt wurde.

Vielleicht blicken wir nochmal nach Chiapas, um ein reelles Exempel von Bewaffnung ohne einhergehende Eigendynamik von Unterdrückung oder Aggression anzuerkennen: Die Zapatistas konnten nur des­halb bis heute in ihren bescheidenen autonomen Gebieten in länd­lichen Regionen Mexikos bestehen, weil sie die Bereitschaft signalisierten, diese mit Waffen zu ver­teidigen. Bis heute scheint es dem mexikanischen Staat, den enteigneten Großgrundbesitzer*innen und der Mafia als verschiedenartigen Strukturen des Kapitals nicht opportun, in den bewaffneten Konflikt einzutreten. Ob das nun mehr an der Ressourcenarmut der betreffenden Gebiete oder am gesamtgesellschaftlichen Konflikt­po­ten­zial eines Angriffs auf die Za­pa­tistas liegt, soll hier nicht erörtert werden. Jedoch ist es den Ferndiagnosen zufolge eines der wenigen Beispiele, in denen die Bewaffnung und der Aufbau militärischer Strukturen für das Binnenleben nicht zu einer nahtlosen Ablösung einer Herr­schaftsstruktur durch die nächs­te geführt hat, sondern tatsäch­lich Räume eröffnen und vertei­digen konnte, in denen die Men­schen in der Breite mehr Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen und gesellschaftlicher Einflussnahme haben. Den Zapatistas wäre mit einer politischen Basis nicht geholfen, die Waffen und deren Produktion so gut es geht sabotiert. Die Geg­ner*innen der Freiheit werden im­mer Zugang zu Rüstung haben. Voraussetzung für eine Bewaffnung ohne Willkür der Bewaffneten ist jedoch ein hoher Grad der gesellschaftlichen Basisorganisierung und Verantwortlichkeit, der von vor­nherein die Bildung von Machtcliquen verhindert und der sehr vie­len Entrechteten als bessere Alternative erscheint, als sich den nächst­gelegenen Privatarmeen, War­lords oder staatlichen Strukturen anzudienen.

Von den Zapatistas lässt sich ohnehin, vom antiautoritären Geist und der Notwendigkeit einer antikapitalistischen Basisorganisierung abgesehen, sehr wenig für die hiesige Situation lernen. Wir reden hier über urbane, industrialisierte Gegenden, mit einer sehr viel heterogeneren, entfremdeten und zwangs­weise mobilen/migrierenden Bevölkerung in einem Kapitalismus, der über längere Zeit — na­tür­lich immer auf Kosten anderer bzw. unserer Nachbarin — grundlegen­de Bedürfnisse befriedigen konn­te. Und über eine, wie Kevin sie in ihren vielen Facetten beschrieb, militarisierte und überwachte wie überwachende Gesell­schaft. Beim Stichwort der Basis­or­ga­nisierung lässt sich daher kon­sta­tieren: Selbst wenn Jenoptik oder das Bundeswehr-Logisikzentrum Erfurt mal namhafter von außen sabotiert werden sollte und gar klein­e physische Räume in den Städten zunächst dem Zugriff des Staates entzogen wären, würde im Gegen­teil etwa zum Aufstand in Oaxaca/Chiapas die hiesige Bevölkerung nicht eine Sekunde über eine Unterstützung nachdenken. Im Gegen­teil dürften die beteiligten Aktivist*innen froh sein, wenn sie nicht vom Volksmob, d.h. den Angestellten der Betriebe gelyncht wer­den. Derselbe Volksmob würde wahrscheinlich zusammen mit seinen Gewerkschaften noch per Crowd­funding die Behebung der materiellen Schäden organisieren, um den Standort zu erhalten.

Um diese Überlegungen weiterzuführen: Es führt kein Weg daran vorbei, die existenten Waffenschmieden und zahllosen Zentren der deutschen Kriegsinfrastruktur zu übernehmen, um einen wirksamen Kampf gegen Kriege denkbar zu machen. Sie zu sabotieren würde selbst bei punktuellen Erfolgen sehr schnell zur Niederlage auf der Ebene der faktischen Gewalt führen. Die militante Gruppe mit ihren Brandanschlägen auf Bundeswehrfahrzeuge und -einrichtungen war in diesem Sinne ein ambitionierter, wenngleich hoffnungsloser Versuch. So schwer es vorzustellen sein mag und so unattraktiv Kasernen und Stahlwerke, Panzeringenieur*­innen und Satelliten­for­scher*­­innen unser eins erscheinen mö­gen — die Infrastruktur muss mit zumindest einem Teil des Personals und seinem Wissen dem Zugang der staatlichen Interessen entzogen werden. Nicht nur, um in dessen Folge ein reelles Selbstverteidigungsszenario entwerfen und androhen zu können. Vor allem wäre damit ein sozialer Konflikt zu eskalieren, der es vollbringen müsste, die Widersprüche der Lohnabhängigen in der Kriegsindustrie soweit zuzuspitzen, dass ihnen die Aneignung dieser Produktionsmittel als att­raktivere Option erscheint. Denk­bar wäre dies selbtredend nur in sehr großen Kontexten allgemeiner Aneignung und massiver gesellschaftlicher Konflikte. Bei heutigen Verhältnissen kaum vorstellbar. Unter anderem, da die IG Metall hinter den weltzerstörerischen Interessen der Großbetriebe steht, da sie bei Arbeitsplatzverlusten ihren eigenen Machtapparat als Gewerkschaft bedroht sieht. Und doch hilft es nicht, die Vorstellungskraft an den reaktionären Zeichen der Zeit scheitern zu lassen. Eine jede Sabotageaktion hat ihren eigenen Sinn und soll hier nicht zerredet werden. Jedoch bietet die Vorstellung sozialer Konflikte und einer Basisorganisierung innerhalb der Tausend Beine der Rüstungsindustrie doch mehr Perspektive. Und wer beim ersten Versuch am Werktor von Zeiss scheitert, solle sich auf dem frustrierten Heimweg trotzdem guten Gewissens an der Kriminalpolizei in der Carl-Pulfrich-Straße abreagieren.