Editorial
von der AIBJ-Redaktion
Der Frühling macht sich breit und mit der nunmehr 9. Ausgabe des AIBJ bieten wir euch die Möglichkeit die ein oder andere Sonnenstunde mit den neuesten News rund um und Perspektiven auf selbstorganisierte soziale Kämpfe in Jena zu verbringen. Zugegeben ist es uns dieses Mal noch schwerer gefallen, die mittlerweile zur Gewohnheit gewordene Sparte „Aus den laufenden Kämpfen“ mit Inhalten zu füllen. Das finden wir schade; einerseits, weil wir durchaus beobachten, dass in Jena viel in Bewegung ist, über das es sich zu erzählen lohnt. Andererseits, weil sich in dem Schweigen möglicherweise in Jena die selbe Distanz zu Alltagsfragen Bahn bricht, wie sie in der bundesdeutschen „radikalen Linken“ gebetsmühlenartig und dennoch überwiegend ohne Konsequenzen bemängelt wird. Deshalb folgt von uns der ebenso schon gewohnte Aufruf: schreibt über eure Kämpfe! Egal ob ihr eure Motivation oder Ziele, eure Erfolge oder Niederlagen, eure Erkenntnisse oder Fragen, eure Ängste, Wut oder Zweifel zu Papier bringt; es wird immer mindestens einen Menschen geben, der von euren Worten herausgefordert, inspiriert oder angestachelt wird. Wir als Redaktion des AIBJ möchten uns schließlich nichts aus den Fingern saugen, sondern durch unsere Arbeit lediglich ein ermunterndes Abbild dessen liefern, was ihr ohnehin schon tut.
Hin und wieder erreichen uns inzwischen jedoch Kritiken (in der Summe immerhin schon zwei!), die verdeutlichen, dass es um dieses Ermuntern nicht immer zum Besten bestellt ist. Im Mittelpunkt steht häufig der vorherrschende Stil, in dem insbesondere die Artikel geschrieben worden seien, welche auf dem Mist der Redaktion gewachsen sind: zu polemisch, zu anklagend, zu unsachlich, reine Meinungsmache, werden sie der wirklichen Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Verhältnisse und jener der Kämpfe in diesen nicht gerecht – das sind wiederkehrende Punkte. Wir nehmen jede (ja wirklich jede!) einzelne Kritik ernst und hoffen, dass deren (unvollständige) Wiedergabe an dieser Stelle ein kleiner Beweis dafür ist. Ansonsten verweisen wir darauf, dass wir in der Diskussion sind und versuchen, uns hinsichtlich der Inhalte und ihrer Darstellung im Heft selbst weiterzuentwickeln. Das ist insofern eine mittelschwere Herausforderung, da wir erstens selbst keine journalistischen Profis und derlei Bestrebungen auch nicht in unserem Sinne sind. Zweitens ist auch unsere Zeit begrenzt und nicht immer gelingt es uns, jeden Artikel nach unseren eigenen Ansprüchen zu gestalten oder zu redigieren. Und drittens – was das eigentliche Problem nach dem bisherigen entschuldigenden Vorgeplänkel ist – unterscheiden und widersprechen sich die Wünsche der Leser_innenschaft erheblich, als deren reine Dienstleister_innen wir uns nun auch nicht unbedingt begreifen. Nichtsdestotrotz bringt uns dies in die Zwickmühle, dass Änderungen auf einer unserer vielen vielen Baustellen unmittelbar weitere erzeugt. Eine Sisyphusarbeit, der wir uns aber weiterhin mit Leidenschaft, Kampfeslust und Überzeugung stellen. Insofern sprechen wir erst einmal ein Danke an Alle aus, die uns bis hierher mit Kritik beglückt haben und schließen mit: Gerne weiter so!
Ach ja. Nachdem wir bis jetzt lediglich von dem zu erzählen wussten, was nicht im Heft zu finden ist, wäre da natürlich noch der eigentliche Inhalt der neu(nt)en Ausgabe. Eine thematische Klammer ist uns zum wiederholten Male nicht in den Sinn gekommen. Dennoch erwartet euch nicht nur Beliebigkeit. Eine kurz und knapp gehaltene Durchquerung ergibt in etwa folgendes Bild. Im Bereich Bewegungsgeschichte berichten wir aus herbeieilenden Anlass von der Geschichte des Ersten Mai, das heißt darüber, wie dieser Tag (k)einen Grund zum Feiern gibt und wie er zum Gedenken durch verschiedenste ideologischer Strömungen instrumentalisiert wurde und wird. Das bessere Wissen um seine Geschichte – so unsere Hoffnung – erweitert die Möglichkeiten aus den Ritualen auszubrechen, zu denen sich auch herrschaftsfeindliche Spektren alljährlich immer wieder hinreißen lassen.
Am anderen Ende des Heftes (und diese Rahmung kommt für uns nicht minder überraschend wie für euch) findet ihr eine „kurze“ Analyse zu jener verhassten Institution, der mensch ohne Ausweg am Ersten Mai begegnet, sofern er_sie sich von politischen Veranstaltungen angezogen fühlt. Die „Bullen“ sind natürlich auch nicht einfach vom Himmel gefallen und weil auch hier Geschichte Abhilfe schafft, haben wir uns dazu entschieden den Analyseartikel zur Polizei in zwei Teile zu aufzuteilen. Teil eins widmet sich der historischen Entstehung und Entwicklung, weil so deutlich wird, wie wenig selbstverständlich der gegenwärtige Polizeiapparat ist und warum er dennoch als allmächtig und unumstößlich erscheint. Der zweite Teil wird voraussichtlich in der nächsten Ausgabe folgen und beschäftigt sich mit der Eigenlogik und Funktion der Polizei.
Weil es, wie gesagt, an Beiträgen zu laufenden Kämpfen in Jena mangelt, wenden wir unseren Blick gleich doppelt gen jenseits der Deutschen Tristesse. Unerfreulicherweise weiß das ABC Jena auch dort nur bedingt von Besserem zu berichten. In der Türkei herrscht – auch nach dem Wahlkampf um das Verfassungsreferendum – weiterhin Ausnahmezustand. Im Zuge dessen wird die Opposition und kritische Presse weiterhin massiv eingeschüchtert, allen voran durch Masseninhaftierungen. Zu wenig Aufmerksamkeit erhalten dabei in den hiesigen Gefilden leider die antiautoritär gesinnten Genoss_innen. Deren Schicksale verschwinden allzu oft hinter jenen, die eine bürgerliche Plattform in der Medienlandschaft haben. Deshalb ist es uns ein besonderes Anliegen auf die Situation der anarchistischen Zeitschrift „Meydan“ hinzuweisen, deren Redakteur Hüseyin Civan am 22. Dezember 2016 auf Grund von „Propaganda für terroristische Methoden“ zu einem Jahr und drei Monaten Haft verurteilt wurde. In Weißrussland versucht das diktatorische Regime ebenso wie gewohnt jedes aufständische Moment mittels Polizeigewalt und Repression im Keime zu ersticken. Trotzalledem entfachte sich rund um das von der Regierung anvisierte „Asozialen-Gesetz“ schon im Februar der größte Protest seit Jahren. Die Solidarisierung eines beträchtlichen Teiles der weißrussischen Arbeiter_innen mit Menschen ohne bezahlte Beschäftigung macht Hoffnung und verdeutlicht, dass die Spaltung der Arbeiter_innenklasse in verwertete und entwertete Menschen kein hinzunehmender Automatismus ist.
Besonders gerne kündigen wir die Veröffentlichung eines Artikels an, dessen Autor*in die Vorschläge von Kevin bezüglich der Militarisierung der Gesellschaft und ihrer Entgegnung aus dem letzten Heft nicht weit genug gingen. Unsere Freude rührt dabei nicht zwangsläufig vom Inhalt her, der durchaus Sprengstoff zu einer Kontroverse bietet. Schließlich ist die vorgeschlagene Strategie, wonach die Arbeiter_innen aus Rüstungskonzernen dazu ermuntert werden sollen unter Beibehaltung des vorherigen Gebrauchswertes zum Zwecke der eigenen Verteidigungsfähigkeit die Produktionsmittel zu übernehmen, nicht vereinbar mit vorherrschenden „pazifistischen“ Einstellungen in der Jenaer Szene. Noch mehr als der kontroverse Inhalt freut uns jedoch die Bezugnahme auf einen zuvor im AIBJ veröffentlichten Artikel. Der Debattencharakter nimmt unseren Vermutungen aus schlechten Tagen den Wind aus den Segeln, wonach ohnehin niemand das Heft liest. Danke liebe_r Unbekannte_r, dass du uns eines besseren belehrt hast!
Für alle, denen es hingegen nach etwas Neuem sinnt, drucken wir feierlich und sehr entzückt zum ersten Mal ein Gedicht einer_s Genossen_in ab, der_die sich in dieser Form „angewidert“ Ausdruck verleiht. Und auch alle Freund_innen der Kontinuität kommen natürlich wieder auf ihre Kosten: die Bewegungsnachrichten, Gefangenen-Infos und Terminankündigungen sind stabil am Start. Zuletzt bekunden wir unseren Wunsch, dass alle – der Herrschaftsfeindlichkeit wohlgesonnenen – Leser_innen etwas aus diesem Heft mitnehmen können und machen uns sogleich an die Vorbereitungen für die nächste und erste Ausgabe mit zwei Ziffern (Jubiläum! Juhu!).
PS: Für alle, die bis dahin nicht warten können, bietet sich entweder die Möglichkeit in alten Artikeln zu stöbern, die wir ab sofort als Digitalisat auf unseren Blog (samizdatarchiv.noblogs.org) laden oder ihr erfreut euch ebenso wie wir an unseren kleinen, aber feinen Designänderungen, welche euch sicher schon aufgefallen sind.
Inhalt
[Bewegungsgeschichte]
Erster Mai: Anarchismus, Aufstand, Arbeitsmigrant_innen
[Aus den letzten Monaten]
[Laufende Kämpfe und Debatten]
Krieg beginnt hier. Sabotage von außen wird ihn nicht stoppen.
[Analyse]
[Internationales]
Solidarität mit der anarchistischen türkischen Zeitung Meydan!